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Jugendliche Mobilität – ein Projekt Wie kam es zu einem Bundesmodellprojekt in Wilhelmsfeld?
ОглавлениеDer Postillion e. V. führt seit dem Jahr 2016 jährlich eine Bedarfsabfrage bei Jugendlichen im Rhein-Neckar-Kreis durch. Dabei war Mobilität an unterschiedlichen Orten ein Thema, das von den Jugendlichen benannt wurde. Es handelt sich vor allem um die Orte, in denen kein Schulstandort für weiterführende Schulen vorhanden ist und in denen am Abend der öffentliche Personennahverkehr (Freizeitverkehr) nicht sehr gut ausgebaut ist. Bei der großen Befragung von 2.400 Jugendlichen aus dem Jahr 2016 (veröffentlicht in Check das! – Jugend im Rhein-Neckar-Kreis, Hirnkost Verlag 2017) waren es beispielsweise in Schönau 13 Prozent der Jugendlichen, die dies bei den offenen Fragen zum Thema gemacht haben. In den folgenden jährlichen Bedarfsuntersuchungen (letztmalig im Sommer 2018) ist das Thema Mobilität häufiger genannt worden. Sicherlich hängt dies auch mit einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung bezüglich der Notwendigkeit eines öffentlichen Personennahverkehrs zusammen.
Hinzu kommen die Diskussionen zu Fahrverboten bzw. Klimaschutz. Dadurch ist auch bei Jugendlichen deutlich geworden, dass der Individualverkehr, wie er im Moment praktiziert wird, nicht sehr zukunftsfähig ist. Dazu gehört auch die in den Ballungsgebieten vorhandene Verkehrsverdichtung. Selbst in der Gemeinde Wilhelmsfeld (3.200 Einwohner:innen), die dem ländlichen Raum zugehörig ist, allerdings direkt an die Stadt Heidelberg anschließt, ist der Anteil der Pkw von 1985 bis heute um über 65 Prozent gestiegen, was insgesamt natürlich eine Zunahme an Verkehrsbelastungen bewirkt.
Gleichzeitig ist der öffentliche Personennahverkehr für die Jugendlichen der Mobilitätsfaktor schlechthin, zumindest dort, wo Fahrradverkehr nicht möglich ist, da die Distanzen zu weit bzw. die Strecken zu bergig sind. Klaus Farin beschreibt in seinem Buch Über die Jugend und andere Krankheiten(Hirnkost 2018), wie die Privatisierung einstmals staatlicher Dienstleistungen (Telefon, Post, öffentlicher Verkehr etc.) zu einem realen Bedeutungsverlust des Staates für den jugendlichen Alltag geführt hat:
„Die zunehmende Verlagerung von Entscheidungsstrukturen auf die internationale Ebene, bei gleichzeitig nicht abreißenden Berichten über gewaltige Ausmaße ökonomischer Misswirtschaft mit nicht selten verheerenden ökologischen Folgen, hat die Distanz der Jugendlichen gegenüber der Politik weiter verstärkt.“
Er führt ferner dazu aus, dass auch die Jugendparlamente und Beiräte in den Kommunen daran im Grundsatz nichts geändert haben. Gleichzeitig nehmen wir in der Mobilen Jugendarbeit eine zunehmende Politisierung von Jugendlichen wahr, wenn ihre Interessen berührt werden, wobei dies meist nicht von langer Dauer ist. Als Beispiel kann angeführt werden, dass über die Mobile Jugendarbeit und Jugendbeteiligungsformen die Öffnungszeiten des Jugendhauses per Gemeinderatsbeschluss verlängert worden sind und Jugendliche durch die Einschaltung der Presse eine Wirksamkeit von Politik erlebt haben.
Unterstützt wird dies durch die Änderung der Gemeindeordnung Baden-Württemberg im Jahr 2016. Durch die Neuaufnahme des § 41a Gemeindeordnung Baden-Württemberg ist es eine Verbindlichkeit für die Gemeinden, dass sie Jugendliche in allen sie betreffenden Angelegenheiten einbeziehen müssen. Dies ergibt sich insbesondere für den öffentlichen Personennahverkehr und zur Frage der Mobilität allgemein. Gleichzeitig ist dieser Sektor sehr stark über das Europarecht (Ausschreibungspflicht) und die Debatte, inwieweit Vergaben von ÖPNV-Leistungen notwendig sind, reglementiert worden. Konkret bedeutet das, dass formal die Kommunen bestellen und bezahlen, aber die Landkreise (im Rhein-Neckar-Kreis sogar eigentlich der länderübergreifende Verkehrsverbund Rhein-Neckar) sehr viel mehr das Sagen haben als die jeweiligen Kommunen. Dies führt zu einem Mangel an Flexibilität und es wird eine gewisse Starre erkennbar, die konträr zu den Interessen der Jugendlichen wirkt.
In der WIR-Studie (veröffentlicht in: WIR. Heimat – Land – Jugendkultur, Hirnkost 2020) wird deutlich, dass sich gerade Jugendliche aus dem ländlichen Raum ein besseres ÖPNV-Angebot wünschen. Sie sind deutlich unzufriedener hinsichtlich Fahrtdauer und Erreichbarkeit von beliebten Freizeitzielen. Zudem wurde herausgearbeitet, dass gerade die „unmobilen Jugendlichen“ vom Dorf ihre Heimat deutlich öfter verlassen wollen als Jugendliche, die mit dem ÖPNV-Angebot zufrieden sind und sich bereits in frühen Jahren, aufgrund der guten Anbindung, frei bewegen können. Je ländlicher die jungen Menschen leben, desto eingeschränkter ist ihre Mobilität. Diese müssen eine wesentlich höhere und andere Mobilitätsleistung aufbringen, um an ihr weiter gelegenes Freizeitziel zu gelangen, als Jugendliche, die in größeren und besser angebundenen Städten wohnen. Dies kann natürlich nur im Frust enden, wenn die Mobilitätsvoraussetzungen – vor allem die Anbindung an den ÖPNV – nicht gegeben sind. Dies führt schnell und bereits sehr früh zu einer Unzufriedenheit am Wohnort und löst den Wunsch aus, schnell in eine (andere) Stadt zu ziehen.