Читать книгу Liebe auf den zweiten Blick - Insulaner küssen anders - Mira Schwarz - Страница 5
Kapitel 2 – Und was nun?
ОглавлениеDas Haus der Buddenschöns, in welchem Luisa vorerst eine neue Bleibe gefunden hatte, lag im Stadtteil St. Pauli. Es war ruhig gelegen, hatte einen kleinen Vorgarten, der hingebungsvoll von der Dame höchstpersönlich gepflegt wurde. Neugierde hin Neugierde her, Buddenschöns waren nette Vermieter.
Ihr Vermieter war, wenn er nicht gerade seinen Genever trank, ganz verträglich. Zwar hielt Ernst Buddenschön nicht viel von der Arbeit – das Haus dümpelte einfach so vor sich hin, wie ein alter Kahn der einer Komplettsanierung bedurfte – doch Luisa hatte auch nicht vor, hier alt zu werden.
Sie seufzte, nachdem sie die Treppe hinaufgestiegen war und sich ein Glas Tee eingegossen hatte. Was sollte denn nun wirklich werden? War sie zu ungeduldig mit sich selbst?
Sie hatte das alles total cool gefunden, als sie sich ihren weiteren Lebensweg aufgemalt hatte. Luisa Tanner als Boutique-Chefin, Luisa Tanner als Gourmet-Fachfrau oder doch lieber als Innenarchitektin.
Stattdessen öffnete sich gerade ein tiefes, schwarzes Loch. Ach herrje, so hatte sie sich das alles nicht vorgestellt.
Hey, Luisa, wach auf du kannst nicht gleich erwarten, dass alles rund läuft, redete sie sich ein. Wenigstens das Muttersöhnchen bist du los. Und was hatte Frau Buddenschön eben gesagt: »›Andere Mütter haben auch schöne Söhne‹«.
Wie wahr.
Zwei Menschen waren für eine Weile zusammen gewesen, doch für wahre Liebe hatte es eben nicht gereicht. Schwamm drüber, die Sache war gegessen!
Luisa nahm ihr Handy zur Hand und wählte die Nummer ihrer Schwester, die bereits nach dem dritten Klingeln den Hörer abnahm.
»Hi Schwesterchen, na bist du den Typen endlich los?« Katharina hatte sich ihre Direktheit bewahrt. So war sie damals schon gewesen.
»Hallo Kati, ja bin ich, in der Tat. Jetzt hänge ich allerdings hier ab und weiß nicht recht, wie's weitergehen soll.«
»Ist völlig normal«, meinte ihre Schwester, »du bist gerade frisch geschieden, entweder du gibst dir heute Abend die Kante oder du gehst ins Kino und siehst einen supersüßen Film bei dem du richtig Heulen kannst. Hilft immer, garantiert! Danach bist du wieder die alte Luisa, wirst sehen.«
Katharina war, was Männer und andere Dramen betraf, völlig schmerzfrei. Sie verdiente als Model sehr gut. Probleme mit Männern waren ihr fremd – brauchte sie einen, nahm sie ihn sich einfach, huschte mit ihm ins Bett und gut war es. Keine Eifersuchtsszenen, keine Seelenqualen. Ein Quickie pro Monat reichte ihr aus. Sie sah die Typen nie wieder.
Warum auch?
Doch genau in diesem Punkt waren die beiden Schwestern grundverschieden. Es wäre nicht Luisas Ding gewesen. Sie war immer die Bodenständigere von beiden – Katharina eher der Luftikus, Luisa hinterfragte – Katharina genoss das Leben!
»Hey Süße, schwing dich doch einfach in den Flieger und komm zu mir nach Paris. Ich habe morgen frei, dann kommt die Show bei Gaultier und danach Vivien Westwood – und danach geht es erst nach London und dann nach New York. Also, was ist – sei doch mal spontan, Menschenskind! Du warst doch nie ein Depi, hm?«
»Nee, lass mal stecken, Kati!« Luisa schnaufte hörbar durch. »Ich muss erst mal den Kopf freibekommen. Aber hab Dank für dein zaubersüßes Angebot. Ich werde es im Hinterkopf abspeichern – schließlich habe ich meine Schwester noch nie auf dem Laufsteg gesehen. Asche über mein Haupt!«
»Na ja, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.«
Katharina war es sowieso egal. Sie hatte ihrer Schwester einen Vorschlag unterbreitet – ob sie diesen nun annahm oder nicht, war nicht ihr Problem. Sie hatte wenig Lust Luisas Probleme an sich heranzulassen.
»Augenblick Kati, da kommt ein neues Gespräch rein. Warte mal eben!« Luisa hielt Katharina in der Warteschleife und meldete sich »Ach, hallo, Mama! Ja, nee … warte mal, ich habe Katharina auf der anderen Leitung.«
»Du Kati, ich muss Schluss machen. Mama ist auf der anderen Leitung. Ich habe dich lieb, Schwesterherz!«
»Ich dich auch«
Sie war froh, auch ihre Mutter zu sprechen. So würde sie die Geschichte nicht noch dutzende Male wiederholen müssen.
»Sag mal, war das Katharina? Ihr sprecht wieder miteinander? Das überrascht mich jetzt aber?«, meinte ihre Mutter.
Luisa nervte das. Wieder die alte Leier, nur weil ein einziges Mal Knatsch zwischen den beiden Schwestern geherrscht hatte. Wieso mussten immer wieder die alten Kamellen hergeholt werden.
»Guten Morgen, Mutter. Ja, meine Scheidung ist durch. Ja, sie ist gut verlaufen. Ja ich bin traurig. Nein, ich heirate nicht wieder (jedenfalls nicht sofort, fügte Luisa im Stillen hinzu).« Sie seufzte leise. »Aber zu deiner Frage - ja, natürlich reden Katharina und ich miteinander, wieso auch nicht?«
Ihre Mutter schnüffelte. »Also, da will man seine Tochter unterstützen in ihrer Trauer, in ihrer Machtlosigkeit … und wird beschimpft … also Luisa wirklich … ich schreibe das jetzt mal dem Stress des heutigen Tages zu«
Luisa, die mittlerweile leicht ihre Stimme erhoben hatte, wurde das viele Geplänkel langsam lästig. Sie liebte ihre Mutter, ohne Frage, aber gerade in diesem Moment schaffte sie es nicht auch nur einen einzigen Vorwurf auszuhalten. Es war einfach nur … im Augenblick verbreitete ihre Mutter ganz schlechtes Karma und Luisa beeilte sich, sie aus der Leitung zu schmeißen.
»Mutter, gibt es noch etwas Wichtiges? Wenn dem nicht so ist würde ich dich gern heute Abend zurückzurufen, ehrlich gesagt bin ich ein bisschen platt von dem Tag. War ja nicht gerade ein Kaffeekränzchen.«
»Ach, mein armes Kind!«
»Sorry, Mom, aber ich …«
»Nein, schon gut, leg dich hin und versuch einen klaren Kopf zu bekommen. Solche Tage hat man manchmal, aber auch die gehen vorbei. Vielleicht solltest du einfach mal etwas Dampf ablassen.«
»Danke, Mum.«
Puh! Erst mal durchatmen, dann warf Luisa mit voller Wucht die Kaffeetasse gegen die Wand.
Scheiße! Die ganze Welt hatte sich gegen sie verschworen. Luisa tat sich selbst unglaublich leid. Reichte es denn nicht, dass sie gerade einen Rosenkrieg überstanden hatte. Was hatte ihre Mutter ihr empfohlen? Dampf ablassen. Klang gar nicht schlecht.
Mist! Sie begann zu weinen. Ja, vielleicht hätte sie nicht auf den Unterhalt verzichten sollen. Doch was hätte sie machen sollen, immerhin ging es so schneller.
Immerhin hatte sie sich diese Entscheidung mehr als einmal überlegt – sie wollte einfach keine Bittstellerin mehr sein! Sie hatte Rückgrat beweisen wollen, zeigen wollen, dass sie eine selbstbewusste Frau war die mitten im Leben stand! Sie brauchte das Geld dieses verzogenen Muttersöhnchens von Ehemann nicht.
Luisa hatte vor ihr Leben ab jetzt selbst auf die Reihe zu kriegen. Jawohl! Wie das funktionieren sollte, war Luisa noch ein Rätsel – doch Rätsel waren dazu da, gelöst zu werden. Manchmal neigte Luisa zu Reaktionen, die ihr binnen Sekunden leid taten – diese könnte dazugehören. Luisa hatte viele sogenannte Freunde besessen. Wo waren die plötzlich alle, als es darum ging ihr zu helfen?
Ja, als sie noch die Yuppie-Tante aus dem vornehmen Blankeneser Stadtteil war, da hatten natürlich alle ihr »Sugar-Girl« gern gehabt. Doch jetzt zog die »Clique« einfach weiter – immer dahin, wo jemand einen auf dicke Hose machte. Und da waren sie garantiert richtig bei Mark und weitaus besser aufgehoben als bei Luisa die irgendwo im Stadtteil St. Pauli hauste.
Luisa musste sich eingestehen, dass die Menschheit einfach nicht mehr berechenbar war und selbstredend den einfachsten Weg nahm. Warum sich auch belasten mit den Problemen anderer Leute? Dieser ganze Schickimicki-Mist hing ihr sowas von zum Halse raus. Wie hielt Mark das aus – jeden Abend auf der Piste?
Luisa legte sich auf das Bett und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Neue Freiheiten waren geboren worden, aber irgendjemand hatte ihr auch einen Berg von Problemen vor die Tür gestellt.
Die innere Stimme wurde lauter:
Verdammt Luisa, fang an zu leben und sieh zu, dass du es auf die Reihe kriegst.
»Hm!«, nuschelte sie im Schlaf und rollte sich in ihre Bettdecke ein.
***
Der Hamburger Januarhimmel zeigte sich am nächsten Morgen von seiner unfreundlichen Seite – grau, trüb, regnerisch – und irgendwie spiegelte dieses Farbenspiel Luisas Stimmung wieder.
Bäh, kein einziger Sonnenstrahl konnte das zähe Grau vertreiben. Hamburger Mistwetter.
Luisa, die langsam erwachte, fröstelte. Es war unangenehm kühl in der kleinen 2-Zimmer-Dachgeschosswohnung. Die Wohnung gab auch sonst nicht viel her, doch Luisa hatte sie aus zweierlei Gründen gewählt: Erstens war sie preiswert, zweitens lag sie zentral im Stadtteil St. Pauli der gerade wieder auf dem Weg zu einem der begehrtesten Wohnviertel Hamburgs emporstieg und sie benötigte kein Auto, was bei ihrer derzeitigen Finanzlage auch nicht gerade schlecht war.
Langsam öffnete Luisa erst das eine dann das andere Auge, blinzelte kurz, und hätte am liebsten die Augen sofort wieder geschlossen.
Tja, Luisa das sind die Anfangsschwierigkeiten, wenn man allein vor seinem Leben steht, was so viel bedeutete wie: »Holt mich hier raus, ich habe Angst vor meiner eigenen Courage, Angst, dass wieder irgendetwas schief läuft …«
»Ach, Luisa, das wird schon«, sagte sie zu sich selbst und schaute aus ihrem Dachgeschossfenster in den trüben Himmel Hamburgs. Diese Wohnung war bestens geeignet für Frischluftfanatiker. Es zog überall, und das nicht zu knapp.
»Du willst doch nicht für immer bleiben«, versuchte sie sich zu beruhigen. Doch sie würde die Buddenschöns bitten müssen, wenigstens das Dachgeschossfenster in Ordnung zu bringen. Das ging so wirklich nicht. Luisa wusste, dass sich Ernst Buddenschön gern einen schönen Genever genehmigte – nun, dann würde er halt die Flasche gegen einen Hammer eintauschen müssen. Luisa schaute sich um.
Was, sie jetzt mit etwas Abstand sah, ließ Luisa erschauern. »Das Luisa nennt man dann wohl Totalabsturz!« Nach Jahren des Luxus nun das hier … Luisa traten Tränen in die Augen.
Luisa wusste im Augenblick nicht, was falsch und was richtig war.
»Warum hast du diesen Weg für dich gewählt?«, hinterfragte sie sich selbst.
Weil du es wolltest! Du wolltest nicht mehr sein braves »Mädchen« sein, währenddessen er mit anderen Frauen durch die Betten gevögelt ist. Auch nicht sein Notnagel, wenn Lissy, Cissy und wie sie alle hießen, mal nicht greifbar waren. Du wolltest dir doch wieder in die Augen schauen können, ohne dich vor dich selbst zu ekeln, war's nicht so. Wach auf, du blöde Gans. Wach auf, Luisa, das Leben ist kein Pony-Hof.
»Arschloch!« Luisa schrie die Worte durch die kleine Wohnung.
Jeder konnte hören, dass Sie noch nicht fertig war mit ihrem Marc, sie war immer noch wütend auf ihn und sie war sowieso die einzige Mieterin die derzeitig zu Hause war. Alle anderen Mieter waren unterwegs zur Arbeit, verdienten ihr Geld, damit sie leben konnten. Buddenschöns waren jetzt sicher beim Frühstück – und du?
Wenn die Realität zuschlug konnte es wehtun.
Lohn und Brot!
»Ach Luisa, was hattest du dir eigentlich vorgestellt. Das ein neuer Traumprinz, quasi über Nacht, dir den Himmel auf Erden serviert. Nach dem Prinzip: Hoppla, hier komme ich. Ich bekomme alles, was ich möchte, ich bin die Ex-Tussi von Mr. Right Mark Sartor. Ja, ganz recht, dem Mark Sartor.«
»Das läuft so nicht Luisa«, dachte sie laut, »beweg deinen Hintern, von allein tut sich da nichts!« Fakt war jedoch, das Luisa Hunger und Durst hatte und ihr Magen vehement knurrte. Sie konnte sich nicht weiter in ihrem Elend suhlen, sie musste irgendetwas in den Magen bekommen.
Suchend schaute sie sich in der Wohnung um. Ah ja, da waren noch ein paar Kekse und eine kleine Wasserflasche. Okay, nicht gerade der Brüller zum Frühstück, aber für den Anfang sollte das erst mal ausreichen.
Wie sah überhaupt ihre Finanzlage aus. Vorsichtig peilte sie diese, öffnete die Geldbörse und erschrak. Ganze dreihundert Euro waren darin enthalten. Dreihundert Euro Barvermögen. Wow!
Sie loggte sich bei ihrer Bank ein, schaute auf ihr Bankkonto und wäre fast erstarrt. Denn dort sah es nicht sehr viel besser aus – jedenfalls für Luisas Verhältnisse. Mark hatte ihr noch einmal ein wenig Geld überwiesen, doch Luisa war andere Wertigkeiten gewohnt. Die innere Stimme wurde lauter.
»Was willst du eigentlich Luisa!« Sie straffte sich und gab die Losung aus: Kein Selbstmitleid mehr, komm auf den Punkt Luisa. Du wolltest keine monatlichen Zuwendungen, also hast du auch nichts bekommen. Du wolltest frei sein, du hast deine Freiheit bekommen – also, welchen Teil davon hast du nicht verstanden?, fragte sie sich. Wenigstens warst du so geistesgegenwärtig und hast deinen Laptop und dein Smartphone mitgenommen. Erinnere dich, du warst drauf und dran ihm auch die Teile vor die Füße zu schmeißen – doch da obsiegte die pure Vernunft.
Verloren hatte sie fünf Jahre des puren Luxus' aber auch des Zanks und Streits, geblieben waren ihr dreihundert Euro Barvermögen, und ein wenig Geld auf der Bank! Viele Menschen mussten mit weitaus weniger Geld zurechtkommen. »Komm zu dir, Luisa«, maßregelte sie sich selbst. »Du hast es doch so gewollt – also fang an zu leben.«
Alles war okay!
Nein! Nichts war okay. Hätte er sich anders benommen, wären wir vielleicht noch zusammen … Blödsinn Luisa, ihr hättet das nie hinbekommen. Mark war nicht geschaffen für eine Frau. Er war ein Mädchenschwarm, und weiß Gott nicht geeignet für die Ehe. Viel zu jung habt ihr euch aneinander gebunden, viel zu früh geheiratet, habt beide Panik bekommen. Mark war nicht nur ein Muttersöhnchen sondern auch ein Luftikus! Dieser Mann würde in seinem Leben wahrscheinlich nie wirklich arbeiten müssen – er brauchte nur zu tun, was er immer schon am besten konnte. Alles abnicken, seine markante Unterschrift unter Verträge und Briefe setzen und aus die Maus. Gute Miene zum bösen Spiel … tja Luisa, da hilft nun alles nichts, wenn du meinst es verbockt zu haben, dann musst du jetzt anfangen dein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Vorher große Klappe und jetzt klein mit Hut zieht nicht! Das ist doch nie dein Ding gewesen – also, was geht!
Gute Frage. Die Trauer schien die Stimme lauter werden zu lassen.
Mark, dieses egoistische, miese … du bist doch nur sauer, dass er nicht gecheckt hat, dass du ihm eigentlich nur eine Lektion erteilen wolltest.
Sei doch einmal ehrlich zu dir selbst! Aber du musstest das Ding ja durchziehen, jawohl, du brauchtest das für dein Ego. Luisa leckte sich ihre Wunden und saß da wie ein Trauerkloß.
Du kannst nicht immer jemand anderem die Schuld in die Schuhe schieben, Luisa. Wo ist deine Courage, wo ist deine Willenskraft die du früher entwickelt hast. Hat dich Mark so ausgesaugt, dass du …
»Okay, okay!« Luisa straffte sich, die innere Stimme musste jetzt einmal ruhig sein. Ich hätte die ganze Bagage auf Schmerzensgeld verklagen sollen – jawohl! – Schmerzensgeld für fünf verlorene Jahre! Das wäre ein Eklat geworden! Vielleicht hätte mir das die Genugtuung gebracht die ich so dringend brauche!
Luisa war relativ ratlos. Wobei relativ in diesem Fall absolut bedeutete.
Schwer atmend lehnte sie sich auf die Fensterbank und sah nach draußen. Pleite, allein, mit einer kaputten Wohnung, das war also die Freiheit, nach der sie sich so gesehnt hatte?
Sie brauchte einen Plan … und zwar dringend.