Читать книгу Mein Chef und andere Hürden - Monika Starzengruber - Страница 3

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Kapitel 3

Mittags war ich mit Simba verabredet. Ursprünglich gelüstete es mich, durchzuarbeiten, doch der traurige Klang ihrer Stimme am Telefon erreichte mein freundschaftliches Herz. Bereit, anzuhören, was ich mir denken konnte, stapfte ich verspätet zu Fuß durch den Schneematsch. Mit dem Auto wäre die Strecke zwar wärmer gewesen, aber auch länger, bei der chronischen Parkplatznot in Wels. Es war wie verhext, jede Ampel signalisierte an jeder Kreuzung die Farbe, die sich komischerweise immer dann zeigte, wenn man es eilig hatte. Rot. Ungeduldig trippelnd darauf wartend, dass die Ampel auf Grün umschaltete, beruhigte mich der Gedanke, dass Simba anhänglich war wie ein Hund, wenn ihr was unter den Fingernägeln brannte. Und durch Verspätung ihres Date-Partners gewiss nicht frühzeitig verloren ging. Außerdem war nach sechs Kreuzungen, die rot anzeigten, die Zielflagge ja in Sicht. Das Restaurant war vollgestopft mit Gästen. Trotzdem der Saal gut zu überblicken war, konnte ich Simba mit ihrer hoch toupierten Mähne in der Menge nicht gleich ausfindig machen. Bis sie aufstand und mir vor einem runden Tisch, an dem höchstens drei Personen Platz fanden, zuwinkte. Er befand sich in der Mitte des Lokales, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als mich durch die sitzenden durchzuzwicken. Was sich als problematisch erwies, da die Stühle beengt beieinanderstanden und sich teilweise berührten. Außerdem behinderten mich, nebst meiner eigenen Winterjacke, die Mäntel der Gäste über den Stühlen hängend.

„Hast du schon bestellt?“, fragte ich prustend, aber endlich sitzend. Sich dünner zu machen, als die eigenen Kilos es erlaubten, um sich durchzwicken zu können, glich einem Unterwassermarathon, der schlauchte.

„Wo denkst du hin? Wenn ich den Platz verlasse, wird er womöglich von jemand anderem beschlagnahmt“, schnaubte Simba entrüstet. Ihr Kontra erinnerte mich, dass wir in einem Selbstbedienungsladen saßen und man besser wirklich einen Unterwassermarathon in Angriff nähme, als sich durch dieses Lokal noch einmal durchzuzwängen, um Essen zu holen. Darüber hinaus stand ich seit vierzehn Tagen mit meinem Gewicht im Zweikampf. In Anbetracht dessen wäre es zweckmäßiger, auf Essen zu verzichten. Aber die angenehmen Düfte, aus der Küche strömend, erweckten meine Magensäfte, was mir anfängliches Magenknurren einbrachte. Nicht mehr willens meinen inneren Schweinehund in Schach zu halten, blickte ich auf die seitlich an der Wand hängende Menütafel, auf deren sämtliche Speisen aufgelistet waren. Simba entschied sich für einen doppelten Hamburger. Meine Vernunft hingegen für Salat und Gebäck. Anders entschieden hätte ich den restlichen Tag mit meinem inneren Schweinehund im Zoff gelegen.

Als wir beide das Tablett mit Essen vor uns auf dem Tisch hatten (bitte nicht fragen, wie wir das schafften) und wir tüchtig zulangten, forderte ich Simba kauend auf: „Sag schon. Was ist los.“

Im Begriff ihren Hamburger zum Mund zu führen, hielt sie inne und schmunzelte. „Sieg auf der ganzen Linie.“

„Er will sich wirklich scheiden lassen?“

Simba nickte lachend und triumphierte: „Er liebt mich als doch.“

„Er hat mit seiner Frau gesprochen?“

„Ja, stell dir vor, sie hat nichts dagegen.“

Das war ja zu schön, um wahr zu sein. Nur glaubte ich es nicht.

Simbas siegesreiches Lächeln erlosch. „Natürlich ist es traurig, dass er für unsere Liebe seine Familie aufgibt. Ich meine, seine Kinder ... und sein Familienleben.“ Sie atmete tief ein und seufzte. „Er ist ja nicht aus der Welt. Für die Kinder wird er wie bisher da sein.“

So redete für gewöhnlich jemand, der sein schlechtes Gewissen beruhigen wollte. „Dir ist nicht wohl bei der Sache, wie?“

Mit einem Schlag sah sie aus, als wäre ihr der Appetit verdorben. Der Hamburger wanderte auf den Teller zurück. „Weiß auch nicht, was mit mir los ist. Anstatt mich zu freuen, dass für alle endlich Klartext herrscht, muss ich immerzu an seine Kinder denken.“

„Ich hab sowieso nie verstanden, warum du dich an einen verheirateten Buchhalter mit Kindern klammerst, wo du in deiner Lage jeden haben könntest.“

„Hast du schon mal was von Liebe gehört? So wie du redet nur jemand, der nicht weiß, was Liebe ist.“

„So? Dann kläre mich auf. Was ist denn Liebe deiner Meinung nach?“

„Verzeihung ist hier noch frei?“

Aus unserem Gespräch gerissen, sahen wir beide auf den gut aussehenden Mann, der unsere Antwort nicht erst abwartete, sondern sein Tablett auf unserem Tisch abstellte, als gehöre er dazu. Sowohl Schal, als auch sonstige im Moment überflüssige Kleidung warf er über die Lehne des einen noch leeren Stuhls, auf den er sich dann setzte. Sein zusätzliches Tablett neben unseren überforderte die Platzkapazität der Tischplatte. Es zwang Simba und mich, unsere Essen so lange hin und her zu schieben, bis keiner mehr die Befürchtung hegen musste, dass eines vom Tisch fiel.

„Ist viel los hier“, vermeldete er lächelnd in entschuldigendem Tonfall, bevor er sich emsig über sein Menü hermachte.

Normalerweise lag mir nach so einem Blend-a-med-Lächeln und so einer Null-acht-fünfzehn-Bemerkung eine dementsprechende Antwort auf der Zunge. Irgendetwas hielt mich davor zurück. Wahrscheinlich meine Selbstbeherrschung, die ich benötigte, um meine Augen nicht immer wieder auf sein Erscheinungsbild wandern zu lassen. Er sah verdammt gut aus. Trotzdem er stets mit dem Handrücken an seiner Nase herumrubbelte und schniefte, während er genüsslich kaute. Scheinbar hatte er Schnupfen.

„Wovon sprachen wir?“, fragte ich Simba, der es offenbar ähnlich erging wie mir. Auch ihr Blick schweifte immer wieder auf diesen Mann. Auf meine Frage straffte sie sich, als hätte sie eine Tarantel gebissen und genauso hörte sich ihr Kommentar an: „Tut mir leid, geht nicht. Vielleicht ein andermal, wäre toll.“

Ich bekam den Silberblick, als hätte ich ihn bestellt. Was sie meinte und wovon sie redete, wusste der Kuckuck, ich jedenfalls nicht. Aber als kluge, angehende Abteilungsleiterin war mir sofort klar, dass in Anbetracht unseres unwillkommenen Gastes Erik als Gesprächsthema ausfiel.

„Sagen Sie, kennen wir uns nicht? Entschuldigung, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“

Er schniefte wieder. Hatte er kein Taschentuch?

Von einer komischen Oper in die nächste geschleift, zeigte mein Zeigefinger, auf meine Brust, wobei ich stotterte: „Meinen Sie mich?“ Meiner Meinung nach eine angebrachte Frage, immerhin saß ich nicht allein an dieser winzigen Platte, die sich Tisch nannte.

Er nickte. „Sie erinnern mich an jemanden.“

Na, die alt bewährte Anmache war zutiefst abgegriffen in heutigen Zeiten, mit ziemlichen Kratzern wohlgemerkt. Dennoch gefiel sie mir. Aber nie und nimmer hätte ich das zugegeben.

Simba beobachtete uns mit den Blicken einer Löwin, die vor der reißenden Schlacht ihr Opfer fixierte. Ich saß wie auf glühenden Kohlen.

Wenn man schon einmal das Glück hatte, dass sich ein toller Mann scheinbar für einen interessierte, wollte man sich souverän, witzig und schlagfertig zeigen, um ihm zu imponieren und eventuell sein Interesse zu steigern. Aber wie sollte man das von einer Sekunde zur anderen bewerkstelligen, wenn man sonst auch nicht zu den Pointenerfindern der Schöpfung zählte? Mir fielen die besten Kommentare ja meistens erst hinterher ein, abends allein im Bett, im Falle sämtliche Gespräche des Tages Revue passierten. Unter dem Druck von „so wär ich gern“, brachte ich trotz Anstrengung nur ein saudämliches Grinsen zustande. Wenigstens half mir das, Zeit zu schinden, bevor Dümmeres über meine Lippen kam, das mich endgültig blamierte.

„Irgendwo hab ich Sie schon gesehen“, spann er aus. „Wenn ich nur wüsste, wo?“ Er begann in seinen Hosentaschen zu wühlen. Gleich darauf zog er ein Taschentuch hervor, in das er geräuschvoll anhaltend hineinschnäuzte.

Simba sah aus, als fühle sie sich überflüssig und stand auf. „Muss gehen“, meinte sie, „es kommt ein Interessent, der vielleicht eines meiner Bilder kauft.“

Mir fiel das Besteck aus der Hand. „Warte, ich muss auch ...“, sprudelte es aus meinem Mund, zusammen mit einigen Essensbrocken, die auf der Tischplatte landeten. Von diesem Schönling „angemacht“ zu werden war für mich unmöglich länger zu verkraften. Ohne Simbas symbolischem Schutz schon gar nicht. Dieser Fremde brachte meine sonst so gefestigte Persönlichkeit derart ins Torkeln, dass ich mir nur noch behämmert vorkam in seiner Gegenwart. Als betagter Beziehungspleiten-Single machte ich mir natürlich nichts vor. Im mittäglichen Zeitvertreib hätte er vermutlich jede angebaggert, deren Weg er kreuzte. Eine alltägliche Sache. Nicht Wert, lange darüber nachzudenken. Schon gar nicht irgendetwas daraus zu schließen. Eine nichtssagende Zufallsbekanntschaft, die regelrecht danach schrie, sie zu vergessen.

Auf der Straße angelangt, im Schnee vorwärts stapfend, rückte mir Simba meinen verwirrten Kopf zurecht: „Wieso bist du nicht geblieben, wo ich extra das Feld räumte.“

Spinnt die? „Es genügt, dass Claudia mich verkuppeln will. Fang du nicht auch damit an.“

„Nicht nötig. Sogar ein Blinder hätte bemerkt, dass er sich für dich interessiert.“

„Sei nicht albern. Auf so eine plumpe Anmache kann ich in meinem Alter verzichten.“

Schelmisch wog sie den Kopf hin und her. „Na, na. Für mich sieht es aus, als hätte dich diese plumpe Anmache ganz schön durcheinandergebracht.“

„Unsinn“, dementierte ich das aufs Schärfste.

„Sag, ob er dich echt kennt? Manchmal beruht eine Anmache ja auf Wahrheit.“

Ich wollte nichts mehr davon hören. Trotzdem fing es im tiefsten Winkel meiner Seele zu sprudeln an. Was mich ärgerte, mir außerdem unbegreiflich war, der Mann war mir unbekannt. An ihn zu denken und gleichzeitig zu fühlen, wie ein Teenager vor dem ersten Date, kam mir drastisch albern vor. Grund genug, mir jeden weiteren Gedanken darüber zu verbieten. Auf mich wartete die Karriereleiter. Täglich umschwirrten mich Umsatzzahlen, Mankozahlen und Kundenbewertungszahlen. Dazu passte keine Liebesromanze.

Bedauernd, dass unser Gespräch in eine Richtung dementiert war, die sich so gar nicht als hilfreich erwies, hinsichtlich Simbas Problems, sagte ich: „Haben wir schon mal darüber gesprochen, dass jeder in unserem Universum das magnetisch anzieht, was er denkt und das, was er denkt, lebt?“

Unmutig zog Simba ihre Stirn in Falten. „Vorträge über esoterische Lebensweisheiten sind mir ein Gräuel, das weißt du. Noch mehr, bei dieser Kälte.“

Durch die Winter-Minusgrade zitternd stellte sie ihren Kragen auf. „Aber wie ich dich kenne, hält dich das auch nicht ab, mich zu bekehren.“

„Keine Angst, auf offener Straße ist mir das bei dieser Jahreszeit zu ungemütlich.“

Wir lachten. Danach erfüllte mich eine gewisse Ernsthaftigkeit. „Dachte, du bist meine Freundin.“

Simba wirkte eingeschnappt. „Bin ich auch.“

„Dann müsstest du wissen, dass mir alle Männer gestohlen bleiben können ...“, mit dem Daumen zeigte ich zum Restaurant zurück, „... und dieser Schönling nicht für mich bestimmt ist, weil ich das so will.“

„Okay, okay. Warum steigerst du dich in die Sache überhaupt so hinein?“

Ich stutzte. Tat ich das? Ein paar denkwürdige Sekunden folgten, bevor meine verwirrten Sinne es wieder zuließen, meine Gedanken auszusprechen. „Wir reden abends darüber, okay?“

Simba zuckte die Schultern. „Vielleicht. Kommt darauf an, wie lange Erik bleibt.“

„Meldest du dich?“

„Mach ich.“

Das Frostwetter ließ ihre Nase schon rot werden. Dennoch musste noch Zeit sein, meine Hand freundschaftlich auf ihren Arm zu legen und ihr Problem nochmals anzusprechen: „Hör auf dein Herz, Kleine. Es sitzt am richtigen Fleck und weiß, was gut für dich ist.“

Kaum ausgesprochen überkam mich das Gefühl, mit diesen Worten zu tief in den Schmalztegel gegriffen zu haben. Oder? Doch nicht. Denn Simba nickte gerührt, ein lang gedehntes „hmm“ von sich gebend.

„Tschüss, meine Liebe.“

Nach einer kurzen Umarmung war das Thema Beziehungen gottlob erst mal erstarrt.

Einen Fuß voran gesetzt, um zur nächsten berufsmäßigen Herausforderung zu eilen, dudelte mein Handy in der Handtasche. Ich wühlte, suchte, fand und drückte schließlich auf den Verbindungsknopf, ohne nachzusehen, wer dran war, was sich als bedeutender Fehler herausstellte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Spuk aus einem längst vergangenen Leben, der mit regelmäßiger Sicherheit immer wieder auftauchte. Nur das Gefilde der Seligen wusste, wann sich der leidige Geist endlich in nichts auflöste. Kurt, mein Ex-Mann. Ich wünschte ihm nichts, was er sich nicht selbst wünschte, jedoch stieg mit jedem Telefonat, das ich mit ihm führte, der Wunsch in mir, dass er sich endgültig und besiegelt ins Land der Bananen verpissen würde.

„He Baby, gut, dich zu erreichen.“

Diese Leier war mir bekannt. Schon überlegte ich, ob ich diesmal vorsichtshalber einen Psychiater oder die Lebenshilfe zu Rate zu ziehen sollte. Bei aller „Liebe“ aber auch mir gingen irgendwann die Sprüche aus, die in höhere Schwingungen stimulierten. Noch deutlicher zeigte sich dieses Phänomen, wenn die Sprüche für Kurt gedacht sein sollten.

„Ist es wieder so weit?“

„Die blöde Kuh hat mich ausgesperrt.“

War zu erwarten. Gott, bitte, lass ihn nicht sagen, was ich denke, dass er sagen will.

„Kann ich heute bei dir pennen?“

Er hat es gesagt. Gott scheint auf Mittag zu sein, wie ich.

Ja, natürlich, ginge locker. Nur kam es nicht in Frage. Zu gut war mir sein letztes Bei-mir-Pennen in Erinnerung, wo er mir abverlangte ihn nach Tagen gewaltsam vor die Tür zu setzen, um seine Kletten von mir wieder loszuschweißen.

Trotzdem um Verträglichkeit bemüht stellte ich klar: „Diese Woche ist Full House bei mir, Kurt, nur mehr die Badewanne ist frei.“ Das war leicht dahin gesprochen. Leider ohne zu überlegen. Froh, dass mir in der Schnelle überhaupt was eingefallen war, was nicht auf Anhieb nach Ausrede klang, war ich überzeugt, ihn damit abgewimmelt zu haben.

„Prima, passt für mich. Bis heute Abend, Baby.“

Aufgelegt. „Verflixt!“ Geschah mir ganz recht. Wieso gelang es mir nicht einmal, ein schlichtes „Nein“ zu sagen, wenn ich „nein“ meinte. Zurückzurufen, um abzusagen, brachte nichts. Kurt würde nicht abheben. Der Gedanke, mit ihm die Nacht zu verbringen, ließ mich erschaudern. Eine Idee, wie sich dieses Horrorszenario abwenden ließ, stellte sich nicht ein.

„Monika!“, rief eine Passantin hinter meinem Rücken. Scheinbar hatten sich Bekannte getroffen. Trotzdem ich den fremden Stimmen, sowie dem anschließenden Begrüßungsgeschehen nicht länger als nötig meine Aufmerksamkeit schenkte, hinkte mein Denken dem gerufenen Namen „Monika“ hinterher. Dabei schoss mir Monika Kilius, meine esoterisch interessierte Seminarfreundin ein. Na ja - Freundin war zu viel gesagt. Bekannte traf es besser. Vielleicht lebte sie noch solo? Meiner Meinung nach kam dieser gnädige Fingerzeig von meinen himmlischen Helfern. Ein gehauchtes „Danke“ ans Universum für diesen grandiosen Einfall war somit fällig.

Schon drückte ich die Tasten meines Handys. Nach den ersten Signaltönen erfasste mich eine gewisse Unruhe. Umso inbrünstiger vereinnahmte mich der Wunsch, dass Monika abheben würde. Nach drei weiteren Rufzeichen erfüllte mich die Befürchtung, dass es das gewesen war, als unerwartet dann doch ihre erfreute Stimme erklang: „Hallo Rena, schön, dass du anrufst. Hast du das Buch von Angerbauer und Kilian „Befreiung von negativen Wesen“ schon gelesen?“

In Anbetracht der Zurechtlegungen meiner weiblichen List, die bezüglich Kurt einzusetzen vonnöten war und die mich noch voll in Anspruch nahmen, kam ich nicht gleich darauf, was sie meinte. Darum wiederholte ich ihre Worte leise. Befreiung von negativen Wesen? Was für ein Zufall, wegen so eines Wesens rief ich an.

„Wenn nicht, leihst du es mir trotzdem?“

Die Götter hatten ein Einsehen.

„Kurt bringt es dir heute noch vorbei.“

„Kurt? Wer ist Kurt?“

„Ein selten lieber Kerl.“ Das Universum möge mir diese Lüge verzeihen.

„Was Ernstes?“

„Nein, nur ein Freund, nichts weiter. Es trifft sich gut, er wollte dich ohnehin kennen lernen.“ Dass er das wirklich wollte, brachte ich ihm schon noch bei - irgendwie. Nebenher schickte ich ein Stoßgebet ins All, um nun nicht hören zu müssen, dass sie fest vergeben sei.

„Ach ja? Okay. Ab acht bin ich zu Hause.“

Ich atmete auf.

„Wieso hast du eigentlich angerufen?“

Heiß. Kalt. Mir stockte der Atem. „Äh ... ja ... warte ... das ... Seminar, ... ja genau, wegen des nächsten Seminars, wie heißt es noch?“

„Die Erde und ihr spiralenförmiger Aufstieg ins Wassermannzeitalter.“

„Richtig. Wann sagtest du ist der Vortrag?“

„Kommenden Samstag 18 Uhr im Weidingerhof.“

„Alles klar.“

„Vergiss nicht, mir das Buch vorbeizuschicken. Ich brauche dringend Lesestoff.“

Diese Mahnung hätte es nicht gebraucht, wo ich noch dringender einen Notnagel brauchte und innerlich bereits jubilierte, die Lösung der Lösungen gefunden zu haben. Mit ein wenig Glück richtete sich Kurt bei Monika häuslich ein und kam nicht wieder. Das Non-Plus-Ultra, multipliziert mit dem Tüpfelchen auf dem i, ergab summa summarum - ein Pärchen.

Ich war ein Genie! Stutz. Und eine Kupplerin. Warum fiel mir Claudia plötzlich ein?

Wie immer fand die Besprechung im Konferenzzimmer statt. Wir Abteilungsleiter breiteten die dazu benötigten Unterlagen vor uns auf dem Tisch aus und warteten auf Dorner. Der, wie üblich, seinem Auftritt den nötigen Stellenwert verlieh, indem er vorerst durch Abwesenheit glänzte. Manchmal hielt dieser Status einschläfernd lange an. Bis er dann abgehetzt mit hochrotem Kopf erschien, seine Ringmappe auf den rechteckigen Tisch schnalzte, sodass wir ausharrenden alle wieder aufwachten.

„Unser heutiges Ziel ist es ... äh ... uns über die Umsatzsteigerung der einzelnen Bereiche, die Kundenzufriedenheit ... äh ... und dem wichtigsten Punkt, die Freundlichkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Kunden ... äh ... Gedanken zu machen.“

Der Einstieg seiner Reden glich sich stets aufs Haar. Nämlich kam nie, auch nur in minimalster Weise, die Andeutung einer Entschuldigung über seine Lippen, nach einer derartigen Versetzungsphase. Getreu nach dem schlauen Büchlein, das jeder in der Chefetage las, irgendwann: Als Chef darfst du Fehler machen, aber du darfst sie niemals zugeben.

„Frau Starz ... äh ... wir beginnen mit Ihrer Abteilung. Lassen Sie Ihre Kennzahlen hören.“

Eifrig blätterte ich mich durch meine vorliegenden Schmierzettel, um den herauszufischen, worauf die begehrten Ziffern standen und staunte nicht im Geringsten, als Dorner nach deren Bekanntgabe sagte: „Der Umsatz ist viel zu niedrig und das Manko ... äh ... viel zu hoch.“

Ein Faktum, das mir bekannt war und meinen Adrenalinspiegel nicht die Spur ins Wanken brachte. Zum Staunen kam ich erst, als Dorner mir einen Vorschlag unterbreitete, um den Umsatz, wie er dementierte, schlagartig steigen zu lassen.

„Aktiv verkaufen.“

Seiner Meinung nach war das der Schlüssel zum Erfolg. Aktiv verkaufen sagte mir zuerst gar nichts, bis Dorner sein Vorhaben ausschmückte: „An unseren verkaufsstärksten Tagen, sprich Wochenenden, konzentrieren wir uns ... äh ... auf einen Artikel, den wir groß und breitflächig platzieren. Wir bieten den Kunden die Ware persönlich, im Zuge einer Verkostung zum Kauf an, ... äh ... damit er gleich schmeckt, was er ... äh ... kaufen soll.“

„Mit einem Wort, wir in der Obstabteilung werden zu Marktschreiern“, folgerte ich unüberhörbar, in der Annahme, ihn falsch verstanden zu haben.

„Nicht direkt, aber ... äh ... so in der Art.“

Das war das Himmelschreiendste, was ich je gehört hatte. Es war der Hammer. Aber der Überhammer war der Film, den wir uns anschließend als Vorbild „hineinziehen“ durften. Worin ein Fischstand vorgeführt wurde, deren Angestellte sich nicht zu knapp in Szene setzten, indem sie die Fische zur Unterhaltung der davor stehenden Kunden in die Luft, warfen, sie auffingen und in einem Ton anpriesen, der jeden Rummelplatzsteher neidisch werden ließ.

Nebenbei gaukelte ich mir vor, wie wir unsere Äpfel, Birnen, Bananen und Salate durch die Gegend schupften. Wie das Obst und Gemüse durch Missgriff auf den Boden landete oder aus Versehen auf den Köpfen der Kunden. Kaum zu Ende gegaukelt prustete ich los vor Lachen. Letztlich rang ich mir unter den fragenden Blicken meiner Kolleginnen und Dorner ab: „Für diese Art von Verkauf bin ich eindeutig zu bald geboren.“

Schließlich waren wir ein Selbstbedienungsmarkt und keine Witzbude. Doch als loyales „Betriebsinventar“ hatte man natürlich umzusetzen, was Dorners Kopf ausbrütete. So war es mir auferlegt, die neu erworbenen Kenntnisse für den Verkauf an meine untergebenen Hirten von Obst und Gemüse weiterzugeben. Auf die Frage von Janina: „Wer soll das machen?“, bekam sie die zart besaitete Zukunftsmusik von Dorner zu hören. „Jeder.“

Das war nicht leicht durchzuführen, denn, jeder scheute sich vor dem intimen Kontakt zum Kunden, freiwillig meldete sich keiner dafür. Beim Austeilen des Selbstvertrauens nach der Geburt schien keiner meiner Kolleginnen zum Schreihals geworden zu sein. Ein Zustand, der mich zwang, ein Machtwort zu sprechen. Ein Klipp und Klares. Ein Chefmäßiges sozusagen. Wo käme man hin, ließe man die Drückebergerei durchgehen. Also teilte ich fürs Erste, zum nächsten Freitag - mich ein. Nach dem Leitspruch: Gehe mit gutem Beispiel voran. In der Hoffnung, dass meine lieben Mitarbeiterinnen den Wink verstanden.

Auf dem aktiven Verkaufsplan standen Ananas feil. Ich steckte saftige, appetitlich mundgerechte Würfel auf Zahnstocher und platzierte sie igelig liebevoll aufs Serviertablett, damit der Kunde sie flugs genießen konnte, wenn er wollte. Postierte mich damit vor die Ananaspyramide, die wir frühmorgens mitten in die Abteilung konstruiert hatten, und spähte optimistisch sowie verkaufsgeil nach meinen ersten „Opfern“.

Noch trotteten sie recht spärlich an. Aber das hatte auch sein Gutes, so entkam niemand meinem Verkaufsgenie. Der ersten Kundin, die mein Territorium betrat, hüpfte ich beflügelt vor die Füße, motiviert meinen einstudierten Text herunter zu spulen: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“

Die Frau winkte ab. „Nein danke. Habe gerade gefrühstückt.“

Auch gut. Dieser kaum spürbare Dämpfer an den genialen Verkäufer in mir haute mich stehenden Fußes nicht um. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, auf ein Neues, dachte ich beflissen. Lauernd fixierte ich ein älteres Ehepaar gegenüber, das gemütlich abschätzend Tomaten einsackte. Die sahen mir aus, als bräuchten sie eine Ananas. Guten Mutes bewegte ich mich auf sie zu und streckte ihnen flötend das Tablett mit den saftigen Würfeln vor die Nase: „Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Ananas zum Kosten anbieten?“ Der grauhaarige Herr smylte und näselte: „Das ist lieb von Ihnen, aber mein Magen verträgt die Säure nicht.“

Abwartend lächelnd konzentrierte ich mich auf die sorgfältig zurechtgestylte Dame an seiner Seite. „Danke.“ Sie schüttelte den Kopf. Unbegreiflich. Mein Lächeln erstarb. Ich war verstimmt und nahe daran herauszuschreien: warum nicht! Besann mich gerade noch, denn schon kam der wahre Abnehmer des Weges. Ein junger Mann, spindeldürr, geschätzter Vegetarier.

„Wollen Sie kosten?“, fragte ich, schon kürzer angebunden, ihm den Köder vor sein Antlitz haltend, mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich preisgab, was ich dachte. Nämlich: Wage es nicht, nein zu sagen. Unverkennbar eingeschüchtert griff der Dürre zu, was purer Balsam für meine Verkaufsseele bedeutete. Hastig, als würde er lieber das Weite suchen, führte er die Frucht auf dem Stocher an seinen geöffneten Mund. Doch noch bevor er das Stück hineinschob, purzelte es zu Boden. „Oh“, entfuhr es mir, bückte mich, um das Missgeschick auszumerzen. Während ich in Hocke ging, um die Frucht aufzuklauben, dabei emsig versuchte das Serviertablett in meiner Hand im Gleichgewicht zu halten, schmiss er mir das verwaiste Holzstäbchen unbemerkt aufs Tablett. Als ich aufschaute und nur mehr sein davonstrebendes Hinterteil wahrnahm, sprudelte es aus mir heraus: „Sie dürfen gern noch einmal ...“ Na, dann nicht. Aktiv verkaufen entpuppte sich zur Knochenarbeit, die eine Schwerstarbeiterzulage rechtfertigte. Namens Nervenkrisentöter. Zeit zum Lamentieren blieb mir allerdings nicht. Eine Mutter, mit ihren zwei Kindern im Kinderwagen, förderte schlagartig die Wachsamkeit eines Spions in mir. Die schrien geradezu nach Vitaminen.

„Guten Morgen. Wollen Sie eine Ananas kosten?“

„Ich will auch“, riefen die Kinder im Duett. Diese Mutter wusste, was ihren Kleinen gut tat und fütterte sie ausreichend, wie sich selbst. Erst bei halb leerem Tablett sagte sie: „Danke, schmeckt sehr gut“, was mich sozial verträglich nicken ließ. Im nächsten Augenblick schob sie den Kinderwagen freundlich lächelnd um die Ecke - und ich sah blöd hinterdrein. Irgendetwas musste ich übersehen, bei dieser Verkaufsstrategie. Die Leute sollten nicht nur essen, in erster Linie sollten sie kaufen. Demnach beschloss ich, meinen Standardsatz zu ändern. Vielleicht lag es ja daran?

„Guten Tag, unsere Ananas sind heute zuckersüß und in Aktion, wollen Sie kosten?“

Natürlich. „Der Preis?“

„Zwei Euro und neunundneunzig Cent.“

„So viel? Nein danke.“

„Guten Tag, unsere Ananas sind in Aktion. Den ersten Bissen gibt es gratis.“

„Muss ich den zweiten bezahlen?“

Wie steht es, mit einer ganzen Ananas kaufen? Danke, abgelehnt.

„Waaas...“, schrie eine Kundin lauthals, nachdem ich ihr die vitaminreiche Kost angeboten hatte, „... die ist ja billiger zu haben, als ein Ferrari!“

Schluck. Ich fühlte mich veralbert, machte gute Miene zum fiesen Spiel und säuselte: „Nicht nur billiger als ein Ferrari, auch gesünder.“

Worauf die Huldreiche wohlwollend nickte. „Wenn Sie zu diesem Preis mal eine haben, die auch so fährt, wie ein Ferrari, machen wir das Geschäft.“

Ich seufzte. Wissend, in dieser Preislage kriegte ich die Vitaminbombe nie über die Scannerkasse. Zumindest nicht in dem Umfang, wie Dorner sich das vorstellte.

Bald vermehrte sich die Kundschaft. Ich sauste durch die Abteilung, um jeden zu erreichen, ohne dass ich mich vierteilen musste. Selbstverständlich durfte keiner ungefragt die Kassa anvisieren und mir so durch die Schwindel erregend steigenden Umsatzzahlen gleiten. In weiser Absicht, mich dem aktuellen Stand anzupassen, ihn Gewinn bringend zu nützen, stellte ich mich in Position und alarmierte aus voller Kehle, sodass sich auch der letzte Winkel des Geschäftes meiner grellen, sich überschlagenden Stimme nicht entziehen konnte: „Ananas in Aktion, bitte kaufen, die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder! Ananas, zuckersüß und superbillig!“

Die von Dorner gewollte Marktschreierin war geboren. Ungewollt. Das ergab sich. Einfach so. Die Kunden stierten mich an, als sähen sie die Schlange aus dem Paradies, die im Begriff war, sie zu was Illegalem zu verführen. Zu meinem Glück hielt ich eine Ananas in der Hand und keinen Apfel. Und die Kollegen glaubten, ich sei übergeschnappt. Was ich ihnen nicht verübelte.

Nach einer Stunde zog ich Bilanz. Zwei Ananas verkauft - zehn verkostet. Grandioser Erfolg. Auf die Bruchlandung hin bugsierte ich das halb volle Tablett resignierend auf den Pyramidenberg und überließ es freiwillig dem gefräßigen Besuchervolk, die darüber herfielen, wie ausgehungerte Piranhas. Zurück blieb das Zahnstocherskelett. Und das halbe Tablett, weil es irgendwann zu Boden fiel und zerbrach. Und mein angeschlagenes Ego. Und die Wut auf den klugen Kopf, der sich das ausgedacht hatte.

Aber klein beigeben stand nicht in meinem Lebensbuch. Minuten später schob ich mich mit den hungrigen Augen eines Hais abermals durch die Abteilung, im Sinn Beute zu machen. Die Menge der saftigen Köder schrumpfte. Der Kundenfang blieb dennoch aus. Trotzdem zog ich die aktive Gratis-Verkostung beinhart bis zum Abend durch. Resonanz: satte Kunden, magere Ausbeute. Eine teure Angelegenheit für unseren Markt. Die eingesetzten Waffen, die Wunder bewirken sollten, nämlich das liebliche Lächeln, die aufgesetzte Freundlichkeit, zum Schluss nur mehr gespielt gute Laune, zahlten sich nur fingerhutmäßig aus. Von dem Endergebnis war Dorner not amused. Worauf folgte, dass er eine Kleinigkeit an Ideen von mir forderte, damit diese Art von Verkaufscleverness den vorgesagten Erfolg brachte, und er vor seinen Vorgesetzten als Macher brillieren konnte. Wie bestellt, kam mir vieles in den Sinn und alles fing mit: Was wäre wenn ... an. Einzig die Inspiration zu dem Kassenknüller lies auf sich warten. Aber die Samen waren verstreut, bereit zu keimen. Es musste nur noch regnen. Wien war auch nicht an einem Tag erbaut worden, dachte ich und blockte nach, ich weiß nicht wie vielen „was wäre wenn´s“ ab. Und verschob jeglichen Gedanken darauf rücksichtslos - auf irgendwann.

Mein Chef und andere Hürden

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