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2. Kapitel

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Gerädert, und wie gevierteilt wachte ich am nächsten Morgen auf. Ich schaute aus dem Dachfenster direkt über meinem großen Bett. Wattewolken hatten sich am Himmel gebildet. Und die Sonne kam irgendwie nicht durch.

Karla hatte sich so breit gemacht, dass mir kaum Platz blieb auf meinem Lager.

Mit Schwung setzte sich Karla auf meinem Bauch. Und schaute mich vollkommen ausgeschlafen an. Ernsthaft fragte sie mich: "Hast du gut geschlafen, Mama?" Grumbelnd klappte ich ein Auge auf: "Hmm, ging so.“

Müde und abgekämpft räkelte ich mich, dann stand ich auf.

Ich zog mich an, mit Jeans-Hemd und Jeans-Hose, und ging mit Karla nach unten, wo sie sich die zurecht gelegten Sachen anzog. Nachdenklich saß Karla zehn Minuten später auf dem bunten Sofa, das ich aus meiner Beziehung mit Denis gerettet hatte, und dieses war wie durch ein Wunder noch ganz gut in Schuss. Karlas Füße auf dem Sofa waren bloß einen halben Meter über dem Boden verschränkt. Und schon rollten mir nur Tränen die Wangen hinab ... . Ich drehte mich weg, Karla sollte nicht sehen, dass ich weinte.

Ohne großartig mir dessen bewusst zu sein, verrichtete ich mechanisch die alltäglichen Vorbereitungen für den Kindergarten, bereitete das Frühstück und setzte mich mit Karla hin.

Währenddessen grübelte ich weiter. Selbstvergessen biss ich ein Muster in meinen Toast und schaute auf die Weidenkätzchen vor dem Fenster.

Denis hatte gemeint, ich wäre zu naiv und weltfremd, wüsste nicht, was da draußen los wäre in der Welt. Er hätte keine Zeit, sich meinen Forderungen nach mehr Hilfe zu beugen. Er müsste sich den Gesetzen der freien Marktwirtschaft da draußen aussetzen, da wollte er wenigstens zu Hause seine Ruhe haben, und ein wenig verwöhnt werden. Ausgerechnet er musste so was sagen. Wo wir doch stundenlang zu Hause, in den Kneipen und bei Freunden darüber diskutiert hatten, dass die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, hier Industriearbeit, dort Haushalt und Familie die Entstehung des Patriarchats und somit die Unterdrückung der Frau hervorgerufen hatte. Er entgegnete auf meine Vorwürfe, ich würde mich selbst in diese Falle begeben. Was ich an sich ungerecht fand, hatte doch schließlich jemand diesen Wust von Wäsche, Geschirr, Fläschchen zubereiten, säubern, und, und, und, zu bewältigen. Und dieser jemand war ich. Ich konnte Karla schließlich nicht mit sieben Wochen in irgendein Hort abliefern, nur um der allgemeinen Meinung meiner Freundinnen zu folgen. Ich war einfach gegen deren Auffassung: Ich habe mein Leben weiter so zu leben, wie ich es als Emanze wollte, habe nicht fremdbestimmt, sondern frei und ungebunden zu sein. Ich wusste gar nicht, wie ich das schaffen sollte, wo ich doch ganz augenscheinlich von früh bis spät nur in Arbeit war. Manchmal war ich gerade froh, mir noch meine Haare waschen zu können, damit ich nicht aussah wie ein bleiches, fett-haariges Zombie. Und nachdem ich tagsüber zwischen Karlas Windeln, dem Trockener, dem Geschirr und der Waschmaschine hin- und her gerannt war, konnte ich des Nachts acht- bis zehn mal aufstehen und der pädagogisch wertvollen Arbeit nachgehen, meiner Tochter das Vertrauen geben, das so notwendig war, um sich stets aufs neue ins kalte Wasser zu wagen. Später dann, im Erwachsenenleben. Denis Sexualleben wurde durch diese pädagogische Taktik auf ein Minimum reduziert. Und ich war schon gar nicht mehr interessiert daran, sondern einfach nur noch müde.

Doch ich wollte nicht weiter forschen nach den Ursachen für unsere Trennung, schließlich gab es eben noch mich und Karla und ich wollte etwas Neues anfangen mit mir und meinem Leben.

Schnell brachte ich Karla zum Kindergarten. Dann fuhr ich mit meiner Ente zurück durch die hügelige Landschaft zu meiner Wohnung. Die Morgensonne vertrieb langsam den Frühnebel, und kalte Luft drang ein durch das Gebläse.

Der Motor machte so seine Zicken, irgendwas war nicht in Ordnung. Erich, mein Nachbar, musste mal nach schauen; unbedingt.

Die Sonne tönte den Horizont orange-rot, wäre ich frisch verliebt gewesen, hätte ich das sicherlich unglaublich romantisch gefunden. Jetzt wirkte es so wenig auf mich, wie ein Türposter mit Südseemotiv.

Erich fegte mit seinem Besen den Schmutz vor dem Weg vor seinem Haus zusammen. Meinen Kummer überspielend hob ich ihm grüßend die Hand. Heute hatte er einen freien Tag und ich war Gott dankbar dafür. Nicht nur für die Reparaturen an meiner Ente war er bestens geeignet, sondern auch für mein Seelenheil. Gelassen grüßte er zurück und schob sich eine graue Locke aus der Stirn. Schwungvoll fuhr er fort, mit dem roten Besen den Weg zu fegen.

Bisher hatte er meine diversen Berufsversuche, die Schwangerschaft und Geburt von Karla intensiv mitgemacht. An der Trennung von Denis hatte ich ihn bislang nicht teilnehmen lassen. Was seine Art, sich um alles Sorgen zu machen, was mich betraf, wohl bis ins Unermessliche steigern musste.

Als ich am Zaun zu seinem Garten hin vorbeiging, sagte er: "Na, alles klar, Luise?" Ein Windstoß ließ die Tannen, die den Garten säumten, hin und her wiegen, ein paar Vögel flogen gemütlich auf und ich antwortete: "Ach gar nicht, meine Ente scheint nicht OK zu sein. Hast du vielleicht Zeit mal eben zu helfen? " In Ordnung, eine halbe Stunde habe ich noch Zeit, ich schau mal rein." Prüfend sah er mich an. "Sonst alles in Ordnung?" "Es geht so", ich schlug den bunten Seidenschal, der durch den Wind auseinander gerutscht war, wieder um meine Schultern. Und hob trotzig das Kinn. Erich würde mir bei dieser gescheiterten Beziehungskiste nicht helfen können. So war es bei den ganz schlimmen Lebenstragödien, die musste man alleine mit sich ins Reine bringen. Eigentlich hätte ich eher eine Therapeutin gebraucht.

Als ich den Schlüssel zu meiner Wohnung im Schloss umdrehte, fiel mir siedend-heiß ein, dass ich vergessen hatte, Kaffeefilter nachzukaufen. Die alltäglichen Dinge hatten angesichts einer schweren Trennung vollkommen an Bedeutung verloren.

Bevor ich mich nach oben auf den Dachboden verzog, wollte ich mir noch ein paar Brote schmieren, mit Erdnussbutter und Honig und sie im Wohnzimmer essen. Der Blick aus dem Fenster, der die weiten, grünen Felder zeigte, würde mich sicherlich zu neuen Ideen für eine Reportage inspirieren. Geld für die Miete hatte ich genug wegen der angelegten Sozialhilfe von Gott und auch von Denis einiges bekommen, um mich über Wasser zu halten. Aber ich brauchte noch etwas Unterstützung, denn Karla brauchte neue Schuhe und ich eine neue Jacke, Denis wollte ich eigentlich nicht um mehr Geld bitten, dafür war ich mir zu stolz; er gab schon fünfhundert Euro.

Nachdem ich Karla vom Kindergarten abgeholt hatte und wir heißhungrig zusammen das vorher bereitete, aufgewärmte Spaghetti Bolognese und den fertig gestellten Salat verspeist hatten, ging ich mit Karla spazieren. Beschloss ich, mir meinen Kummer aus der Seele zu laufen.

Auf dem Weg begegnete mir Hildegard, die neue dralle, schwarz-blonde von Erich, der mir die Ente wieder liebevoll repariert hatte: der Treue. Auf hohen Hacken kam sie uns entgegen und schaute mich recht mitleidig an. Was die wohl dachte? Bestimmt so nach dem Motto: Ach da kommt die arme Alleinerziehende von nebenan. Aber vielleicht waren die Blicke gar nicht so gemeint. Damals witterte ich hinter allem Verrat. Was damit zu tun hatte, dass ich eben sehr, sehr sensibel auf meinen neuen Status reagierte, der, wer hätte das gedacht, von so vielen immer noch mit Argwohn und Abstand betrachtet wurde. Mit einem netten Gruß kam ich an ihr vorbei, und auch sie schien nicht gerade mit mir reden zu wollen.

Während ich mit Karla so durch den Wald stiefelte, dachte ich doch wieder unwillkürlich über mich selbst nach, dachte an früher.

"Denis schau dir diesen Strich da an, der sich direkt unter dem lila-farbenen anderen gebildet hat." "Ach, lass mich doch noch etwas schlafen, Mausi", meinte er. Denis drehte sich schlaftrunken zur Seite und zog sich die Decke über sein schwarzes, volles Haar.

"Denis, wach auf und schau endlich, wir sind schwanger."

Und er sagte bloß: "Na und?"

Diese Na-Und-Reaktion hielt sich während der ganzen Schwangerschaft, wurde durch die Geburt ein wenig gemildert und diese Haltung änderte sich wenig. Nachdem ich mich nur noch müde durch den Tag schleppte, wollte ich nur noch ruhen. Aber auch er hatte Karla sehr sehr lieb, das war nicht von der Hand zu weisen. Wenn er mal da war schon.

ER konnte ja arbeiten gehen, ich nicht, ER konnte nachts durch schlafen, ich nicht. ER ging abends raus, ich nicht, ER lebte sein Leben beinah weiter wie bisher und ich?

Tief atmete ich die Waldluft ein. Trotzdem ich stramm durchmarschierte, wollte es mir noch nicht so recht gelingen, Denis aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Wollte es mir nicht gelingen ihn, der mein Leben vorher so geprägt hatte, zu vergessen.

Emotionen, Erinnerungen kamen ungewollt wieder hoch:

"Du, ich muss unbedingt zu diesem interessanten Workshop nach Berlin, du weißt doch, wie dringend ich den brauche. Du weißt, dass ich meinen Job vergessen kann, wenn ich da nicht mitziehe. Das musst du doch verstehen!" Klar verstand ich, er musste weg. Nach dem Motto, einer muss ja die Pflicht tun. Und ich? Tat ich etwa nicht meine Pflicht, war ich abends nicht müde? Dann versuchte ich wieder in mein jetziges Leben zu kommen. Ich brauchte wohl nur einen Anstoß.


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