Читать книгу Die Konkubine - Morris L. West - Страница 6
3
ОглавлениеLange, so kam es ihnen vor, saßen sie nebeneinander auf der Persenningabdeckung der Ladeluke; McCreary rauchte friedlich vor sich hin und Lisette brachte ihr Make-up und ihr Haar wieder in Ordnung.
Leise sagte McCreary:
»Jetzt wissen wir also Bescheid.«
Ihr Gesicht lag im Schatten, so daß er nicht sehen konnte, ob sie lächelte oder die Stirn runzelte, doch als sie antwortete, klang ihre Stimme nicht mehr spröde, nur leise, aber erregt.
»Wissen wir über was Bescheid? Daß du ein Mann bist, der sich schnell von einer Frau erregen läßt?«
»Und du eine Frau, die sich von mir erregen lassen kann?«
»Das auch. Aber wohin führt uns das?«
»Wohin du willst«, sagte McCreary. »Über Bord und die Gangway runter zurück in die Stadt. Von dort aus können wir einen Anfang machen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du mit deinem Ausweisungsbefehl und ohne einen Penny?«
Er streckte die Hand in der Dunkelheit nach ihr aus, doch sie entzog sich ihm. Daraufhin forderte er sie brutal heraus.
»Dann bleiben wir also hier: Ich will dich und du willst mich. Ich versuche Tag und Nacht, Hände und Augen von dir zu lassen, und du teilst das Bett mit einem anderen Mann, bloß weil der mehr Geld hat als ich. Ist es das, was du dir wünschst?«
»Nein, es ist nicht das, was ich mir wünsche, McCreary, sondern das, was ich habe. Und ich habe vor, das so lange zu behalten, bis ein anderer mir etwas Besseres bietet.«
»Ist Liebe denn nichts Besseres? Selbst, wenn sie mit einem Risiko verbunden ist?«
»Liebe?« Das Wort aus ihrem Mund war klingender Hohn. »Das nennst du Liebe? Bildest du dir ein, du seist der einzige Mann, dem ich dieses Gefühl entgegengebracht habe? Und glaubst du etwa, ich meinte, ich sei die einzige Frau, die etwas in dir ausgelöst hat? Sei ehrlich, McCreary, genauso, wie ich es dir gegenüber bin!«
»Dann bist du also doch Walkertons Eigentum.«
»Er besitzt das, wofür er bezahlt hat, mehr nicht. Hör mal, McCreary…« Ihre Stimme bekam plötzlich etwas Warmes, und sie legte ihre kleine Hand auf die seine. »Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte es vielleicht Hoffnung für uns geben können. Aber nicht hier, nicht bei ihm. Verstehst du denn das nicht? Wenn er wüßte, was eben zwischen uns vorgefallen ist – er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um uns zu verletzen und zu demütigen – ja, uns zu vernichten.«
»Dazu bedarf es schon eines bedeutenderen Mannes als Walkerton«, sagte McCreary.
»Glaubst du wirklich? Du kennst ihn nicht so gut wie ich. Er macht vor nichts halt, um zu bekommen, was er haben will.«
»Ich bin selber ein zielstrebiger Mann«, sagte McCreary leichthin.
»Du bist ein noch größerer Esel, als du glaubst, McCreary«, sagte sie. Und noch ehe er Zeit hatte, das abzustreiten, kam ein chinesischer Steward an Deck geschlurft, um ihnen zu sagen, daß Walkerton auf sie warte.
Das erste, was sie sahen, als sie Walkertons Kajüte betraten, war Hauptmann Nasa, der in sich zusammengesunken und vernehmlich schnarchend über den Tisch gebeugt dalag. Neben seinem Ellbogen stand ein Sektkühler, vor ihm ein umgeworfenes Glas. Verschütteter Champagner lief in einem Rinnsal über die Tischkante und tropfte ihm auf den Schoß. Walkerton selbst stand am Bullauge und rauchte eine seiner dicken Zigarren.
Bestürzt blickte Lisette auf Nasa, und McCreary fluchte leise vor sich hin:
»Heilige Muttergottes! Den hat’s ja ganz schön gepackt. Der ist ja stockbesoffen.«
Walkerton lächelte und vollführte mit seiner Zigarre eine ausladende Geste.
»Ein guter Moslem rührt niemals Alkohol an. Nasa hat seinen Glauben vergessen – und das hier ist die Folge.«
»Haben Sie Ihr Geschäft mit ihm abschließen können?« fragte McCreary.
»O gewiß. Zur vollsten Zufriedenheit auf beiden Seiten. Ich habe den Champagner kommen lassen, um das Geschäft zu besiegeln, aber das hätte ich mir sparen können.«
»Er hat ja nicht lange gebraucht, um in diesen Zustand zu kommen. Wir sind doch höchstens eine halbe Stunde draußen gewesen.«
Walkerton sah ihn durchbohrend an, doch McCrearys Augen waren ganz arglos.
»Diese Burschen vertragen eben keinen Alkohol«, sagte Walkerton ungerührt. »Aber jetzt stellt sich ein neues Problem: Wie bringen wir ihn nach Hause?«
»Das ist doch ganz einfach«, sagte McCreary leichtfertig. »Rufen Sie eine Rikscha, verstauen Sie ihn darin, und sagen Sie dem Fahrer, er soll ihn ins Polizeipräsidium bringen!«
»So einfach ist es nun doch wieder nicht, McCreary.«
»Wieso nicht?«
Walkerton machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Weil er hier ohne Wissen seiner Vorgesetzten war, und zwar mit der Absicht, über Schmiergelder zu verhandeln. Wenn wir ein betjak ans Schiff rufen, weiß der Fahrer, wo er herkommt. Daraufhin wird man ihn ausquetschen, uns auch – und wir wollen in einer Stunde in See stechen.«
»Nach Hause zu gehen, ist er aber nicht imstande«, sagte McCreary mit Nachdruck.
»Nein, aber man kann ihn vom Schiff wegführen, runter zur Marktgegend. Dort kann man ihn dann in ein betjak setzen und losschicken.«
»Das ist richtig.«
»Dann«, sagte Walkerton mit kastratenhafter Stimme, »schlage ich vor, Sie laden ihn sich auf und schaffen ihn so schnell wie möglich fort von hier. Er hat das Schiff schon genug besudelt.«
»Moment mal!« McCreary war augenblicklich auf der Hut. »Warum ich? Warum nicht einer von den Matrosen, einer der Laskaren?«
Schmeichelnd lächelte Walkerton ihn an.
»Weil die im Augenblick alle Hände voll zu tun haben, dafür zu sorgen, daß wir ablegen können, und weil sie einfältige Burschen sind, denen ein Polizist niemals abnehmen würde, daß sie Kindermädchen für einen Betrunkenen spielen, und weil Sie, McCreary, in meiner Schuld stehen und ich diesen kleinen Gefallen von Ihnen erbitte…« Er kicherte und fuhr dann mit seiner Fistelstimme fort: »Und weil Sie jetzt endlich Gelegenheit haben, ihn ins Wasser zu werfen, wenn Sie Lust dazu haben.«
McCreary sah ihn einen Moment an und ging mit sich zu Rate. Dann sagte er gelassen:
»Das sind vier Gründe, die Sie mir nennen, Walkerton, und der einzige, der stichhaltig ist, ist der, daß ich Ihnen was schuldig bin. Deshalb werde ich es tun.«
Er beugte sich über den Hauptmann, legte sich einen Arm des Schnarchenden um die Schulter und hob ihn dann mit aller Kraft vom Stuhl hoch. Nasa hing an ihm wie ein Kohlensack.
»Setzen Sie ihm den Fez auf, Walkerton, und halten Sie ihn fest, daß ich ihn besser packen kann. Und den Niedergang rauf brauche ich Hilfe.«
Walkerton stülpte Nasa den schwarzen Fez auf den haltlos hin- und herschwankenden Kopf, und McCreary schleifte den Betrunkenen mehr als daß er ihn führte zur Tür, wie einen alten Freund, den man nach einer durchzechten Nacht nach Hause bringt.
Lisette trat beiseite, um sie vorüberzulassen. Sie sah McCreary nach, wie er mit seiner Last den Gang hinunterwankte und dann den Niedergang hinaufkletterte, während Walkerton bei der Anstrengung schnaufte und keuchte, beiden sicher zum Deck hinaufzuhelfen.
»Schaffen Sie ihn möglichst weit fort vom Kai«, sagte Walkerton kurz und bündig. »Und wenn er zuviel Umstände macht, schmeißen Sie ihn einfach in einen Kanal.«
»Ich bin selbst auch schon mal betrunken gewesen«, sagte McCreary. »Das könnte ich meinem ärgsten Feind nicht antun. Kommen Sie jetzt, Nasa, seh’n Sie mal zu, ob Sie nicht doch Ihre Beine ein bißchen gebrauchen können, damit ich nicht die ganze Last zu schleppen brauche!«
Ein anspruchsloses irisches Lied pfeifend, wankte er die Gangway hinunter, und Hauptmann Nasa blies ihm mühselig und laut den Atem in den offenen Kragen.
Diejenigen von der Mannschaft, die mit dem Ölbunkern beschäftigt waren, hatten viel zuviel damit zu tun, die Rohrleitungen abzuschrauben, um dem Paar mehr Aufmerksamkeit zu schenken als einen flüchtigen Blick, und nachdem es sich erst einmal ein kleines Stück vom Liegeplatz der Corsair entfernt hatte, lag der Kai fast menschenleer da. Weil jedoch immer die Gefahr bestand, einer Polizeistreife in die Arme zu laufen, beschloß McCreary, geradenwegs auf das Gewirr von Lagerhäusern zuzusteuern, um sich auf einem längeren Umweg an den Rand des Marktgebietes vorzuarbeiten, wo die betjaks ihren Standplatz hatten.
Anfangs versuchte er, Nasa zu bewegen, selbst seine Füße zu gebrauchen, doch die hingen schlaff herunter wie bei einer Stoffpuppe, und die auf Hochglanz polierten Schuhe des Hauptmanns schleiften durch den Staub, als McCreary ihn in den Schatten der Laderampen zwischen den Warenhäusern hinüberschleppte. Und mehr als einmal mußte McCreary stehenbleiben und ihn gegen eine Holzwand oder einen Betonpfeiler lehnen, um Atem zu holen und seine Schultern eine Weile zu entlasten. Dabei hielt er Augen und Ohren offen, um das Nahen der Hafenpolizei frühzeitig zu bemerken, und die ganze Zeit überlegte er, was er ihnen wohl sagen sollte, wenn sie ihn anhielten und ausfragten. Schließlich brachte er die Lagerhäuser hinter sich, und er schleppte Nasa einen schmalen, von Dschungelpflanzen gesäumten Pfad entlang, an dessen Ende er eine Bambusbrücke erkannte, das Schimmern von Kanalwasser und gelbliche Lichter, die sich dort drängten. Dem Geruch, den fernen Stimmen und dem Hundegebell nach zu urteilen, war der abendliche Markt noch voll im Gang.
Er kam zu dem Schluß, daß es hier ungefährlicher sei und er nicht weiterhin so zu tun brauche, als führe er den Hauptmann. Deshalb warf er ihn sich über die Schulter. – Der Transport des Betrunkenen war so leichter zu bewältigen, als ihn wie einen toten Sack hinter sich herzuschleppen, wie er es die vergangene Viertelstunde hindurch getan hatte.
Im Schutze eines großen Banyanbaums blieb er stehen und ließ den kleinen Hauptmann zu Boden gleiten. Einen Moment rastete er und holte tief Luft, er lockerte seine Muskeln und entspannte sich. Da erkannte er, daß seine Kleider völlig durchgeschwitzt waren und an seinem Körper klebten. Und dann entdeckte er noch etwas anderes.
Nasa schnarchte nicht mehr. Er atmete nicht einmal mehr.
Augenblicklich kniete McCreary nieder und legte das Ohr an die Brust des zierlichen Javaners. Vom Herzschlag war nichts zu hören. Er fühlte den Puls – auch nichts. Die Hände waren kalt, obwohl die Luft heiß und schwül war. McCreary fischte sein Feuerzeug heraus, knipste es an und hielt die Flamme dicht vor Nasas Gesicht. Die offenen Augen starrten unbeweglich, der Mund war schlaff, und ein kleines Rinnsal von Speichel, das sich über die Wange zog, war bereits getrocknet.
Alle einfachen Tests ergaben, daß Hauptmann Nasa tot war.
Rasch durchsuchte McCreary Nasas Taschen. Im Jackett fand er eine Brieftasche und in der Uhrtasche der Hose eine Handvoll kleinerer Geldscheine. Außerdem fand er ein Taschentuch, ein Päckchen amerikanische Zigaretten und ein billiges japanisches Feuerzeug. McCreary schlug die Brieftasche auf und unterzog den Inhalt einer raschen Untersuchung: Briefe, ein Polizeiausweis, das Foto einer Frau mit Kind, fünfhundert Rupiahs in Scheinen – weiter nichts. Er wischte die Brieftasche mit dem Taschentuch ab und verstaute sie vorsichtig wieder in der Brusttasche. Einer plötzlichen Eingebung folgend, steckte er das Feuerzeug und die Zigaretten in die eigene Tasche.
Dann faßte er den Leichnam unter den Armen und schleifte ihn hinter den Stamm des Banyanbaums. Dabei rollte der Fez von Nasas Kopf. McCreary hob ihn auf, staubte ihn sorgfältig ab und stülpte ihn über die starren Augen. Er wischte sich die Hände am eigenen Taschentuch ab, trat wieder auf den Pfad und eilte raschen Schrittes den Weg zurück, den er gekommen war.
Als er sich wieder im Schutz der Lagerhäuser befand, blieb er stehen, drückte sich in eine dunkle Ecke und zündete sich eine Zigarette an: die Zigarette eines Toten mit dem Feuerzeug eines Toten. Seine Hände zitterten, und die gelbe Flamme tanzte vor seiner Nase. Ein Schauder überlief ihn, als ob er an seinem eigenen Grab stünde. Der Schweiß auf seiner Haut fühlte sich plötzlich kalt an; fast glaubte er, das Fieber komme wieder. Er lehnte sich gegen die Bretter der Wand, inhalierte tief und rang damit, seine Gedanken zu ordnen.
Denk darüber nach, McCreary! Denk nach! Denk nach! Steh nicht herum wie ein schwerfälliger Bauer! Ein Mann ist tot. Er ist in deinen Armen gestorben. Du steckst in der Tinte, und zwar bis zum Hals. Nasa ist tot, aber ein Mann stirbt nicht an einer halben Flasche Champagner. Die meisten Menschen werden davon noch nicht einmal betrunken, zumindest nicht so sinnlos, daß sie nur noch röcheln. Das ist eine Lüge, die auf das Konto dieses gottverdammten Mr. Walkerton geht. Und dann noch eine: Nasa kam, um sich seine Belohnung abzuholen. Und laut Walkerton hat er seinen Lohn auch erhalten. Aber mehr als das, was ein Mann seines Ranges wohl ohnehin bei sich trägt, hatte er nicht, auf keinen Fall soviel, wie man dafür erwarten konnte, daß man einen Ausweisungsbefehl ein wenig frisierte; nicht halb soviel, um für die Dienste bezahlt geworden zu sein, die er Walkerton geleistet hatte. Andere Dienste? Aber was für welche? Immerhin müssen sie so bedeutend gewesen sein, daß Nasa auf die Idee kam, mehr zu verlangen, als ursprünglich vereinbart war. Walkerton macht in Öl. Öl ist ein außerordentlich heikles Geschäft. Dabei braucht man Freunde in Regierungskreisen…
Ein Polizeibeamter hat keine Freunde. Aber er besitzt Macht, und in einer Operettenrepublik wie dieser, wo Drohungen und persönliche Bereicherung an der Tagesordnung waren, sogar sehr viel Macht. Folglich erhöhte er den Einsatz. Und Walkerton brachte ihn um, tat ihm Gift ins Getränk oder ließ ihn das Zeugs schlichtweg mit vorgehaltener Pistole schlucken, weil es für einen Mann leichter ist zu sterben, wenn er nichts davon spürt, statt sich bei vollem Bewußtsein die Eingeweide kaputtschießen zu lassen. Alles andere war Theater: ihm Champagner übers Kinn und auf die Hemdbrust zu gießen und dann so lange zu reden, bis ihn ein begriffsstutziger Ire wie McCreary ihm abnahm. Wenn es Schwierigkeiten gibt, ist McCreary dran. McCreary sitzt in der Falle. Er hat ihn umgebracht, um seinen Paß zurückzubekommen. Außerdem läuft ja noch ein Verfahren wegen Gewalttätigkeit in Pakanbaru gegen ihn. Kommt es aber nicht zu Schwierigkeiten, hat man jedenfalls diesen McCreary in der Hand – damit er einem eine Ölquelle bohrt und auf silbernem Tablett eine Million präsentiert. Kluges Bürschchen, dieser Walkerton – sehr klug sogar. Und wie die Dame Lisette schon sagte: Du bist ein größerer Esel, als du denkst.
Die Zigarette war bis zum Mundstück heruntergebrannt, und der Stummel versengte ihm die Finger. Er ließ ihn fallen und trat ihn mit dem Fuß aus. Dann zündete er sich eine neue an. Jetzt zitterten ihm die Hände nicht mehr, und er konnte auch klarer denken. Er sah ganz deutlich vor sich, welche Wahl er zu treffen hatte.
Zwar konnte er Walkerton weglaufen, jetzt, auf der Stelle, konnte in die Stadt zurückkehren und morgen die Zwei-Uhr-Maschine nach Singapur nehmen und hoffen, daß die Polizei ihm in der Zwischenzeit nicht auf die Spur kam. Freilich würden sie ihn bald haben, und wenn sie ihn faßten, steckten sie ihn unweigerlich in ein Gefängnis, um ihn auf ihre unberechenbare und erbarmungslose Art mit einem Rohrstock zu bearbeiten, bis sie ihn umgebracht oder aber ihm ein Geständnis abgepreßt hatten; und im letzteren Fall würden sie ihn anschließend auch umbringen.
Das würde sich nicht auszahlen. Auszahlen konnte es sich allerdings für Walkerton. Wenn aber er sich soweit in der Gewalt hatte, daß er grinsend und unbeschwert federnden Schrittes zum Schiff zurückkehren und Walkerton weismachen konnte, daß Nasa schnarchend auf dem Nachhauseweg sei, dann würde Walkerton ihm das glauben, weil er Walkerton ja auch glauben sollte. Und dann…? Dann würde er den Auftrag erledigen, für den er bezahlt wurde. Er würde die Augen offenhalten und sich durchwinden bis zu dem Tag, an dem er Walkerton dort hatte, wo er ihn haben wollte: wie er in eine Pistolenmündung schaute und um Gnade winselte. Dann würde er Lisette und sein Geld nehmen, Walkerton an Nasa erinnern und ihm das billige Feuerzeug als Souvenir übergeben.
Er wußte, daß das eine verrückte, törichte Hoffnung war. Er besaß sogar Humor genug, darüber zu lachen. Aber immerhin hatte er damit etwas, wofür er planen und arbeiten konnte – und was für einen halsstarrigen Iren wie ihn das wichtigste war, jemanden, gegen den er kämpfen konnte.
Langsam und genußvoll rauchte er seine Zigarette zu Ende. Dann zog er die Krawatte gerade und das verknitterte Jackett zurecht, kehrte munter zur Corsair zurück und pfiff dabei ein irisches Lied vor sich hin.
Als er das Schiff erreichte, fand er Walkerton, der auf dem Deck auf und ab tigerte, eine Zigarre im roten Weibermund hatte und die Hände in der Positur des nachdenklichen Napoleon auf dem Rücken verschränkt hielt. McCreary ging im gleichen Schritt neben ihm her, und Walkerton fragte ihn ausführlich aus.
»Sie sind schneller zurück, als ich gedacht habe. Hatten Sie irgendwelche Schwierigkeiten mit Nasa?«
»Überhaupt keine.« McCrearys Stimme klang so unverkrampft, daß er es selbst kaum fassen konnte. »Ich hab’ ihn in ein betjak gesetzt und dem Fahrer genug gegeben, daß er ihn herumfahren kann, bis er wieder nüchtern ist. Ich hab’ ihm gesagt, Nasa würde Dresche beziehen, wenn er in diesem Zustand nach Hause käme.«
»Gut gemacht, McCreary! Großartig! Und wenn er aufwacht, laufen wir gerade aus dem Kanal aus und nehmen Kurs Richtung Osten.«
»Ich hoffe, wir sind dann schon wesentlich weiter weg«, sagte McCreary. Doch diese Ironie war an Walkerton verschwendet, der seine Schritte beschleunigte und den Kopf vorstreckte, als gälte es, sich den Weg zu einer neuen Eroberung zu bahnen. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und zeigte mit ihr wiederholt in Richtung auf das offene Meer.
»Große Dinge liegen vor uns, McCreary, größere, als Sie sich träumen lassen. Wissen Sie eigentlich, weshalb ich hier bin, in dieser stinkenden Kloake am falschen Ende der Welt? Glauben Sie, um des Geldes willen? Ich hab’ genug Geld, soviel, daß ich daran ersticken könnte. Bis zu meinem Tode kann ich mir von allem das Beste leisten und brauche keinen Finger zu rühren, um dafür zu arbeiten. Aber das ist nicht genug. Ein Mann braucht mehr als das. Er braucht eine Herausforderung, etwas, woran er seine Kraft messen kann, seinen Drang, die Macht, die in ihm steckt, auch auszuüben. Und hier«, mit einer theatralischen Geste breitete er die Arme aus, »dieses Meer, diese Republik mit den dreitausend Inseln ist einer der wenigen Plätze auf der Erde, wo er das immer noch tun kann. Hier wurde der Reichtum Europas geschaffen, von den Portugiesen, den Holländern und den Briten. Aber Europa liegt im Sterben, es erstickt an Legalismus, Diplomatie und den Kontrollen, welche die Menschen sich selbst auferlegen, um sich die Illusion der Sicherheit vorzugaukeln. Wissen Sie, was ich bin, McCreary?«
»Ich hab’ schon versucht, eine Bezeichnung dafür zu finden«, sagte McCreary ruhig.
»Dann werde ich es Ihnen sagen: Ich bin ein Abenteurer, ein Freibeuter, ein modernes Gegenstück zu den alten Handelsfürsten, die ihre Söldner heuerten, ihre eigenen Kanonen luden und die Häfen der Welt unter ihrer eigenen Flagge ansteuerten. Dieses Inselreich hier und vielleicht noch Südamerika sind die einzigen Plätze der Welt, wo ein Mann wie ich frei ist, frei atmen und mit seinem eigenen Gehirn, seinem Unternehmungsgeist und seinem Geld ein Reich aufbauen kann. Können Sie das verstehen?«
»Ich glaube schon. Das ist eine großartige Vorstellung. Damit muß man sich länger befassen.«
Walkerton warf den Kopf in den Nacken und stieß ein hohes, wieherndes Gelächter aus.
»Zeit werden Sie dazu haben, McCreary. Ich werde Ihnen Dinge zeigen, neben denen Harun al Raschids Tausendundeine Nacht verblaßt. Ich werde Ihnen einen Fürsten zeigen, dessen Flüsse voll sind von Juwelen, der von goldenen Tellern ißt und sich zu seinem eigenen Vergnügen fünfhundert Frauen hält. Ich werde Ihnen die Sklavenstraßen zeigen, auf denen alles Schöne der Welt zum Verkauf herangeschafft wird. Ich werde Ihnen zeigen, wie sich Geld dem Traum eines Glücksspielers gleich vervielfacht…«
Er hielt inne und stand einen Augenblick trunken von seiner eigenen Beredsamkeit da. Das Licht von der Brücke über ihnen fiel voll auf sein Gesicht, und als McCreary es betrachtete, sah er die funkelnden, wahnsinnigen Augen eines Visionärs und den nach unten gezogenen, grausamen Mund eines Kalifen. Walkerton glaubte an jedes einzelne Wort, das er gesagt hatte, und McCreary war mehr als versucht, gleichfalls alles zu glauben.
Doch dann verschwand diese exaltierte Stimmung unvermittelt, und Walkerton war wieder er selbst: der Mann mit den harten Augen, der gerissene Geschäftsmann, der einem Angestellten sagt, was er zu tun hat.
»Bohren Sie mir eine Ölquelle, McCreary! Haben Sie schnell Erfolg damit, und Sie werden es niemals bereuen. Wir haben eine vollständige Bohranlage und alles, was dazugehört, unten im Laderaum verpackt. Sie können am Tag nach unserer Ankunft mit Ihrer Arbeit beginnen.«
»Und wo wird das sein?«
Walkerton gluckste verächtlich und schüttelte den Kopf.
»Noch drei Tage, McCreary, und ich werde es Ihnen auf der Karte zeigen.«
»Sie trauen Ihren Leuten nicht sonderlich über den Weg, nicht wahr?« sagte McCreary listig.
Kalt und ironisch sah Walkerton ihn an.
»Wenn’s um Geld oder Frauen geht, soll man niemandem trauen.«
»Erwarten Sie denn, daß Ihre Leute Ihnen trauen?« McCreary ärgerte sich. Er wollte verflucht sein, wenn er sich von diesem apfelbäckigen Napoleon ins Bockshorn jagen ließ.
Walkertons Antwort war so kalt wie ein stählerner Dolch.
»Es ist mir völlig egal, ob die mir trauen oder nicht, McCreary. Von denen erwarte ich nichts weiter, als daß sie mir geben, was sie mir für mein Geld schuldig sind. Tun sie das nicht, zahle ich es ihnen heim – heute oder in zehn Jahren. Ich habe ein langes Gedächtnis. Habe ich mich verständlich gemacht?«
»Klar«, sagte McCreary unbekümmert, »durchaus verständlich. Ich bin eben neu hier und weiß gern, nach welchen Regeln hier gespielt wird. Ich bin kein Streithammel, aber ich mag auch das Gefühl nicht, daß andere mich zum Streiten herausfordern.«
Walkerton zuckte mit den Achseln und wandte sich zum Gehen. Die Unterhaltung war beendet. Das Thema war belanglos. Es interessierte ihn nicht weiter. McCreary fraß seinen Ärger in sich hinein, lehnte sich gegen die Reling und sah zu, wie die letzten Arbeiter sich auf dem Pier zu schaffen machten.
Er sah, wie die Männer die Schläuche zusammenrollten und abzogen. Er sah die kleinen braunen Gestalten an den Pollern stehen und darauf warten, daß die Taue losgemacht wurden. Er sah den Lotsen an Bord kommen, einen quirligen kleinen Javaner, der Hauptmann Nasa unheimlich ähnlich sah. Er beobachtete, wie die Gangway hochgehievt wurde und die Matrosen mit dem Wachoffizier warteten.
Er spürte das leichte Zittern, als die Maschinen zu arbeiten begannen, hörte den schrillen Ton der Pfeife des Steuermanns und das Aufschäumen des Wassers, als die Schrauben anfingen, sich zu drehen.
Dann legte die Corsair ab und bewegte sich langsam und vorsichtig hinaus in die Fahrrinne, vorüber an den dunklen Skeletten der Fischreusen, vorüber an den auf- und abhüpfenden Lichtern der einheimischen Prauen, ostwärts in Richtung auf den Mondaufgang, nach einer namenlosen Insel in einer namenlosen See.
Die Luft war drückend wie Weihrauchwolken, doch McCreary fröstelte, und er kam sich plötzlich nackt vor. Er dachte an Hauptmann Nasa, wie er tot niedergestreckt zwischen den verzweigten Wurzeln des Banyanbaumes lag. Und als ein barfüßiger Matrose auf dem Deck an ihm vorübertappte, war es, als ginge jemand über sein eigenes Grab.