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2. Kapitel

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Besuch bei Georgios Eltern

Als sie im späteren gemeinsam durch die Stadt zogen, überlegte Tanita, warum sie mit einem Mal sah, dass die Ladenbesitzer kein Dasein fristeten. Sie lebten vielmehr für sich, als wäre der nächste Tag ihr letzter. Falls nicht ein Tourist z.B. eine Spiel-Kette kaufen würde, um den Gleichmut von Griechen in irgendeinem Cafe nachstellen würde, um sich glaubwürdig als kultureller Kenner der griechischen Innerlichkeit zu geben, könnten sie schon dicht machen. Schon der letzte Tourist, der bummeln würde ohne ein Souvenir für zu Hause zu erstehen, könnte schon ihr finanzieller Ruin sein, sinnierte Tanita im weiteren die finanzielle Komponente. Doch sie sagte es ihm nicht. Georgios sollte sie nicht für einen Blaustrumpf halten.

Er wollte seinen Eltern noch ein Ofen-warmes Brot vorbei bringen. Und so zählte er sein Geld nach. Merkwürdig Georgios wirkte nicht gerade geizig, aber wie viele Griechen schien er nicht gerade mit Geld umgehen zu können. Sie als Halbgriechin fand es immer schon erfüllender inneres Geld in sich zu bergen, und das Geld, das man hat ruhig ausgeben zu wollen. Die Deutschen wollten ja eher etwas besonderes darstellen, was über das finanzielle hinausging. Deutschland hieß nicht umsonst das Land der Dichter und Denker.

Als sie sich so schweigend auf die Ferienwohnung von Georgios Eltern zu bewegten, fragte er: „Warum so still und schweigend?“ „Ach ich dachte gerade über die Unterschiede zwischen deutschen und griechischen Menschen nach. So viel sie hier manchmal darstellen wollen, sie wirken irgendwie ziemlich gestresst und dann wieder so bedächtig, fast schizophren. „Und die Deutschen?“, fragte er nickend.

So erzählte Tanita weiter, weil ihm ihre Art zu gefallen schien: „Die Deutschen sind eigentlich so offensichtlich geschäftstüchtig und interessanterweise strukturierter, als die Griechen, sogar auf den Dörfern, wo noch so viele Alten leben. Und sie lassen sich nicht so treiben, was ihnen nur nicht passt. Kein Grieche kann hingegen wirklich leben mit allem was ist, aber sie leben halt trotzdem, ja irgendwie schon. Sie schenken Liebe und Leben, sind sentimental, fast wie die Spanier und die Russen. Aber sie zerbrechen ungern am stetigen Streben, natürlich wie fast jeder. Und die Deutschen sind da kein bisschen anders. Aber im Heimatland meines Vaters arbeitet man zumindest daran, auch wenn sie dort allzu oft die anderen stehen lassen, mit dem was man selber darstellen will, vielleicht wie hier. Na, ja, aber keiner kann letztendlich damit wegkommen, wenn Gott etwas nicht passt.“

Georgios schmunzelte etwas über diesen leisen Vortrag und dann meinte er: „Das klingt nach studierter Soziologie. Und stimmt das im Ganzen für dich?“ Tanita zog ihre Windjacke zu, die sie wieder angezogen hatte. Dann sagte sie: „Schon noch, auch wenn es private Einschätzungen sind, gespeist aus Beobachtungen.“ Georgios zog die Schultern hoch und sagte nichts mehr. Bei sich bleibend überlegte er, dass sie wohl nicht wusste, was sie ihm damit sagen konnte. Er hatte oft Brücken schlagen müssen hin zu seinem eigenen Leben. Wäre er nicht Physiker und vielmehr noch Mathematiker gewesen, hätte ihm die kopflastige Art der Deutschen und die leichtlebigen Züge seiner Eltern beinah in schizophrene Verhaltensweisen hineingetrieben. Georgios dachte auch an seine von seinem Helfer-Syndrom geprägte Kindheit und wie seine Geschwister mehr bei ihm groß wurden. Gott sei Dank hatte er was für sich gefunden, um auch noch wer zu sein. Er war zwar so erzogen, aber hätte er damals nicht eine gewisse Liebe zu einer Frau erfahren dürfen, er war damals gerade sechzehn Jahre alt gewesen, wäre er heute noch der Hausmann und der Erzieher für seine Mutter und die beiden Gören.

Georgios überlegte, dass er schon früh den Haushalt mitgestalten musste, da war er erst sieben Jahre alt gewesen. Zu Hause blieb zunächst wegen der zu dieser Zeit beginnenden Berufstätigkeit seiner Mutter das meiste liegen. Aber wie es bei vielen griechischen Ehefrauen, die im Ausland arbeiteten der Fall war, ließ seine Mutter, die Paraskevie hieß, durch ihr Kind den Haushalt nach einigen Erklärungen mitgestalten. Doch Georgios fand das nicht komplett falsch, er kannte es ja nicht anders ...

Tanita spürte die graue Stimmung ihrer Ferien-Bekanntschaft und fragte: „Warum bist du so still?“ Er antwortete: „Ach ich dachte auch so persönlich für mich über die Unterschiede der Nationen nach.“ „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“, fragte sie interessiert. „Also ich dachte auch darüber nach, dass ich allzu oft helfen musste bei der Haushaltsführung und dass Griechinnen nun mal so sind“, antwortete Georgios. „Ach, so“, meinte Tanita nur. Dann sagte sie, als sie nachdenklich ihr Haar aus der Stirn strich: „Das kenne ich auch, man wird schnell als Mensch ausgenutzt, wenn man es mitbringt nachgiebig zu sein, darf man traurig und glücklich zugleich sein. „Warum glücklich?“, er hob die Brottüte etwas an und verschloss sie dann mit der linken Hand. Es begann zu regnen und weiße Wolken senkten sich herab. Sie sahen aus wie Wattebäusche.

Tanita, die eine Weile überlegt hatte, meinte: „Glücklich, weil man dann nicht so zerbrochen wird darauf, lieber ein Kind sein zu wollen.“ „Stimmt schon“, sagte Georgios etwas später. „Aber?“, fragte sie überrascht, dass er zustimmte, Tanita hatte ihn für einen typischen griechischen Sohn gehalten, der sich lieber aus dem Haushalt raus gehalten hätte. „Nun, ich denke gar nicht so viel mehr, nur was kann man machen, das ist eben die einzige Philosophie, die ich als Grieche Gott gegenüber nicht vollkommen falsch finde.“

Tanita war zunächst ziemlich unverständlich mit dieser Antwort, hatte Griechenland doch wichtige Philosophen hervorgebracht, und dann fühlte sie, dass er sie wohl belustigen wollte, so nickte sie verlangsamt, zustimmend. Georgios fühlte schon noch ihre Skepsis und dann meinte er einfach: “Komm lasse uns nicht so einfach daher reden. Gleich sind wir bei meinen Eltern, die sind eher vom Gefühl für sich selbst her bestimmt. Und sie sind die ehrlichsten Griechen, die es gibt, da darf man nichts falsch machen.“ Tanita drehte mit ruhiger Hand an ihrem Ohrring. Sie schien zu überlegen. Dann sagte sie innerlich berührt: „Das hatte ich auch gar nicht vor!“ „Dann ist das OK, da vorne um die Ecke ist schon die Mietwohnung mit Blick auf die Meteora“, warf Georgios ein. „Oh, so ein schönes Wohnhaus und so stilvoll, nicht schlecht“, sagte Tanita. „Denke nicht, dass meine Eltern das materiell nehmen, sie hatten es eher für mich geplant, aber ich sehe das schwer für mich, bin wie gesagt nicht so oft hier.“

Sie ging vorsichtig die Stufen hoch zur Haustür, und Georgios öffnete diese versiert, mit einem eigenen Schlüssel. Als sie dann in die kleine, aber feine Mietwohnung eintraten, war Tanita bereits mulmig, so viel Emotionen wurden durch die ehrliche Haltung seiner Eltern in ihr hervorgerufen. Und doch musste sie unwillkürlich in sich hineinlächeln, es wirkte so, als hätten seine Eltern nur auf ihren Einsatz gewartet. Alles wirkte so vertraut und vorherbestimmt zugleich. Seine Eltern schienen sie schon Jahrtausende von Jahren zu kennen. „Wir haben euch schon vom Balkon aus von weitem gesehen“, sagte Georgios Vater, als hätte er Tanitas Gedanken erraten. Beide wurden direkt zu Tisch gebeten. Schnell kamen Gebackenes und ein auf den Tisch. Sein Vater stellte sich und seine Frau mit Namen vor: „Ich heiße Stavros und meine Frau Paraskevie.“ Auch Tanita benannte ihren Namen, man fand ihn schön und ungewöhnlich zugleich, dann versiegte das Gespräch.

Während der Stille betrachtete Tanita Georgios Eltern. Seine soziale Mutter wirkte erstaunlich jugendlich und sein Vater Jahrzehnte älter, aber sehr drahtig.

Georgios brach das Schweigen: „Wollt ihr meine neue Bekannte nicht kennen lernen?“, fragte Georgios. „Ja, sicher“, sagte Paraskevie. Und: „Wir wissen, sie heißt Tanita, bist du ein deutsches Mädchen?“ Georgios neue Bekanntschaft antwortete: „Ich bin Halbgriechin, meine Mutter ist auch von hier.“ „Ach, ja, kennen wir sie?“, fragte Paraskevie. Sein Vater schien sich aus allem herauszuhalten. Tanita meinte: „Sie heißt Vavroula Papandreou.“ Paraskevie gab eine sehr höfliche Antwort: „Wir kennen sie aus der Kirche, nur vom sehen her, dann haben wir sie manchmal hier erlebt, aber wir wissen nicht genau, wie ,was?“ Tanita wollte nun eher auf Paraskevie zu gehen und erklärte: “Das ist auch egal, aber ein Zufall, dass sie Vavroula bereits kennen, ist es schon.“

Nun schämte Tanita sich, dass sie deutsch sprachen, aber ihr Vater hatte durchgesetzt, dass nur deutsch zu Hause gesprochen wurde. Deswegen beherrschte sie als Halbgriechin die Sprache ihrer Mutter nur fragmentarisch. Aber sie versuchte es dann doch, ein wenig hatte man es ihr ja beigebracht. Wie bei den meisten Griechen, so wollte sie auch bei seinen Eltern einen gewissen Zugang zu ihrem Gefühlsgestirn finden. So sprach Tanita ein paar Plattitüden über das Wetter. „Ah, du sprichst ganz gut“, meinte Stavros und Paraskevie sagte dann unmotiviert fragend: “Vavroula ging dann wohin?“ Tanita wurde bleich wie ein Totenhemd, sie hatte diese plötzliche Vertrautheit, die im ganzen nur oberflächlich auf sie wirkte, nicht erwartet. Schließlich kannte sie Georgios erst einen Tag, dann antwortete sie: „Meine Mutter ging ins Bergische Land und arbeitete dort in einem Hotel, als Küchenfee, wie sie so oft scherzhaft sagte. Dann heiratete sie einen Deutschen.“ „Auch nicht schlecht“, sagte Paraskevie. „Aber jener Mann starb dann und sie heiratete einen anderen Deutschen“, erklärte Tanita. Stavros hakte nach. „Und er lebt noch da?“ „Ja“, antwortete Tanita und sagte dann: „Meine Mutter hat sich zusammen mit ihren Männern in Deutschland ein Ferienhäuschen für Kalambaka erarbeitet.“„Es stimmt“, meinte Georgios Mutter. Paraskevies Stimme wurde mit einem Mal weicher: „Sie ist manchmal hier. Aber man kennt sich ja nicht und wir dachten auch nicht, dass sie so eine Tochter hat.“ Langsame Röte überzog Tanitas Gesicht, und nur um noch etwas zu dem Gespräch weiter beizutragen, meinte sie, nun ja, sie hat noch ein Kind, eine Spätgeburt, Kassie mit Namen, sie ist auch hier.“ Während sie im weiteren so stillschweigend miteinander verweilten, war Tanita in sich ganz zentriert, weil ihr alles so vertraut war. Als hätte sie es schon einmal in einem Traum erlebt, oder bevor sie auf die Welt kam, irgendwo in Gottes Welt. Als würde man sich schon ewig eher im Inneren unterhalten. Warum Tanita das lustig und traurig zugleich fand, wusste sie nicht. Aber sie fühlte sich nicht unwohl dabei, als würde man ihr helfen wollen. Amüsiert und zugleich distanziert, betrachtete sie sich selber in dieser Situation, die nicht lange andauerte. Wenig später verabschiedeten sich Georgios und Tanita. Und Paraskevie sagte bloß: „Ja, dann tschüss.“ Die junge Frau antwortete höflich, so wie ihre Mutter es ihr beibrachte: „Yiassas.“ Dann hielt seine Mutter ihren Sohn noch einmal zurück, sie erzählte in rascher Folge unverständliche Worte, die Tanita ausschlossen, aber das beunruhigte sie nicht. Sie kannte die Art ja von ihrer Mutter. Dann kramte sie eine Einkaufstasche heraus.

Georgios wurde in der Zwischenzeit schon noch nachdenklich darüber, dass die wartende Tanita seine Eltern im äußeren so herzlich benahm. Ihm kam zu Bewusstsein, dass sie vielleicht mehr wahrnahm zwischen Himmel und Erde, aber auch in paar Punkten entscheidend weniger. So wurde Georgios neugierig auf Tanita, auf einmal wollte er sie für eine Weile festhalten, ihr näher kommen wollen, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Zu Anfang und auch bei der Wanderung zu Aghia Triada hatte er sie für unkonzentriert und fahrig gehalten, auch wenn er sich schnell in Tanita verliebte. Und in Bezug auf seine Eltern hatte Georgios diesen schnellen, warmen Kontakt irgendwie unangenehm und berührend zugleich empfunden. Schließlich wollte er sie ja nicht heiraten. Aber seine Eltern waren ja letztendlich auch von der alten Schule. Als er sie bei der Hand nahm, nachdem er die gefundene Einkaufstasche entgegengenommen und man sich verabschiedet hatte, brachte er sie aus der Wohnung. Georgios wirkte dabei resolut. Warum, konnte Tanita nicht richtig einschätzen. Sie dachte, er wäre vielleicht wütend, dass er die Tage noch etwas für seine Eltern besorgen sollte.

Nun standen sie im Flur sich bei den Händen haltend, doch Tanita entzog sich ihm, sie wollte ihm nicht so schnell Folge leisten. Aber später, griff sie zu, sie wäre beinah gefallen, Tanita konnte sich auf eine der steilen Stufen noch aufrecht halten. Und Georgios lehnte das nicht ab. Doch ob er noch weitergehen wollte mit ihr, das sollte letztendlich das Kismet entscheiden, so dachte er es.

Die heilende Zeit

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