Читать книгу Der Aufstand Der Tapferen - Морган Райс, Morgan Rice - Страница 4
Kapitel Drei
ОглавлениеAls Kyra langsam durch die Tore von Argos zurückkam, lagen die Blicke der Männer ihres Vaters auf ihr und die Scham brannte. Sie hatte ihre Beziehung zu Theos falsch verstanden. Dumm wie sie war hatte sie geglaubt, dass sie ihn kontrollieren konnte – doch stattdessen hatte er sie vor all diesen Männern verschmäht. Alle hatten gesehen, dass sie schwach war und keine Macht über den Drachen hatte. Sie war nur ein Krieger wie jeder andere auch – nicht einmal ein Krieger, sondern nur ein Mädchen, das ihr Volk in einen Krieg gestürzt hatte, den sie ohne den Drachen nicht gewinnen konnten.
Kyra trat durch die Tore von Argos, spürte die Blicke und die unbehagliche Stille. Was sie jetzt wohl von ihr dachten? Sie wusste nicht einmal, was sie selbst denken sollte. War Theos nicht wegen ihr gekommen? Hatte er die Schlacht aus eigenem Antrieb geschlagen? Hatte sie etwa doch keine besonderen Kräfte?
Kyra war erleichtert, als die Männer ihre Aufmerksamkeit endlich von ihr abwandten und sich wieder damit beschäftigten, Waffen zu sammeln und sich für den kommenden Krieg vorzubereiten. Sie eilten umher, sammelten die Reichtümer ein, die die Männer des Lords zurückgelassen hatten, füllten Karren, führten Pferde weg und das Klirren von Stahl war überall zu hören, als sie Berge von Schilden und Rüstungen sammelten. Da es immer noch schneite und es langsam dunkel wurde, hatten sie keine Zeit zu verlieren.
„Kyra“, hörte sie eine bekannte Stimme.
Sie drehte sich um und war froh, Anvins lächelndes Gesicht zu sehen. Er sah sie mit Respekt an, mit der aufmunternden Güte und Wärme der Vaterfigur, die er immer für sie gewesen war. Er legte liebevoll einen Arm um ihre Schulter, lächelte breit unter seinem Bart und hielt ihr ein glänzendes neues Schwert hin, dessen Schneide mit pandesischen Symbolen graviert war.
„Der beste Stahl, den ich seit Jahren in Händen gehalten habe“, bemerkte er mit breitem Grinsen. „Dank dir haben wir genug Waffen, um einen Krieg zu beginnen. Du hast uns stärker gemacht.“
Kyra fand Trost in seinen Worten, so wie immer; doch es gelang ihr nicht, dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit und Verwirrung abzulegen, weil sie der Drache abgewiesen hatte. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich war das nicht“, antwortete sie. „Das war Theos Werk.“
„Aber Theos ist für dich zurückgekommen“, antwortete er.
Kyra blickte zum grauen Himmel hoch und fragte sich, ob er Recht hatte.
„Ich bin mir nicht sicher.“
Beide betrachteten schweigend den Himmel und die Stille wurde nur vom Pfeifen des Windes gestört.
„Dein Vater wartet auf dich“, sagte Anvin schließlich mit ernster Stimme.
Kyra folgte Anvin. Schnee und Eis knirschten unter ihren Stiefeln, als sie durch den Hof und das Gewimmel der Männer gingen. Sie gingen an Dutzenden der Männer ihres Vaters vorbei, als sie durch die Straßen von Argos gingen, Männer überall, seit langer Zeit endlich wieder einmal entspannt. Sie sah sie lachen, trinken und miteinander Scherzen, während sie Waffen und Vorräte einsammelten. Sie waren wie Kinder am Tag der Heiligen.
Dutzende der Männer ihres Vaters standen in einer Reihe und reichten säckeweise Getreide weiter, um es auf die Karren zu laden; ein weiterer Karren fuhr vorbei, auf dem die gestapelten Schilde klirrten. Er war so vollgeladen, dass ein paar über den Rand fielen und die Krieger beeilten sich, sie wieder einzusammeln. Überall um sie herum verließen Karren das Fort, einige zurück auf die Straße nach Volis, andere auf andere Straßen zu den Dörfern, zu denen sie ihre Vater geschickt hatte, alle gefüllt bis an den Rand. Kyra fand Trost in diesem Anblick und fühlte sich weniger schlecht wegen des Krieges, der wegen ihr ausgebrochen war.
Sie kamen um eine Ecke und Kyra sah ihren Vater, umgeben von seinen Männern. Er war damit beschäftigt Dutzende Schwerter und Speere zu inspizieren, die sie ihm entgegenhielten. Als sie sich näherte, drehte er sich um und bedeutete seinen Männern, sie allein zu lassen.
Ihr Vater sah Anvin an, und dieser stand einen Augenblick lang unsicher da, offensichtlich überrascht über den Blick, mit dem er auch ihn zu gehen bat. Schließlich wandte er sich ab, ging zu den anderen und ließ Kyra allein mit ihm. Auch sie war überrascht – nie zuvor hatte er Anvin gebeten, zu gehen.
Kyra blickte zu ihm auf, doch seine Miene war undurchdringlich wie immer. Er hatte das distanzierte Aussehen eines Anführers unter seinen Männern, nicht das liebevolle Gesicht des Vaters, das sie so kannte und liebte. Er blickte auf sie herab und sie war nervös, da so viele Gedanken in ihrem Kopf umherschwirrten: War er stolz auf sie? War er böse, weil sie sie in diesen Krieg gestürzt hatte? War er enttäuscht, weil Theos sie abgewiesen und seine Armee verlassen hatte?
Kyra wartete. Sie war sein langes Schweigen gewohnt, doch sie war unsicher, denn alles zwischen ihnen hatte sich so schnell verändert. Sie hatte das Gefühl, dass sie über Nacht erwachsen geworden war, während er von den jüngsten Ereignissen verändert worden war; es war, als wussten beide nicht mehr, wie sie miteinander umgehen sollten. War er der noch der Vater, den sie immer geliebt hatte, der ihr bis spät in die Nacht Geschichten vorgelesen hatte? Oder war er jetzt ihr Kommandant?
Er stand da und starrte sie an, und sie spürte, dass er nicht wusste, was er sagen sollte, während die Stille schwer zwischen ihnen hing. Schließlich konnte Kyra es nicht länger ertragen.
„Lässt du all das nach Volis zurückbringen?“, fragte sie, als ein Wagen voller Schwerter an ihnen vorbeifuhr.
Er drehte sich um und betrachtete den Wagen und es schien ihn aus seinem Tagtraum zu reißen. Er wandte sich nicht wieder zu Kyra um, sondern beobachtete kopfschüttelnd den Wagen.
„In Volis gibt es außer dem Tod nichts mehr für uns“, sagte er mit tiefer, entschlossener Stimme. „Wir gehen nach Süden.“
Kyra war überrascht.
„Nach Süden?“, fragte sie.
Er nickte.
„Esephus“, sagte er.
Aufregung machte sich in Kyra breit, als sie sich ihre Reise nach Esephus vorstellte, dem alten Bollwerk am Meer, ihrem größten Nachbarn im Süden. Sie wurde noch aufgeregter, als sie erkannte – wenn er dorthin ging, konnte es nur eines bedeuten: er bereitete sich auf den Krieg vor.
Er nickte, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
„Es gibt jetzt kein Zurück mehr“, sagte er.
Kyra sah ihren Vater mit einem Gefühl des Stolzes an, wie sie es schon seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Er war nicht mehr der selbstzufriedene Krieger, der seine besten Jahre in der Sicherheit einer kleinen Festung verbrachte, sondern der mutige Kommandant, den sie einst gekannt hatte, der bereit war, alles für die Freiheit zu riskieren.
„Wann gehen wir los?“, fragte sie mit pochendem Herzen und freute sich auf die erste Schlacht.
Sie war überrascht, als er den Kopf schüttelte.
„Nicht wir“, korrigierte er. „Meine Männer und ich. Nicht du.“
Kyra war schockiert, seine Worte waren wie ein Dolchstoß in ihr Herz.
„Warum lässt du mich zurück?“, stammelte sie. „Nach allem, was passiert ist? Was sonst muss ich tun, um mich dir zu beweisen?“
Er schüttelte entschieden den Kopf und als sie den Blick in seinen Augen sah, wusste sie, dass er sich nicht davon abbringen lassen würde.
„Du gehst zu deinem Onkel“, sagte er. Es war keine Bitte, es war ein Befehl und mit diesen Worten wusste sie, wo sie stand: sie war einer seiner Krieger, nicht mehr seine Tochter und das tat ihr weh.
Kyra atmete tief durch – sie würde nicht so schnell aufgeben.
„Ich will an deiner Seite kämpfen“, beharrte sie. „Ich kann dir helfen.“
„Du wirst mir helfen“, sagte er, „indem du dorthin gehst, wo du gebraucht wirst. Und ich brauche dich dort, bei ihm.“
Sie runzelte die Stirn und versuchte zu verstehen.
„Aber warum?“, fragte sie.
Er schwieg eine Weile bis er schließlich seufzte.
„Du besitzt…“, begann er, „…Fähigkeiten, die ich nicht verstehe. Fähigkeiten die wir brauchen, um diesen Krieg zu gewinnen. Nur dein Onkel weiß, wie man diese Fähigkeiten fördern kann.“
Er legte ihr bedeutungsvoll die Hand auf die Schulter.
„Wenn du uns helfen willst“, fügte er hinzu, „wenn du unserem Volk helfen willst, ist das der Ort, an dem du gebraucht wirst. Ich brauche nicht noch einen weiteren Krieger. Ich brauche die einzigartigen Talente, die du zu bieten hast. Die Fähigkeiten, die niemand sonst besitzt.“
Sie sah den Ernst in seinen Augen und fühlte sich schrecklich bei der Aussicht, nicht mit ihm gehen zu können, doch sie fühlte ein wenig Bestätigung in seinen Worten und sie weckten ihre Neugier. Sie fragte sich, welche Fähigkeiten er meinte und fragt sich, wer ihr Onkel war.
„Geh und lerne, was ich dir nicht beibringen kann“, fügte er hinzu. „Komm gestärkt zurück und hilf mir zu siegen.“
Kyra sah ihm in die Augen und sie spürte den Respekt, die Wärme zurückkehren, die sie sich wieder ganz fühlen ließen.
„Die Reise nach Ur ist lang“, sagte er. Ein Drei-Tages-Ritt nach Nordwesten. Du wirst Escalon allein durchqueren müssen. Du musst schnell reiten und dich versteckt halten. Meide die Straßen. Bald wird sich die Kunde dessen verbreiten, was hier vorgefallen ist – und den Zorn der pandesischen Lords wecken. Die Straßen werden gefährlich sein – du musst im Wald bleiben. Reite nach Norden, finde das Meer und bleib in Sichtweite. Es soll dein Wegweiser sein. Folge der Küste und du wirst Ur finden. Halte dich von den Dörfern und den Leuten fern. Halte nicht an. Sag niemandem wohin du gehst und sprich mit niemandem.“
Er hielt sie fest an den Schultern und sein eindringlicher Blick machte ihr Angst.
„Verstehst du mich?“, sagte er. „Es ist eine gefährliche Reise für einen Mann – und ganz besonders für ein einzelnes Mädchen. Ich kann niemanden entbehren, um dich zu begleiten. Du musst stark genug sein, es alleine zu tun. Bist du das?“
Sie konnte die Angst in seiner Stimme hören, die Liebe eines besorgten Vaters, der hin und hergerissen war, und sie nickte, stolz, dass ihr Vater ihr eine solche Mission zutraute.
„Das bin ich, Vater“, sagte sie stolz.
Er sah sie eindringlich an, dann nickte er schließlich zufrieden. Langsam füllten sich seine Augen mit Tränen.
„Von all meinen Männern“, sagte er, „von all diesen Kriegern, bis du diejenige, die ich am meisten brauche. Nicht deine Brüder, nicht einmal meine vertrautesten Krieger. Du bist die eine, die einzige, die diesen Krieg gewinnen kann.
Kyra war verwirrt und überwältigt; sie verstand nicht, was er meinte. Sie wollte ihn fragen, als sie plötzlich eine Bewegung wahrnahm.
Sie drehte sich um und sah Baylor, den Pferdemeister ihres Vaters, der sich ihnen wie immer lächelnd näherte. Ein kleiner, dicker Mann mit buschigen Brauen und dünnem Haar, kam mit federndem Schritt und lächelnd auf sie zu, dann sah er ihren Vater an, als ob er auf seine Zustimmung wartete.
Ihr Vater nickte ihm zu und Kyra fragte sich, was vor sich ging, als Baylor sich ihr zuwandte.
„Ich habe gehört, du wirst eine Reise machen“, näselte Baylor. „Dafür wirst du ein Pferd brauchen.
Kyra runzelte die Stirn.
„Ich habe ein Pferd“, antwortete sie und sah sich nach dem braven Pferd um, das sie im der Schlacht gegen die Männer des Lords geritten hatte. Es stand auf der anderen Seite des Hofs an einen Pfosten gebunden.
Baylor lächelte.
„Das ist kein Pferd“, sagte er.
Baylor sah ihren Vater an und der nickte.
„Folge mir“, sagte er, und drehte sich um, um in Richtung der Stallungen vorzugehen.
Kyra sah ihm irritiert hinterher, dann sah sie ihren Vater an. Er nickte.
„Folge ihm“, sagte er. „Du wirst es nicht bereuen.“
* * *
Kyra folgte Baylor über den verschneiten Hof, gefolgt von Anvin, Arthfael und Vidar zu den niedrigen Stallungen. Kyra fragte sich, was Baylor gemeint hatte und welches Pferd er für sie ausgewählt hatte. Ihrer Meinung nach gab es keine großen Unterschiede zwischen den Pferden.
Als sie das weitläufige Gebäude erreichten, das mindestens hundert Meter lang war, wandte sich Baylor zu ihr um.
„Die Tochter unseres Lords wird ein feines Pferd brauchen, das sie hinbringt, wo auch immer sie hingehen wird.“
Kyras Herz schlug schneller. Sie hatte noch nie zuvor ein Pferd von Baylor bekommen, das war eine Ehre, die normalerweise verdienten Kriegern vorbehalten war. Sie hatte immer davon geträumt, eines zu bekommen, wenn sie alt genug war und es sich verdient hatte. Es war eine Ehre, die bisher nicht einmal ihren älteren Brüdern zuteil geworden war.
Anvin nickte stolz.
„Du hast es verdient“, sagte er.
„Wenn du mit einem Drachen umgehen kannst“, fügte Arthfael mit einem Lächeln hinzu, „dann kannst du auch mit einem Schlachtross umgehen.“
Vor dem Stall sammelte sich eine kleine Menge, die ihnen gefolgt war. Die Männer machten eine Pause, offensichtlich neugierig zu erfahren, wohin sie geführt wurde. Ihre beiden älteren Brüder, Brandon und Braxton schlossen sich ihnen ebenfalls an und starrten wortlos in Kyras Richtung – mit Neid in den Augen. Schnell wandten sie den Blick ab, wie immer zu stolz, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen von Lob ganz zu schweigen. Leider hatte sie von ihnen nichts anderes erwartet.
Kyra hörte Schritte und sah sich um, erfreut zu sehen, dass ihre Freundin Deirdre sich zu ihr gesellte.
„Ich habe gehört, du verlässt uns“, sagte sie, während sie neben ihr her ging.
Kyra ging neben ihrer neuen Freundin und fand Trost in ihrer Gesellschaft. Sie dachte, an ihre gemeinsame Zeit in der Zelle des Lord Regenten, all das Leid, das sie ertragen hatten und ihre gemeinsame Flucht, und das Band, das sie zwischen ihnen spürte. Deirdre hatte viel Schlimmeres durchgemacht als sie, und als sie sie ansah und die dunklen Ringe unter ihren Augen sah, die Aura des Leids und der Traurigkeit, die sie noch immer umgab, fragte sie sich, was aus ihr werden würde. Sie konnte sie nicht einfach allein in diesem Fort zurücklassen. Nachdem die Armee nach Süden zog, wäre Deirdre allein.
„Ich könnte jemanden gebrauchen, der mich auf meiner Reise begleitete“, sagte Kyra und hatte eine Idee, als sie die Worte aussprach.
Deirdre sah sie an, riss erfreut die Augen auf und lächelte. Die dunkle Aura schwand.
„Ich hatte gehofft, dass du fragen würdest.“
Anvin der zugehört hatte, runzelte die Stirn.
„Ich weiß nicht, ob dein Vater zustimmen würde. „Du hast eine ernste Aufgabe vor dir.“
„Ich werde mich nicht einmischen“, sagte Deirdre. „Wenn ich zurück zu meinem Vater will, muss ich Escalon sowieso durchqueren. Und wenn ich ehrlich bin, ist es mir lieber, wenn ich es nicht allein tun muss.“
Anvin rieb sich den Bart.
„Deinem Vater würde das nicht gefallen“, sagte er zu Kyra. „Sie könnte eine Belastung werden.“
Kyra legte beruhigend die Hand auf Anvins Arm. Sie hatte ihren Entschluss gefasst.
„Deirdre ist meine Freundin“, sagte sie. „Ich würde sie nie im Stich lassen, genauso wie du nie einen deiner Männer im Stich lassen würdest. Was sagst du immer? Wir lassen niemanden zurück.“
Kyra seufzte.
„Ich habe vielleicht geholfen, Deirdre aus dieser Zelle zu befreien“, fügte sie hinzu, „doch sie hat genauso mir geholfen. Ich stehe in ihrer Schuld. Tut mir leid, doch was mein Vater denkt, interessiert mich nicht. Ich bin es, die Escalon allein durchqueren soll, nicht er. Sie kommt mit mir.
Deirdre lächelte und hakte sich bei Kyra unter, sichtlich stolz. Kyra fühlte sich wohler bei dem Gedanken, sie auf ihrer Reise dabeizuhaben, und sie wusste, dass es die richtige Entscheidung war.
Kyra bemerkte, dass ihre Brüder ganz in ihrer Nähe gingen und sie konnte nicht umhin, eine gewisse Enttäuschung zu verspüren, dass sie nicht beschützender waren, dass sie nicht einmal daran gedacht hatten, anzubieten, sie zu begleiten. Doch sie empfanden sie als Konkurrenz. Es machte sie traurig, dass ihre Beziehung so war, doch sie konnte andere nicht ändern. Ohne sie war sie sowieso besser aufgehoben. Sie waren großmäulige Draufgänger und sie hätten sicher irgendetwas Dummes getan, das sie in Schwierigkeiten gebracht hätte.
„Ich würde dich auf gerne begleiten“, sagte Anvin, und man konnte den Selbstvorwurf in seiner Stimme hören. „Der Gedanke, dass du Escalon allein überqueren sollst, gefällt mir nicht.“ Er seufzte. „Doch dein Vater braucht mich mehr denn je. Er hat mich gebeten, ihn in den Süden zu begleiten.“
„Auch ich, würde dich gerne begleiten“, fügte Arthfael hinzu, „doch auch ich soll den Männern in den Süden folgen.“
„Und ich soll in seiner Abwesenheit über Volis wachen“, fügte Vidar hinzu.
Kyra war gerührt von ihrer Unterstützung.
„Macht euch keine Sorgen“, antwortete sie. „Es ist eine Reise von drei Tagen. Ich werde es schon schaffen.“
„Das wirst du“, stimmte Baylor ein. „Und dein neues Pferd wird dafür sorgen.“
Damit stieß Baylor die Tür zu den Stallungen auf und sie folgen ihm in das Gebäude, in dem der Geruch der Pferde schwer in der Luft lag.
Kyras Augen gewöhnten sich langsam an das schwache Licht, als sie ihm hinein folgte. Die Luft war kühl und feucht und erfüllt von dem nervösen Scharren der Pferde. Sie sah sich um und sah vor sich Reihen der schönsten Pferde, die sie je gesehen hatte – große, starke, schöne Pferde, schwarz und braun, jedes einzelne ein Champion. Der Stall war eine wahre Schatztruhe.
„Die Männer des Lords haben die besten für sich beansprucht“, erklärte Baylor im Gehen. Er war ganz in seinem Element. Er streichelte ein Pferd hier, tätschelte ein anderes dort und die Tiere schienen in seiner Gegenwart zum Leben zu erwachen.
Kyra ging langsam und genoss den Anblick. Jedes dieser Pferde war wie ein Kunstwerk, größer als die meisten Pferde, die sie bisher gesehen hatte, voller Schönheit und Kraft.
„Wir haben es dir und deinem Drachen zu verdanken, dass diese Pferde jetzt uns gehören“, sagte Baylor. „Da ist es passend, dass du dir eines aussuchst. Dein Vater hat mich angewiesen, dir die erste Wahl zu geben.“
Kyra war überwältigt. Als sie sich umsah, spürte sie die Last der Verantwortung, denn das war eine einmalige Auswahl.
Sie ging langsam, strich über ihre Mähnen, fühlte, wie weich sie waren, wie stark, und wusste nicht, welches sie wählen sollte.
„Wie soll ich meine Wahl treffen?“, fragte sie Baylor.
Er lächelte und schüttelte den Kopf.
„Ich habe mein ganzes Leben lang Pferde trainiert“, antwortete er. „Ich habe sie auch großgezogen. Und wenn es eines gibt, das ich dabei gelernt habe, dann ist es, dass keine zwei Pferde sich gleichen. Manche sind auf Schnelligkeit gezüchtet, andere auf Ausdauer, andere auf Stärke, während wieder andere gezüchtet werden, um große Lasten zu tragen. Manche sind zu stolz, irgendetwas zu tragen. Und wieder andere, ja, andere sind für den Krieg gemacht.
Manche blühen im Einzelkampf auf, andere wollen einfach nur kämpfen und andere sind geschaffen für einen endlosen Krieg. Manche werden dein bester Freund, andere wenden sich gegen dich. Deine Beziehung zu einem Pferd ist etwas Magisches. Sie müssen dich rufen, und du sie. Wähle gut, und du hast ein Pferd, das immer an deiner Seite sein wird, in Schlachten und Kriegen wie im Frieden. Kein guter Krieger ist vollkommen ohne sein Pferd.“
Kyra ging langsam mit vor Aufregung pochendem Herzen weiter, ging an einem Pferd nach dem anderen vorbei. Einige sahen sie an, andere wandten sich ab, einige wieherten und scharrten aufgeregt mit den Hufen, andere standen still. Sie wartete darauf, ein Band zu einem der Tiere zu spüren, doch nichts geschah. Sie war frustriert.
Dann, plötzlich, bekam Kyra eine Gänsehaut und es schoss durch sie hindurch wie ein Blitz. Ein scharfer Klang hallte durch den Stall, ein Klang der ihr sagte, dass das ihr Pferd war. Es klang nicht wie ein normales Pferd – sondern viel dunkler, mächtiger. Es drang durch das allgemeine Wiehern und Schnauben der anderen hindurch, wie ein wilder Löwe, der versuchte, aus seinem Käfig auszubrechen. Es machte ihr Angst und zog sie an.
Kyra wandte sich der Quelle am Ende des Stalls zu und in diesem Augenblick hörte sie Holz splittern. Sie sah, wie ein Tor zerbrach und Holz überall hin flog, und ein Tumult brach aus, als mehrere Männer hinübereilten, und versuchten, dass zerbrochene Tor zu schließen, während ein Pferd weiter mit den Hufen dagegentrat.
Kyra eilte auf den Tumult zu.
„Wo gehst du hin?“, fragte Baylor. „Die guten Pferde sind hier.“
Doch Kyra ignorierte ihn und ging mit pochendem Herzen schneller auf das Pferd zu. Sie spürte, dass es sie rief.
Baylor und die anderen folgten ihr, und als sie den Pferch erreichte, sah sie hinein und keuchte beim Anblick des Tiers. Es war ein Pferd, doch fast doppelt so groß wie die anderen, mit Beinen so dick wie Baumstämme. Es hatte zwei kleine, rasiermesserscharfe Hörner, die kaum sichtbar hinter seinen Ohren versteckt waren. Das Fell war nicht braun oder schwarz wie das der anderen Tiere, sondern tief scharlachrot und seine Augen glitzerten grün. Sie starrten sie an und ihre Intensität nahm ihr die Luft. Sie konnte sich nicht bewegen.
Die Kreatur stieß etwas aus, was wie ein Knurren klang und entblößte ihre Fangzähne.
„Was für ein Pferd ist das?“, fragte sie Baylor mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war.
Er schüttelte missbilligenden den Kopf.
„Das ist kein Pferd“, sagte er. „Das ist ein wildes Biest. Eine Laune der Natur. Ausgesprochen selten. Man nennt sie Solzor, und sie stammen aus den fernsten Gegenden Pandesias. Der Lord Regent muss einen als Trophäe behalten haben. Er könnte diese Kreatur nicht reiten – niemand kann das. Solzors sind wilde Kreaturen, die man nicht zähmen kann. Komm – du verschwendest kostbare Zeit. Zurück zu den Pferden.
Doch Kyra stand wie angewurzelt da und konnte den Blick nicht abwenden. Ihr Herz pochte, denn sie wusste, was das bedeutete.
„Ich wähle ihn“, sagte sie zu Baylor.
Baylor und die anderen keuchten und starrten sie an, als wäre sie verrückt geworden. Eine betretene Stille folgte.
„Kyra“, begann Anvin, „dein Vater würde dir nie erlauben –“
„Es ist meine Entscheidung, oder nicht?“, beharrte sie.
Er runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften.
„Das ist kein Pferd“, betonte er. „Das ist ein wildes Tier.“
„Es würde dich umbringen“, fügte Baylor hinzu.
Lyra drehte sich zu ihm um.
„Warst nicht du derjenige, der gesagt hat, ich soll meinen Instinkten vertrauen?“, fragte sie. „Genau hier haben sie mich hingeführt. Dieses Tier und ich – wir sind füreinander bestimmt.“
Der Solzor stieg plötzlich auf und zertrümmerte ein weiteres Holztor, und schickte alle Männer unter dem Splitterregen in Deckung. Kyra war fasziniert. Er war wild und ungezähmt und prachtvoll. Ein Tier das zu groß war für den kleinen Pferch, zu groß für die Gefangenschaft und den anderen weit überlegen.
„Warum sollte sie ihn bekommen?“, sagte Brandon und stieß die anderen aus dem Weg. „Ich bin schließlich älter und ich will ihn haben.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, stürmte Brandon an ihr vorbei, um ihn für sich zu beanspruchen. Er wollte auf seinen Rücken springen, doch der Solzor buckelte wild und warf ihn ab. Er flog durch den Stall und schlug gegen eine Wand.
Dann schob sich Braxton an allen vorbei, als ob er ihn auch für sich beanspruchen wollte, doch in diesem Augenblick wirbelte er seinen Kopf herum und schlitzte ihm mit seinen scharfen Zähnen den Arm auf.
Blutend und kreischend stürmte Braxton aus dem Stall und hielt sich den Arm. Brandon rappelte sich auf und folgte ihm. Nur knapp entkam er dem Solzor, der ihn beißen wollte.
Kyra stand wie hypnotisiert da, doch aus irgendeinem Grund hatte sie keine Angst. Sie wusste, dass er für sie bestimmt hatte und dass er sich bei ihr anders verhalten würde. Sie spürte eine Bindung zu dem Tier, ähnlich wie mit Theos.
Plötzlich machte sie einen Schritt vor und trat vor das Tier, direkt in Reichweite seiner tödlichen Fangzähne. Sie wollte dem Solzor zeigen, dass sie ihm vertraute.
„Kyra!“, stieß Anvin hervor. „Komm zurück.“
Doch Kyra ignorierte ihn und starrte dem Tier in die Augen.
Leise knurrend erwiderte er ihren Blick, als überlegte er, was er tun sollte. Innerlich zitterte Kyra vor Angst, doch sie hätte es den anderen nie gezeigt.
Sie zwang sich, ihren Mut zu zeigen. Sie hob langsam die Hand und berührte sein rotes Fell. Er knurrte lauter, entblößte seine Zähne, und sie konnte seine Wut und Frustration spüren.
„Macht seine Ketten los“, befahl sie den anderen.
„Was?!“, rief einer der Männer.
„Das ist keine gute Idee“, sagte Baylor mit Angst in der Stimme.
„Tut was ich sage!“, beharrte sie und spürte eine Kraft in sich aufsteigen, als würde der Willen des Tiers durch sie hindurch strömen.
Hinter ihre eilten ein paar Krieger mit Schlüsseln herbei, um seine Ketten zu lösen. Die ganze Zeit über wandte das Tier nicht seine wütenden Augen von ihr ab und knurrte, als ob er sie bewertete, als ob er sie herausforderte.
Sobald seine Ketten gelöst waren, stampfte er mit den Hufen, als drohte er anzugreifen.
Doch seltsamerweise tat er es nicht. Stattdessen starrte er Kyra in die Augen und langsam schien seine Wut stiller Toleranz zu weichen, vielleicht sogar etwas wie Dankbarkeit.
Er senkte kaum merklich den Kopf; es war eine Geste, die die meisten nicht einmal bemerkte, doch sie konnte sie verstehen.
Kyra trat vor, hielt sich an seiner Mähne fest und stieg in einer schnellen Bewegung auf.
Ein kollektives Keuchen erfüllte den Raum.
Zuerst zitterte das Tier und wollte sich aufbäumen, doch Kyra spürte, dass es nur Show war. Er wollte sie nicht abwerfen – sondern nur seinen Trotz zur Schau stellen, zu zeigen, wer die Kontrolle hatte. Er wollte sie wissen lassen, dass er eine Kreatur der Wildnis war, ein Wesen, das sich von niemandem zähmen ließ.
Ich will dich nicht zähmen, sagte sie stumm zu ihm. Ich möchte nur dein Partner in der Schlacht werden.
Der Solzor beruhigte sich, immer noch stampfend, doch nicht mehr so wild; es war, als hätte er sie verstanden. Bald blieb er stehen und war vollkommen ruhig. Er knurrte die anderen an, als wollte er sie beschützen.
Kyra saß auf dem Solzor und sah auf die anderen herab. Ein Meer geschockter Gesichter mit offenen Mündern starrte ihr entgegen.
Kyra strahlte – erfüllt von einem Gefühl des Triumpfs.
„Das“, sagte sie, „ist meine Wahl; und sein Name ist Andor.“
* * *
Kyra ritt Andor langsam über den Hof von Argo, und alle Männer ihres Vaters, kampferprobte Krieger blieben stehen und beobachteten sie staunend. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
Kyra hielt sich vorsichtig an seiner Mähne fest und versuchte, ihn zu beruhigen, als er die Männer leise anknurrte und sie böse anstarrte, als wollte er Rache nehmen dafür, dass er eingesperrt gewesen war. Kyra rutschte auf dem neuen Sattel hin und her, bis sie ein bequeme Position gefunden hatte und versuchte, sich daran zu gewöhnen, so hoch zu sitzen. Mit diesem Tier unter sich, fühlte sie sich mächtiger als je zuvor.
Deirdre ritt eine wunderschöne Stute neben ihr her, eine, die Baylor für ist ausgesucht hatte und sie ritten durch den Schnee, bis Kyra ihren Vater in der Ferne am Tor stehen sah. Er wartete mit seinen Männern auf sie, um sie zu verabschieden, und auch sie sahen mit Angst und Staunen zu ihr empor, sprachlos, dass sie dieses Tier reiten konnte. Sie sah die Bewunderung in ihren Blicken und es machte ihr Mut für die Reise, die sie vor sich hatte. Wenn Theos nicht zu ihr zurückkehrte hatte sie zumindest diese wunderbare Kreatur unter sich.
Kyra stieg ab, als sie ihren Vater erreichte und führte Andor an seiner Mähne, als sie Sorge in den Augen ihres Vaters aufflackern sah. Sie wusste nicht, ob es wegen dem Tier war oder wegen der Reise, die sie vor sich hatte. Doch seine Besorgnis zeigte ihr, dass sie nicht die einzige war, die sich vor dem fürchtete, was vor ihr lag, und dass er sich doch um sie sorgte. Einen kurzen Augenblick lang ließ er seinen Maske fallen und warf ihr einen Blick zu, den nur sie erkennen konnte – in ihm lag die Liebe eines Vaters. Sie spürte, dass es ihm nicht leicht fiel, sie auf diese Mission zu schicken.
Sie blieb kurz vor ihm stehen und sah ihn an. Alle schwiegen und sammelten sich um sie herum, um den Austausch zu beobachten.
Sie lächelte ihn an.
„Keine Sorge Vater“, sagte sie. „Du hast mich dazu erzogen, stark zu sein.“
Er nickte und tat so, als wäre er beruhigt, doch sie konnte sehen, dass er es nicht war. Er war immer noch mehr ihr Vater als ihr Kommandant.
Er blickte auf und suchte den Himmel ab.
„Wenn nur dein Drache jetzt hier wäre“, sagte er. „Du könntest Escalon in ein paar Minuten überqueren. Und besser noch – er könnte dich auf deiner Reise beschützen und zu Asche verbrennen, wer immer auch sich dir in den Weg stellt.“
Kyra lächelte traurig.
„Theos ist fort, Vater.“
Er sah sie fragend an.
„Für immer?“, fragte er, die Frage eines Kriegsherrn, der seine Männer in die Schlacht führte – eine Frage die er stellen musste, sie jedoch auszusprechen fürchtete.
Kyra schloss die Augen und versuchte eine Antwort zu erhalten. Sie bat Theos um eine Antwort.
Doch es kam nichts als ohrenbetäubende Stille. Sie fragte sich, ob sie je eine Verbindung zu Theos gehabt hatte, oder ob sie sich alles nur eingebildet hatte.
„Ich weiß es nicht, Vater“, antwortete sie ehrlich.
Er nickte und akzeptierte es mit der Miene eines Mannes der gelernt hatte, Dinge zu akzeptieren wie sie waren und sich nur auf sich selbst zu verlassen.
„Erinnere dich an was ich –“, begann ihr Vater.
„KYRA!“, hallte ein aufgeregter Schrei durch die Luft.
Kyra drehte sich um als die Männer Platz machten und ihr Herz machte einen Sprung, als sie Aidan sah, der mit Leo an seiner Seite durch das Stadttor gerannt kam. Er rannte auf sie zu und stolperte durch den Schnee, um Leo einzuholen, der viel schneller war und bereits Kyra angesprungen hatte.
Kyra lachte, als Leo sie umwarf. Er stand auf ihrer Brust und leckte ununterbrochen ihr Gesicht. Andor knurrte hinter ihr, schon bereit, sie zu beschützen. Leo sprang auf und stellte sich ihm knurrend gegenüber. Beide waren furchtlose Kreaturen, beide mit demselben Beschützerinstinkt, und Kyra fühlte sich geehrt.
Sie sprang auf und stellte sich zwischen sie, wobei sie Leo zurückhielt.
„Es ist okay, Leo“, sagte sie. „Andor ist mein Freund. Und Andor“, sagte sie und drehte sich um. „Leo ist auch mein Freund.“
Leo zog sich widerwillig zurück, während Andor weiter knurrte, wenn auch leiser.
„Kyra!“
Kyra drehte sich um, als Aidan ihr um den Hals fiel. Sie hielt ihn fest an sich gedrückt, während sich seine kleinen Hände an ihren Rücken klammerten. Es fühlte sich so gut an, ihren kleinen Bruder zu umarmen, denn sie war sich sicher, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Er war das letzte bisschen, Normalität in dem Chaos, das aus ihrem Leben geworden war, das einzige, das sich nicht verändert hatte.
„Ich habe gehört, dass du hier bist“, sagte er eilig, „da bin ich ganz schnell gekommen. Ich bin so froh, dass du zurück bist.“
Sie lächelte traurig.
„Leider nicht für lange, kleiner Bruder“, sagte sie.
Besorgnis huschte über sein Gesicht.
„Du gehst schon wieder?“, fragte er niedergeschlagen.
Ihr Vater mischte sich ein.
„Sie ist auf dem Weg zu ihrem Onkel“, erklärte er. „Lass sie gehen.“
Kyra bemerkte, dass ihr Vater zu ihrem Onkel gesagt hatte, nicht zu eurem Onkel, und fragte sich, warum.
„Dann gehe ich mit ihr“, erklärte Aidan stolz.
Ihr Vater schüttelte den Kopf.
„Das wirst du nicht tun“, antwortete er.
Kyra lächelte auf ihren kleinen Bruder herab. Er war tapfer wie immer.
„Vater braucht dich anderswo“, sagte sie.
„An der Front?“, fragte Aidan und drehte sich hoffnungsvoll zu ihrem Vater um. „Du gehst nach Esephus“, sagte er eilig. „Ich habe es gehört! Ich will mit!“
Doch wieder schüttelte er den Kopf.
„Du bleibst in Volis“, antwortete er. „Du wirst dort bleiben, beschützt von meinen Männern, die ich dort zurücklasse. Die Front ist noch nichts für dich. Eines Tages…“
Aidan wurde rot vor Enttäuschung.
„Aber ich will kämpfen, Vater!“, protestierte er. „Ich muss nicht in einem leeren Fort mit Frauen und Kindern bleiben!“
Seine Männer kicherten, doch ihr Vater blieb ernst.
„Meine Entscheidung ist gefallen“, antwortete er kurz.
Aidan verzog das Gesicht.
„Ich darf Kyra nicht begleiten und ich kann nicht mit dir kommen“, beharrte er. „Was nutzt mir dann all der Unterricht über Schlachten und in Waffenkunde? Wofür war dann all mein Training?“
„Lass dir erst mal Haare auf der Brust wachsen, kleiner Bruder“, lachte Braxton, der mit Brandon an seiner Seite vortrat.
Gelächter ertönte und Aidan wurde hochrot, da Braxton ihn offensichtlich vor allen anderen in Verlegenheit gebracht hatte.
Kyra fühlte sich schlecht für ihren kleinen Bruder. Sie kniete sich vor ihn, sah in an und legte eine Hand auf seine Wange.
„Du wirst ein besserer Krieger werden als sie alle zusammen“, versicherte sie ihm leise, sodass nur er es hören konnte. „Sei geduldig, und pass in der Zwischenzeit auf Volis auf. Es braucht dich. Mach mich stolz. Ich werde zurückkehren, das verspreche ich, und eines Tages werden wir große Schlachten zusammen schlagen.“
Aidan schien sich ein wenig zu entspannen, denn er lehnte sich vor und umarmte sie erneut.
„Ich will nicht, dass du gehst“, sagte er leise. „Ich habe von dir geträumt. Ich habe geträumt…“ Er sah sie zögernd mit ängstlichen Augen an. „…dass du da draußen stirbst.“
Kyra erschrak bei seinen Worten, und besonders, als sie den Blick in seinen Augen sah. Er machte ihr Angst und sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Anvin trat neben sie und legte ein dickes, warmes Fell über ihre Schulter, das sie wärmte. Sie stand auf und fühlte sich zehn Pfund schwerer, doch es hielt den Wind ab und sie fröstelte nicht mehr. Er lächelte.
„Deine Nächte werden lang sein, und das nächste Feuer vielleicht meilenweit weg“, sagte er und umarmte sie.
Ihr Vater trat schnell vor und umarmte sie ebenfalls, es war die starke Umarmung eines Kriegsherrn. In seinen Armen fühlte sie sich sicher und beschützt.
„Du bist meine Tochter“, sagte er fest. „Vergiss das nicht.“ Dann senkte er seine Stimme, damit die anderen ihn nicht hören konnten, und fügte hinzu, „Ich liebe dich.“
Sie war überwältigt von Gefühlen, doch bevor sie antworten konnte, drehte er sich schnell um und eilt davon. Im selben Augenblick winselte Leo, sprang sie an und stupste mit seiner Nase gegen ihre Brust.
„Er will mit dir kommen“, bemerkte Aidan. „Nimm ihn mit – du brauchst ihn viel mehr als ich, wenn ich in Volis eingepfercht bin. Er gehört sowieso dir.“
Kyra umarmte Leo. Sie konnte ohnehin nicht ablehnen, denn er weigerte sich, von ihrer Seite zu weichen. Der Gedanke, dass er sie begleiten würde, spendete ihr Trost, da sie ihn zutiefst vermisst hatte. Sie konnte ein weiteres Paar Augen und Ohren gut gebrauchen und niemand war treuer als Leo.
Sie war bereit.
Kyra kletterte in Andors Sattel und die Männer ihres Vater machten Platz. Sie hielten als Zeichen des Respekt Fackeln entlang der Brücke hoch, verscheuchten die Nacht und erleuchteten den Weg für sie. Sie blickte über sie hinweg und sah den Himmel, der sich schnell verdunkelte, die Wildnis, die vor ihr lag. Sie spürte Aufregung, Angst, und ein Gefühl der Pflicht, das alle anderen übertraf. Ein Zielbewusstsein. Vor ihr lag die wichtigste Aufgabe ihres Lebens, eine Mission, die sich nicht nur auf ihre Identität, sondern auf das Schicksal ganz Escalons auswirken würde. Der Einsatz hätte nicht höher sein können.
Ihr Stab hing über der einen Schulter, der Bogen über der anderen, Leo und Deirdre an ihrer Seite, auf Andor sitzend unter den Blicken der Männer ihres Vater ritt Kyra auf das Stadttor zu. Zuerst ritt sie langsam an den Männern mit den Fackeln vorbei, und hatte das Gefühl in einen Traum zu reiten, in ihr Schicksal. Sie drehte sich nicht um, denn sie wollte ihre Entschlossenheit nicht verlieren. Ein leises Horn, das einer der Männer ihres Vaters blies, war ein Segen für ihre Reise und Zeichen des Respekts.
Sie wollte Andor antreiben, doch er hatte ihren Wunsch schon gespürt. Zuerst fiel er in einen Trab, dann in einen Galopp.
Kurze Zeit später jagte Kyra durch den Schnee, durch die Tore von Argos, über die Brücke, auf das offene Feld, den kalten Wind in den Haare und vor ihr nichts als einer langen Straße, wilde Kreaturen und die aufziehende Dunkelheit der Nacht.