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Die Ziele dieses Buches
In unserer modernen Gesellschaft wird der menstruelle Zyklus als passives Geschehen begriffen, der in seiner Existenz zwar anerkannt, in der Realität aber ignoriert und geheim gehalten wird. Wir Frauen haben, so sagt man uns, als Bestandteil des »Frauseins« mit den damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Bedürfnissen zurechtzukommen, ohne dabei die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Deshalb verheimlichen wir häufig unsere diesbezüglichen Schwierigkeiten vor anderen aus Angst, für schwach gehalten zu werden oder ein Getue um nichts zu machen, und dieser Mangel an Kommunikation und gesellschaftlicher Einsicht trägt immer stärker zur Isolierung des menstruellen Zyklus als verstecktem und heimlichem Geschehen bei. Dieses Buch soll zeigen, dass der menstruelle Zyklus im Grunde ein dynamisches Geschehen ist, das sich, wäre es von den durch Konditionierung und Gesellschaft auferlegten Restriktionen befreit, intensiv auf das physische, emotionale, intellektuelle und spirituelle Wachstum der Frau, ihres Lebensumfelds und unserer Gesellschaft auswirken könnte.
Wir Frauen leben in einer männlich orientierten Gesellschaft, und das beeinflusst unsere Wahrnehmung von der Welt und uns selbst. Die Gesellschaft bietet keine Richtlinien, Strukturen oder Konzepte für die mit dem menstruellen Zyklus verbundenen Gefühle und Erfahrungen an und kennt auch keine Anerkennung für die kreativen Ausdrucksformen, die sich daraus ergeben können. Roter Mond zeigt Frauen Möglichkeiten auf, wie sie sich ihres menstruellen Zyklus bewusster werden und ein gewisses Verständnis von den damit verbundenen Energien erlangen können. Da jede Frau ihren Zyklus anders erfährt, geht dieses Buch davon aus, dass jede Leserin die hier vorgestellten Ideen und Übungen entsprechend ihren persönlichen Bedürfnissen umsetzt.
Roter Mond verfolgt einen doppelten Ansatz. Trotz aller Ignoranz unserer heutigen Gesellschaft lässt sich noch eine Menge an Erkenntnissen, Lehren und Gedanken im Zusammenhang mit dem menstruellen Zyklus in vielen Legenden, Mythen, Volksmärchen und Kindererzählungen finden. Dieses Buch präsentiert eine Neuinterpretation einiger dieser uns vertrauten Geschichten und benutzt sie und die ihnen inhärente Symbolik zum Erzählen einer neuen Geschichte mit dem Titel »Die Erweckung« (Kapitel 2), die eine Grundlage für das Verständnis der zyklischen Natur des Frauseins bieten soll. Obgleich Konzeptionen und Strukturen für das Verstehen wichtig sind, bedarf es zu seiner Vertiefung auch der persönlichen Erfahrung. Deshalb hält dieses Buch auch Vorschläge bereit, wie sich die Leserin ihres eigenen Zyklus bewusster werden und ihre Wahrnehmung durch ihren allmonatlichen Umgang damit schärfen kann.
Diese beiden Ansätze sind miteinander verwoben. Die Geschichten und die Mythologie mit ihren auf den menstruellen Zyklus bezogenen Bildern entstammen den persönlichen Erfahrungen von Frauen und werden so für die moderne Frau zu einem Hilfsmittel, ihre eigenen diesbezüglichen Erfahrungen besser zu verstehen. Dieses Buch betont in seinem Inhalt durchweg den zentralen Stellenwert des persönlichen Gewahrseins und bietet praktische Vorschläge und Übungen an, die alle oder wenigstens zum Teil problemlos ins Alltagsleben integriert werden können. Es begreift und bezeichnet die Gesamtheit des Zyklus als menstruelle Erfahrung, das heißt, dass wir uns hier nicht nur auf die Zeit der Menstruationsblutung beziehen. Es bietet Richtlinien und praktische Vorschläge an, wie wir mit den Energien des menstruellen Zyklus interagieren können, und Überlegungen, wie wir unser gewonnenes Verständnis an andere Frauen und unsere Töchter weitergeben könnten.
Die gesellschaftliche Einstellung zur Menstruation
Jahrhundertelang war der menstruelle Zyklus der Frau etwas, dem man geradezu Abscheu und Verachtung entgegenbrachte. Er galt als schmutzig, als ein Zeichen der Sünde, und seine Existenz verfestigte die untergeordnete Position der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Noch heute betrachtet man die Menstruation als einen biologischen Nachteil, der aus Frauen emotional reagierende, unvernünftige und unzuverlässige Arbeitskräfte macht. In unserer westlichen Industriegesellschaft, die sich so gerne für »aufgeklärt« hält, spricht man nach wie vor nur selten offen über den menstruellen Zyklus, und dann meist nur in medizinischen Fachbegriffen. Hier existiert eine Barriere zwischen Müttern und Töchtern, Frauen und Männern, Schwestern und Freundinnen oder Freunden. Viele Frauen hassen sich ihr Leben lang und fühlen sich schuldig, weil sie zu gewissen Zeiten im Monat deprimiert und reizbar sind und sich aufgebläht und ungelenk fühlen. Wie viele Frauen haben diesen Hass und diese Angst entweder verbal oder durch ihr Verhalten an ihre Töchter weitergegeben? Für wie viele Frauen war ihre erste Periode ein schreckliches Erlebnis, weil sie nichts darüber wussten oder bestenfalls mit einigen wenigen medizinischen Details vertraut waren, die ihnen in keiner Weise ihre Gefühle zu erklären vermochten? Wie viele Mädchen hatten in unserer modernen Gesellschaft, die über keine Initiationsriten mehr verfügt, das Gefühl, das Geschenk des Frauseins erhalten zu haben, und bekamen Anleitungen, wie sie diese Erfahrung zu ihrer Weiterentwicklung nutzen können? Wenn Frauen ihre menstruelle Erfahrung wieder als Geschenk verstehen und in einem positiven Licht betrachten können, werden sie auch ihre Töchter wieder dahin führen können, dass sie ihr Frausein und die damit verbundenen Zyklen willkommen heißen können.
Viele Frauen leiden während ihrer Menstruation sowohl mental wie auch physisch, und meist bekämpfen die angebotenen Hilfsmittel nur die Symptome. An der zugrunde liegenden Ursache, nämlich an ihrem Frausein, kann ganz offensichtlich nichts geändert werden. Zwar wird in unserer Gesellschaft allmählich die Existenz des prämenstruellen Syndroms akzeptiert, aber in seinen Auswirkungen wird es nach wie vor als negativ und destruktiv bewertet. Wir Frauen mussten sehr hart darum kämpfen, dass die Gesellschaft, Medizin und Jurisprudenz die Tatsache anerkennt, dass Frauen einen mit ihrer Menstruation zusammenhängenden veränderten Bewusstseinszustand durchmachen, es aber keine Strukturen oder Traditionen mehr gibt, die ihnen helfen, diesen Bewusstseinszustand in positiver Weise zu verstehen und zu nutzen.
Menstruell aktive Frauen sind von Natur aus einem Zyklus unterworfen, doch angesichts einer in Bezug auf Zeit und Ereignisse linear denkenden Gesellschaft fällt es uns oft schwer, uns diese Tatsache klarzumachen und in unserem Leben nutzbringend anzuwenden. Selbst wenn wir unsere Menstruationstage in einem Tagebuch oder Kalender vermerken, begreifen wir sie häufig nur mit Mühe als zyklisches Ereignis und sehen darin eher ein sich wiederholendes lineares Muster. Im Kapitel »Begegnung mit dem Mond« werden wir den Gebrauch einer Mond-Chronik erläutern, eine Methode, alle diesbezüglichen Informationen zu notieren und auf eine neue Weise zu betrachten. Wenn wir Frauen zu einem Bewusstsein darüber gelangen, dass wir während unseres menstruell aktiven Lebens zyklische Wesen sind, begreifen wir uns allmählich auch als Teil der größeren Rhythmen des Universums, akzeptieren unser wahres Wesen besser und finden zu mehr Harmonie in unserem Leben.
Das Menstruationstabu
Die Macht der Menstruation wurde in vergangenen Kulturen anerkannt und respektiert, und das ist in einigen wenigen Gesellschaften auch heute noch so. Doch die von den Frauen eingeführten Praktiken, die ihnen halfen, mit diesen starken und kreativen Energien umzugehen, wurden von den patriarchalischen Gesellschaften, die diese Macht als für Männer gefährlich ansahen, weitgehend in Misskredit gebracht. Und so wurde aus der Menstruation, die ehedem als heilig und sakrosankt galt, etwas Unreines und Verschmutzendes. Von nun an betrachtete man die menstruierende Frau als wandelnde Quelle destruktiver Energien, mit deren Weiblichkeit sich eine ungeheure magische Macht verband, die nur auf eine Weise im Zaum gehalten werden konnte, nämlich indem man sie vollständig vom Gemeinschaftsleben ausschloss. Man glaubte, dass sie mit dieser ungezügelten Magie alles kontaminierte, mit dem sie in Berührung kam, und dass sie vor allem für Männer, ihre Lebensweise, ihr Hab und Gut und ihr Vieh gefährlich war.
So wurden Frauen oft beim ersten Anzeichen der Blutung von der Gemeinschaft abgesondert. In vielen Kulturen lebten sie für diese Zeit in einer abseits vom Dorf gelegenen Hütte, die speziell zu diesem Zweck für alle Frauen des Stammes reserviert war. Die menstruierenden Frauen durften keine Gegenstände des Alltagslebens berühren und alles, was sie berührten, war »kontaminiert« und musste zerstört werden. Und vor allem durften die menstruierenden Frauen nichts berühren, was einem Mann gehörte. Man glaubte, dass sie mit ihrer Macht den Tod eines Mannes verursachen oder den Verlust seiner Jagdfähigkeiten bewirken konnten. In manchen Gesellschaften wurde die Verletzung dieses Tabus mit dem Tod bestraft. Die menstruierenden Frauen durften zwar von anderen Frauen besucht werden, die Männer aber durften sie nicht sehen, noch war es den Frauen erlaubt, die Männer anzusehen.
Die menstruierende Frau war nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit, in dem, was sie berühren und wen sie sehen, sondern häufig auch in dem, was sie essen durfte, Restriktionen unterworfen. In manchen Fällen war es ihr verboten, Fleisch zu essen oder Milch zu trinken, weil sonst die Jagd schlecht ausfallen oder die Milch der Kühe versiegen konnte. Die menstruierende Frau galt als so unrein, dass sie sozusagen die Natur verletzte und die natürliche Ordnung der Dinge veränderte.
Als die für die Gemeinschaft »gefährlichste« Zeit galt die des Einsetzens der ersten Periode. Dann wurde das betreffende Mädchen oft noch extremeren Beschränkungen unterworfen, als sie den erwachsenen Frauen auferlegt wurden. Es konnte passieren, dass es sieben Jahre lang in einen kleinen Käfig gesperrt wurde und in dieser ganzen Zeit niemals draußen herumlaufen oder die Sonne sehen durfte.
Menstruationstabus sind keineswegs auf primitive Gesellschaften oder auf die Vergangenheit beschränkt. In vielen Regionen ist die menstruierende Frau auch heute noch mentalen und physischen Einschränkungen unterworfen. Im Islam darf eine menstruierende Frau noch heute keine Moschee betreten; in der Vergangenheit wurde die Übertretung dieses Verbots mit dem Tod bestraft. In manchen christlichen Kulturen steht die Menstruation für die Erbsünde Evas, eine Sünde, mit der jedes Mädchen geboren wird. Christliche Frauen gelten als ewig mit dieser Sünde beladen und müssen ständig dafür büßen, wenn sie jemals in den Himmel kommen wollen. Das stellt sicher, dass Frauen niemals heilig genug sind, um im religiösen Leben eine aktive Rolle zu übernehmen.
Frauen müssen sich darüber klar werden, dass die Einstellung zur Menstruation in einem außerordentlich starken Maß von der Geschichte ihrer Kultur und Gesellschaft geprägt wurde und wird. Und haben sie dies erst einmal erkannt, können sie auch diese gesellschaftliche Konditionierung durchbrechen, die Menstruation in einem neuen Licht betrachten und herausfinden, was diese für sie unabhängig von den Ansichten irgendwelcher anderer Personen oder Gruppen bedeutet.