Читать книгу Jugendliche Mobilität im ländlichen Raum - Moritz Braun - Страница 8
ОглавлениеDer Postillion e. V. hat für seinen hauptamtlichen Bereich im Jahr 2018 eine Mobilitätsbefragung durchgeführt und darauf aufbauend gemeinsam mit dem Berliner Planungsinstitut IGES ein Mobilitätskonzept erstellt. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade junge Menschen ohne Auto in der Region leben wollen und damit auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind. Gleichzeitig gibt es hier sehr viele Schwachstellen und Lücken. Eine Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mobilität ist ohne Auto im Rhein-Neckar-Kreis oft eingeschränkt. Dies hat natürlich Bedeutung für den Berufseinstieg von jungen Menschen, aber auch für den Postillion e. V., da wir mitunter Stellen nur sehr schwer besetzen können, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht oder gar nicht zu erreichen sind. Von daher ist hier politischer Druck wichtig, um Verbesserungen zu erzielen.
Das Projekt im Bundesmodellprojekt LandMobil – unterwegs in ländlichen Räumen
Mit der Fördermaßnahme „LandMobil – unterwegs in ländlichen Räumen“ fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft modellhafte Projekte, die eine Verbesserung der Mobilität in ländlichen Räumen zum Ziel haben. Die Fördermaßnahme ist ein Baustein des Bundesprogramms „Ländliche Entwicklung“. Die 41 geförderten Einzel- und Verbundprojekte haben 2020 ihre Arbeit aufgenommen und befassen sich mit aktuellen Aspekten der Mobilität in ländlichen Räumen. Die Projekte erhalten jeweils eine Förderung in Höhe von bis zu 180.000 Euro für einen Projektzeitraum von rund drei Jahren.
Die Projekte befassen sich mit den Themenbereichen „Integrierte Mobilität“, „Bewusstseinswandel in Richtung alternativer Mobilitätsformen“, „Neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit für Anbieter und Nutzer“, „Verbesserung der Anschlussmobilität“ sowie „Elternunabhängige Mobilitätslösungen“. Die nachfolgenden Beispiele stellen einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der Ansätze zur Verbesserung der Mobilität in ländlichen Räumen dar.
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert
So erweitert eine Regionalvermarktungsinitiative in der Mecklenburgischen Schweiz beispielsweise ihr bisheriges Angebot der Auslieferung von Waren des täglichen Bedarfs um den Personennahverkehr. Ziel ist es, die neue Kombination von Personentransport und Warentransport zu erproben. In den Gemeinden Spiekeroog und Neuharlingersiel entsteht ein auf den speziellen Bedarf der Küsten- und Inselbewohner:innen ausgerichtetes stationsgebundenes Elektromobilitätsangebot. Um die Erreichbarkeit von Bahnhöfen und somit die Anschlussmobilität für Einwohner:innen und Urlaubsgäste zu verbessern, ist hierzu am Fährhafen Neuharlingersiel ein Carsharing-Angebot mit einer Flotte von Elektrofahrzeugen geplant.
An der Bundesautobahn 24 wird ein Pendler:innenparkplatz im Landkreis Ludwigslust-Parchim zu einem Mobilitätszentrum auf dem Land ausgebaut. Dort werden eine Mitfahrstation in vier Himmelsrichtungen, eine Lade- und Mietstation für Elektromobilität – E-Autos und E-Fahrräder bzw. Pedelecs – sowie eine digitale Infosäule eingerichtet. Die Bewohner:innen der Region können mit einer Mobilitäts-App zusätzlich zu den lokalen Ride-Sharing-Angeboten auch überregionale Mitfahrgelegenheiten nutzen. Die Beratung der Nutzer:innen in den umliegenden Dörfern übernehmen ehrenamtliche Mobilitätsbeauftragte.
Gemeinsam mit der örtlichen Bevölkerung wird in der Thüringer Rhön ein Mobilitätsnetzwerk mit öffentlichen und privaten Partner:innen entwickelt und getestet. Dabei geht es um die Kombination von ÖPNV und Ride-Sharing-Angeboten. Geplant ist zudem eine länderübergreifende Umstrukturierung des ÖPNV-Netzes, sodass künftig eine Abstimmung der Fahrpläne länderübergreifend erfolgen kann und gemeinsame Tickets, Übergangstarife und neue Mobilitätslösungen in der Grenzregion der Bundesländer Thüringen, Hessen und Bayern geschaffen werden können.
Mobilitätsangebote sind ein wesentlicher Faktor, damit die ländlichen Räume und ihre Gemeinden für Menschen und Unternehmen attraktiv bleiben. Sie stellen die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes sowie von Nahversorgungsmöglichkeiten, ärztlicher Versorgung, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten sicher. Im Zuge des demografischen Wandels und mit sinkenden Bevölkerungszahlen verändert sich in ländlichen Regionen die Nachfrage- und Angebotssituation von Gütern und Dienstleistungen. Zunehmend auf zentrale Orte konzentrierte Versorgungs- und Dienstleistungsangebote erschweren gerade bei weitgestreuten Wohnstandorten den Zugang zu Bildungs-, Gesundheitsund weiteren Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Die zu überwindenden Distanzen und der Mobilitätsbedarf nehmen zu. Die Sicherung der Mobilität ist eine zentrale Voraussetzung für die Erreichbarkeit dieser Angebote und Einrichtungen und trägt damit zum Erhalt der Lebensqualität bei.
Zwei Buslinien erschließen Wilhelmsfeld: Die Linie nach Heidelberg und Schriesheim. Ursprünglich Post, dann Bahn nach Heidelberg, die OEG nach Schriesheim. Inzwischen beide vom DB Rhein-Neckar-Bus. Foto: Archiv Postillion e. V.
Aus den bis Anfang April 2019 eingereichten über 150 Projektskizzen wurde fast ein Drittel für das weitere Antragsverfahren vom Kompetenzzentrum Ländliche Entwicklung ausgewählt. Diese kreativen Projektideen verdeutlichten das große Interesse der verschiedenen Akteur:innen an guten Lösungen für die Mobilität auf dem Land und das große, in vielen Fällen ehrenamtliche Engagement der Menschen vor Ort.
Das Modellprojekt im Luftkurort Wilhelmsfeld
Der Luftkurort Wilhelmsfeld liegt auf circa 500 Metern Höhe im vorderen Odenwald. Dort leben etwa 3.200 Einwohner:innen in einer sehr weit verzweigten Siedlungsstruktur. Die Bedingungen für einen ÖPNV sind nicht besonders ideal, da teilweise bis zu einem Kilometer bzw. ein Höhenunterschied von bis zu 100 Metern bis zur nächsten Bushaltestelle zurückgelegt werden müssen. An der Hauptstraße, durch die sich die beiden Buslinien schlängeln, liegen nicht die großen Siedlungsgebiete der Gemeinde. Dies macht Wilhelmsfeld zu einem klassischen Auto-Dorf, in dem innerorts bzw. überregional eher mit dem Auto als mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV gefahren wird. Die Einführung der E-Bikes lässt für den Innerortsverkehr zarte Pflänzchen eines Rückgangs des Autoverkehrs vermuten. Dies dürfte sich bisher jedoch in einem unbedeutenden Prozentbereich bewegen.
Dennoch ist der ÖPNV in Wilhelmsfeld sehr gut ausgebaut worden. Wie kam es dazu? Es gab bereits vor dem Ersten Weltkrieg Bürgerinitiativen, die vom badischen Staat die Einrichtung von Kraftbuslinien forderten. Diese Initiativen wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen.
Erst durch Eigenleistungen in den 1920er Jahren durch Errichtung einer Wagenhalle für drei Busse plus Fahrerwohnungen sowie dem Ausbau einer Straße nach Heidelberg konnte 1927 die erste Buslinie eröffnet werden, die von der Deutschen Reichspost betrieben wurde. Dies ist natürlich umso bemerkenswerter, wenn man sich angesichts der Einwohner:innenzahl von nur 950 Personen und der in dieser Zeit geringen Finanzkraft diese Eigenleistungen vor Augen führt. Der Unterstellplatz für die damaligen Busse ist heute noch vorhanden. Die Gebäude werden von der Gemeinde als Bauhof genutzt.
Als die Busse in den 1950er Jahren größer und länger wurden, war der Ort nicht mehr als Unterstellplatz für die Fahrzeuge geeignet. Heute ist Wilhelmsfeld Einsatzort für Busse, die über Nacht in Wilhelmsfeld abgestellt werden. Dies ist sicherlich eine Besonderheit, die aus dieser Tradition herrührt. Die Buslinie wurde bis 1983 von der Post betrieben. Danach kam die Fusion der Busdienste von Bahn und Post. Seit dieser Zeit wird die Buslinie von den verschiedenen Bahntochtergesellschaften betrieben: erst im Geschäftsbereich Bahnbus, dann der Busverkehr Rhein-Neckar, der heute noch die Linie betreibt. Für Wilhelmsfeld war der Betrieb der Busse durch Post und Bahn sehr von Vorteil. So ist bis 24 Uhr ein Bus nach Wilhelmsfeld gefahren. Die Gemeinde musste hier keine Kosten übernehmen.
Aus den 1980er Jahren sind vielen Wilhelmsfeld- er:innen heute noch die Schnellbusse der Deutschen Bundespost ein Begriff. Diese haben in der Hauptverkehrszeit die Fahrtgeschwindigkeit deutlich reduziert. Foto: Archiv Postillion e. V.
Seit 1979 kooperierte die Deutsche Bundespost mit der damaligen städtischen HSB (nun rnv) in der Bedienung von Ziegelhausen und Peterstal, das seit 1974 zur Stadt Heidelberg eingemeindet wurde.
Die Bindung des Ortes an die damaligen Post- und Bahn-Busse war durch die große Personalkontinuität sehr hoch. Man kannte sich untereinander. Der Bus war Treffpunkt auf der Fahrt in die Schule oder zur Arbeit, was sich in der heutigen Zeit verändert hat. Dafür ist die Häufigkeit der Fahrten nochmals angestiegen, sodass Wilhelmsfeld eine für die Größe des Ortes sehr gute Verbindung hat, die natürlich ausbaufähig ist. Von Montag bis Freitag fahren tagsüber zwei bis drei Busse in der Stunde, am Abend alle 30 bis 60 Minuten.
Das ÖPNV-System 2021
Der Ortsteil Schriesheimer Hof ist 1974 von der Stadt Schriesheim an die Gemeinde Wilhelmsfeld übertragen worden. Bis hierher ist seit 1951 eine Buslinie der damaligen Oberrheinischen Eisenbahngesellschaft (OEG) gefahren, die in den 1980er Jahren bis an die Autohalle verlängert worden ist. Damit ist der Ort über zwei Richtungen an den ÖPNV angebunden: von Wilhelmsfeld über Ziegelhausen nach Heidelberg und inzwischen mit der Bahntochtergesellschaft BRN von Wilhelmsfeld über Schriesheim bis nach Mannheim-Seckenheim. Dieser Bus fährt in der Regel stündlich. Lediglich in den Stoßzeiten ist der Bus im Halbstundentakt unterwegs. Eine ideale Anbindung, die dazu führen könnte, dass der ÖPNV für Jugendliche durchaus als Alternative zum Auto angesehen wird. Hierzu sind natürlich noch einige Nachjustierungen möglich, wie die von den Jugendlichen erstellten Mobilitätsideen zeigen.
Seit 2019 gibt es auch eine CarSharing-Station in Wilhelmsfeld, eine Kooperation von Stadtmobil Rhein-Neckar und Postillion e. V.
Die Gemeinde Wilhelmsfeld ist Teil des Rhein-Neckar-Kreises, der wiederum der Nahverkehrsträger ist und dies an den Verkehrsverbund Rhein-Neckar delegiert hat, der für die Ausschreibungen der Linienbündel zuständig ist. Wilhelmsfeld wird hierzu lediglich angehört. Die Gemeinde muss allerdings wesentliche Teile der Kosten tragen, was aufgrund der Finanzkraft der Kommune erhebliche Einschränkungen bedeutet. Bei der Linie nach Heidelberg bewegen wir uns inzwischen in dem Bereich, dass die Stadt Heidelberg hier die Vorgaben macht. Dies geschieht im Rahmen einer sogenannten In-House-Vergabe 2014, das heißt, die Konzession liegt bei den städtischen Verkehrsbetrieben, die wiederum die Bahn als das in Wilhelmsfeld traditionelle Busunternehmen beauftragt haben. Der Einfluss der Gemeinde Wilhelmsfeld ist daher sehr gering. Mit Geld ließe sich der Einfluss natürlich deutlich vergrößern. Doch das Geld ist leider nicht vorhanden.