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Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter

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Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff)

Symbole sind Zauberworte, sie dienen der Selbstvergewisserung. Symbole haben diese Dimension von etwas Wunderbarem und des Geheimnisvollen, indem sie über den Gegenstand, die Situation, die Person hinaus auf etwas Unbestimmbares, Unendliches hinweisen. Sie spielen eine Rolle im Event, in der Landmark, im Höhenrausch, im Abgrund, im Gefühlskitsch. Sie sind nicht gut oder schlecht, aber sie können gute oder schlechte Wirkungen entfalten.

Der Tierpfleger Andreas Dörflein, der den Eisbären Knut im Berliner Zoo im Jahre 2007 mit der Flasche aufgezogen hatte, war über seine Popularität nicht immer glücklich. Er äußerte einmal, es sei schon irre, was in den Gesichtern der Zuschauer vor sich gehe, die hätten oft so einen Ausdruck, als sei ihnen der Heiland erschienen. Ganz offensichtlich erschien der Tierpfleger zusammen mit dem Eisbären Knut etlichen Menschen als Heilssymbol, als Symbol einer heilen Welt, als Symbol für das Paradies.

Der Pekinger Konzeptkünstler Zhao Bandis hatte ein Symbol der Stadt Chengdu beschädigt. Chengdu versteht sich als Panda-City. Pandas sind für die Stadt nicht einfach wilde Tiere, sondern eine Ressource, eine Industrie, eben ein Symbol für die Stadt. Der Künstler hat eine Panda.-Modenschau vorgeführt mit Models, die in schwarz-weißen Dessous und mit Plüschohren aufgetreten sind. Aufgrund der Empörung, die diese Modenschau hervorgerufen hat, wurde in Chengdu ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die öffentliche Beleidigung von Pandas künftig unter Strafe stellen sollte.


Was Symbolkraft hat, geht über ein Objekt in seiner Gegenständlichkeit hinaus und stellt Verbindung her zu einem Ideal, einem Unbestimmbarem und Unendlichen, wie es die Liebe oder die Freiheit, Frieden oder Gerechtigkeit, Treue, Ehre, Tapferkeit oder eben auch das Paradies darstellt. Als „Gefühlspartner“ öffnen die Symbole Resonanzräume für die entsprechenden Gefühle, für dieses „Nichtauslotbare“. Sie lassen Kräfte ins Fließen und Menschen ins Schwärmen kommen, und sie können dem Leben Weite und Richtung geben. Symbole sind im Bewussten wie im Unbewussten an solche Gefühle gebunden. Zustimmung und Ablehnung erfolgen aus diesen Gefühlen heraus. Soziales Verhalten, Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben gründen sich auf positive Gefühle. Ein guter Ruf, ein gutes Bild strahlen als symbolische Qualität nach außen, und die Gruppe oder die Gemeinschaft definiert sich in ihrer sozialen und politischen Identität darüber. Heute geschieht das auch oft mithilfe eines Instruments, einer Marke.

Die Gemeinschaft der Gefühle der Zusammengehörigkeit ist noch bei manchen Stammesgesellschaften ausgeprägt, deren Ordnung von Symbolen geprägt ist, die auf eine unsichtbare, mythische Welt bezogen sind, die hinter der sichtbaren existiert. In dieser Welt ist alles bedeutsam, nicht nur Skulpturen, Reliefs, Statuen — auch ihre Alltagsgegenstände und die Landschaft, in der sie leben. Störungen der Ordnung bringen Unheil. Ein Stamm mit etwa 300.000 Menschen im Südosten Malis, die Dogon, lebt in einer solchen Welt, in der ihm seine Symbole und Rituale heilig sind, und die für ihn Heilkraft haben. Im Jahr 1989 hat die UNESCO die Traditionen der Dogon zusammen mit den spektakulären Felsen von Bandiagara als Kultur- und Naturerbe in die Welterbeliste aufgenommen.


Heilkraft können Mythen, Symbole und gute Rituale auch im modernen Umfeld entfalten. Es erfordert keinen Aberglauben oder die Sehnsucht nach archaischer, ursprünglicher Lebensweise, um sich über Mythen, Symbole und Rituale mit sich selbst und mit seinem Umfeld in Verbindung zu bringen. Die Unbefangenheit, mit der die alten Juden im polnischen Schtetl zusammen mit den mythologischen Dibbons lebten, erlaubte ihnen zum Beispiel, einem solchen Untoten auch mal ein Messer in die Brust zu stoßen, um sich von ihm zu befreien. Ähnliches kann bei Visualisierungen in einer modernen Psychotherapie erfolgen.

Ähnliches gilt für das Verständnis von Kunst und für die eigene kreative Betätigung, bis hin zum Verständnis der eigenen Träume und Fantasien. Mythologische Bilder und Symbole und symbolische Gegenstände haben Heilkraft oder können Heilkraft für Menschen entwickeln, die dafür offen sind und die sich in diesen Bildern selbst erfahren können.

Placebo- und Nocebo-Effekte geben einen Hinweis darauf, was möglich ist im Hinblick auf „den Zauber“ den ein Wort, ein Gegenstand oder eine Umwelt auslösen können. Es ist inzwischen bekannt, dass die Auflistung der Nebenwirkungen in den Beipackzettel von Medikamenten oder die Bilder aus Röntgenuntersuchungen und von Kernspintomografieuntersuchungen manchen Patienten nicht aus dem Kopf gehen. Ihre Angstreaktion vor diesen Nebenwirkungen kann das gefürchtete Unheil herbeirufen.


Symbole haben so in der Menschheitsgeschichte immer eine besondere, wenn auch widersprüchliche und unterschiedlich interpretierte Rolle gespielt. Sie sind vielschichtig, aber auch einzigartig und unvergleichlich. Sie haben ihre kleineren und größeren Fan-Gemeinden, für die sie konsens- und identitätsstiftend sind. Damit sind sie aber auch immer umstritten.

Zustimmung oder Ablehnung können gleichermaßen erfolgen, wie das offensichtlich bei dem eingangs beschriebenen Weg um den Griebnitzsee in Potsdam der Fall ist. Für die eine Gruppe stellt er ein starkes Symbol dar, für einige Eigentümer repräsentiert er aber lediglich ihr Eigentum. Die Vehemenz der Gefühle verweist auch auf das als symbolisch empfundene „Vermögen“, das jemand um keinen Preis hergeben möchte.

„Symbolisches Vermögen“ im physischen und psychischen Sinne sind Kulturschätze — Bilder, Orte, Bauwerke und Landschaften auf der Schwelle zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten ihrer Betrachter. Zwischen den Personen und den Objekten existieren Beziehungen und in diesem „Beziehungsraum“ existiert „das Symbolische“. Eine Sicht, die den Blick auf die Dimension des Symbolischen freigibt, lässt die Welt der Bedeutungen, des Irrealen, der Kunst und der Mythen in allem, was erklärt und was nicht erklärt werden kann, in Erscheinung treten. In einem Interview zur Kunst zwischen dem Künstler Anselm Kiefer und dem Verlagsmanager Mathias Döpfner (DER SPIEGEL, 2011) äußert sich Döpfner wie folgt: Die Rationalität des Gesellschaftslebens wird oft überschätzt. Für jedes Business, egal ob Autos, Kosmetik oder Zeitungen, gilt: Erfolg entsteht aus Gefühlen, nicht aus dem Taschenrechner. Gefühle und Intuitionen der Hersteller und der Kunden, der Absender und der Empfänger. Zahlen machen das Erreichte sichtbar. Zahlen allein schaffen gar nichts.

Mit den Gefühlen verbinden sich Bedeutungserfahrungen. Je nach Herkunft, kulturellem Hintergrund und Bewusstheitszustand von Menschen werden Symbole unterschiedlich gedeutet und auch in unterschiedlicher Tiefe erfahren. Die Bedeutungserfahrungen des Symbolischen sind immer zunächst individuell. Jemand findet sich in einem anderen oder in etwas anderem wieder und fühlt sich von diesem berührt oder „erkannt“ und in seiner Existenz bestätigt. Manche Symbole — sei es ein Gegenstand in der Wohnung, der für den Bewohner bewusst oder unbewusst symbolische Qualität hat, sei es ein Objekt in der Stadt, zu dem sich jemand hingezogen fühlt — erweisen sich als besser, als intensiver, eindrücklicher oder nachhaltiger als andere. Und so ist es naheliegend, dass Künstler, Gestalter, Planer, Architekten, aber auch jeder einzelne Mensch für sich selbst die symbolische Qualität der Objekte bewertet, mit denen er sich umgibt, die jemand herstellt und die einem guttun. Nicht jeder Gegenstand, nicht jede Fassade, jeder Platz, jede Straßenkreuzung, nicht jedes Stadtmöbel hat einen besondern Bezug für die Bewohner. Es sind jeweils bestimmte Objekte, die Assoziationen hervorrufen, und die sich als bedeutungsvoll für Wendungen in der Lebensgeschichte der Bewohner oder im Kontext des Lebens in der Stadt gezeigt haben. Es werden Gefühle ausgelöst und die Möglichkeiten für emotionale Anteilnahme, Identifikation und Identität geschaffen. Veränderungen in, Gestaltungen und Umgestaltung von Räumen können damit auch Veränderungen im Erleben und Verhalten der Menschen in der Stadt zur Folge haben.

Auslöser für Wunderbares und Identitätsstiftendes kann alles Mögliche sein: Dinge, Musik, Situationen, das Verhalten von Menschen, Ereignisse, Gebäude, Räume, Straßen, Plätze, Gestalten ... Nicht alles, aber alles, was sich für einzelne Menschen, Gruppen oder Mengen als Symbol eignet, ist Botschafter solcher Identitätsstiftung und kann das individuelle oder sogar das kollektive Bewusstsein von Menschen erschüttern.

Bei manchen Pop-Stars wie Madonna, dem verstorbenen Michael Jackson oder Steven Patrick Morrisey ist eine solche konsens- und identitätsstiftende Wirkung in all ihrer Widersprüchlichkeit auch für jemanden, der kein Fan ist, erfahrbar. Mit ihrer Musik finden Stars „die richtigen Worte“, und wer die „richtigen Worte“ oder den „richtigen Ausdruck“ findet, wird für seine Fans zum Symbol. Die kulturellen Symbole einer Gruppe der Gesellschaft erzeugen Gemeinsamkeiten bezüglich dem, was dieser Gruppe am Herzen liegt.

Die Bildsprache der Symbole übermittelt emotionale, mentale und soziale Bedeutungen, von denen Menschen über den sachlichen Gegenstand hinaus ergriffen und fasziniert werden. Durch sie dringt etwas Unendliches in das endliche Leben ein. Das entsprechende Vertrauen hat einen irrationalen Kern. Vertrauen ist nicht Gewissheit, aber die Gestalten, wenn sie als „hilfreiche Monster“ erscheinen, können ein entspanntes Verhältnis zu den Unsicherheiten des Lebens aufkommen lassen. So können Symbole bei der Bewältigung existenzieller Lebenssituationen helfen, wenn sie mit Potenzialen der Psyche korrespondieren und wenn sich die mentalen Modelle im Innen und die physischen Strukturen im Außen in Einklang bringen lassen.

Selbstsymbole können hilfreiche und identitätsstiftende Symbole für das einmalige Individuum sein, das jeder Mensch ist. Symbole in der Stadt können als Ausdruck für „das Richtige“, für Nachhaltigkeit, für Zukunftsfähigkeit, für die Hingabe an das Leben, für Dauer und Beständigkeit, für Mut, für Lebensfreude, für Vergänglichkeit und Verwandlung stehen.

Ein Symbol für deutsch-türkische Freundschaft sollte seinerzeit der Pamukkale-Brunnen im Görlitzer Park in Berlin werden. Er wurde aufgrund baukonstruktiver Mängel abgerissen, ohne dass er jemals recht in Betrieb gegangen war. In einer Stadt können Symbole wie dieser Brunnen die Bindung und Verbindung der Bevölkerung bewirken. Sie reduzieren den Angstlevel durch Dinge, die von den Bewohnern geliebt werden. Für wen solche Symbole einen positiven Bezug und Bedeutung haben, für den sind sie auch identitätsstiftend. Je mehr Menschen etwas mit der Botschaft eines Symbols anfangen können, desto mehr Anziehungskraft entwickelt das Symbol. Der Abriss des Brunnens ist nunmehr ein Symbol für das Gegenteil, für eine Ablehnung, für die Äußerung des „Nichtgewolltseins“, auch wenn der Grund des Abrisses ein technischer und kein ideologischer gewesen ist.


Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter zu entdecken, heißt für die Verantwortlichen, ein Symbolverständnis zu entwickeln, das Verantwortung für die Symbole als kulturprägende Reflexions- und Projektionsfläche im öffentlichen Raum übernimmt. In den Orten und bei Objekten, die sich als Projektionsflächen eignen, indem sie die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen hervorrufen und wo Menschen sich selbst wiederfinden, lebt die Stadt. Daraus bezieht sie ihre Identität. Vor diesem Hintergrund dürfte der Abriss von Gebäuden, in denen legendäre Veranstaltungen stattgefunden haben, nicht vorrangig mit der Begründung erfolgen, dass diese Gebäude nicht mehr zeitgemäß seien. Das gilt zum Beispiel für den Abriss des Sportpalastes in Berlin, in dem Goebbels seine Rede hielt, die mit dem Aufruf zum „totalen Krieg“ und einer Hysterie der Teilnehmer endete, eine Emotionalität, die heute ohne dieses Raumgefühl kaum mehr glaubhaft erscheint. Das gilt auch für das langsame Verschwinden des Palastes der Republik und für das schnelle Verschwinden der Mauer, die Berlin geteilt hat. Das Entsetzen für solche Geschehnisse hat keinen Ort mehr.

Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt

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