Читать книгу Nach Gott fragen zwischen Dunkel und Licht - Mirjam Schambeck - Страница 8
Оглавление1. Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott
Nach Gott zu fragen ist auf ganz unterschiedliche Weise möglich. Das Verstummen vor ihm gibt es genauso, wie Gott in der Tiefe zu vernehmen. Menschen sehnen sich nach diesem Gott – und doch bleibt über allem die Frage aufgerichtet, ob Gott überhaupt existiert, ob es lohnt, über das hinauszudenken, was auf der Hand liegt, bzw. ob nicht die in säkularen Gesellschaften immer selbstverständlicher werdende Erfahrung ausreicht, dass ohne Gott das Leben auch ganz gut gelingen kann. Die im Folgenden aufgezeigten unterschiedlichen Weisen, die Gottesfrage zu stellen, gelten für die meisten Menschen wohl kaum in „Reinform“. Eher sind es Facetten dieses und jenes Weges, die die eigene Gottsuche kennzeichnen, bzw. ist es je nach Lebensphase mal dieser und mal jener Aspekt, der in den Vordergrund tritt, wenn die Gottesfrage ansteht. Von daher mag es hilfreich sein, sich unterschiedliche Wege des (Nicht-)Fragens nach Gott zu vergegenwärtigen, um den eigenen Weg deutlicher in den Blick zu bekommen und die eigenen Fragen bewusster zu stellen.
Auf den Menschen geworfen – atheistische Gottesfrage
Gott zu bestreiten ist so alt wie nach Gott Ausschau zu halten. Im Grunde gehört beides zusammen. Es ist nicht möglich, nach Gott zu tasten, sich nach ihm zu sehnen, ohne die Erfahrung zu kennen, ihn radikal in Frage gestellt zu wissen. Die unterschiedlichen Religionskritiken der Vergangenheit und der Gegenwart bezeugen das auf ihre Weise.
Ein besonders nachdenklich stimmender Einwurf stammt von Albert Camus (1913–1960). Er stellt mit seinen unterschiedlichen literarischen Figuren die schicksalshafte Ahnung in den Raum, dass da vielleicht doch nichts ist als nur das Leben, die Natur, eventuell noch der Zufall und die selbstlose Solidarität mit den Leidenden. In klaren Strichen entfaltet Camus in seinem Roman „Die Pest“ einen Atheismus, der nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Dieser Atheismus arbeitet sich ab an diesem Gott, der erklärungsbedürftig geworden ist angesichts des Leids der Menschen, gerade der Unschuldigen und derer, die dem Leben, ob sie es wollen oder nicht, ausgeliefert sind. Angesichts aller vergeblichen Versuche, das Leid der Menschen zu beseitigen, es zu erklären oder ihm gar Sinn abzugewinnen, muss der Mensch – so Camus – schließlich die Wahl vollziehen und zu der Einsicht kommen, dass es da nichts gibt, wo Menschen früherer Tage Gott vermuteten.
Auf ungekannte Schärfe formuliert Camus damit, wie nahe sich Gottesbejahung und Gottesbestreitung sind. Zwischen beiden liegt nur ein hauchdünner Spalt, auch wenn die Deutungen in ganz unterschiedliche Welten weisen. Für Camus heißt das, dass sich alles an der Freiheit des Menschen entscheidet. Sie ist das Vermögen, mit dem der Mensch darüber befindet, ob er von der Existenz Gottes ausgeht und die Welt in diesem Horizont denkt oder aber sich mit der aus dem Abgrund kriechenden Ahnung abzufinden hat, dass da nichts ist, nichts und niemand, wo man Gott erhoffte. Wählt der Mensch diesen letzten Weg, dann bleibt eine Welt, in der der Mensch auf sich selbst geworfen ist, in der nur das Vorfindliche zählt, in der es keine Antwort auf die grundlegenden Fragen gibt. Zu leben bedeutet dann, diese Absurdität auszuhalten. Bei Camus heißt das nicht, dass alles ins Bodenlose oder Unmoralische abgleiten würde. Der Einsatz für die anderen, und insbesondere die Schwachen, wird sogar heroisch, weil er trotz des Wissens geboten ist, dass es keinen tragenden Grund für die Sehnsucht des Menschen nach einem Ankommen bei Gott gibt.
Mindestens seit dem Existentialismus ist damit die Gottesfrage radikalisiert, weil sie vor die endgültige Möglichkeit gestellt ist, dass es nur noch den Menschen gibt, wo Gott erhofft wurde. Damit aber wird der Mensch, der qua se ein Fragender ist, einer der Ausschau hält, der sucht und umherschweift, zur tragischen Existenz. Als einer, in den die Sehnsucht nach einem Größeren eingezeichnet ist, muss er sich damit abfinden, dass da nichts ist, außer dem Menschen selbst.
Die Suche nach Transzendenz interessiert nicht – der Indifferentismus
Diese atheistische Weise, mit der Frage nach Gott umzugehen, findet heute im Indifferentismus eine Zuspitzung. Hier geht es nicht mehr darum, die Gottesfrage zwar zu stellen, aber nach redlicher und sich selbst nicht schonender Weise zu entdecken, dass sie negativ beantwortet werden muss. Im Indifferentismus ist die Gottesfrage selbst obsolet geworden. Sie interessiert nicht mehr. Das Leben geht in dem auf, was der Alltag so bringt. Laut religionssoziologischer Analysen kommen in Deutschland ca. 30 % der Bevölkerung ohne einen Bezug zu einer Religionsgemeinschaft aus. Dieses sogenannte konfessionslose Drittel zeigte sich in den letzten zehn Jahren als stabile Größe. Für die Zukunft lässt sich abschätzen, dass sich immer mehr Menschen von den Kirchen und Religionsgemeinschaften verabschieden werden. Charakteristisch für diese Gruppe und deren Lebenseinstellungen ist, dass sie glücklich sind, auch ohne sich als religiös zu verstehen. Nach eigenen Aussagen fehlt ihnen nichts. Wichtig sind die Familie und die Freunde. Wenn Schweres ansteht, dann müsse man das eben mit sich selbst ausmachen.
Dass da einer ist, der versprochen hat, bei den Menschen zu sein, mit ihnen zu gehen (vgl. Ex 3,7), weil er die Klage seines Volkes gehört hat, ist für viele Menschen zu einer fremden Erfahrung geworden. Vermuteten Theologen und Theologinnen noch, dass sich der Indifferentismus von selbst auflösen wird, wenn Menschen mit leidvollen Situationen oder gar mit dem Tod konfrontiert werden, so erweist sich diese Annahme zunehmend als hinfällig. Gerade in den neuen Bundesländern verstehen sich Menschen nun schon über mehrere Generationen hinweg als a-religiös und nicht weniger glücklich, aber auch nicht weniger moralisch, als das Menschen tun, für die Gott im Leben wichtig ist. Gott ist aus dem Horizont vieler Menschen verschwunden. Und es scheint auch fraglich, ob er dorthin wieder zurückkehrt.
Auf der Suche nach dem Ultimaten – mäandernde Religiositäten
Andererseits erstaunte es nicht nur Kirchenleute, dass die von Religionssoziolog/-innen noch in den 1960er und 1970er Jahren vertretene These, dass sich Religion mit der fortschreitenden Moderne notwendigerweise mehr und mehr verflüchtigen wird (Säkularisierungstheorem), nicht bewahrheitet hat. Im Gegenteil : Studien sprechen heute von einem „Megatrend“ Religion. Auffällig ist allerdings, dass sich diese religionsfreundliche Stimmung jenseits des jüdisch-christlichen Gottesverständnisses abspielt. Die kirchliche Sprache ist zu entleert, die Worte über den Gott Jesu Christi zu lebensfern geworden, als dass sie Menschen in Anspruch nehmen, um darin ihren Lebenssinn zu artikulieren und nach Transzendenz zu fragen.
Dahinter verbirgt sich einer der Gründe, warum für viele Menschen eher das abstrakte Ultimate als Bestimmung des Transzendenten in Frage kommt als ein Gott, der sich als Du des Menschen zu erkennen gibt. Das Verhalten zur Transzendenz erfolgt religionslos. Es gibt kaum einen Rückbezug auf kirchliche Traditionen. Was das Transzendente ist, wird von der Instanz des Ich entschieden. Das ist nicht einfach schlechtzureden. Es bleibt aber die Frage, wie solche mäandernde Religiositäten nicht zu Alibis verkommen, um sich in sich selbst zu verkapseln. Mit welcher Garantie führt das, was sich jede und jeder Einzelne als Lebenshaltung zusammenbastelt, wirklich zur Freiheit, die den anderen erreicht ? Wie ermöglicht eine Lebenseinstellung de facto, Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu erstreiten und nicht nur für das eigene Ich ?
Theologie und kirchliche Traditionen sind von daher dringend gefordert, die freimachende Botschaft Jesu wieder so zu sagen, dass Menschen die Rede von einem Gott, der sich den Menschen zugewendet, ihn gesucht und aufgerichtet hat, auch für ihr Leben als kraftspendend erfahren.
Die Sehnsucht nach mehr
Inmitten der vielfältigen Wege, die Gottesfrage zu stellen, ist für nicht wenige Menschen die Sehnsucht zum Auslöser geworden, nach einem „Mehr“ zu fragen. Das zieht sich quer durch die Generationen : Junge Leute wie auch Menschen in den mittleren und fortgeschrittenen Lebensaltern sprechen davon, dass es nicht sein kann, dass das Leben in dem aufgeht, was uns ringsherum von Gesellschaft, Politik und den konsumorientierten Wirtschaftsideologien angepriesen wird. Die Sehnsucht als unstillbarer Antrieb im Menschen geht nicht in Bedürfnissen auf, die die Märkte vorgeben. Sie ist eine Kraft, die über den Menschen hinausreicht und ihn antreibt, weiter zu fragen und tiefer zu suchen.
Von daher ist die Sehnsucht auch ein ambivalentes Phänomen. Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genanzino wird beispielsweise nicht müde, in seinen Romanen die Sehnsucht des Menschen als unstete Kraft zu beschreiben. Seine Protagonisten rasen von hier nach da, immer auf der Suche, endlich zu leben, anzukommen, und sei es unter dem Pullover der Freundin, um dort in einem kurzen Augenblick zu empfinden, was da sein bedeutet.1 Die Sehnsucht lässt den Menschen nie genug haben und wird dort, wo sie ihre eigentliche Akzentuierung verliert und sich im Plural der Sehnsüchte verliert, zur zerstörerischen Kraft, die den Menschen zum Flüchtigen und Gehetzten verkommen lässt.
Ganz anders ist die Sehnsucht, die in der christlichen Mütter- und Väterliteratur der ersten Jahrhunderte als desiderium (lat. Sehnsucht) beschrieben wird. Als solche ist sie nicht einfach eine vom Menschen gemachte Kraft. Sie ist vielmehr die Weise, wie Gottes Geist im Menschen wirkt, ihn anstiftet, sich nicht mit dem Vorletzten zufriedenzugeben, sondern in allem tiefer zu sehen und das Auge des Herzens auf Gott ausgerichtet zu halten. Gregor der Große gilt in der westlichen Spiritualitätsgeschichte als der große Lehrer der Sehnsucht.2 Er verdeutlicht, dass die Sehnsucht wie der Atem Gaben Gottes an den Menschen sind. Beide markieren sowohl den Weg Gottes zum Menschen, als sie auch umgekehrt Wege des Menschen zu Gott sind. Von daher verwenden nicht wenige Meditationstechniken ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit auf den Atem. Er ist nicht nur Weg in die Tiefe, sondern Weise, in dieser Tiefe Gott zu vernehmen, der im Menschen schon längst Wohnung genommen hat. Und wer weiß nicht aus eigener Erfahrung, wie Atem und innere Ausgeglichenheit zusammenhängen beziehungsweise wie sich Hetze und Stress auf den Atem auswirken.
Die christlich verstandene Sehnsucht kennt insofern zwar das Unterwegssein auch in der Ausprägung des Unstetseins. Sie verdeutlicht aber, dass dieses nicht um seiner selbst willen wichtig ist und schon gar nicht das Ziel oder auch nur die eigentliche Weise der Sehnsucht darstellt. Die christlich verstandene Sehnsucht bezeichnet vielmehr eine Haltung, die uneingelöste Erwartung von Leben nicht selbst einlösen zu wollen, sondern dem noch Erwarteten, und das heißt dem noch ausstehenden Gott, Raum zu geben, so dass Gott selbst immer mehr im Menschen und in der Welt ankommen kann.
Diese Sehnsucht wird schließlich auch für Franz von Assisi zum Auslöser, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was ihm sein reicher Vater und die in Stände aufgegliederte Gesellschaft des Hochmittelalters bieten konnten. Seine Weise, Gott zu suchen und immer wieder von ihm an überraschenden Orten gefunden zu werden, wird von daher sowohl zum Dispositiv, auf dem eigene Erfahrungen nochmals in einem anderen Licht gesehen werden können, als es sich auch als Kontrastiv zeigt, das so manche eingeschliffenen Denkgewohnheiten, wie Gott ist und wie er zu sein hat, anfragt.