Читать книгу "Erdenstaub und Sternenglitzer" - Monika Starzengruber - Страница 5
Der Sommer
Оглавление"Ach, käme doch ein Mensch, der mich umschneidet", seufzte es, "bestimmt wäre das nicht so schmerzvoll, wie dieses zum Außenseiter abgestempelte dahinsiechen."
Das Bäumchen war so traurig, dass es nicht mehr trauriger werden konnte. Die aufmunternden Zusprüche seiner Baumgenossen auf der Wiese hörte es längst nicht mehr. Irgendwann hörte es sogar auf zu jammern und stand nur mehr stumm, wie leblos da.
Zauberfee Line hatte das Bäumchen nicht vergessen und hielt ihr versprechen. Überraschend stand sie eines Tages vor ihm und fragte: „Wie ist es dir ergangen, Bäumchen?“
Das Bäumchen aber reagierte nicht. Dafür vermeldeten die danebenstehenden: „Am liebsten wäre es tot. Keine einzige Blüte hat es bekommen.“
Da bekam Line Mitleid mit dem Bäumchen und sie überlegte, was sie wohl machen könnte, um dem Baum seine Lebensfreude zurückzugeben. Nicht lange und sie wusste, wie sie dem Bäumchen helfen konnte, ohne dass sie zu sehr in sein Schicksal einzugreifen brauchte, denn das wollte sie auf keinen Fall. Aber damit musste sie warten, bis es dunkel wurde. Denn dazu brauchte sie die Hilfe von Adminus, dem Stern, der nur zu einer bestimmten Stunde in der Nacht seinen goldenen Sternenstaub verlor und weit über das Universum verbreitete.
Als die Nacht und die Stunde gekommen war, sah Zauberfee Line an die Stelle wo Adminus seinen Lieblingsplatz am Himmel hatte und bat: „Adminus, pustest du deinen Sternenstaub heute ausnahmsweise nur in meine Richtung? Ich brauche nämlich ziemlich viel davon, weißt du?“
Und als Adminus gehört hatte, wofür Line seinen Staub benötigte, strengte er sich doppelt an.
Er pustete, was das Zeug hielt. Line nahm ihren Zauberstab und hielt ihn in seine Richtung hoch. Der Zauberstab tat, wie von Line befohlen und zog in zauberhafter Weise den glänzend goldenen Sternenstaub magnetisch an. Die Spitze des Zauberstabes verwandelte sich im Nu zu einem dicken Goldstaubknäuel. Und als Line meinte, genug angesammelt zu haben, schwenkte sie den Zauberstab ein paar Mal in der Luft, sodass die Sternenstaubschnur abriss und sich der überflüssige Staub wieder zurück in das Universum verflüchtigte. Den Sternenstaub an ihrem Stab allerdings streute sie über das kleine Apfelbäumchen, sodass seine Baumkrone schillernd golden zu glänzen begann.
Line bewunderte ihr Werk ausreichend, war mit sich zufrieden und rief: „Vielen Dank, Adminus. Ohne dich hätte ich das nie zustande gebracht!“
"Dir immer zu Diensten, kleine Line", antwortete Adminus bescheiden, "doch nun muss ich weiter. In dieser Nacht habe ich noch einen weiten Weg vor mir."
Nächsten Morgen, als die Vögel den Tag einsangen, wehte der Wind das erstaunte Raunen aller Bäume über die Obstplantage, das an Lautstärke zunahm, je länger es andauerte. Es wurde so laut, dass selbst das junge Obstbäumchen es nicht mehr ignorieren konnte, aus seiner Lethargie gerissen wurde und fragend um sich blickte. Und als es schließlich begriff, dass die Aufmerksamkeit Aller ihm galt, sah es an sich hinab und war erst einmal nur überrascht.
"Ist mir statt der Blüten nun dieses goldene Kleid gewachsen?", fragte es verunsichert und gar nicht glücklich.
Zauberfee Line war enttäuscht. „Ich dachte, ich mach dir damit eine Freude“, meinte sie.
"Du bist nett, ich danke dir. Der Staub an meinen Ästen ist sehr schön. Sieht aus, wie die Strahlen der Sonne. Ich glänze und ..."
"Ja?", fragte Line nach, weil das Bäumchen verstummt war.
"... und sehe ganz anders aus, als die anderen Apfelbäume."
Line lachte. „Ist das nicht toll?“
"Anders ausgesehen als die anderen habe ich schon. Was soll daran toll sein?"
"Du gefällst dir nicht?"
"Doch. Ja. Natürlich. Aber noch schöner wäre ich, wenn ich Blüten hätte, wie die Bäume neben mir."
Line zog wegen der Undankbarkeit des Bäumchens ein klein wenig verärgert die Nase kraus.
"Sag, wenn du mir goldenen Staub schenken kannst, kannst du mir dann auch Blüten schenken?"
"Natürlich könnte ich, wenn ich wollte."
„Willst du? „
Line zögerte. Ich weiß nicht. Es hat alles seinen Sinn. Vielleicht ist es nicht gut für dich, schon Blüten zu bekommen.“
"Warum soll das nicht gut sein für mich? Es ist doch meine Bestimmung."
Diese Worte überzeugten Line auch nicht. Doch das Apfelbäumchen sah so traurig drein, dass Line ihren Zauberstab ein paar Mal in der Luft kreiste und Sekunden darauf war es in wundersamer Weise voll von weiß-rosa Blüten. Ein erfreuter Aufschrei Aller ging über die Obstbaumwiese, als sie dieses Wunder miterlebten. Fassungslos sah das kleine Obstbäumchen an sich hinunter. Und als sich Sekunden später die ersten Bienen einstellten, um den köstlichen Nektar seiner Blüten zu trinken, schrie es juchzend: „Danke, danke du gütige, wunderbare Freundin. Du hast mir das Leben gerettet. Ich bin ja sooo glücklich. Ich bin das glücklichste Bäumchen der Welt.“
Zauberfee Line freute sich mit dem kleinen Baum. Aber nur kurz. Denn sie wusste, sie musste dem Bäumchen etwas beichten was ihm wahrscheinlich nicht sehr gefallen würde. Doch das hatte Zeit. Zumindest bis es dunkel wurde wollte sie dem Bäumchen seine Freude lassen.
"Juhuuu", juchzte das Bäumchen, "nun bin ich ein richtiger Apfelbaum!"
Den restlichen Tag verbrachte das Apfelbäumchen damit, indem es mit hunderten von Insekten, die es mit seinem Blütenduft anlockte, Freundschaft schloss. Es nahm teil an den Geschehnissen der anderen Bäume auf der Wiese und freute sich seines Lebens. Und als schließlich die Nacht einsetzte, war es zum ersten Mal so richtig müde geworden. Gesund müde.
"Du wirst sehen, liebste Freundin, bald habe ich viele gute Äpfel an meinen Ästen. Wie ich mich darauf freue", schwärmte das Bäumchen Line vor.
Die druckste herum, wollte nicht so recht herausrücken mit der Sprache, gab sich schließlich einen Ruck und antwortete: „Das wird wahrscheinlich so nicht kommen, Bäumchen.“
"Doch wird es. Du wirst sehen. Die Blüte wächst zur Frucht, das weiß doch jeder Baum."
"Im Normalfall schon, aber in deinem ..."
Da stutzte das Apfelbäumchen und fragte: „Was soll das heißen?“
"Na ja, wie soll ich es nur sagen."
Nun bekam das Bäumchen Angst. „Was wird mit mir geschehen? Ist es sehr schlimm?“
Würde es gar bestraft werden für seinen Wunsch, früher Blüten ansetzen zu wollen, als die Natur es dafür ausersehen hatte?
Beruhigend winkte Line ab. „Nichts wird dir geschehen. Du wirst nur bald wieder aussehen wie vorher, das ist alles.“
Das Bäumchen verstand nun gar nichts mehr.
"Weißt du, in meinen Zauberkünsten bin ich noch nicht sehr gefestigt. Ich benötige noch viel Übung, bis ich soweit bin, dass meine Zaubereien ewig anhalten. Deshalb befinde ich mich ja gerade auf Erkundungsreise. Deine Blüten werden bald verschwunden sein, denke ich."
"Oh je. Und wie lange werde ich mich an meinen Blüten noch erfreuen können?"
Line überlegte. „Hm. Das kann ich nicht so genau sagen. Aber die Sonne werden sie wohl nicht mehr sehen.“ Das wusste sie aus Erfahrung.
Das Bäumchen schwieg betroffen.
"Bist du jetzt sehr traurig?"
"Na ja, freilich, schon." Aber vielleicht irrte sich Line ja, hoffte das Bäumchen, und ihre Zauberei würde gerade bei ihm zum ersten Mal ewig anhalten.
Obwohl das Apfelbäumchen es sehnlichst nicht wünschte, traten die Voraussagungen von Zauberfee Line ein. Nächsten Morgen stand es unter allen anderen wieder so kahl da, wie vorher. Den Vorschlag nochmals durch Zauber Blüten zu erhalten, lehnte das Bäumchen dankend ab. Eine Blüte diente dazu Frucht hervor zu bringen. Wie aber sollte eine Blüte zur Frucht werden, wenn sie täglich aufs Neue verschwand?
Den ganzen Frühling über konnte das Apfelbäumchen sich aus seiner Traurigkeit nicht mehr erholen, nun doch anders zu sein, als alle anderen.
Erst als die umherstehenden Bäume ihre Blüten verloren hatten und das kleine Bäumchen sich nicht mehr groß von den anderen unterschied, ging es ihm besser. Schlimmer wurde sein Gemütszustand erst wieder, als es mit ansehen musste, wie alle Baumgenossen auf ihren Ästen Früchte ansetzten und einen saftigen Apfel nach dem anderen hervorbrachten. Daneben selbst so gar nichts machend, kam sich das kleine Apfelbäumchen nutzlos vor. Nicht nur, dass es keine Insekten mit Blütenstaub ernähren konnte, noch weniger war es in der Lage Würmer mit Früchten zu sättigen, geschweige denn Menschen.
„Warum muss gerade mir das passieren“, jammerte das Bäumchen wieder verzweifelt.
Und als der Bauer mit seinen Gehilfen vorbeikam, um ihn auf seinen Gesundheitszustand zu inspizieren, wünschte es, dass er die Säge nehmen würde und ihn umsägte.
Zauberfee Line schnürte es ins Herz den kleinen Baum so leiden zu sehen. Sie machte alles was in ihrer Macht stand, um ihn zu ermutigen. Noch im Spät-herbst, als alle Bäume ihre Blätter verloren hatten, weil der Winter vor der Tür stand, tröstete sie: „Du musst Geduld haben. Nächsten Frühling werden auch dir Blüten wachsen.“
"Es wird sich zeigen", sagte das Bäumchen traurig.
Der Winter
Langsam aber allmählich richtete es sich ernsthaft auf den langen Winterschlaf ein. Der kam gerade recht. Im Schlaf musste es wenigstens nicht traurig sein.
Zauberfee Line sang den Baum besänftigend in seine winterliche Erstarrung. Dann machte sie sich auf, das Reich der Feen heimzusuchen, wo ihre Schwestern lebten. Aber nicht ohne den Vorsatz nächsten Frühling nach dem Bäumchen sehen zu wollen.
Der Winter ließ sich diesmal lange nicht vertreiben. Er wütete und tobte sich bitterkalt aus. Als wüsste er von den Sorgen des Bäumchens und als würde er gerade deswegen seinen Schlaf verlängern wollen. Durch sein heftiges Toben verlor er immens an Potenzial und bald musste er, ob er wollte oder nicht, seinem Nachfolger dem Frühling weichen. Monatelang in Ruhefase gewesen, löste der ihn nur zu gern ab. Die Sonne trug das Ihrige dazu bei und schickte ihr wärmendes Strahlen über die teilweise noch gefrorene Erde. Die Pflanzen spürten ihre Wärme, sprossen in neu erwachter Energie und formten ihre Knospen allmählich zu Blüten. Jeden Tag ein bisschen mehr. Die Tiere schäumten über vor Lebensenergie und bereiteten sich mit Tatendrang auf Nachwuchs vor und bei alledem unterstützten die Vögel sie mit ihrem unermüdlich fröhlichem Gesang. So emsig und so laut, dass schließlich auch das kleine Apfelbäumchen erwachte. Verschlafen sah es um sich. Es sah in ein Meer von Blüten seiner Standgenossen auf der Wiese. Und schon fiel ihm sein Leid des Vorjahres und dem Jahr davor und wieder davor ein. Es war drauf und dran erneut zu verzweifeln, als es eine ihm gut bekannte Stimme hörte: „Na, was sagst du nun?“
Zauberfee Line stand zu seinen Wurzeln und lachte übermütig.
"Was soll ich wozu sagen?", fragte das Bäumchen, da es durch seinen langen Schlaf noch nicht richtig denken konnte.
"Wir brauchen nicht mehr zu zaubern, du hast deine Blüten ganz von allein bekommen."
Da sah das Bäumchen an sich hinab, konnte es kaum glauben, sah fort, wieder an sich hinab, schließlich begriff es dass es doch stimmte.
Es war über und über voll mit gut duftenden Blüten bewachsen. Eine Zeit lang war es sprachlos vor Überraschung, bis es endlich stammelte: „Ist es … nein … wirklich ohne Zauberei?“
Line lachte.
"Ich hab dir doch gesagt, dass alles seinen Sinn hat. Du warst für Blüten einfach noch zu jung."
"... und ... ich kann die Blüten wirklich behalten? Sie verschwinden nicht wieder?"
„Keine Spur von verschwinden, du wirst es erleben. Aber wenn du willst, kann ich die schönen Blüten ja wegzaubern.“
Das Bäumchen erschrak. „Unterstehe dich! Wo ich doch so überglücklich bin endlich echte zu haben.“
Line lachte wieder und sagte: „Ja, irgendwann kommt für jeden der richtige Zeitpunkt. Man muss eben Geduld haben. Zauberei ist dann völlig überflüssig. Eigentlich schade, wo ich so gerne zaubere.“