Читать книгу Harlekin im Regen - Monika Kunze - Страница 5

Filmreif

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In der kleinen Bankfiliale war nicht viel los. Elvira Winter, die Kassiererin, war beim Geldzählen, wie immer, wenn der Feierabend in greifbare Nähe rückte.

Als einzige Kundin stand Oma Lamm noch am Schreibpult. Sie sah nicht mehr so gut, aber schaffte es dennoch, jeden Freitag um diese Zeit eine kleine Summe von ihrer Rente abzuheben. Die Angestellten wussten, dass Ilse Lamm dazu nie an den Geldautomaten ging, obwohl das Ausfüllen des Formulars für ihre gichtknotigen Finger auch keine leichte Angelegenheit mehr war. Diese Mühe nahm sie notgedrungen auf sich. Plastikkarten waren ihr zuwider und Geheimzahlen konnte sie sich nicht merken. Sollten jene doch geheim bleiben bis in alle Ewigkeit.

So füllte sie, die Zungenspitze zwischen den Lippen und mit der neumodischen Technik hadernd, den Auszahlschein aus.

„Fertig“, murmelte sie, wedelte mit dem Formular, als müsste erst noch die Tinte trocknen und machte sich auf den Weg zum Schalter. Gleich würde Frau Winter ihr das Geld herüberreichen.

Doch plötzlich glitten hinter ihr die Flügel der Glastür surrend auseinander. Sie drehte sich um, denn das war für diese Zeit sehr ungewöhnlich. Ein langer Mann in langem Mantel, mit wehender Mähne und Bart stürmte sogleich an ihr vorbei zur Kasse.

Na, so geht das aber nicht, dachte sie und trat beherzt auf den Langen zu. Sie konnte Vordrängeln nicht ausstehen. Doch ein Blick in seine Augen ließ sie erstarren. Sie holte tief Luft und nahm dabei den scharfen Geruch von Halsbonbons wahr. Dabei hatte der Mann nicht einmal den Mund geöffnet. Schweigend schob er einen Zettel über den Tresen. In riesigen Druckbuchstaben stand dort zu lesen: ICH SCHIESSE SOFORT, WENN SIE ALARM GEBEN! ALLES GELD IN DIESE TASCHE!

Als Elvira Winter nicht reagierte, drehte der Lange den Zettel um.

Jetzt hielt sich die Kassiererin den Mund zu, um nicht vor Schreck zu schreien. Sie glaubte wohl ihren Augen nicht zu trauen, so groß waren sie geworden.

Auch Oma Lamm wagte es nicht, ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Sie war erst neulich bei einer Schulung für Senioren gewesen, wo ein Polizist einen Vortrag über das Verhalten älterer Menschen bei Einbrüchen und Überfällen gehalten hatte. Sie hatte sich nicht alles merken können, aber die Hauptaussage schon. Sie lautete: Ruhe bewahren und nicht den Helden spielen wollen. Anderenfalls könne das lebensgefährlich sein. Wer hätte das gedacht, dass sie wirklich einmal in so eine vertrackte Situation kommen würde? Sie zählte innerlich von eins bis zehn und spürte, wie ihre gewohnte Gelassenheit zurückkehrte.

Die Stille im Schalterraum wurde bedrohlich. Frau Winters Hand suchte den Alarmknopf, zuckte aber sofort zurück. War ihr Blick etwa auf eine Pistolenmündung gefallen? Na, freilich, was denn sonst?

Die alte Dame hätte nie geglaubt, dass ein so kleines Loch eine so große Angst verbreiten könnte. Sie zitterte mit der Kassiererin, als diese die Geldbündel in die Tasche warf.

Sie glaubte, ihr eigenes Herzklopfen und das von Frau Winter zu hören.

Den Mann störte das offenbar nicht, er ließ sich immer mehr Geld auszahlen, während er die beiden Frauen mit seiner Pistole in Schach hielt. Oma Lamm wurde ungeduldig. Wozu brauchte der so viel Geld auf einmal? Konnte er es nicht in kleinen Beträgen abheben – wie sie?

Irgendetwas hatte er jetzt gesagt – aber das hatte sie nicht mitbekommen.

Ständig fielen ein paar Scheine daneben, Oma Lamm bückte sich und legte sie in die Reisetasche.

Das irritierte den Bärtigen so sehr, dass er Tasche und Geld hastig an sich zog.

„Keine Dummheiten!“, bellte er.

Seine Beute in der linken, die Pistole in der rechten Hand, taumelte er rückwärts zur Tür.

Aber Oma Lamm war schneller und hakte ihren Gehstock in seine Kniekehlen, so dass der Mensch die Balance verlor und lang hinschlug. Dabei verlor er die Pistole.

Das sah so komisch aus, dass Frau Winter laut zu lachen begann und ihre Hand problemlos den Alarmknopf drücken konnte.

Unterdessen hatte Oma Lamm die Pistole aufgehoben und bedrohte nun ihrerseits den Bankräuber. Als sie die Kamera über ihren Köpfen entdeckte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Aha, hier wurde ein Film gedreht, ein Krimi!

Angesichts der Polizisten ließ die alte Frau die Pistole fallen und stupste sie mit ihrem gesunden Fuß in deren Richtung. So kannte sie es schließlich aus dem Fernsehen.

In dem Moment klickten auch schon die Handschellen. Plötzlich hatte ein Polizist Perücke und Bart des Unholds in der Hand.

Jetzt wusste Oma Lamm, wo sie diese Augen schon einmal gesehen hatte. Sie ging hin zu ihrem Enkel, der die Rolle des Bankräubers übernommen hatte, strich ihm über seine verschwitzten Haare.

„Warst ganz gut in deiner Rolle, Lars, aber ich auch, nicht wahr?!“

Beifall heischend sah sie sich um und verschwand mit hocherhobenem Kopf durch die surrenden Glastüren. Diese schienen zu sagen: „Danke für Ihren Besuch, beehren Sie uns bald wieder!“

Dass Lars etwas von einer Reise murmelte, die er seiner Großmutter schenken wollte, hörte die alte Dame schon nicht mehr.


*


Harlekin im Regen

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