Читать книгу Vergewaltigt - Miriam Schmidt - Страница 10
Vor der Vergewaltigung
ОглавлениеEmilia war eine lebensfrohe, junge Frau. Erst vor einigen Wochen hatte sie ihren 21. Geburtstag im Kreis der Familie und Freunde gefeiert. Sie studierte Germanistik und war seit fast 2 Jahren glücklich mit ihrem Freund Tom liiert. Vor etwa 8 Monaten sind beide zusammengezogen. Sie fanden eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung ganz in der Nähe der Uni.
Am auffälligsten der jungen Blondine war wohl immer ihr freudiges Lächeln. Dabei war es egal, ob die Sonne draußen brannte oder es in Stürmen regnete. Sie hatte stets ein Lächeln im Gesicht. Ihre kleine Stubsnase zog sie beim Lächeln immer gerne –praktisch unbemerkt zur Seite, während ihre blauen Augen gegenseitig um die Wette strahlten. Sie konnte sich für alles einfach so in nur wenigen Sekunden begeistern. Das lange blonde Haar trug sie meistens offen. Gelegentlich arbeitete sie als Model, wenn Modegeschäfte in der Nähe nach jungen, attraktiven Frauen Ausschau hielten. Ob direkt auf dem Laufsteg in großen Einkaufspassagen oder für Mode-Hochglanzfotos, sie machte stets eine gute Figur.
Privat mochte sie es bequem, aber auch laut. Ebenso, wie eine junge Frau gerne ihr Leben l(i)ebt. Gerne verbrachte sie in einer kuscheligen Jogginghose den Abend vor dem Fernseher, bei einem Salat oder einem Eis mit viel Schoko-Creme. In der Öffentlichkeit achtete sie sehr genau auf ihre Kleidung. Sexy, aber nicht zu freizügig. Elegant, aber nicht zu abgehoben. Gegen Ende der Woche ging es dann gemeinsam mit Tom auf Tour durch die angesagten Discotheken. Sie tanzten gemeinsam ab, bis spät zum Morgen. Gelegentlich liebte sie auch diese Mädelsabende. Einfach nur mit den besten Freundinnen. Klatsch, Tratsch, etwas Alkohol und ausgelassen tanzen.
Emilia war schon immer besonders wissensdurstig. Sie konnte sich für jedes Thema begeistern und Tausende von Fragen stellen. Ihre Eltern bezeichneten ihre Tochter als einen umtriebigen Sausewind. Kaum hatte sie sich ausführlich mit einem Thema beschäftigt, zog es sie schon zum nächsten. Sie versuchte so viel, wie nur möglich, aufzusaugen. Aber sie liebte es auch, sich mit banalen Dingen stundenlang zu beschäftigen. Kam sie an einem Schuhgeschäft vorbei, zog es sie förmlich in den Laden und es vergingen nur wenige Minuten, bis ihr Herz voller Aufregung anfing wild zu pochen.
Genauso verzehrte sie sich nach Schminktipps, vor allem auf YouTube. Sie selbst liebte vor allem ein dezentes Make-up. Das Badezimmer in der gemeinsamen Wohnung mit Tom war dennoch überfüllt mit Lippenstiften, Schminke und unendlichen Accessoires.
Insgeheim hatte sie eine ellenlange Liste mit Zukunftswünschen, die sie alle nach und nach abarbeiten wollte. Praktisch jede Woche kamen weitere Punkte dazu. Sie gierte nach Freiheit, nach Persönlichkeit und dem unstillbaren Leben. Dabei setzte sie sich auch gerne einmal provokant für die Rechte ihres Geschlechts ein. Sie selbst bezeichnete sich gerne als eine moderne Feministin. Es gab zahlreiche Streitthemen mit ihrem Freund, die alle samt aber dann wieder in einer zärtlichen Versöhnung endeten.
Wochen vor dem Vorfall reiste sie mit Tom in die Karibik, beide hatten für ihren Traumtrip lange gespart und mit einer kleinen Spende der Eltern ging es für 4 Wochen auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise in die Karibik. Als sie braungebrannt zurückkam, tingelte sie durch den Freundschaftskreis und berichtete heißblütig über alles, was sie gesehen hatte. Auf ihrem Facebook-Profil kamen jeden Tag neue, eindrucksvolle Bilder hinzu. Ihr Freund hingegen war eher der ruhigere, sachlich und planerisch. Beide hatten sich in einer kleinen Bar kennengelernt und er sagt: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Emilia sagt: „Ich konnte ihn erst nicht ausstehen, aber dann hat es irgendwie gefunkt.“
Tom sorgte stets für Ordnung in der Wohnung. Emilia hingegen genau für das Gegenteil. Bei ihr stapelten sich gerne Tassen und Teller rund um die Spüle. Er animierte sie dann, gemeinsam zum Aufräumen. Natürlich hatten die beiden auch manchmal Streit, so wie in jeder guten Beziehung. Doch die Differenzen waren schnell beseitigt. An kalten Tagen lag Toms Aufgabe vor allem darin, sie warmzuhalten. Sie zittere und bibberte bereits, wenn die Temperaturen auf dem Thermometer unter 20 Grad C. sanken. Dicke Decken und warme Massagen waren dann ein Muss für ihn.
Hilfsbereit war Emilia immer. Sie konnte es nicht mitansehen, wenn Menschen traurig waren oder die Traurigkeit in ihr Leben zog. Wenn jemand auf der Straße saß und bettelte, gab sie immer eine kleine Spende. Selbst dann, wenn es bei ihr bereits knapp war. Tom ermahnte sie regelmäßig, zurückhaltender zu sein, nicht jedem Geld zu geben. Am Ende einigten sie sich darauf, dass nur noch ältere Frauen, die auf der Straße bettelten, von ihr begünstigt werden. Den Vorsatz vergaß sie aber, wenn sie alleine unterwegs war.
Handwerklich war sie vollkommen ungeschickt. Dennoch wehrte sie sich dagegen, Tom die Aufgaben zu überlassen. Immer wieder versuchte sie es selbst, auch dann, wenn sich die Farbe später an der Wand eher ungleichmäßig wie große Flecken, die gegeneinander kämpften, verteilt hatte. Oder sie mit der schweren Bohrmaschine abrutschte und statt einem Loch zu bohren, einen tiefen künstlerischen Strich über die Wand zauberte. Tom war dann immer da und sorgte dafür, dass die kleinen Missgeschicke schnell verschwanden.
Beide hatten eine kleine Katze adoptiert. Sie nannten sie Tinka und die Kleine war gerade 12 Monate alt, als sie die verspielte Katze aus dem Tierheim zu sich in die Wohnung holten. Tinka schlief mit ihnen im Bett, in der Nacht jagte sie wild durch die Wohnung. Einmal gab es einen lauten Knall, mitten in der Nacht. Die kleine Katze wollte einen Schrank hochjagen, schaffte es aber wohl nicht ganz, hielt sich an einem Buch mit ihren Krallen fest und kam dann zu Fall. Tinka landete wie immer auf allen vier Pfoten, das dicke Buche hingegen kippte auf eine dekorative, hohe Glas Vase, die danach mit lautem Knall in viele Teile zerbrach. Emilia war total aus dem Häuschen. Es war ihre Lieblingsvase, aber sie konnte der kleinen Tinka nicht wirklich lange böse sein.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Minuten voller Angst veränderten alles. Die lebensfrohe, so alles bejahende Emilia ist einer traurigen, in sich gekehrten jungen Frau gewichen, die das Haus nur noch mit großer Angst verlassen kann. Ihr Gesicht wirkt gleichgültig. Das Lächeln von einst ist verschwunden, genauso wie ihre Neugierde und Begeisterung.