Читать книгу UNARTIG - Mira Beller - Страница 5

PROLOG

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„Laure, Liebling! Komm zu dir! Bitte wach auf! Es ist alles gut. Ich bin ja bei dir. Wach auf!“ Gerade noch im düsteren Traum gefangen spürt Laure ein sanftes Rütteln an ihren Schultern. Die hässliche Fratze des gefürchteten Verfolgers, der sie eben noch fest an den Schultern gepackt hatte, verwandelt sich in das vertraute, liebevolle Gesicht Paolos. Ganz langsam öffnet sie ihre verkniffenen Augen, um dem erlebten Albtraum zu entfliehen. Es ist beinahe stockdunkel, nur der Mondschein erhellt das Schlafzimmer und lässt die Umrisse von Paolo erahnen. Einen Moment lang überlegt Laure, ob dies tatsächlich die Realität abbildet. Oder träumt sie immer noch? Doch als sie das sanfte Streicheln von Paolos warmer Hand auf ihrer Wange spürt, weiß sie es. Dies ist wirklich. Kein Traum.

„Laure, ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst so blass aus? Ich musste dich wecken. Du hast ganz stark gezittert und gewimmert. Es war furchtbar. Da dachte ich mir, sie hat bestimmt einen schrecklichen Traum.“

Sie stockt. „Ja, das war… ein ganz furchtbarer Alptraum.“ Nach wie vor erscheint Laure die grässliche Fratze ihres Kontrahenten aus dem Traum vor Augen. Allmählich kann sie sich wieder an die Details des Traumes erinnern. Sie war auf einer fröhlichen Party mit all ihren gemeinsamen Freunden. Natürlich war auch Paolo dabei. Es herrschte eine lockere Atmosphäre. Doch plötzlich wurde es still und sie befand sich ganz allein in einem klammen Bett eines stockdunklen Raumes. Wenn sie sich recht erinnert, in einem Schlafzimmer, das ihr irgendwie vertraut erschien. War es die Einrichtung oder der Geruch, der das Zimmer einhüllte? Sie weiß es nicht mehr genau. Aber eines weiß sie nur zu gut. In diesem Raum war sie nicht allein.

Ein Mann mit einer hässlichen Fratze kam zu ihr ans Bett. Sie spürte eine unbeschreibliche Angst und bleierne Starre. Doch als der Mann ihr zu nahe kommen wollte, ergriff sie ruckartig die Flucht. Sie rannte aus dem Zimmer, hinaus auf den Flur und weiter in das Trep­penhaus. Es fühlte sich an, als hätte sie mehrere Kilometer hinter sich gelassen. Immer weiter, immer wieder einen kurzen Blick nach hinten werfend. Dabei ging ihr unentwegt durch den Kopf: Ist er mir auf den Fersen? Wer ist dieser grässlich entstellte Mann? Was will er von mir?

Sie wollte weglaufen, kam jedoch kaum einen Schritt vorwärts. In ihrem panischen Zustand mühte sich solange ab, bis sie vollkommen atemlos wurde. Doch auch als ein stechender Schmerz ihr Zwerchfell durchzuckte, versuchte sie weiterhin wegzulaufen. Nur weg von diesem Scheusal. Wo sind denn nur all ihre Freunde geblieben? Wo ist Paolo?

In diesem furchtbaren Moment der Verzweiflung erschien der Ausgang vor ihr. Hell erleuchtet, fröhliches Geplauder und Gekicher drangen aus dem Freien gedämpft hervor. Hier müssten ihre Freunde sein. Und dort erkannte sie die Stimme Paolos.

Sie lief noch schneller und schaffte es immerhin bis zur Türschwelle. Doch als sie sich im Türrahmen befand, umfassten sie zwei kräftige Hände an den Schultern und rüttelten grob an ihrem Körper.

An dieser Stelle ist sie erwacht. Der Traum hat ein Ende. Doch der Nachhall des Traumes sorgt für einen bitteren Nachgeschmack. Nach wie vor stellt sie sich dieselben Fragen, welche sie bereits im Traum quälten: Wer ist dieser Mann? Und wieso war sie plötzlich vollkommen allein, an einem ganz anderen Ort? Wieso ist ihr die Flucht nicht gelungen?

Tief in ihren Gedanken versunken kauert Laure in ihrem Kissen und beißt sich angestrengt auf die Lippen, bis Paolo ganz behutsam seine Hand zu ihren Lippen führt und ihre Unterlippe sanft streichelt. Er sieht sie fragend und zugleich besorgt an. Erst dann erinnert sich Laure an die Frage, die er ihr gestellt hat. „Oh ja, natürlich. Ich… ja ich habe nur noch kurz über diesen Traum nachgedacht. Eigentlich echt komisch. Du hättest dich kaputt gelacht. Wir waren auf einer Party mit Sabine, Mario, Julie und Tom. Naja und als wir alle miteinander anstoßen wollten, musste ich plötzlich auf die Toilette. Da rannte ich wie ein wildgewordenes Vieh zum Badezimmer. Doch das war bereits besetzt. Weil ich es nicht mehr halten konnte, rannte ich die Treppe hinunter, um im Garten mein Geschäft zu verrichten und als ich fast dort war, hast du mich aufgeweckt. Ein Wunder, dass ich mir nicht tatsächlich in die Hose gemacht habe. Apropos ich sollte mal für kleine Mädchen verschwinden, bevor wirklich ein Malheur passiert.“ Lächelnd verlässt sie langsam tapsend das Schlafzimmer, um im Bad zu verschwinden. Als sie die Tür verriegelt hat, gleitet sie ganz langsam an der Tür hinab in die Hocke. Mit angewinkelten Beinen verschränkt sie ihre Arme vor dem Gesicht. Was war nur los mit ihr? Was hat sie eben geträumt? Und wieso hat sie Paolo deshalb belogen?

Nach ein paar Minuten Grübelei richtet sie sich ganz langsam wieder auf und geht zum Spiegel über dem Waschbecken. Sie wirft einen Blick in das blasse, vom Schlaf zerknitterte Gesicht. Unter ihren Augen liegen dunkle Schatten. Ihre Unterlippe blutet leicht, weil sie wie wild darauf biss. Sie atmet kurz und tief durch, spritzt sich eiskaltes Wasser ins Gesicht und betätigt zu guter Letzt die Toilettenspülung. Paolo soll nicht denken, dass sie nur vorgab, auf die Toilette zu müssen.

Sie verlässt das Badezimmer und kuschelt sich im Bett ganz dicht an Paolo. Dieser ist bereits wieder eingeschlafen, was sein leises Schnauben verrät. Immerhin ist er nicht zu besorgt, denkt sie. Sie liegt noch einige Zeit wach und versucht das Rätsel zu entwirren, bis die Müdigkeit die Oberhand gewinnt und sie in einen weiteren tiefen Schlaf verfallen lässt. Dieser Albtraum wird nicht der letzte sein, denn dies ist nur der Anfang eines langen realen Albtraums im Leben von Laure Winter.

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