Читать книгу Kira und der Kunsträuber - Miriam Frankovic - Страница 5
GEBURTSTAGSVORBEREITUNGEN
ОглавлениеAls ich am nächsten Morgen, einen Tag vor meinem Geburtstag, die Augen aufschlug, stand Albert an meinem Bett und sah mich mit seinen großen Kulleraugen, die vom vielen Lesen schon ganz rund waren, nachdenklich an.
„Was machst du denn schon hier?“ fragte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Im Zimmer war es nicht besonders hell, und durch die Fensterscheibe sah ich dichte Schneeflocken durch die Luft wirbeln.
„Dich zu einem Spaziergang überreden“, sagte Albert.
„Bei dem scheußlichen Wetter?“
„Schnee ist nicht scheußlich, sondern schön, sogar im April“, erwiderte Albert und fügte hinzu „In vielen Teilen der Welt gibt es Leute, die alles dafür geben würden, einmal Schnee zu sehen, weil sie gar nicht wissen, wie es aussieht, wenn die Straßen und Plätze so weiß wie Puderzucker sind.“
„Aber ich habe doch noch gar nichts gefrühstückt“, wandte ich schwach ein.
„Das macht gar nichts“, sagte Albert. „Wir beide frühstücken nämlich heute in der Stadt. Und anschließend laufen wir ein bisschen an der Steilküste entlang. Du wirst sehen, die frische Luft wird dir gut tun und aufs Meer zu gucken auch.“
„Meinetwegen“, sagte ich, obwohl ich eigentlich weder Lust hatte, spazieren zu gehen, noch aufs Meer zu gucken. Denn das Meer war im Winter immer ziemlich grau und aufgepeitscht. Aber ich kannte Albert. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er nicht eher locker, bis er erreicht hatte, was er wollte.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass die anderen Albert nur beauftragt hatten mich abzulenken, weil sie über meine Geburtstagsüberraschung reden wollten, ohne dass ich davon Wind bekam. Das erfuhr ich erst viel, viel später, als das gefährliche Abenteuer, von dem ich jetzt noch nichts ahnte, schon längst seinen Lauf genommen hatte.
„Sie sind weg“, flötete Watahulu und sah die anderen voller Tatendrang an.
„Dann lasst uns jetzt endlich darüber diskusieren, was wir Kira zum Geburtstag schenken“, trötete Cangoo.
„Es heißt diskutieren, mit „t“. Wann geht das endlich in deinen Quadratschädel rein?“ raunzte Pferdfreund Cangoo an.
„Habt ihr zwei eigentlich nichts Besseres zu tun, als euch den ganzen Tag zu streiten?“, mischte mein Vater sich ein.
„Streiten, zoffen, zanken, zetern“, krächzte Mintz, der es sich im Brotkorb auf dem Frühstückstisch gemütlich gemacht hatte und ein paar Brotkrümel mit seinem Schnabel aufpickte. Pferdfreund und Cangoo schwiegen beschämt. Im Grunde wussten sie, dass Kiras Vater Recht hatte und dass es ziemlich dumm war, wenn man sich Zeit damit vertrieb, indem man sich den ganzen Tag nur angiftete. Aber sie konnten einfach nicht anders.
„Also, ich möchte jetzt Vorschläge hören“, sagte mein Vater ungewohnt energisch. „Schließlich wird Kira morgen elf, und das ist ein ganz besonderes Alter, so wie jedes Alter ein ganz besonderes Alter ist.“
„Stimmt nicht zum Beispiel“, rief Cangoo. „Elf ist besser als jedes andere Alter auf der Welt.“
„Das sagst du doch nur, weil du selbst elf bist“, sagte Pferdfreund von oben herab. „Und weil du glaubst, dass du was Besonderes bist. Aber das bildest du dir bloß ein.“
Bevor Cangoo, dem schon die Zornesröte ins Gesicht schoss, darauf etwas entgegen konnte, ergriff Watahulu, der Streit nicht ausstehen konnte, das Wort. „Wie wär’s, wenn wir eine Überraschungsparty für Kira organisieren? Ich könnte ihr zum Beispiel eine schöne Melodie auf der Trompete vorspielen.“
„Zum Beispiel ist mein Wort“, rief Cangoo empört. „Das darf nur ich benutzen“.
„Du hast echt einen Knall“, sagte Pferdfreund und zuckte mit den Schultern. Mein Vater beachtete die beiden nicht weiter und sagte. „Ich finde die Idee mit der Überraschungsparty gar nicht so schlecht.“ Noko kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Ich dachte, Kira mag keine Parties.“
„Stimmt“, krächzte Mintz. „Mag sie nicht, kann sie nicht leiden, steht sie nicht drauf, findet sie doof.“
„War ja auch nur so eine Idee“, sagte mein Vater und sah sich in der Runde um. „Wer hat einen besseren Vorschlag?“
„Eine Gespensterführung auf einem Gruselschloss?“ grummelte Timbu.
„Bloß nicht“, meinte Noko und begann schon bei dem Gedanken daran, vor Angst am ganzen Körper zu schlottern. Denn Noko sah mit ihren vielen spitzen Zähnen zwar ziemlich gefährlich aus, so dass die meisten Leute und Tiere einen großen Bogen um sie machten. Aber im Grunde ihres Herzens war sie furchtbar schüchtern und romantisch veranlagt. Und etwas Schlimmeres als ein Gruselschloss mit knarrenden Türen und wie von Geisterhand aufspringenden Fenstern, auf dem furchteinflößende Gespenster ihr Unwesen trieben, konnte sie sich kaum vorstellen.
„Ich könnte dafür sorgen, dass Kira eine kleine Rolle in meinem nächsten Film bekommt“, sagte Pferdfreund und strich sich mit der Vorderpfote eine widerspenstige Locke aus der Stirn.
„Ich glaube, Kira ist zu schüchtern, um in einem Film mitzuspielen“, entgegnete mein Vater, wie mir Watahulu später berichtete.
„Was heißt zum Beispiel schüchtern?“ wollte Cangoo wissen.
„Schüchtern ist genau das Gegenteil von dem, was du bist“, krächzte es aus dem Brotkorb.
„Genau. So ein Großmaul wie dich gibt es kein zweites Mal“, pflichtete Pferdfreund Mintz bei.
„Sorg du lieber mal dafür, dass ich eine große Filmrolle kriege“, sage Cangoo und sah Pferdfreund vorwurfsvoll an.
„Vergiss es“, entgegnete dieser. „Du hast einfach null Talent.“ Schäumend vor Wut griff Cangoo nach einer Orange im Obstkorb und zielte damit gerade auf Pferdfreunds Kopf, als es an der Tür klingelte. „Ich mache schon auf.“ Watahulu warf den beiden Streithammeln einen mahnenden Blick zu und ließ kurz darauf Niklas herein.
„Hi“, sagte Niklas zur Begrüßung und ließ seine Blicke durch den Raum schweifen. „Sind Albert und Kira schon weg?“ Mein Vater nickte. „Du kommst gerade richtig. Wir überlegen immer noch, was wir Kira zum Geburtstag schenken könnten. Hast du zufällig eine Idee?“
Niklas zog seine Stirn nachdenklich in Falten. „Ein Fahrrad?“
„Langweilig, öde, doof, überflüssig“, krähte Mintz und spuckte einen Sonnenblumenkern aus, der in hohem Bogen in Cangoos Richtung flog. „Es muss schon etwas ganz Besonderes sein“, meinte Niklas. „Nichts zum Anziehen oder für die Schule.“
„Ein Buch?“ flötete Watahulu.
„Super Idee“, krächzte es vom Kopf meines Vaters, auf den Mintz gerade zum Landeanflug angesetzt hatte. „Buch, Schmöker, Schinken, Wälzer. Das findet Kira toll.“
Cangoo, der immer noch nicht lesen konnte und deshalb mit Büchern auf Kriegsfuß stand, verzog missmutig das Gesicht. „Muss das sein zum Beispiel?“
Einen kurzen Augenblick herrschte Stille. Die Idee mit dem Buch kam zwar bei den meisten gut an. Andererseits wussten alle, dass ich schon viele Bücher hatte. Und dass ein Buch dann eigentlich doch nicht so etwas Besonderes war.
„Ich hab’s“, grummelte Timbu und griff mit der Pfote in den Honigtopf, der vor ihm auf dem Tisch stand. „Wir schenken ihr eine Reise.“
„Aber wir waren doch gerade erst in Australien“, wandte mein Vater ein.
„Doch nicht so eine Reise“, sagte Timbu und schleckte sich genüsslich den Honig von der Pforte. „Wir schenken ihr eine ganz besondere Reise. Eine Bilderreise.“ Watahulu schlenkerte anerkennend mit dem Rüssel, und auch Noko nickte zaghaft. Selbst Cangoo hatte diesmal nichts einzuwenden. „Und was für eine Bilderreise?“ fragte er Timbu, denn er verstand nicht genau, was Timbu mit einer Bilderreise meinte.
„Eine Bilderreise mit Tierbildern“, erwiderte Timbu. „Also eine Ausstellung mit Bildern, auf denen Tiere zu sehen sind.“
Mein Vater nickte zustimmend. „Kira liebt Bilder. Und Tiere auch. Ich finde, das ist eine grandiose Idee.“
„Grandios?“ fragte Cangoo genervt. „Was heißt das denn zum Beispiel schon wieder?“
„Toll, super, krass, cool“, klärte Mintz ihn auf.
Wie Watahulu mir erst viele Wochen später berichtete, diskutierten er und die anderen an dem Tag noch stundenlang darüber, was für eine Art von Bilderreise sie mir schenken sollten. In welches Land, in welche Stadt und in welches Museum die Reise gehen sollte. Wo die besten Tierbilder hingen. Und wer der berühmteste Maler war. Mit dem wichtigsten Tierbild. Oder wenigstens mit einem berühmten Bild, auf dem ein Tier zu sehen war. Und was das Allerwichtigste war: der Maler sollte Tiere mögen und sie nicht essen.
Da Cangoo und die anderen im Gegensatz zu meinem Vater, der ja selbst Maler war, nicht viele Maler kannten –manche von ihnen sogar gar keine- verkleinerten sie sich mit Hilfe von Alberts Zauberformel, um im Internet etwas über berühmte Maler herauszufinden, die Tiere mochten. Mein Vater ließ sie gewähren, obwohl er insgeheim schon jemanden im Kopf hatte, der in Frage kam. So kam es, dass alle den ganzen Vormittag lang damit beschäftigt waren, auf Webseiten über berühmte Maler herumzuspazieren. Da unsere Australienreise noch nicht allzu lange zurücklag, dachte mein Vater, dass es nicht schlecht wäre, wenn wir dieses Mal in Europa blieben. Zwar konnten Cangoo und die anderen übers Internet sekundenschnell in alle Orte der Welt surfen. Aber auch wenn Albert emsig daran arbeitete, bisher hatte er leider immer noch keine Formel entwickelt, mit deren Hilfe Menschen durchs Internet reisen konnten. Mein Vater, Niklas und ich würden also entweder fliegen oder mit dem Zug fahren müssen. Und da wir wegen der Schule nur in den Sommerferien weg konnten, musste meine Geburtstagsüberraschung also perfekt vorbereitet werden.
Am frühen Abend kehrten alle bis auf Mintz erschöpft von ihren Webseiten zurück und versammelten sich in unserem Wohnzimmer, wo Cangoo sich gleich auf einen Sessel fläzte. Wie er mir später anvertraute, war Niklas extra mit mir weg gegangen, damit ich auch weiterhin nichts von den Geburtstagsvorbereitungen mitbekam.
„Also, was habt ihr gefunden?“ fragte mein Vater, während er zusammen mit Watahulu den Kaffeetisch deckte und eine Menge an köstlichen Sahnetorten und Kuchen auftischte.
„Viel. Aber nicht das Richtige“, murmelten alle im Chor. Mein Vater zog erstaunt eine Augenbraue hoch. Dann sah er sich suchend um. „Wo steckt eigentlich Mintz?“
„Der schwirrt gerade irgendwo auf einer italienischen Website herum“, erklärte Pferdfreund ihm. Dann sagte er im Ton eines gelehrten Professors: „Es gibt Tausende und Hunderttausende von Malern. Auf der ganzen Welt. Welche, die noch leben und welche, die schon längst gestorben sind. Aber die sind auf so vielen verschiedenen Webseiten verstreut, dass wir unmöglich nachgucken konnten, wer von denen Vegetarier ist und wer nicht.“
Cangoo sah Pferdfreund sauer an, denn für heute reichte es ihm wirklich mit Fremdwörtern. „Was ist zum Beispiel ein Vega...Vege... Dingsbums?“
„Ganz einfach“, erklärte Watahulu ihm geduldig. Ein Vegetarier ist jemand, der kein Fleisch isst, also keine Tiere.
„Genau“, krächzte es in diesem Moment aus Richtung des Computers, und eine Sekunde später kam Mintz aufgeregt herausgeflattert. „Und so jemanden habe ich gerade gefunden. Er war Maler und sehr berühmt. Sein Name ist Leonardo da Vinci.“