Читать книгу Die heilende Zeit - Nadja Solenka - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеErste zärtliche Zusammenkunft
Als sie draußen waren, zitterte Tanita unmerklich, ein kühler Wind kam auf, es war schließlich schon Abend. Georgios fragte: „Wo gehen wir jetzt hin?“ Sie antwortete: „Ach so, ich muss heute noch Blumen gießen. Meine Freundin Maria ist für eine Woche in Athen.“ Und dann fragte Tanita: „Willst du mitkommen?“ Georgios lächelte und sagte: „Warum nicht.“
Als sie eine Weile durch die Straßen zogen, erzählte Tanita, weil er wegen Marias Gründen zu reisen nachfragte: „Es ist an sich nichts ungewöhnliches, dass Einheimische wie Fremde zur heißen Zeit ihre Städte für einige Tage verlassen und im Gebirge oder auf den Inseln zubringen. So herum klingt es für die meisten verständlicher. Doch Kalambaka scheint Maria nicht immer das bieten zu können, was sie als noch relativ „junge Frau“ Anfang dreißig ohne Kind und Kegel einfach mal braucht.“ Georgios sagte daraufhin: „Stimmt schon noch, aber es ist ja erst April. Allerdings gibt es in Athen viel mehr kulturelle Angebote, um sich zu zerstreuen.“ Tanita stimmte zu: „Natürlich hat Athen als Kulturmetropole alles da, um der Einfachheit dieses Dorfes entfliehen zu können. Dieses Kulturangebot kann man dann noch durch das für die Hauptstadt typische Nachtleben ergänzen.“ Georgios fragte neugierig: „Und das interessiert dich auch mehr?“ Tanita überlegte sich die Antwort wohlweislich, dann meinte sie: „Das interessiert mich mehr in Bezug darauf dort Theater sehen zu können. Es war einmal ein großer Wunsch von mir, Schauspielerin zu werden, schließlich wurde nichts daraus. Jährlich finden dort zwischen Mai und Oktober Festspiele statt, die einigermaßen interessant sind. Wichtigste Bühnen sind zwei antike Theater.“ „Ach, ja ich kenne durch meinen Onkel schon noch die Theaterlandschaft, er ist Schauspieler da, wenn auch kein berühmter“, antwortete Georgios. „Nein, das darf nicht wahr sein“, sagte Tanita. Georgios meinte: „Nun, durch ihn weiß ich, dass Athen neben dem staatlichen Nationaltheater über eine große Anzahl von Theatern verfügt, die privat vertrieben werden und die sich ausschließlich über Sponsoren und Eintrittsgelder finanzieren.“ Tanita redete nichts weiteres dazu, sie war überrascht, dass der Zufall sie so zusammengeführt hatte.
Eine Straße weiter würden sie also auf Marias Wohnung treffen. Tanita überlegte, dass sie dieses Städtchen Kalambaka in den Nebenstraßen zumeist öde und triste empfunden hatte. Es war aber der Heimatort ihrer Mutter und so hatte sie oft versucht sich hier wohlzufühlen. Durch ihre freundschaftliche Liebe zu all dem, was Griechenland ausmachte, waren ihre früheren depressiven Gefühle weniger schmerzhaft gewesen. Aber sie kamen halt unterschwellig immer mal wieder hoch in Tanitas Bewusstsein. Nun waren aufgrund ihrer Urlaubsbekanntschaft auf einmal heimatliche Gefühle in ihr wach geworden. Alles kam ihr näher, vertrauter vor, so dass nicht nur sie selber im Fokus stand. Tanita empfand, dass sich früher alles wie auf einem Karussell um ihr eigenes Selbst gedreht hatte. Trotzdem war sie Stephanos eine gute Mutter dabei geblieben, wie ihre Familie so oft gestehen musste. Nun war mit einem Mal diese Verliebtheit da, der sie nachgehen wollte. Georgios strich ihr über das Handgelenk und Schauder gingen Tanita den Rücken herunter; er drehte ihre Hand um und schaute auf ihre Uhr, wollte wissen wie spät es war. Sie meinte, nur um etwas zu sagen: „Bereits spät genug, um sich ein wenig auszuruhen vom Tag.“ Georgios schmunzelte und sagte: „Da kann man nichts gegen einzuwenden haben.“ Dann sprach Tanita: „Wir haben die Wohnung erreicht, hier geht es gleich hoch zum zweiten Stock.“ Nachdem sie die Türe hinter ihnen geschlossen hatte, wurde ihr doch etwas mulmig. Georgios war ziemlich ehrlich sich selbst gegenüber. Er bemerkte für sich, dass er sie falsch eingeschätzt hatte, was er nicht laut zu sagen wagte. Hier gab es nämlich zahlreiche Photos von ihr als Freundin und Mutter mit ihrem Sohn an den Wänden. Und er sah, dass sie zudem wirklich diese Soziologin und was war da noch, ach ja, Germanistin war. Mit Sprachwissenschaftlicherinnen konnte er mehr anfangen. Soziologinnen wirkten auf ihn zumeist verstaubt. Leise fragte Georgios, nicht ohne Humor: „Hat dir deine Freundin den Auftrag gegeben hier zu putzen?“ „Nein, Maria wollte nur, dass ich ihre Pflanzen versorge“, sagte Tanita lächelnd. Er lächelte, auch wenn er den Stil der Wohnung irgendwie zu kalt fand, ohne wirkliches Leben. Georgios freute sich dennoch, denn die Photos spiegelten das pure Sein, das im Gegensatz zu dem Purismus stand, der hier vorzufinden war. Aber Schlichtes war ja heutzutage angesagt und modern.
Georgios stellte sich in die Küche und betrachtete die grauen Kacheln und die bunten, gehäkelten Topf-Lappen, die als einziges ein warmes Gefühl Gott gegenüber zum Ausdruck brachten. Er sagte: „Diese Hand-Arbeit ist aber hübsch.“ „Die ist von mir“, ich schenkte sie ihr Maria zum dreißigsten Geburtstag. Georgios dachte, Tanita wäre bestimmt eine gute, häusliche Frau im Gegensatz zu dieser sterilen Freundin. Zudem überlegte er, seine Ferienbekanntschaft hatte ihrer Freundin ein liebevolles Geschenk machen wollen. Dann war Georgios überrascht, als sie zum Fenster ging und es öffnete, die grau-weißen Über-Gardinen spielten mit dem Luftzug. Er stellte sich hinter sie und streichelte ihren Haaransatz. Als Tanita sich umdrehte fiel er aus allen Wolken, als sie den nackten Arm hob und ihre Gänsehaut zeigte. Georgios meinte mit rauer Stimme: „Dann gefalle ich dir also.“ Sie schlang die Arme um ihn und er begann seine Wangen zu schmusen, dann legte er den Mund auf ihren und sein erster Kuss ließ sie erschauern. Schließlich zog er sie auf die Designercouch und sie ließen ihren Gefühlen freien Lauf. Danach strich er zärtlich über ihre Kaiserschnittnarbe. Einfühlsam und sensitiv brachte er Tanita später wieder auf den Boden. Als sie deswegen eher zu sich kam und ihn liebevoll umfasste, koste Georgios ihren Rücken, er hatte sich noch nie so aufgehoben und aufgeregt zugleich empfunden. Nach einer zweiten leidenschaftlichen Umarmung fiel er zu seinem Erstaunen nicht in ein schales Seelendesaster.
Beide zogen sich peinlich berührt an, als plötzlich die Türglocke klingelte. Tanita öffnete erhitzt die Haustüre und vor ihr stand ein Nachbar von Maria, ihrer Freundin. Nervös strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, denn er schaute sie hoch errötet ziemlich aggressiv an und fragte: „Was haben sie in der Wohnung von Maria zu suchen?“ Tanita antwortete: „Nichts besonderes, ich gieße nur ihre Blumen, sie ist längere Zeit in Athen.“ Der Nachbar hob die Schultern und meinte: „Na, dann will ich wieder gehen.“ Wütend zog Tanita die Türe wieder zu, sie hatte sich nur angegangen gefühlt. Georgios zog sie wieder in seine Arme und sie schmiegte sich an ihn. Dann drückte Tanita Georgios von sich, umschlang seine Hüften und erklärte: „Komm lasse uns das Feld räumen, sonst kommt noch die gesammelte Nachbarschaft auf uns zu.“ Zu ihrem Erstaunen sagte Georgios gar nichts, nahm seine Jacke von der Couch und dann waren sie schon nach ein paar Minuten aus der Wohnung. Draußen schlug ihnen die schwüle Nachtluft entgegen.
„Und was machst du jetzt?“, fragte Georgios. „Ich werde wieder zu meinen Eltern gehen, aber wir können uns ja morgen wiedersehen. „Und wo?“, fragte er amüsiert. „Wir treffen uns vielleicht morgen nochmal in Marias Wohnung, wenn du magst. Ich bringe Frühstückszutaten, Milch und Brot mit, was sagst du dazu? Dann können wir es uns gemütlich machen.“ Georgios errötete bis unter die Haarwurzeln, irgendwie schien ihm das zu schnell zu gehen, aber er freute sich auch offensichtlich. So meinte er fragend: “Eventuell so um zehn Uhr herum, bei deinen Eltern soll ich nicht vorbeikommen?“ Tanita erwiderte: „Um Himmels willen, sie würden den Schreck ihres Lebens bekommen.“ „Warum?“, fragte Georgios leise. „Sie sind eher konservativ eingestellt und ein Mann vom ersten Tag wird ihnen sicher suspekt sein“, antwortete sie. Er fragte, auf der Hut nicht nur vor seiner eigenen Verliebtheit, „aber Dir nicht?“ „Natürlich nicht“, antwortete Tanita ernsthaft. Dann musste sie doch in sich hineinlächeln, hielt er sich selber für so fragwürdig?, das überlegte sie für sich.
Georgios und seine Ferienliebe, wie er sie im Inneren schon bei sich benannte, verabschiedeten sich voneinander. Dann zogen sie jeweils von dannen. Regen kam auf und kühlte die aufgestaute Wärme ab. Beide gingen durch die Nacht zu ihren Domizilen. Tanita war so aufgeregt wie sie es noch nie zuvor gewesen war und fragte sich, was der nächste Tag bringen würde. Georgios überlegte sich, was er sich so eingehandelt hatte. Er beschloss jedoch seiner Verliebtheit nachzugehen. Letztendlich sah er nichts falsches daran.