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Kapitel 1 – Willkommen in Paris

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Janine arrangierte die weißen Rosen noch einmal sorgfältig, drehte sich dann ein letztes Mal um die eigene Achse und betrachtete die Glasvasen mit den Blumengebinden. Ihr Blick fiel über die großen Zinkeimer mit den losen Gestecken, die grünen Tische, auf denen die Vasen und Behälter standen, sowie die kleinen, verspielten Accessoires welche sie daneben drapiert hatte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie den spiegelverkehrten Schriftzug im Fenster sah - Les fleurs.

So kann es bleiben, dachte sie zufrieden und drehte das selbstgemalte, weiße Schild mit der mintgrünen Schrift um, das sie in die Tür gehängt hatte. »Geöffnet«, sagte sie stolz und strich sich eine goldblonde Strähne aus der Stirn.

Sie war auf dem Weg nach Hause jeden Tag an dem urigen Laden, der damals noch eine Verkaufsstelle für Rauchwaren und Glückspiele war, vorbeigekommen. Er hatte ihr gefallen, der kleine Tabac an der Rue Cailloux. Ein alter Mann saß drinnen auf seinem Stuhl, von der Straße durch das große Schaufenster gut zu sehen und wartete auf seine Kunden. Er war dünn und schlaksig und hatte ein freundliches Gesicht. Wenn er Janine vorbei kommen sah, dann lächelte er und winkte.

Sie war niemals in den kleinen Laden gegangen, denn Janine rauchte nicht. Und Glückspiele interessierten sie auch nicht. Aber der alte Mann grüßte trotzdem jedes Mal, wenn sie im Dunkeln an dem hell erleuchteten Schaufenster vorbei ging. Das Licht, das durch die Schaufenster des Tabac fiel, tröstete sie. Und auch der alte Mann, der ihr zuwinkte, wenn kaum ein anderer auf der Straße war. Es war ein schönes Gefühl, wenn sie nach der Spätvorstellung müde an dem kleinen Laden vorbei stapfte.

Janine war vor zwei Jahren hierher gezogen. Ihre Eltern hatten sie abfällig eine Glücksritterin aus der Provinz genannt, als sie ihnen ihren Entschluss, nach Paris zu gehen, mitteilte. Sie hatte diese Bezeichnung abwertend empfunden, obwohl sie wusste, dass ihre Eltern es liebevoll und aufmunternd gemeint hatten. Zumindest redete sie sich das ein.

Janine verstand, warum ihre Eltern nicht einverstanden waren, dass sie ihre sichere Stelle in dem kleinen Blumenladen am Bahnhof von Valmont, ihrem Heimatort, aufgab, um ihr Glück in der großen Stadt zu suchen. Aber sie hatte sich Unterstützung gewünscht, keine Zweifel. Und auch in Valmont war ja nicht immer alles rosarot. Vor allem nicht die Zukunft, so schien es ihr zumindest. Sie hatte endlich auf eigenen Füßen stehen wollen.

Und so war sie zuversichtlich und sehr aufgeregt in den Zug in Richtung der vielbesungenen Stadt der Liebe gestiegen, mit einem riesigen, roten Koffer und ihren Ersparnissen in der Umhängetasche. Sie fand schnell ein kleines, bezahlbares Zimmer in einem schönen Viertel ganz in der Nähe des Zentrums. Ihre Eltern hätten es wahrscheinlich eher als eine Absteige bezeichnet und sie hatte es bis jetzt auch nicht über sich gebracht, sie dorthin einzuladen.

Aber auch wenn die Nachbarschaft gewöhnungsbedürftig und das Zimmer keines war, von dem eine 25jährige junge Frau nachts träumt: Es war ihr eigenes. Und mit einigem handwerklichen Geschick war es ihr gelungen, es richtig gemütlich zu machen. Sie fühlte sich jedenfalls wohl in ihrer ersten eigenen Wohnung.

Dann hatte sie nach einer Anstellung gesucht. Ziemlich lang und ziemlich erfolglos. Natürlich wollte sie auch in Paris als Floristin arbeiten. Es war ihr Traumberuf und sie war in Valmont jeden Tag mit Freude zur Arbeit gegangen. Sie liebte es, die Menschen Lächeln zu sehen, wenn sie ihnen die Blumen über den Verkaufstresen reichte. Alle Menschen lächeln, wenn ihnen jemand Blumen überreicht, auch wenn sie die Blumen selbst gekauft haben.

Aber in der Millionenstadt Paris gab es viele Floristinnen und offensichtlich auch genug, denn sie fand keine Anstellung. Auf einem ihrer Spaziergänge durch ihr Viertel hatte sie glücklicherweise das kleine Schild gesehen. Mitarbeiterin auf Minijob-Basis gesucht. Es hing im Fenster des kleinen Kinos, das nur zwei Straßen von ihrer Wohnung entfernt war. Und seitdem hatte sie Karten in dem kleinen Programmkino für außergewöhnliche Filme verkauft.

Sollte ja nicht für immer sein. Und von ihrem Gehalt konnte sie ihr Zimmer bezahlen. Allerdings - für viel mehr reichte es kaum. Und von dem, was sie abends nach der Schicht in ihrem Kühlschrank fand, hätte sie noch nicht einmal eine Maus als Gast bewirten können. Aber sie war stolz und hätte es, vor allem ihren Eltern gegenüber, niemals zugegeben, dass die Glückritterin aus der Provinz sich hauptsächlich von Popcorn im Kino und billigen Dosengerichten aus dem Supermarkt ernährte.

Eines Abends war das Schaufenster des kleinen Tabac nicht hell und einladend beleuchtet gewesen. Sie hatte sich Sorgen um den alten Mann gemacht. Ob er wohl krank geworden war? Ob er wiederkommen würde? Einige Wochen später hing das Schild mit den Worten »Zu vermieten« im Fenster und ihr waren die Tränen in die Augen gestiegen. Wegen des alten Mannes, der sie vermutlich nie wieder aus dem hell erleuchteten Schaufenster grüßen würde. Und dann hatte sie noch ein bisschen mehr geweint, weil sie sich selbst bemitleidete. »Eine Glücksritterin, von wegen«, hatte sie vor sich hin geschnieft. » ...wohl eher eine Pechmarie« . Und noch während sie sich die Tränen aus dem Gesicht rieb, war ihr die Idee gekommen.

Und nun öffnete Janine die Tür ihres eigenen Ladens und trat hinaus in die Sonne. Sie stellte die kleinen Holzkisten, in denen vermutlich in einem vorherigen Leben Tee oder ähnliches aufbewahrt worden war, auf den mintgrün bemalten Verkaufstisch. Sie hatte die Kisten und auch den Tisch bei einem Trödelhändler in der Nähe gefunden und für wenig Geld erstanden. »Was man nicht alles mit ein Kreativität und ein bisschen Farbe erreichen kann«, dachte sie und posierte die Hyazinthen auf den kleinen, wackeligen Tisch auf dem Gehweg. Die blauen und rosablühenden Blumen dufteten herrlich und spiegelten sich im Sonnenschein im Fenster.

Die Fensterrahmen hatte sie weiß gestrichen, so wie auch die Wände im Inneren von »Les fleurs« . Sie freute sich, dass sie diese Farben ausgesucht hatte, um ihren Laden zu gestalten. Weiß und mintgrün, das passte gut zusammen und ließ die farbigen Blüten der Blumen vor dem schlichten, aber hübschen Hintergrund um die Wette strahlen. Sie genoss noch einen Augenblick die Wärme der Sonnenstrahlen im Gesicht und ging wieder hinein.

Gerade als sie die Tür hinter sich schließen wollte, schoss der Kater durch ihre Beine in den Laden. Das kleine Tier, er war wirklich sehr klein für einen Kater, hatte ihr in den vergangenen Wochen beim Renovieren oft Gesellschaft geleistet.

Sie wusste nicht, wem er gehörte: Er kam und ging, wie es ihm passte. Er erinnerte sie mit seinem grau-weißen Fell – oben grau und unten weiß – ein bisschen an den Kater aus der Fernsehserie »Tom und Jerry« . Und weil sie ihre ganze Kreativität für ihren Blumenladen brauchte, war sie nicht sehr kreativ, was seinen Namen anging.

»Na, Tom? Sing doch mal: Vielen Dank für die Blumen«, witzelte sie ein bisschen aufgeregt und streichelte ihn sanft zwischen den Ohren. Der kleine Kater schnurrte und rollte sich auf dem Karton mit dem Packpapier zusammen. »Alles muss man selber machen«, schmunzelte sie, während der Kater ausgiebig gähnte.

Sie begann die eingängige Melodie der Zeichentrickserie vor sich hinzupfeifen und nahm das neue Auftragsbuch in die Hand. Sie betrachtete die noch leeren Seiten und schlürfte an ihrem Tee, den sie sich von zu Hause mitgebracht hatte. Dann schob sie den Topf mit den Messern und der Schere von links neben der Kassenkiste nach rechts neben das Packpapier, sortierte die Verpackungsbänder nach Farbe und merkte, dass sie unruhig wurde. Sie hatte ja nicht erwartet, dass die Kundschaft ihren Laden gleich stürmen würde, aber irgendjemand musste doch jetzt bald mal kommen.

Hätte sie noch ein Schild auf die Straße stellen sollen? Oder Handzettel verteilen? »Ruhig Blut, du Dusselchen, was hast du denn gedacht?«, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. »Aller Anfang ist eben schwer.« Nervös schob sie den Topf mit der Schere wieder nach links.

»Aha, da läufst du also immer hin, du Streuner«, sagte eine dunkle und tiefe, sympathische Stimme, die ihr einen wohligen Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie hatte niemanden hineinkommen gehört. Die Glocke an der Tür hatte nicht gebimmelt. »Die muss ich wohl schon am ersten Tag reparieren«, dachte sie. Vor dem Verkaufstresen, auf dem der Karton mit dem Packpapier lag, der dem Kater als Kissen gedient hatte, stand ein Mann in einem schwarzen Mantel, der den kleinen Kater im Arm hielt.

»Bonjour, Monsieur«, sagte Janine freundlich. Der Mann war groß, vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als sie selbst. Er war ordentlich gekleidet und sah sehr gepflegt aus. Bis auf seinen Bart. Die dunklen Stoppeln waren gut zu erkennen. Offensichtlich hatte er an diesem Morgen keine Zeit für eine Rasur gefunden. Sie sah den Mann aufmunternd an. Die warmen, braunen Augen blickten freundlich zurück. Er sagte nichts, was sie merkwürdig fand. Nun gut, die Kundschaft will umgarnt werden.

Sie holte tief Luft. »Kann ich Ihnen helfen oder wollten Sie nur Ihren süßen, kleinen Tiger holen?« Das war als Beginn eines Verkaufsgesprächs nun wirklich nicht sehr gelungen. »Ich habe wunderschöne Hyazinthen, sie bringen Ihnen den Frühling ins...«, versuchte sie es besser.

»Nun, eigentlich ...«, auch er holte tief Luft, »… eigentlich ist dies gar nicht mein Kater, sondern er gehört meiner Frau.«

Die letzten Worte hatten ein wenig gepresst geklungen, so dass Janine ihn erstaunt anblickte. In seinen schönen Augen lag plötzlich etwas Eigenartiges und es kam ihr so vor, als wenn er plötzlich durch sie hindurch sah. Aber so schnell dieser Schleier erschien, so schnell war er wieder verschwunden und er zwinkerte ihr zu.

»Der Racker ist mir, wie immer, zwischen den Füßen hindurch beim Hinausgehen entwischt. Ich hab ihn entdeckt, als ich durch das Schaufenster gesehen habe«, erklärte er, während er sich umdrehte und ein paar Schritte durch den Laden machte. »Ein schönes Geschäft. Sie haben viel aus der alten Kaschemme herausgeholt. War bestimmt viel Arbeit. Es ist ein großer Unterschied zum Tabac«, plauderte er charmant, während er seinen Kater streichelte und sich umsah.

Er hat eine angenehme Stimme, dachte sie und verlor sich einen Augenblick. »Der Kleine kann gerne bei mir bleiben«, und schob zu ihrem eigenen Erstaunen wie zur Erklärung hinterher »Also, ich meine den Kater.« Den der freundliche Herr dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder bei ihr abholen müsse, dachte sie eine Millisekunde später. Was war denn mit ihr nur los? Lag bestimmt an der Aufregung. »Wohnen Sie hier irgendwo in der Nähe?«, fragte sie ihn schnell, um diese merkwürdig unpassenden Gedanken zu vertreiben.

»Ich wohne im zweiten Stock über Ihnen«, sagte der Mann, während er wieder zum Tresen zurück ging. »Und ich nehme den Ausreißer lieber gleich wieder mit. Ich weiß nicht, wann ich heute Abend zurückkomme.« Er lächelte ihr zu. Offensichtlich hatte er nichts bemerkt. »Aber trotzdem vielen Dank für das Angebot.«

Er ging an den losen Blumen in den großen Zinkeimern, die sie stundenlang blitzblank geschrubbt hatte, auf den Ausgang zu. Dann drehte er noch einmal um und deutete auf die Rosen. »Aber wenn ich schon einmal in einem Blumenladen bin, geben Sie mir doch bitte eine der weißen Rosen, Mademoiselle.«

»Sagen Sie Janine zu mir«, sagte sie und eilte zu den sorgsam arrangierten Blumen. Sie suchte die Schönste heraus und ging zurück zu ihrem Tresen mit dem Packpapier.

»Sie brauchen sie nicht einpacken, Janine. Vielen Dank. Was macht das?«

Sie überreichte ihm die weiße Rose und bemerkte erstaunt, dass er nicht lächelte, als er die Blume entgegen nahm. Er gab ihr die Summe passend, die sie ihm genannte hatte, verabschiedete sich - »Au revoir, Mademoiselle. Bis bald« - und ging hinaus, den kleinen Kater auf dem Arm.

Beim Hinausgehen bimmelte die Glocke die sie über der Tür angebracht hatte. Durcheinander stellte sie fest, dass die Glocke doch funktionierte. Aber dann erinnerte sie sich daran, dass sie die Tür offenstehen lassen hatte, als ihr vierbeiniger Freund Tom auftauchte und sie ihm hinterher in den Laden lief. Der kleine Tom, der seinen sympathischen Besitzer hierher gelotst hatte, damit er ihr erster Kunde wurde.

Braver Kater.

Sie öffnete die weiße Kiste aus Holz, in die sie ihre Einnahmen zukünftig hineintun wollte und hing ihren Gedanken nach. Was für ein interessanter Mann - gutaussehend, charmant und auch ein bisschen geheimnisvoll. Sie legte das Geld in die Geldkassette, die sie natürlich ebenfalls beim Trödler erstanden hatte. Dann erstarrte sie für einen Moment.

»...und er ist verheiratet. Du bist ja unmöglich, Janine. Denk nicht mal dran«, flüsterte sie leise und schlug den Deckel mit einem Knall zu.

Liebe auf Französisch - Küsse niemals einen Anwalt

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