Читать книгу Calisthenics X Mobility 2.0 - Monique König - Страница 62

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3Lerne den Spagat

3.1WARUM DU EINEN SPAGAT BRAUCHST

Hand aufs Herz. Wenn du kein Balletttänzer, kein Turner oder Artist bist, brauchst du keinen Spagat. Wenn wir aber alle die in diesem Buch beschriebenen Skills durch diese Brille betrachten würden, wäre nichts notwendig für unser Überleben. Demnach kommen wir ab von dem Gedanken des universalen Nutzens und fragen wir uns lieber: Was bringt mir ein Spagat?

Im Kontext von Calisthenics ist der Spagat vor allem für den Handstand sinnvoll. Je besser dein Spagat ist, desto leichter wirst du Skills wie den Schweizer Handstand, den One-Arm-Handstand, die Straddle Planche und den Lever lernen. Je größer dein Straddle ist, desto besser kannst du die Last über der Unterstützungsfläche verteilen.

Weiterhin ist ein Spagat gut, um einfach am Boden zu arbeiten. Viele Erwachsene haben das Problem, dass sie mit langen Beinen aufrecht am Boden sitzen können. Wenn du also mit deinen Kindern spielst oder einfach nur deine Homeoffice-Sitzposition verändern willst, wird ein Spagat dir gute Dienste leisten.

Hierbei sprechen wir nicht nur von einem „Ass-to-Grass-Spagat“, sondern von einer soliden Adduktorenbeweglichkeit, die dich dazu befähigt, dich nach vorne zu lehnen, wenn du auf dem Boden sitzt.

Um Missverständnisse zu vermeiden, wenn ich vom Spagat spreche, meine ich immer den Männerspagat. Ich habe den Frauenspagat nie wirklich trainiert und habe durch das Training des Männerspagats eine Mobilität für den Frauenspagat gewonnen. Aus diesem Grund werden sich die Übungen und meine Beschreibungen auf den Männerspagat konzentrieren.

3.2SPAGATMYTHEN


3.2.1HÖRE AUF, DICH PASSIV ZU STRETCHEN

Wenn man bei YouTube® „Spagat lernen“ eingibt, wirst du 99 % Videos von Mädels und Frauen finden. Alle diese Videos zeigen passive Dehnübungen und gehaltene Stretches, die dir nichts bringen werden. Ich will dieses Training nicht abwerten, sondern dir nur jahrelanges, nicht zielführendes Training ersparen. So gut, wie diese Videos gemeint sind, werden sie meist von Frauen gezeigt, die mit größter Wahrscheinlichkeit Turnen, Tanzen oder Ballett in ihrer Jugend gemacht haben und sich diese Beweglichkeit einfach erhalten haben.

Damit sei nicht gesagt, dass dies nicht auch Zeit und Training braucht. Vielmehr ist damit herausgestellt, dass diese Videos keine Anleitung für jemanden darstellen, der in der Hüfte steif wie eine Bahnschranke ist und in der Jugend vor allem Fußball gespielt hat oder in der Leichtathletik aktiv war (es sei denn, du warst Hürdenläufer).

Diese Aussage beruht vor allem auf meiner jahrelangen Beobachtung und Coachingerfahrung mit Menschen aus diversesten Sportarten und mit unterschiedlichsten Körperkonstitutionen. Man sieht es einer Person an, wenn sie lange Zeit die zuvor genannten Sportarten gemacht hat, die zum größten Teil eben von Frauen ausgeführt werden.

Da kann jedes Mobilityvideo gut gemeint sein, aber wenn man nie wirklich Probleme hatte, bestimmte Positionen einzunehmen, weiß man auch nicht, welche Schwierigkeiten sich einem auf dem Weg stellen. Wie lange es wirklich dauert, um einen Spagat zu lernen und welche Übungen wirklich sinnvoll sind. Da ist es einfach, zu sagen, dass man Übung X oder Y einfach für ein paar Sekunden halten soll und das am besten jeden Tag, sodass man irgendwann den Spagat kann.

Die einzigen Männer, die du unter diesem Suchbegriff findest, sind Toni von Strong & Flex und meine Monkeymäßigkeit. Von uns beiden weiß ich, dass wir mit keinen guten Voraussetzungen unsere Spagatreise angetreten haben. Außerdem sind dies die einzigen beiden Videos, in denen du aktive Beweglichkeitsübungen für deine Hüfte gezeigt bekommst. Resümee ist: Fokussiere dich auf Mobility und nicht auf statische Dehnungen. Wenn du mehr darüber lernen willst, schaue nochmal ins CxM 1.0.

3.2.2GEWALT IST NIE DIE LÖSUNG

Kennst du die Clips von russischen Turnern? In denen sich der Trainer auf den Rücken seiner Zöglinge stellt oder an den Beinen gerissen wird, damit diese beweglicher werden?

Das hat weder mit Trainingslehre noch mit der Physiologie des Menschen zu tun. Gewaltsam durch eine extern einwirkende Kraft, die du nicht kontrollieren kannst, beweglicher zu werden, ist riskant. Wenn du nicht von selbst kontrolliert in eine Position kommst, lasse dich nicht durch jemand anderen in diese zwängen. Du schadest dir nur.

3.2.3IMMER DASSELBE ZU MACHEN, FÜHRT ZU IMMER DENSELBEN ERGEBNISSEN

Das Thema Variation spreche ich im Laufe unserer Workshops immer und immer wieder an. Wir verfallen gerne der Gemütlichkeit, was nicht zwingend immer Couch und Netflix® bedeutet. Man kann auch in der Wahl seiner Übungen gemütlich werden. Das zu machen, was man immer schon macht, ist einfacher, als sich Gedanken über Neues zu machen.

Im Laufe der Zeit wird der Reiz der Übungen nachlassen und dein Körper wird ein Plateau erreichen. Bleibe deshalb immer auf der Suche nach neuem Input und arbeite aus anderen Winkeln an deiner Spagatbeweglichkeit.

3.3DIE ANATOMIE DES SPAGATS

3.3.1NERVENSYSTEM

Fast alle Menschen können zumindest einen halben Spagat. Probiere es aus: Lege ein Bein 90° abgespreizt auf einen Stuhl oder Tisch. Probiere es dann mit dem anderen Bein. Bei den meisten wird in beide Richtungen 90° möglich sein. Warum geht es dann aber nicht, dass man beide Beine zur gleichen Zeit auf 90° bewegt?

Der Schlüssel liegt hierbei wieder im Nervensystem. Schließlich gibt es keinen Muskel, der beide Beine in der Mitte miteinander verbindet. Dein Nervensystem kennt diese Bewegung nicht und erhöht somit den Tonus (Muskelspannung) in deiner Beinmuskulatur. Lieber mehr Spannung aufwenden müssen, als in der Mitte auseinandergerissen zu werden.

Ziel aller Übungen ist demnach, deinem Nervensystem einen sicheren Weg zu zeigen, durch den es eine bessere Bewegungsvorstellung bekommt. Weniger Stress und mehr Vorhersehbarkeit führen zu mehr Beweglichkeit und Kraft. Die genauen Abläufe kannst du in CxM 1.0 nachlesen.

3.3.2HÜFTE

Wie du bereits bei der Kniebeuge gelernt hast, gibt es viele individuelle Gegebenheiten, die einem das Erlernen des Spagats einfacher oder schwerer machen. Ganz wichtig hierbei zu beachten ist, dass aufgrund dessen nicht jeder einen vollständigen Spagat lernen kann beziehungsweise individuelle Grenzen bedacht und beobachtet werden müssen.

Beim Spagat kommt es in der Hüfte nicht nur auf die maximale Abduktion, sondern auch auf die Innenrotation an. Wenn du in einen Spagat gehst, ist dein Becken nie maximal aufgerichtet, sondern stets nach vorne gekippt (Erhalt der Lendenlordose; physiologische Krümmung in der LWS). Dadurch wird eine Innenrotation in der Hüfte eingestellt. Je besser also deine Hüftinnenrotation ist, desto leichter kannst du dich im Spagat aufrichten.

3.3.3IMPINGEMENT

Bezüglich der individuellen Gegebenheiten hinsichtlich des Spagats ist noch ein Punkt anzuführen, der mir im Coaching immer wieder begegnet und weswegen mich schon viele Sportler aufgesucht haben: Hüftimpingement.

Es kann sein, dass deine Hüfte nicht für einen Spagat geeignet ist und du beim Training immer wieder ein Einklemmungsgefühl verspürst. Was ich dir aus der Erfahrung meiner Coachings sagen kann, ist, dass es keinen validen physiotherapeutischen Test gibt, um festzustellen, ob deine Hüfte für einen Spagat geeignet ist oder nicht. Was du allerdings überprüfen solltest, wie die aktive Außen- und Innenrotation deiner Hüfte ist, um einen Anhaltspunkt für deinen Status quo zu bekommen. Mehr dazu findest du in Kap. 2.4.

Nach mehreren Jahren Spagattraining kann ich für mich sagen, dass ein 100 %ig offener Spagat nicht vorteilhaft für meine Hüfte ist. Ich habe nach mehreren Mobility- und Unterkörpertrainingseinheiten gemerkt, dass die extreme Endstellung im Gelenk immer wieder zu Reizungen in der Hüfte geführt hat. Mein Spagat sitzt ein wenig hinten. Hier fühle ich mich wohl, kann Kraft aus ihm entwickeln und weiterhin trainieren, ohne Probleme zu bekommen.


3.3.4DIE SPAGATFORMEL

Was ist schon dran an einem Spagat?

Einfach die Beine, so weit es geht, auseinanderbringen und zack sind wir in einem Spagat. Schön wär’s … Wie du gelernt hast, ist es bei der Kniebeuge auch nicht einfach runtersetzen und das war es dann. Unser Körper ist komplex und so auch die Bewegungen, die wir mit ihm ausführen.

Simplify!

Wenn Dinge kompliziert wirken, vereinfache sie, bist du eine herausfordernde, aber machbare Aufgabe vor dir hast. Ich habe immer wieder angesprochen, dass wir nicht dehnen und dem Nervensystem Sicherheit vermitteln wollen. Der schnellste und einfachste Weg ist: stärker werden. Wer hätte es gedacht? Kraft ist meistens der Weg, mit dem wir dem Nervensystem zeigen, dass wir Kontrolle über bestimmte Bewegungen haben. So auch beim Spagat.

Die besten Übungen dafür sind: Horse Stance und der Spagatstand (Ausführungsdetails findest du wie immer im Übungskatalog). Du lernst die Abduktionsstellung und wirst in ihr stark.

Ido erzählte mir einmal, dass er den Horse Stance so lange trainiert hat, bis er ihn 10 Minuten halten konnte. Als er das geschafft hatte, konnte er auch einen Spagat.

Ich kann dich beruhigen, denn ich habe es ausprobiert. Sieben Minuten reichen bereits! Wenn du den Horse Stance bisher noch nie gemacht hast, schlage kurz zur Erklärung im Übungskatalog nach und probiere, ihn für eine Minute zu halten. Dann wirst du wissen, wovon ich rede.

Selbstverständlich wirst du nicht nur durch zwei Übungen den Spagat erlangen. Deshalb kommen wir als Erstes zu den typischen Fehlerbildern beziehungsweise Problemen, die dich davon abhalten, im Spagat sitzen zu können.

3.3.5TYPISCHE FEHLERBILDER

A)FEHLENDE TIEFE/ABDUKTION


Hamstrings und Adduktoren

B)OBERKÖRPERVORLAGE


Innenrotation und Hamstrings

C)AUSGEDREHTE FÜSSE


Innenrotation und Kraft in der Abduktion

3.4WIE LANGE DAUERT ES, EINEN SPAGAT ZU LERNEN?

Du weißt nun schon einiges über den Spagat. Die Frage dieses Kapitels blieb bisher allerdings unbeantwortet. Natürlich kommt hier wieder der gute alte Spruch, den dir jeder gute Trainer oder Therapeut sagen wird: „Es kommt drauf an!“

Die individuellen Voraussetzungen sind natürlich nicht unerheblich, wie du bereits in Kap. 3.3 gelernt hast. So verhält es sich auch mit der Dauer, wie lange man braucht, um einen Spagat zu lernen. Die realistische Perspektive, um ansatzweise näherzukommen und dabei nicht seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, beträgt ein Jahr.

Diese Einschätzung wird für manche viel zu weit gefasst sein und für manchen anderen viel zu ambitioniert sein. Dennoch ist es ein guter Mittelwert, um Verbesserungen wahrzunehmen.

3.4.1MEHR SPAGAT = BESSERE KNIEBEUGE

Wenn du dir die typischen Fehlerbilder des Spagats und der Kniebeuge aufmerksam durchgelesen hast, wird dir aufgefallen sein, dass diese sich sehr ähneln. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, je besser meine Kniebeuge wurde, desto besser mein Spagat und vice versa. Beide Bewegungen unterstützen sich gegenseitig.

Wenn du also gezielt an deinen Schwächen arbeitest, wirst du irgendwann ein exponentielles Wachstum an Beweglichkeitszuwachs erleben. Vorausgesetzt, alle anderen Kontextfaktoren, wie Regeneration, Stressmanagement und progressive Reizsetzung, sind gegeben.

Wie ich im CxM 1.0 in einem Diagramm bildlich dargestellt habe, verhält es sich mit dem Thema Mobilityfortschritt meist konträr zum Krafttraining. Wenn im Krafttraining anfänglich schon Erfolge gefeiert werden können, passiert beim Mobilitytraining lange nichts. Wenn man aber dranbleibt und konsequent seine Übungen durchzieht und seine Baustellen bearbeitet, wird es dir auch so mit deinem Spagat gehen. Wie du Mobility nun effektiv und effizient in dein Training integrierst, erfährst du in Kap. 4.


Calisthenics X Mobility 2.0

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