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Rheinbach, Meckenheimer Straße

HIT Markt

Donnerstag, 26. April, 15:27 Uhr

Etwas atemlos sah Janna sich in dem großen Supermarkt um und steuerte dann zielstrebig die Kassen an. Renate Loosen, eine gute Bekannte ihrer Mutter, arbeitete hier und hatte hoffentlich auch jetzt gerade Dienst. Als Janna sie an einer der Kassen sitzen sah, setzte sie ein, wie sie hoffte, fröhliches Lächeln auf und ging auf sie zu. Zum Glück war gerade nicht viel los.

»Hallo Renate, gut, dass ich dich hier treffe.«

»Janna, hallo, hast du gar nichts eingekauft? Du siehst ein bisschen gestresst aus.« Die Kassiererin lächelte ihr neugierig zu. Sie war Mitte fünfzig, ein wenig mollig und trug einen schicken schwarzen Pagenschnitt, der gut zu ihrem herzförmigen Gesicht passte.

»Ja, äh, nein, ich habe nichts gekauft. Ich wollte zu dir.« Ruhig, mahnte Janna sich, verhaspele dich nicht!

»Zu mir? Wie nett. Ich habe gleich meine Pause. Dann können wir ein Tässchen Kaffee trinken, wenn du möchtest.«

»Ähm, nein, dazu habe ich leider keine Zeit. Ich wollte dich nur um einen großen Gefallen bitten.« Kurz blickte Janna sich um, weil sie sich beobachtet fühlte, doch weit und breit war kein Verfolger zu sehen.

»Siebzehn Euro dreiundfünfzig.« Renate kassierte das Geld der einzigen Kundin, die sich an ihrem Kassenband eingefunden hatte, dann verabschiedete sie sie freundlich.

»Marlene, ich mache jetzt schon meine Pause, ja?« Sie winkte einer Kollegin an der übernächsten Kasse, die daraufhin nur kurz nickte, weil sie mit einem älteren Herrn beschäftigt war, der ihr sein Kleingeld hinzählte.

Mit wenigen Handgriffen hatte Renate sich aus der Kassensoftware ausgeloggt und entnahm die Geldkassette. »Hier bitte nicht mehr auflegen«, rief sie einer älteren Dame zu. »Komm, Janna, lass mich nur schnell das Geld wegbringen.«

»Okay.« Janna folgte ihr bis an die Tür zum Personalbereich und wartete dort ungeduldig, bis Renate wieder erschien.

»Also, was kann ich für dich tun?«

Janna holte tief Luft. »Du bist doch bestimmt mit dem Auto hier, oder?«

»Ja, selbstverständlich.«

»Würdest du es mir für ein paar Stunden ausleihen? Mein Golf ist gerade kaputtgegangen. Ich weiß nicht genau, was mit ihm nicht stimmt, aber der Motor springt nicht mehr an.« Sie hasste es, lügen zu müssen, aber jetzt ging es leider nicht anders. »Ich muss aber dringend zu einem Termin nach Bonn. Meine Eltern sind unterwegs und ein Taxi würde ziemlich teuer ...«

»Stimmt. Wie ärgerlich. Aber Autos haben es ja immer so an sich, dass sie zu den unpassendsten Gelegenheiten kaputtgehen. Ich könnte dir da Geschichten erzählen ...« Renate kramte bereits in ihrer Hosentasche und brachte einen Schlüsselbund zutage. »Selbstverständlich kannst du meinen Wagen ausleihen. Er steht drüben bei der Tankstelle. Ich müsste ihn nur bis kurz nach acht heute Abend zurückhaben.«

»Na klar, so lange wird es gar nicht dauern. Danke, Renate, du bist ein großer Schatz! Ich tanke auch, bevor ich zurückkomme.« Erleichtert nahm Janna den Schlüssel für Renates Renault Clio entgegen.

»Ach was, das ist nicht nötig. Du hast mir schließlich auch schon so oft Sachen aus dem Gartencenter mitgebracht und nimmst meine Enkel immer mit zu den Pfadfindern. Ich bin direkt froh, dass ich mich mal revanchieren kann. Hast du schon die Werkstatt benachrichtigt?«

»Ja. Sie kümmern sich darum, sobald es geht.«

»Gut. Hoffentlich hauen sie dich nicht übers Ohr. Man weiß ja, wie das immer geht, wenn Frauen in die Werkstatt kommen.«

»Ich passe schon auf.« Janna lächelte etwas gezwungen und sah sich noch einmal unauffällig um. »Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät.«

»Ja, natürlich. Mach‘s gut und bis später, Janna!« Renate winkte ihr kurz zu und ging dann zurück in den Personalraum.

Janna machte, dass sie hinauskam. Dabei dachte sie verärgert darüber nach, dass sie sich nun besser auch eine Geschichte für ihre Eltern ausdachte, nur für den Fall, dass diese in der nächsten Zeit mit Renate zusammentreffen würden. Das war ein Punkt bei ihrer Arbeit für das Institut, an den sie sich einfach nicht gewöhnen konnte. Diese ständige Heimlichtuerei und die Lügen, die sie ihren Freunden und ihrer Familie auftischen musste, weil niemand etwas über ihre Tätigkeit für den Geheimdienst erfahren durfte. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen.

Sie verließ den Supermarkt und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Weit und breit waren weder die schwarze Limousine noch der VW Beetle zu sehen.

Im Laufschritt lief sie hinüber zur Tankstelle und fand zum Glück Renates Auto auf den ersten Blick. Es war dunkelrot, hatte aber eine gelbe Heckklappe und Motorhaube. Eine Sonderedition; Renate hatte das Auto vor zwei Jahren bei einem Preisausschreiben gewonnen.

Kurz fragte Janna sich, ob dieses Auto nicht vielleicht zu auffällig war, doch daran konnte sie jetzt nichts ändern. Rasch stieg sie ein und duckte sich erschrocken, als ein grauer Van, gefolgt von dem verflixten VW Beetle auf den Parkplatz einbog.

Vorsichtig sah sie den beiden Autos nach und beobachtete, wie sie hinter dem Supermarkt verschwanden. Im selben Moment fuhr auf der Straße eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben vorbei.

»O Mann!« Janna wartete, bis das Auto weit genug weg war, dann drehte sie mit fahrigen Bewegungen den Zündschlüssel und lenkte den Clio vom Parkplatz. Im Rückspiegel sah sie den Beetle, der langsam über den Parkplatz fuhr und dann neben ihrem Golf anhielt.

Innerlich betend, dass die Verfolger nicht errieten, dass sie in dem rotgelben Auto saß, fuhr sie zügig in Richtung Autobahn.

***

Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Donnerstag, 26. April, 15:40 Uhr

Gähnend warf Markus Neumann seine Lederjacke über die Lehne seines Bürostuhls in dem von Geschäftigkeit summenden Großraumbüro.

»Na, Jetlag?« Seine schwarzhaarige und überaus attraktive Kollegin Melanie Teubner hob mit amüsierter Miene den Blick von ihrem Bildschirm.

»Und wie.« Markus hätte sich am liebsten die Augen gerieben, unterließ es jedoch. »Dreimal Russland und zurück in sechs Tagen.«

»Du Ärmster. Kriegst du jetzt wenigstens ein paar Tage frei?«

»Das wird sich gleich herausstellen. Aber so, wie Walter eben am Telefon klang, kann ich mir das vermutlich abschminken.«

Verständnisvoll nickte Melanie. »Wir sind immer noch notorisch unterbesetzt. Hoffentlich bringen sie diese Umstrukturierung der Abteilungen bald über die Bühne, damit wir ein paar neue Kollegen zugeteilt bekommen.«

»Mhm.« Weiter ging Markus nicht darauf ein, denn so ganz wusste er noch nicht, was er von den Plänen halten sollte, die Walter im Zuge dieser Umstrukturierung mit ihm hatte. Die Leitung einer neuen Abteilung, eines Sondereinsatzteams, hatte er ihm in Aussicht gestellt. Mit anderen Worten eine Beförderung, die eine Menge an Verantwortung mit sich bringen würde. Und Teamarbeit, etwas, das Markus bisher immer gescheut hatte. »Ich muss kurz rüber zum Boss.«

»Viel Spaß.« Melanie grinste.

Markus warf ihr nur einen bezeichnenden Blick zu und unterdrückte ein weiteres Gähnen, als er kurz darauf an die Glastür zu Walters Büro klopfte. Der war gerade am Telefon, winkte ihn jedoch zu sich herein.

»Irgendetwas Neues von Janna Berg?« Während Walter ins Telefon sprach, bedeutete er Markus, sich in einen der blauen Besuchersessel zu setzen.

Markus gehorchte, beugte sich jedoch alarmiert vor. »Was ist mit Janna?«

Walter hob in einer abwehrenden und zugleich beruhigenden Geste die linke Hand. »Sie haben sie verloren?« Auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln.

»Was ist mit Janna?«, wiederholte Markus etwas lauter. »Und wer hat sie verloren?«

»Ja, versuchen Sie es, aber ich würde vermuten, dass sie sich entweder versteckt hält oder sogar schon auf dem Weg hierher ist.« – »In Ordnung. Nein, keine Handyortung. Ich lasse auch die Leitungen noch für eine Weile blockiert. Wollen doch mal sehen, wie sie sich ohne Hilfe bis hierher durchschlägt. Halten Sie mich auf dem Laufenden, falls Sie sie doch noch erwischen.«

»Walter, was geht hier vor?« Markus hatte seine Müdigkeit vollkommen vergessen.

Mit einem überaus zufriedenen Gesichtsausdruck legte Walter das Telefon auf den Schreibtisch und faltete seine Hände auf der Arbeitsplatte. »Guten Tag, Markus. Schön, dass Sie heil und gesund zurück sind. Sie sehen ein bisschen müde aus, aber das ist bei der Zeitverschiebung ja kein Wunder. Wie oft mussten Sie in der letzten Woche hin und herfliegen? Zweimal?«

»Dreimal. Sagen Sie mir jetzt bitte endlich ...«

»Dreimal. Hut ab. Ich würde Ihnen dafür jetzt gerne eine Woche freigeben, aber leider wird daraus nichts. Sobald Janna von ihrem Einsatz zurück ist, habe ich einen neuen Auftrag für Sie beide.«

»Janna ist auf einem Einsatz?« Markus richtete sich kerzengerade auf. »Allein?«

»So ist es. Ein einfacher Botengang. Über die Einzelheiten informiere ich Sie, sobald sie wieder hier ist.«

Misstrauisch musterte Markus seinen Vorgesetzten. »Seit wann arbeitet Janna solo für das Institut?« Er drehte sich um, als hinter ihm die Tür aufging und der Leiter der Abteilung für interne Angelegenheiten eintrat. »Herr Dr. Schwartz?«

»Herr Neumann.« Schwartz nickte ihm kühl zu und setzte sich ebenfalls in einen Sessel. Dann wandte er sich an Walter. »Wie ich höre, haben unsere Leute Frau Berg verloren?«

»Sie scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein.« Walter nickte, noch immer sichtlich zufrieden. Er war im Gegensatz zu der drahtigen Erscheinung von Dr. Schwartz von kräftigerer Statur und besaß eine väterliche Ausstrahlung und ein ruhiges, besonnenes Wesen, was ihn in seiner Abteilung sehr beliebt machte. Sein dunkelbraunes Haar war an den Schläfen bereits ergraut, wohingegen Markus den Verdacht hegte, dass Dr. Schwarz seinen militärischen Kurzhaarschnitt heimlich schwarz färbte. Möglicherweise, um seinem Namen Ehre zu erweisen.

»Nicht schlecht für den Anfang.« Schwartz lehnte sich zurück und schlug ein Bein über das andere. »Warten wir ab, wann sie hier eintrifft.«

»Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass sie sich gut schlagen wird. Sie ist clever und hat sehr vielversprechende Anlagen.«

Markus räusperte sich vernehmlich. »Was genau war das für ein Einsatz, und weshalb ist Herr Dr. Schwartz mit von der Partie?«

»Ungeduldig wie eh und je.« Schwartz maß ihn mit kühlem Blick.

»Was heißt hier ungeduldig? Janna ist immerhin meine ... Ich meine ...« Verärgert fuhr Markus sich durch die Haare. »Sie hat bisher immer nur mit mir zusammen für das Institut gearbeitet. Da ist es wohl nur natürlich, dass ich nachfrage, weshalb sie plötzlich solo losgeschickt wird. Mal ganz davon abgesehen, dass sie offenbar jetzt verschwunden ist und sich jeder darüber zu freuen scheint.«

»Aber Markus.« Walter schmunzelte. »Sind Sie noch nicht selbst darauf gekommen?«

»Worauf?« Er runzelte die Stirn.

»Liegt vermutlich am Jetlag.« Walter lachte. »Wir haben Janna zu einer einfachen Übergabe auf einen Rastplatz an der A1 zwischen dem Kreuz Bliesheim und Euskirchen geschickt. Dort sollte sie eine Papiertüte mit Informationen aufnehmen und von dort hierher bringen.«

»Und weiter?«

»Kurz nach der Übergabe rief sie mich an und berichtete von mehreren Verfolgern.«

»Was?« Markus fuhr auf. Als er Walters ruhige Miene sah, zog er die Brauen zusammen. »Sie haben sie verfolgen lassen?«

»Ein ganz einfacher Anfängertest.« Schwartz wippte ein wenig mit dem Fuß. »Den Frau Berg offenbar ausgezeichnet gemeistert hat. Das hoffe ich zumindest. Wir werden es ganz sicher wissen, sobald sie hier ist.«

»Weshalb haben Sie sie getestet?« Irritiert blickte Markus zwischen Walter und Dr. Schwartz hin und her.

»Na, das müssten Sie sich doch denken können.« Schwartz zuckte mit den Achseln.

Walter räusperte sich. »Wir haben Ihnen kürzlich von unseren Plänen für die neue Abteilung sieben A erzählt und dass Sie ganz oben auf der Liste für deren Leitung stehen.« Als Markus knapp nickte, fuhr er fort: »Sie wissen, dass Sie diesen Posten nicht als Solo-Agent ausfüllen können. Ihnen wird ein Team unterstellt, zumindest mittelfristig. In der Anfangszeit werden aber hauptsächlich Sie und Ihr Partner in dieser Abteilung tätig sein.«

Markus fuhr sich erneut durchs Haar. »Mein Partner?«

»Oder Ihre Partnerin.« Ehe Markus protestieren konnte, hob Walter beschwichtigend die Hände. »Mir ist bewusst, dass Sie dem Gedanken an einen Partner alles andere als offen gegenüberstehen. Sie wissen aber auch, dass wir Statuten haben, wonach ein Agent nur für eine gewisse Zeit solo unterwegs sein sollte. Sie haben diese Zeitspanne schon erheblich überschritten, Markus. Dass wir Sie nicht schon früher zu einer Partnerschaft gezwungen haben, liegt nur daran, dass Sie bisher immer gute Ergebnisse geliefert haben.«

»Gezwungen?« Markus fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut.

»Darüber hinaus habe ich in den vergangenen Monaten beobachtet, dass Sie sich positiv entwickelt haben, hauptsächlich, so vermute ich, durch den Einfluss von Janna Berg.«

»Ich habe mich was?«

Walter lächelte leicht. »Sie haben sich gut um Janna gekümmert, wenn Sie beide zusammen auf einer Mission waren. Sie hat einiges von Ihnen gelernt, und umgekehrt scheint es mir ebenso zu sein. Sie haben sich mit ihr angefreundet, nicht wahr?«

Markus rieb sich übers Gesicht. »Ich wusste, dass das ein Fehler war.«

»Einen Freund zu haben, ist niemals ein Fehler, Markus.« Walter faltete erneut seine Hände auf der Tischplatte. »Ich habe lange überlegt, welchen unserer Agenten ich Ihnen als Partner zur Seite stellen soll, aber keiner kam mir passend vor. Immerhin muss es jemand sein, der mit Ihnen auf Dauer auskommt und Ihnen, falls nötig, auch mal Kontra gibt, ohne dass Sie ihn oder sie gleich mit dem Kopf voran aus dem Fenster werfen.«

Markus atmete tief durch. Er hatte schon länger geahnt, dass dieser Tag einmal kommen würde. »Janna ist eine Zivilistin, keine ausgebildete Agentin. Daran ändert auch nichts, dass sie unseren Leuten heute offenbar entkommen ist.« Wofür er sie durchaus bewunderte. Er war schon gespannt darauf, wie sie das wohl angestellt haben mochte.

»Stimmt, das ist sie nicht, und meiner Ansicht nach muss sie das auch gar nicht sein. Vorläufig reicht es, dass Sie ihr vertrauen und umgekehrt. Ein paar Grundkenntnisse müsste sie selbstverständlich erwerben, aber das kann sie ja nach und nach. Die beste Schule ist sowieso die Arbeit selbst. Da Dr. Schwartz Janna nicht so gut kennt wie wir und verständlicherweise skeptisch ist, habe ich zugestimmt, sie in der nächsten Zeit einigen Prüfungen zu unterziehen, damit die Chefetage sich von ihrer Eignung für den Posten überzeugen kann.«

Markus atmete sicherheitshalber einmal tief ein und wieder aus, bevor er antwortete. »Und wenn sie diesen Posten gar nicht will?«

Ein Kinderspiel

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