Читать книгу Verraten - Морган Райс, Morgan Rice - Страница 12
8. Kapitel
ОглавлениеCaitlin flog immer weiter und ließ sich einfach vom Wind tragen. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie flog, aber es war ihr egal – sie hatte ohnehin kein Ziel, und es gab nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte. Ihr geliebter Caleb hatte sie betrogen, und die einzige andere Person, die sie liebte, ihr Bruder Sam, hatte sie wahrscheinlich ebenfalls verraten. Schließlich hatte Sam Samantha und all diese bösen Vampire direkt zu ihr in die King’s Chapel geführt. Gab es überhaupt noch jemanden auf dieser Welt, dem sie vertrauen konnte? War es ihr Schicksal, dass jeder, der eine Rolle in ihrem Leben spielte, sie schließlich täuschte und hinterging?
Als Caitlin über den Hudson River flog, sah sie das Wasser im Mondlicht glänzen. Die Nachtluft, die ihr über das Gesicht und durch die Haare strich und ihre Tränen trocknete, fühlte sich gut an. Inzwischen lag die Insel schon weit hinter ihr und war nur noch als kleiner Punkt am Horizont zu erkennen. Caitlin flog immer weiter, sie musste unbedingt einen klaren Kopf bekommen.
Dann ließ sie sich im Sturzflug fallen und fing sich unmittelbar über der Wasseroberfläche ab. Sie genoss die Nähe des Wassers. Am liebsten wäre sie hineingetaucht, aber sie wusste, dass das zwecklos wäre. Ein Vampir konnte nicht sterben, nicht einmal durch Ertrinken.
Während sie dicht über dem Wasser dahinflog, sprangen überall um sie herum Fische aus dem Wasser. Offensichtlich hatten sie ihre Anwesenheit gespürt. Lag es an dem Vampirblut, das jetzt in ihren Adern floss?
Als Caitlin wieder an Höhe gewann, wurde ihr Kopf allmählich klarer. Sie dachte über alles nach, was passiert war. Die Einzelheiten verschwammen bereits. War es möglich, dass sie sich in etwas hineingesteigert hatte? Was hatte Caleb denn eigentlich getan? Ja, Sera war aufgekreuzt, das war durch nichts zu entschuldigen. Doch als Caitlin jetzt darüber nachdachte, ging ihr auf, dass sie gar nicht genau wusste, warum Sera dort war, oder wie sie dorthin gelangt war. Sie konnte sich gar nicht sicher sein, dass Caleb sie gebeten hatte zu kommen. Außerdem wusste sie nicht, ob die beiden tatsächlich wieder zusammen waren. Konnte es sein, dass es eine andere Erklärung für alles gab?
Vielleicht hatte sie vorschnell reagiert. Das war immer schon ihr Problem gewesen, sie konnte sich einfach nicht beherrschen.
In einem großen Bogen kehrte sie um und flog wieder auf die Insel zu. Vielleicht würde sie sogar dorthin zurückkehren. Wohin sollte sie auch sonst fliegen?
Vielleicht sollte sie Caleb doch wenigstens eine Chance geben, ihr die Situation zu erklären. So oft schon hatte er ihr das Leben gerettet. Die ganze Zeit hatte er über sie gewacht und sie gepflegt, als sie sich ins Leben zurückgekämpft hatte. Möglicherweise liebte er sie ja doch noch. Möglicherweise …
Sicher konnte sie sich nicht sein. Aber je länger sie flog, desto deutlicher wurde ihr, dass sie Caleb zumindest eine Chance zur Klärung schuldig war.
Ja, die würde sie ihm geben. Und dann würde sie ihre Entscheidung treffen.
* * *
Caleb war fuchsteufelswild. Wieder einmal war Sera in seinem Leben aufgetaucht und hatte für Zerstörung gesorgt, wo sie ihren Fuß auch hinsetzte. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie oft er sie im Laufe der Jahrtausende aufgefordert hatte, sich von ihm fernzuhalten, wie oft er ihr erklärt hatte, dass er keine Gefühle mehr für sie hegte und sie nicht mehr in seinem Leben haben wollte. Doch trotzdem war sie unzählige Male in den unpassendsten Augenblicken aufgekreuzt. Es war, als würde sie es spüren, wenn er jemanden kennengelernt hatte, wenn er mit jemandem zusammen war, der ihm wichtig war. Und immer wieder schaffte sie es, zum absolut ungünstigsten Zeitpunkt aufzutauchen. Sie war die besitzergreifendste Person, die er je kennengelernt hatte. Inzwischen quälte sie ihn schon seit einer Ewigkeit.
Doch diesmal würde er ihr ihren Auftritt nicht durchgehen lassen. Zu oft schon hatte sie seine Beziehungen zerstört, jetzt war das Maß voll. Caitlin bedeutete ihm mehr als jede andere Frau – Vampir oder Mensch –, mit der er je zusammen gewesen war. Und Sera musste das gespürt haben, wie eine Motte, die ins Licht fliegt. Deshalb war sie wieder aus der Versenkung aufgetaucht und hatte ihn aufgespürt.
Sie hatte eine Ausrede – sie hatte eigentlich immer eine Ausrede. Das war das Problem mit ihr: Man konnte ihr nie die ganze Schuld zuweisen, weil sie jedes Mal mit einer dringenden Nachricht im Gepäck aufwarten konnte, mit der sie ihr Auftauchen legitimierte. Diesmal stand ihr Clan kurz davor, angegriffen zu werden. Sie hatte erzählt, dass Kyle mit dem Schwert nach New York City zurückgekehrt und es nur noch eine Frage von Tagen war, bis ein großer Vampirkrieg ausbrechen würde. Daher überbrachte sie Caleb eine Nachricht seines Clans: Sie wollten, dass er zurückkam, und sie würden ihm seine früheren Verfehlungen vergeben. In Kriegszeiten brauchten sie jeden Kämpfer, den sie bekommen konnten, und Caleb gehörte zu den besten.
Einerseits konnte er also nicht so sauer auf sie sein, wie er eigentlich wollte – was die Situation für ihn umso unerträglicher machte. Andererseits hegte er den Verdacht, dass sie auf genau so eine Gelegenheit gewartet hatte, um sich wieder in sein Leben zu schleichen. Und unabhängig von ihren Neuigkeiten hatte sie kein Recht, Caitlin den Eindruck zu vermitteln, dass Caleb und Sera noch zusammen wären.
Jetzt stürmte er mit zorngerötetem Gesicht auf sie zu.
»Sera!«, fauchte er sie an. »Warum musstest du das sagen? Warum hast du diese Worte gewählt? Es gibt kein uns oder wir mehr! Außerdem weißt du ganz genau, dass es nichts gibt, was ich ihr nicht erzählt habe. Du bist gekommen, um mir eine Botschaft von unserem Clan auszurichten, das ist alles. Doch du hast so getan, als hätte ich ein Geheimnis vor ihr und als wären wir beide noch ein Paar.«
Seine Wut schreckte sie nicht ab – im Gegenteil, sie schien die Situation zu genießen. Es war ihr gelungen, ihn auf die Palme zu bringen, und offensichtlich hatte sie genau das vorgehabt.
Jetzt lächelte sie träge, machte einen Schritt auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Aber sind wir das denn nicht?«, fragte sie verführerisch. »Du weißt doch auch, dass wir eigentlich noch zusammen sind. Genau deshalb regst du dich so auf. Wenn du keine Gefühle mehr für mich hättest, wäre dir das doch ganz egal.«
Wütend schüttelte Caleb ihre Hand ab.
»Du weißt ganz genau, dass das absoluter Blödsinn ist. Wir sind schon seit Jahrhunderten nicht mehr zusammen. Und wir werden auch nie wieder zusammenkommen. Wie oft muss ich dir das denn noch sagen?«, fuhr Caleb sie gereizt an. »Ich will, dass du dich aus meinem Leben heraushältst. Ich will, dass du dich von mir fernhältst. Und von Caitlin. Ich warne dich, lass sie in Ruhe!«
Von einer Sekunde auf die andere flammte Zorn in Seras Augen auf.
»Dieses lächerliche kleine Mädchen!«, fauchte sie. »Nur weil sie jetzt eine von uns ist, heißt das nicht, dass sie über mir steht. Verglichen mit mir ist sie ein Nichts. Ich verstehe nicht, wie du dich für sie interessieren kannst. Ganz zu schweigen davon, dass unser Clan ihre Verwandlung nicht abgesegnet hat«, fügte sie hinzu und warf Caleb einen finsteren Blick zu.
Er wusste, was das bedeutete: Es war eine Drohung. Sie warnte ihn, weil er ein Gesetz verletzt hatte. Dafür könnte er streng bestraft werden – und sie drohte ihm damit, ihn zu verraten.
»Deine Drohungen machen mir keine Angst«, entgegnete Caleb düster. »Erzähl doch, was du willst. Ich bin bereit, mich allem zu stellen, was auf mich zukommt.«
»Du widerst mich an«, keifte Sera. »Wir befinden uns im Krieg, unser ganzer Clan, unsere Familie ist in Gefahr. Und was machst du? Du versteckst dich hier draußen auf einer Insel und wartest darauf, dass es einem erbärmlichen kleinen Mädchen wieder gut geht. Dabei solltest du zu Hause sein, dein Volk verteidigen, als richtiger Mann, der du einmal warst …«
»Mein Clan hat mich verstoßen«, stellte Caleb klar, »nachdem ich ihm über viele Jahrhunderte treu gedient hatte. Ich schulde ihnen nichts. Sie bekommen gerade genau das, was sie verdienen.«
Caleb atmete geräuschvoll aus.
»Trotzdem mache ich mir Sorgen um meine Kameraden, und deshalb werde ich sie angesichts der brenzligen Lage nicht im Stich lassen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich zurückkehren, das habe ich dir schon gesagt.«
»Du hast gesagt, du kommst zurück, wenn sie sich erholt hat. Offensichtlich hat sie sich mittlerweile erholt, also hast du keine Ausrede mehr. Du musst jetzt sofort zurückkommen!«
»Natürlich werde ich mein Wort halten, wie ich es im Übrigen immer getan habe. Aber eine Sache möchte ich noch klarstellen: Ich kehre nur zurück, um unseren Clan zu unterstützen und die Menschen davor zu bewahren, niedergemetzelt zu werden. Außerdem müssen wir das Schwert zurückholen. Aber bilde dir bloß nicht ein, dass es einen anderen Grund geben könnte. Sobald mein Einsatz beendet ist, gehe ich wieder, diesmal für immer. Danach wirst du mich nie wiedersehen. Fantasiere dir bloß nicht zurecht, dass wir wieder zusammen wären, denn das sind wir nicht.«
»Oh, Caleb«, antwortete sie mit einem kehligen kleinen Lachen, »du kannst glauben, was du willst, aber trotzdem weißt du tief in deinem Inneren, dass uns beide nichts trennen kann und wir immer zusammen sein werden. Je mehr du dagegen ankämpfst, desto näher bist du mir. Denn ich weiß, wie sehr du mich liebst, ich spüre es jeden Tag.«
»Du hast Wahnvorstellungen«, widersprach Caleb kühl. »Offensichtlich wird es mit der Zeit immer schlimmer.«
Sera lächelte noch strahlender. »Das machst du dir bloß vor. Du sträubst dich gegen deine Gefühle, du wehrst dich gegen etwas, was wir beide ganz genau wissen.«
Plötzlich machte sie zwei schnelle Schritte auf ihn zu, legte ihm die Hände um den Hals und zog seinen Kopf ruckartig zu sich herunter.
Bevor er auch nur reagieren konnte, legte sie ihren Mund auf seinen und küsste ihn ungestüm.
Empört zuckte Caleb zurück und stieß sie weg. In dem Moment sah er aus den Augenwinkeln, wie jemand neben ihnen auf der Mauerbrüstung landete.
Es war Caitlin.
Je mehr Caitlin sich der Insel näherte, desto stärker wurde ihre Hoffnung. Ihr Kopf war jetzt ganz klar. Sie hatte begriffen, dass Caleb letzten Endes nichts falsch gemacht hatte. Sie hatte sich dumm verhalten, sie hätte ihm die Gelegenheit geben sollen, die Situation zu erklären. Wahrscheinlich war Sera von sich aus gekommen, und zwischen den beiden lief absolut nichts. Warum hatte sie bloß so unüberlegt reagiert?
Nun kam die Insel in Sicht, schon konnte sie das große Schloss und die vielen Vampire erkennen, die dort unten auf dem Boden bei Fackelschein trainierten. Der Ort war wunderschön, und sie war Caleb dankbar, dass er sie hierhergebracht hatte. Allmählich wuchs das Gefühl, dass schließlich doch noch alles in Ordnung kommen würde. Nachdem sie eine letzte Kurve geflogen war, landete sie auf der obersten Brüstung des Schlosses.
Doch noch während der Landung blieb ihr beinahe das Herz stehen.
Dort waren Caleb und Sera. Und diesmal küssten sie sich.
Sie küssten sich tatsächlich. Der Gedanke fügte Caitlin einen heftigeren Stich zu als zuvor das Schwert. Sie war wie gelähmt, konnte nicht mehr denken, nicht mehr atmen. Sie küssten sich.
Also waren sie doch zusammen. Diesmal gab es nichts misszuverstehen – es war eindeutig, dass er Sera immer noch liebte.
Und Caitlin hatte er weggeworfen, als wäre sie ein Nichts.
Als Caleb diesmal auf Caitlin zueilte, lief sie nicht weg. Wie gelähmt vor Entsetzen blieb sie stehen, während sie spürte, wie heiße Wut in ihr aufwallte. Sie war wütend, viel wütender, als sie es je in ihrem Menschenleben gewesen war.
»Caitlin«, begann Caleb, »es ist nicht das, wonach es aussieht. Bitte, lass mich dir erklären …«
Doch als Caleb näher kam und zu sprechen begann, zeigte Caitlin einfach nur auf den Horizont.
»VERSCHWINDE!«, schrie sie.
Das war ein Befehl, und dieser Befehl ließ keinen Raum für irgendwelche Diskussionen.
Wie erstarrt blieb Caleb stehen, offensichtlich schockiert von ihrer Wildheit. Er musste erkannt haben, dass Caitlin mit ihm abgeschlossen hatte.
»Ich habe gesagt, du sollst VERSCHWINDEN!«, wiederholte Caitlin. »Ich will dich nie wieder sehen. Mein ganzes Leben lang nicht!«
Caleb sah so erschrocken und verletzt aus wie ein kleiner Junge, den man gerade ausgescholten hatte. Offensichtlich wollte er ihr viele Dinge sagen, aber er hatte begriffen, dass sie ihm nicht mehr zuhören würde.
Niedergeschlagen senkte er den Kopf.
Dann drehte er sich um, ging zur Mauerbrüstung, sprang geschmeidig hinauf und ließ sich hinunterfallen. Seine großen Flügel breiteten sich aus, und er verschwand in der Nacht.
Caitlin sah, wie Sera den Kopf drehte und ihm besorgt nachblickte, als wollte sie ihm sogleich folgen. Doch gleichzeitig wirkte sie hin- und hergerissen, als würde sie Caitlin gerne noch etwas sagen, bevor sie losflog.
Plötzlich trat sie ganz dicht an Caitlin heran.
»Ich hasse dich«, sagte sie langsam, und ihre Stimme triefte vor Hass. »Ich werde dich immer hassen, denn du hast versucht, mir meinen Mann wegzunehmen. Aber das wird nicht funktionieren, weil Caleb dich gar nicht will. Er will mich, nur mich. Und so war es immer schon.«
Caitlin war zu wütend, um zu antworten, außerdem hätte sie ohnehin nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen.
Sera breitete die Flügel aus und machte sich zum Abflug bereit. Bevor sie sich abwandte, beugte sie sich noch einmal ganz dicht zu Caitlin und flüsterte ihr zu: »Caleb und ich haben etwas, was du nie mit ihm haben wirst. Nie in deinem Leben. Ganz bestimmt hat er es dir nicht erzählt, und er wird es wohl auch nie tun.«
Caitlin erwiderte ihren Blick, ohnmächtig vor Wut, und fragte sich, womit dieses niederträchtige Wesen ihren Schmerz noch vergrößern könnte. Sie bezweifelte, dass das möglich war.
Doch als sie die nächsten Worte hörte, begriff sie, dass es tatsächlich etwas gab, was dafür sorgte, dass sie sich noch schlechter fühlte.
»Caleb und ich haben ein Kind.«