Читать книгу Nun muss ich Sie doch ansprechen - Monika Stocker - Страница 8

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Grüss Gott, Herr Zwingli

Sie haben einen rechten Platz bekommen

Hier hinter der Wasserkirche

nahe beim Grossmünster

Blick auf die Limmat

Seit kurzem ist hier weniger los

Verkehrsbefreit nach Jahrzehnten

Wo wir eigentlich dagegen waren

Das heisst, schon dafür

aber nicht mit ohne Autos

Ach, Herr Zwingli, das verstehen Sie ja nicht

Wie sollten Sie auch

Ich frage mich schon,

was Sie da den ganzen Tag sinnieren, auf Ihr Schwert gestützt

Ein Schwert, das geht eben auch nicht mehr bei uns

Nicht, dass wir es schon zu Pflugscharen umgeschmiedet hätten

Wie Sie und andere das ja seinerzeit gefordert haben

So weit wollen wir ja nicht gehen

Aber ein Schwert ist ein Schwert

und das mitten in der City

Es heisst, Sie seien ein friedfertiger Mensch

so ganz sicher bin ich mir da nicht

Wenn ich so lese

was Sie alles angestellt haben in der Vergangenheit

die Kriege

die Schlachten

Wie war das noch in ihren Glaubenskriegen?

Bis heute

weltweit

das ist doch eine deutliche Marke

Und bei Kappel?

Aber Zürich ist nicht nur nachtragend

Nein, eine gewisse Grosszügigkeit ist uns eigen

Ja, Herr Zwingli

Es muss für Sie nicht einfach sein

Hier zu stehen

und zuzuhören

was Touristen und Städter

edel und weniger edel

von Kirche und Kultur so halten

und meinen von Ihnen und Ihresgleichen

Aber die Zeiten

wo man

wie Ihr Kollege Herr Martin

einfach Thesen an die Tür schlagen konnte

die sind vorbei

und werden nicht wieder kommen

Es wird auch kein zweites Mal geben

dass wir Sie verschieben

Das verstehen Sie doch, Herr Zwingli?

Damals war es möglich

Kultur erlebbar zu machen

Das wollte man

als man Sie in den Kreis 5 gefahren hat

Heute muss alles seinen Platz haben und nicht mehr viel Neues

Sie verstehen

Wir sind in den mageren Jahren

Nicht aus Not

nein, aus Staatstugend

und wegen des Marktes

Das ist jetzt unser neuer Heiliger

Aber das verstehen Sie ja nicht

Wie sollten Sie auch?

Ach, Herr Zwingli

besondere Mühe machen Sie uns, wenn Sie zum Eigenschaftswort werden

Ja, tatsächlich

zwinglianisch ist out

Man ist so stolz

dass man das nicht mehr nötig hat

Mag hart sein für Sie

aber so ist es

Aber eben, das verstehen Sie ja nicht

Was – zum Teufel – entschuldigen Sie –

war denn heute Nacht bei Ihnen los?

Es gab Reklamationen in der Nacht

ja sicher

wir Zürcher kennen da nichts

Nach 24 Uhr und noch lachen?

Nach 2 Uhr und noch Alkohol ausschenken?

Jetzt haben wir Sie doch extra kommen lassen, damit Sie dem Einhalt gebieten

Und was kommt?

So ist es eben nicht mehr

Wer sich aufregt, ist selbst schuld

Die Party beginnt doch erst um Mitternacht

Der Alkohol ist doch dann besser

Sie fragten nach, Herr Zwingli

was das denn sei

Ein fröhliches Völklein aus der Innerschweiz, das nichts weiss

von unseren Regeln, den Stat(d)tregeln!

Aha, Fasnacht, sagen Sie

was soll denn das sein?

Das kennen wir in Zürich nicht

Das brauchen wir in Zürich nicht

Das wollen wir in Zürich nicht

Fertig!

Falsch, Herr Zwingli, das ist doch völlig okay, sagen wir

Auch Fasnacht darf sein

Wir bringen sie zwar nicht so richtig hin

aber es gibt sie

Aber eben, Sie verstehen das ja nicht

Und, Sie fragen weiter

gestern war doch noch alles in Ordnung

und jetzt ist der Teufel los

Ja, tatsächlich: Teufel sagten Sie!

Da wunderten Sie sich mächtig

Es seien die Vermummten, sagt man

Woher die nur kommen mögen?

Aus unserer Stadt auf alle Fälle nicht

Das wissen wir zu verbieten

Und das alle Jahre zur selben Zeit

Mal am 1. Mai

Mal zwischendurch

Und sie sind unflätig

Was nur sollen wir tun?

Sie verschwinden schon wieder

zum Glück,

aber zuerst bringen sie alles durcheinander

ziehen durchs Dörfli

durch die Bahnhofstrasse

durch die Langstrasse

Sie dürfen das nicht, nein, da sind wir einer Meinung

Aber alles andere verstehen Sie ja nicht

Wir übrigens auch nicht

Und dann, ich verstehe ja, dass das nicht einfach ist für Sie

Kommen einmal im Jahr so viele daher, dass Ihr Standort gefährdet ist

Und sie sind nackt

Fast jedenfalls

Oder ein bisschen angezogen

Oder ein bisschen angemalt

Und sie tanzen tanzen tanzen

Und es ist ein Krach, jammern Sie

Nein, das ist Musik, werter Herr Zwingli

Aber das verstehen Sie ja nicht

Wer das nur wieder aufwischen wird?

Und was das kosten wird?

Und überhaupt

sie trinken

viel in der Regel

Und was dann kommt

das weiss man ja

Sehen Sie, das ist eben heute anders

Die Hotels sind zufrieden

Die Bars auch

Ihr Geist ist nicht mehr gefragt

Sie werden da stehen bleiben

wenn Sie sich ruhig verhalten

Keine moralische Rede bitte

Das geht uns auf den Wecker

Wir sind jetzt nämlich anders

Fröhlich

Weltoffen

Lustig

Ich bitte Sie, Herr Zwingli, respektieren Sie das oder … oder … oder

Sie verstehen, oder?

Nun muss ich Sie doch ansprechen

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