Читать книгу Erweckt - Морган Райс, Morgan Rice - Страница 9
KAPITEL ZWEI
ОглавлениеNachdem Caleb die Polizisten hinaus gebracht hatte, schloss er die Tür und marschierte zurück in den Raum und sah Caitlin finster an. Sie hatte noch nie gesehen, dass er sie so wütend anschaute und ihr Herz sank. Sie fühlte sich, als würde ihr ganzes Leben vor ihren Augen entwirrt werden.
“Du kannst sowas nicht in der Öffentlichkeit sagen!” blaffte er sie an. “Du klingst wie eine Verrückte! Die denken noch, dass wir alle verrückt sind. Sie werden uns nicht ernst nehmen.”
“Ich bin NICHT verrückt!”, blaffte Caitlin zurück. “Und Du solltest auf meiner Seite sein, nicht auf ihrer, und hör auf so zu tun, als sei alles normal. Du warst mit mir in diesem Raum. Du weißt, was Du gesehen hast. Scarlet hat Dich durch den Raum geworfen. Würden Krämpfe so etwas auslösen? Eine Krankheit?”
“Also was willst Du damit sagen?”, erwiderte Caleb, seine Stimme stieg an. “Das bedeutet, sie ist ein Monster? Ein Vampir? Das ist lächerlich. Du klingst, als hättest Du den Kontakt zur Wirklichkeit verloren.”
Caitlins Stimme ging ebenfalls hoch. “Also, wie erklärst Du dir das?”
“Es gibt eine Menge Erklärungen”, sagte er.
“Wie welche?”
“Vielleicht hat es etwas mit ihrer Krankheit zu tun. Oder vielleicht, wie sie gesagt haben, war es eine Art von Drogen. Vielleicht dieser Junge, Blake—”
“Das ist lächerlich”, spuckte Caitlin aus. “Blake ist ein guter Junge. Er ist kein Drogendealer. Und nebenbei, Du hast gesehen, wie sie uns davongelaufen ist. Wir hatten noch nicht einmal eine Chance. Das war nicht normal. Tu nicht so, als hättest Du nicht gesehen, was Du gesehen hast.”
“Das höre ich mir nicht weiter an”, sagte Caleb.
Er drehte sich um und marschierte durch den Raum, zog seinen Armeemantel vom Haken, legte ihn an und zog den Reisverschluss schnell hoch.
“Wo gehst Du hin?” fragte Caitlin.
“Ich werde sie finden. Ich kann hier nicht nur rumsitzen. Es macht mich verrückt. Ich muss nach ihr suchen.”
“Die Polizisten sagte, der beste Platz wäre hier. Was ist, wenn sie nach Hause kommt, währen Du dort draußen bist?” fragte Caitlin.
“Dann kannst Du hierbleiben und mich anrufen”, blaffte Caleb. “Ich gehe jetzt raus.”
Mit diesen Worten ging er durch den Raum, öffnete die Tür und schlug sie hinter sich zu. Caitlin lauschte auf das Geräusch seiner Stiefel, die schnell die Verandatreppe hinab liefen, über den knirschenden Kies, dann hörte sie, wie er in sein Auto stieg und wegfuhr.
Caitlin hätte am liebsten geweint. Sie wollte nicht mit Caleb streiten—besonders jetzt. Aber sie musste ihn davon überzeugen, dass sie nicht den Kontakt zur Realität verloren hatte. Sie wusste, was sie gesehen hatte. Und sie wusste, dass es richtig war. Sie würde sich nicht von anderen überzeugen lassen, dass sie ihren Verstand verlor.
Caitlin drehte sich zu Sam und Polly um, die dort standen, sehr still, die Augen vor Überraschung weit geöffnet. Sie hatten Caitlin und Caleb nie zuvor streiten sehen. Caitlin selbst hatte sich noch nicht mit ihm streiten sehen—bis zu diesem Moment war ihre Beziehung nichts anderes als Harmonie gewesen. Sam und Polly sahen beide wie betäubt aus, sie hatten Angst zu stören. Sie schauten sie ebenfalls so an, als wäre sie ein bisschen verrückt, nicht ganz richtig im Kopf. Sie fragte sich, ob die beiden auf Calebs Seite standen.
“Ich fühle mich, als sollte ich vielleicht auch dort draußen suchen”, sagte Sam zögerlich. “Zwei Autos, die die Straßen absuchen sind besser als eins. Und hier bin ich ziemlich nutzlos. Ist das okay?” fragte er Caitlin.
Caitlin nickte ihm zu, ängstlich davor, ihren Mund zu öffnen, da sie sonst weinen würde. Sam hatte Recht; er würde hier im Haus nicht sehr nützlich sein. Und sie hatte Polly. Sam kam herüber und gab ihr eine schnelle Umarmung, dann drehte er sich um und ging.
“Ich habe mein Handy dabei”, sagte er, als er ging. “Ruf mich an, wenn Du was hörst.”
Sam schloss die Tür hinter sich und Polly kam herüber zu Caitlin und umarmte sie lange. Caitlin schloss sie ebenfalls in die Arme. Es fühlte sich so gut an, seine beste Freundin hier zu haben, an ihrer Seite. Sie wusste nicht, was sie ohne sie tun würde.
Die beiden saßen nebeneinander auf der Couch, als Caitlin sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Ihre Augen waren bereits rot und wund von all den Stunden des Weinens. Nun fühlte sie sich völlig leer.
“Es tut mir so leid”, sagte Polly. “Das ist ein Alptraum. Einfach schrecklich. Es gibt keine Worte dafür. Nichts davon macht irgendeinen Sinn. Ich weiß, dass Scarlet nichts mit Drogen zu tun hat. Das würde sie nie tun. Und Du hast Recht: Blake scheint ein guter Junge zu sein.”
Caitlin saß dort, aus dem Fenster in die aufkommende Nacht schauend und nickte verständnislos vor sich hin. Sie wollte reden, aber sie fühlte sich so wacklig an, dass sie Angst hatte, erneut in Tränen auszubrechen, wenn sie damit begann.
“Was denkst Du darüber, was die Polizei sagte?”, fragte Polly. “Kontakt zu ihren Freunden aufzunehmen? Denkst Du, dass es eine gute Idee ist?”
Als Polly dies sagte, fiel es Caitlin plötzlich wieder ein und ihr war klar, dass dies das Beste war, was sie machen konnte. Sie zerbrach sich ihren Kopf, wie sie mit ihren Freunden in Kontakt treten sollte.
Dann traf es sie: Scarlets Handy. Sie war hier rausgestürmt, ohne eine Pause, in der sie es hätte mitnehmen können. Ihr Handy musste noch irgendwo im Haus sein. Vielleicht in ihrer Tasche. Wahrscheinlich in ihrem Schlafzimmer.
Caitlin sprang von der Couch.
“Du hast Recht”, sagte sie. “Ihr Handy. Es muss in ihrem Schlafzimmer sein.”
Caitlin rannte durch den Raum und die Treppen hinauf, Polly und Ruth auf den Fersen.
Sie eilte in Scarlets Schlafzimmer, sah die umgedrehten Kissen und Bettwäsche, sah die Dellen im Rigips, wo Caleb vorgeworfen wurde, wo ihr eigener Kopf aufgeschlagen war und erinnerte sich. Es brachte alles zurück und gab ihr das Gefühl, als wenn sie es wieder erleben würde. Es sah aus wie die Szene einer Katastrophe.
Caitlin fühlte eine Woge der Entschlossenheit, als sie sich durch das Zimmer wühlte. Sie durchwühlte das Chaos auf dem Schreibtisch, auf ihrer Kommode – dann sah sie ihre Tasche, die an einem Stuhl hing. Sie durchwühlte sie, sich dabei ein bisschen schuldig fühlend, und fühlte endlich ihr Handy in der Hand. Sie zog es heraus, siegreich.
“Du hast es gefunden!”, schrie Polly, und eilte hinüber.
Caitlin sah, dass der Akku noch hielt. Sie öffnete es, fühlte sich dabei schlecht zu spionieren, aber sie wusste, dass sie es tun musste. Sie kannte die Nummern von Scarlets Freunden nicht und hatte keine andere Wahl, um mit ihnen in Kontakt zu treten.
Sie tippte auf Scarlets Kontakte, und ging dann zu ihren Favoriten. Sie scrollte sich durch und sah dutzende Namen. Einige davon kannte sie, andere nicht.
“Wir sollten sie alle anrufen”, sagte Polly. “Einen nach dem anderen. Vielleicht weiß einer von ihnen etwas.”
Caitlin stand benommen da und fühlte sich plötzlich überfordert. Als sie den ersten Kontakt anrufen wollte, bemerkte sie, wie schlimm ihre Hände zitterten.
Polly bemerkte es auch, sie streckte ihre Hand aus und legte sie beruhigend auf Caitlins Handgelenk und sah sie an.
“Caitlin, Süße, Du stehst immer noch unter Schock. Lass mich diese Leute für Dich anrufen. Bitte. Es würde mir etwas zu tun geben. Setz Dich einfach hin und ruh Dich aus. Du bist durch die Hölle gegangen und Du hast alles getan, was Du tun konntest.”
Als Polly dies sagte, wusste Caitlin, dass sie Recht hatte. Sie war wirklich nicht bei Verstand. Sie sah auf das Telefon und, für einen Moment, hatte sie vergessen, was sie tun wollte. Sie streckte die Hand aus und gab das Handy an Polly.
Caitlin drehte sich um und ging aus dem Raum und in diesem Moment schon hörte sie Pollys Stimme durch die Luft klingen, die bereits jemanden erreicht hatte.
“Ist da Heather?” rief Polly. “Hier ist Polly Paine. Ich bin Scarlet Paines Tante. Es tut mir leid, wenn ich Dich störe, aber wir suchen Scarlet. Hast Du sie gesehen?”
Pollys Stimme verblasste, als Caitlin die Treppe runterging. Sie hielt sich am Geländer fest als sie ging, sie fühlte sich schwindelig, als würde die Welt unter ihren Füßen verschwimmen.
Schließlich erreichte sie das Wohnzimmer, ging zu einem großen, gepolsterten Stuhl und sank in ihn hinein. Dort saß sie, starrte aus dem Fenster und ihre Gedanken überschlugen sich. Trotz ihrer Bemühungen, blitzten Bilder durch ihren Kopf: Scarlet im Bett; schreiend; ihr knurren; wie sie Caleb geworfen hatte; wie sie aus dem Haus gestürmt war… War das alles passiert?
Als sie so da saß, konnte sie nicht umhin an ihr Treffen mit Aiden zu denken. Oder in seinen Worten, an ihr Tagebuch. War ihr Tagebuch Grund für all dies hier? Warum hatte sie zu dem dummen Dachboden gehen müssen? Warum hatte sie ihn besuchen müssen? Wenn sie es nicht getan hätte, wenn sie alles hinter sich gelassen hätte, wäre das alles hier auch passiert?
Sie dachte an Aidens Warnung, dass Scarlet den Vampirismus wieder auf die Welt loslassen würde.
Du musst sie stoppen.
Caitlin saß da, und wunderte sich. Was tat Scarlet jetzt da draußen? Ernährte sie sich von Menschen? Verwandelte sie sie in einen Vampir? Verbreitete sie sich gerade, sogar jetzt? Würde die Welt nie mehr dieselbe sein? War Caitlin verantwortlich?
Caitlin hätte am liebsten ihr Handy zur Hand genommen und Aiden angerufen. Ihn fertiggemacht. Verlangt, dass er ihr jetzt alles sagen sollte, jedes kleine Detail.
Aber sie konnte sich nicht überwinden. Sie griff nach ihrem Handy, aber irgendetwas in ihr stoppte sie. Sie dachte an Aidens letzte Worte und diese brachten ihr eine neue Welle Übelkeit. Sie liebte Scarlet mehr als ihr Leben und würde ihr nie schaden.
Als Caitlin dort saß, das Telefon haltend, aus dem Fenster starrend, Pollys gedämpfte Stimme von oben hörend, raste ihr Verstand. Ihre Augenlider wurden ihr schwer. Bevor sie sich versah, war sie eingeschlafen.
*
Caitlin wachte auf und fand sich allein in ihrem großen, leeren Haus. Die Welt war still. Sie saß dort, fragte sich, wohin alle gegangen waren, stand auf und durchquerte den Raum. Seltsamerweise waren alle Jalousien und Vorhänge zugezogen. Sie ging zu einem der Fenster und zog sie beiseite. Als sie nach draußen sah, sah sie die blutrote Sonne – aber die Zeit schien eine andere zu sein. Es sah nicht nach Sonnenuntergang, sondern nach Sonnenaufgang aus. Sie war verwirrt. Hatte sie die ganze Nacht geschlafen? War Scarlet nach Hause gekommen? Und wo waren alle hin?
Caitlin ging Richtung Eingangstür. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass Scarlet vielleicht dort war, auf sie wartend.
Sie zog langsam die schwere Tür auf und sah hinaus. Aber die Welt war absolut still. Es war nicht eine einzige Person auf der Straße, oder auch nur ein Auto in Sicht. Alles, was sie hören konnte, war der Klang eines einsamen Vogelgezwitschers. Sie sah hoch und sah, dass es ein Rabe war.
Caitlin hörte ein plötzliches Geräusch, drehte sich herum und ging zurück durch das Haus. Sie ging in die Küche, auf der Suche nach einem Zeichen von irgendwem. Sie hörte ein klopfen und ging zu dem Fenster an der hinteren Wand. Die Vorhänge waren auch hier sehr eng zugezogen, was seltsam war, da Caitlin sie immer offen ließ. Sie griff nach den Vorhängen und zog an der Schnur.
Als sie aufgingen, sprang sie erschrocken zurück. Draußen stehen, mit dem Gesicht zum Fenster war das blasse, weiße Gesicht eines Vampirs, mit einer Glatze, die Fänge ausgefahren und gegen das Glas beißend. Es fauchte und zischte, als er es mit seinen Händen griff und seine Handflächen gegen das Glas drückend. Caitlin konnte seine langen, gelben Fingernägel sehen.
Da war ein anderes, plötzliches Geräusch und Caitlin sah sich um und sah das Gesicht eines anderen Vampirs am seitlichen Fenster.
Dann hörte sie hinter sich das Geräusch von brechendem Glas, drehte sich um und sah in die andere Richtung ein anderes Gesicht. Dieses knallte seinen Kopf direkt gegen das Glas, sie dabei verspottend.
Plötzlich war das Haus erfüllt von dem Klang brechenden Glases. Caitlin rannte durch das Haus, und überall wo sie hinsah, waren die Wände anders, als sie sich erinnern konnte. Sie waren jetzt alle aus Glas gemacht und sie sah, dass alle Vorhänge zurückgezogen waren und die Fenster zerbrochen und Vampir nach Vampir steckte ihre Köpfe hindurch.
Caitlin rannte von Raum zu Raum, zur Eingangstür, in dem Versuch zu fliehen, als mehr und mehr Fenster zersplitterten.
Sie erreichte die Tür und riss sie auf – und blieb wie angewurzelt stehen.
Dort stand, sie anblickend, ein toter Ausdruck in den Augen, Scarlet. Sie starrte Caitlin an, sah mehr tot als lebendig aus, sehr weiß und mit einem grimmigen Ausdruck, der ausdrückte, dass sie töten wollte. Noch schockierender, hinter ihr stand eine Armee von Vampiren – tausende von denen. Alle wollten ihr folgen, beim Sturm auf Caitlins Haus.
“Scarlet?”, fragte sie, und hörte dabei die Angst in ihrer eigenen Stimme.
Aber bevor sie reagieren konnte, verzog Scarlet das Gesicht, lehnte sich zurück und stürzte sich auf Caitlin, Ihre Reißzähne direkt auf den Hals gerichtet.
Caitlin wachte schreiend auf, in ihrem Stuhl sitzend. Sie griff nach ihrem Hals, ihn mit einer Hand reibend, während sie mit der anderen Hand versuchte, Scarlet abzuwehren.
“Caitlin? Bist Du OK?”
Nach einigen Sekunden beruhigte sich Caitlin, sah auf und realisierte, dass es nicht Scarlet war. Es war Sam. Zuerst war sie verwirrt. Dann merkte sie mit ungeheurer Erleichterung, dass sie geschlafen hatte. Es war nur ein Alptraum gewesen.
Caitlin saß dort und atmete schwer. Über ihr stehend war Sam, eine Hand auf ihrer Schulter, sie besorgt ansehend, und Polly. Die Lampen waren an und sie sah, dass es draußen dunkel war. Sie blickte auf die Standuhr und sah, dass es nach Mitternacht war. Sie musste auf dem Stuhl eingeschlafen sein.
“Bist Du okay?”, fragte Sam erneut.
Jetzt war Caitlin verlegen. Sie setzte sich auf und wischte sich die Stirn ab.
“Es tut uns leid, dass wir Dich geweckt haben, aber sah aus, als hättest Du einen Alptraum gehabt”, meinte Polly.
Caitlin stand langsam auf und versuchte die schreckliche Vision des Traums abzuschütteln. Es hatte sich so real angefühlt, sie konnte fast den Schmerz an ihrem Hals fühlen, wo sie von ihrer eigenen Tochter gebissen worden war.
Aber es war nur ein Traum. Sie musste sich das selbst sagen. Nur ein Traum.
“Wo ist Caleb?”, fragte sie, sich erinnernd. “Habt Ihr irgendwas gehört? Wie liefen die Anrufe?”
Die Ausdrücke auf den Gesichtern von Sam und Pollys Gesichtern sagten ihr alles, was sie wissen musste.
“Caleb sucht immer noch nach ihr”, sagte Sam. “Ich habe es vor etwa einer Stunde aufgegeben. Es ist ziemlich spät. Aber wir wollten Dir Gesellschaft leisten, bis er nach Hause kommt.”
“Ich habe alle ihre Freunde angerufen”, stimmte Polly ein. “Jeden einzelnen. Ich habe die meisten von ihnen erreicht. Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Sie waren alle genauso überrascht wie wir. Ich habe auch Blake erreicht. Aber er sagt, er hat nicht ein Wort von ihr gehört. Es tut mir so leid.”
Caitlin rieb ihr Gesicht, versuchte die Müdigkeit zu vertreiben. Sie hatte gehofft, dass alles wieder normal wäre, wenn sie aufwachte. Das Scarlet wieder zurück wäre, zu Hause, sicher. Dass das Leben wieder normal wäre. Aber als sie Sam und Polly dort stehen sah, in ihrem Haus, nach Mitternacht, mit so besorgten Gesichtern, brachte alles zurück. Es war alles wahr. Zu wahr. Scarlet wurde vermisst. Und würde vielleicht nie zurückkommen.
Die Erkenntnis traf Caitlin wie ein Messer. Sie konnte kaum atmen bei dem Gedanken daran. Scarlet, ihre einzige Tochter. Die Person, die sie im Leben am meisten liebte. Sie konnte sich ein Leben ohne sie nicht einmal vorstellen. Sie wollte dort raus rennen, jede Straße absuchen, schreien und brüllen wegen der Ungerechtigkeit. Aber sie wusste, das würde nichts bringen. Sie musste hier sitzen bleiben und warten.
Plötzlich war da ein Geräusch an der Tür. Alle drei sprangen auf und sahen hoffend zur Tür. Caitlin rannte auf sie zu, betend, das vertraute Gesicht ihrer Teenager-Tochter zu sehen.
Aber ihr Herz sank, als sie sah, dass es nur Caleb war. Nach Hause zurückehrend – mit einem grimmigen Ausdruck auf seinem Gesicht. Der Anblick ließ ihr Herz weiter sinken. Es war klar, dass er nicht erfolgreich gewesen war.
Sie wusste, dass es nutzlos war, aber sie fragte trotzdem: “Irgendetwas?”
Caleb sah auf den Boden, als er den Kopf schüttelte. Er sah aus wie ein gebrochener Mann.
Sam und Polly tauschten einen Blick, kamen dann zu Caitlin herüber und umarmten sie beide.
“Ich komme direkt morgen früh rüber”, sagte Polly. “Ruf mich an, wenn Ihr irgendetwas hört. Selbst wenn es mitten in der Nacht ist. Versprochen?”
Caitlin nickte zurück, zu überwältigt zum Sprechen. Sie fühlte, dass Polly sie umarmte und drückte sie zurück, dann drückte sie ihren kleinen Bruder.
“Ich liebe Dich, Schwester”, sagte er an ihrer Schulter. “Halte durch. Sie wird in Ordnung sein.”
Caitlin wischte ihre Tränen weg und sah, dass Sam und Polly aus der Tür traten.
Nun waren hier nur noch sie und Caleb. Normalerweise wäre sie begeistert, allein mit ihm zu sein – aber nach dem Streit fühlte sie sich nervös. Caleb, das konnte sie sehen, war in seiner eigenen Welt aus Elend und Bedauern verloren; sie fühlte auch, dass er noch sauer auf sie war, dass sie ihre Theorie der Polizei erzählt hatte.
Es war zu viel für Caitlin, um es zu ertragen. Sie erkannte, dass sie auf Calebs Rückkehr gehofft hatte, eine Spur von Optimismus, dass er hereingestürmt käme und etwas Positives verkünden würde. Aber ihn so zurückkehren zu sehen, mit nichts, gar nichts, brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen. Scarlet war den ganzen Tag weg gewesen. Niemand wusste, wo sie war. Es war nach Mitternacht und sie war nicht nach Hause gekommen. Sie wusste, dass dies ein schlechtes Zeichen war. Sie wollte sich die Möglichkeiten nicht einmal vorstellen, aber sie wusste, dass es sehr, sehr schlecht war.
“Ich gehe ins Bett”, verkündete Caleb, als er sich rumdrehte und die Treppe hinaufstolzierte.
Caleb sagte immer “gute Nacht”, er fragte sie immer, ob sie mit ihm ins Bett ginge. Um genau zu sein, konnte sich Caitlin nicht an eine Nacht erinnern, in der sie nicht zusammen ins Bett gegangen waren.
Jetzt hatte er sie nicht einmal gefragt.
Caitlin ging zurück zu ihrem Stuhl im Wohnzimmer und saß dort, auf seine Schritte die Stufen hoch hörend, und hörte, wie die Schlafzimmertür sich hinter ihm schloss. Es war das einsamste Geräusch, das sie je gehört hatte.
Sie brach in Tränen aus und weinte, sie wusste nicht, wie lange. Schließlich rollte sie sich zusammen und weinte in die Kissen. Sie erinnerte sich wage, dass Ruth kam und versuchte, ihr Gesicht zu lecken, aber es war alles verschwommen, denn bald danach, zerbrach ihr Körper in schluchzen und sie fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf.