Читать книгу Soad und das Militär - Najem Wali - Страница 13

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WER VERSTEHEN WILL, warum so viele Ausländer nach Kairo kommen, wer sich einen ersten Eindruck von ihnen verschaffen möchte, von ihrem Leben und ihrem Tun fern ihrer Heimat und ihrer Angehörigen, braucht nur das Café El Horryia am Maidan Falaki in Bab al-Louk aufzusuchen. Dieses Café, wo tagsüber Tee und Kaffee serviert werden, verwandelt sich abends in eine Bar, die hauptsächlich Bier ausschenkt, meist die in Ägypten hergestellte Marke Stella. Und weil ein halber Liter davon nur elf ägyptische Pfund kostet, also gerade mal fünfzig Cent, wimmelt es dort bis in die späten Nachtstunden von jungen Leuten. Sie stammen von überall her, kommen aus allen erdenklichen Ländern der Welt. Und jeder von ihnen hat seine eigenen Gründe, die ihn nach Kairo geführt haben. Was für den einen gilt, trifft nicht automatisch auf die anderen zu. Die jungen Spanier beispielsweise sind zumeist Bauingenieure, haben ihr Studium an einer Universität ihrer Heimat absolviert, anschließend aber keine Arbeit gefunden. Auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts konnten sich die meisten Familien dort für ihre Kinder nichts Besseres vorstellen als ein Studium des Bauingenieurwesens. Und eines Tages wachten diese Kinder auf und mussten feststellen, dass der Boom in dem Berufsfeld, das sie sich ausgesucht hatten, in Wirklichkeit eine Blase war. Einige von ihnen brachen daraufhin ins europäische Ausland auf, während es andere, und zwar nicht wenige, in den Orient zog, zum Beispiel nach Kairo. Dort trifft man sie allabendlich in großer Zahl, gemeinsam mit ihren italienischen und portugiesischen Schicksalsgenossen, Bier trinkend in besagtem Café. Hinzu kommt eine Gruppe vornehmlich junger Frauen, die hergekommen sind, um ein orientalisches Musikinstrument wie Ud, Kanun oder Santur zu erlernen. Wer die jungen Leute dort so laut und begeistert reden hört, wer ihr Lachen vernimmt, das mit dem Zigarettenrauch in die Luft steigt, wird voller Neid sagen: »Was sind das für glückliche Menschen!« Als hätten sie diesen Ort nur erwählt, um sich frei zu fühlen. Es gibt wohl keine größere Freiheit als die, fern seiner Heimat und Familie zu leben, wo selbst die Sprache, die man spricht, von niemandem ringsum verstanden wird. Der Besitzer des Cafés hatte genau darauf gesetzt und diesen Eindruck vermitteln wollen. Er hatte Bretter vor die Fensterscheiben genagelt, um das, was nachts dort im Inneren vor sich geht, vor den Augen der Passanten zu verbergen, beziehungsweise, um seinen Gästen das Gefühl zu vermitteln, sie befänden sich auf einer entlegenen, weltentrückten Insel oder in einer nur für sie bestimmten Oase der Freiheit. Wer sie reden hört, kann feststellen, dass sich ihre Gespräche um alles Mögliche drehen, nur nicht um die Situation in Kairo und Ägypten.

Ihr Leben vollzieht sich ausschließlich in Bab al-Louk oder an den nahegelegenen Maidans, Talaat Harb und Tahrir, während sie von den Projekten träumen, die sie hier verwirklichen wollen.

Und hatte es sich bei Simon nicht ebenso verhalten?

Ich kannte dieses Café von früheren Reisen, meine Besuche dort ließen sich aber an den Fingern einer Hand abzählen. Und sie hatten immer nur tagsüber stattgefunden, wenn ich im nahegelegenen Restaurant Nile auf der anderen Seite des Platzes Fisch gegessen hatte. Hätte Simon mir nicht vorgeschlagen, uns in diesem Café zu treffen, wäre ich gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, dass irgendetwas daran für mich interessant oder bedeutsam hätte sein können. Zwar war es nur einer von mehreren Orten, an denen wir uns unterhalten sollten (immer auf Simons Vorschlag hin), doch das Café war unser erster Treffpunkt, und er hatte es, wie er mir versicherte, nicht zufällig gewählt. Vielmehr handelte es sich um jenes Café, das er vor Jahren bei seiner Ankunft in Kairo als erstes aufgesucht hatte. Allerdings war es damals wohl noch nicht so voll gewesen wie in jüngster Zeit, weshalb ich auch regelrecht Mühe hatte, ihn zu finden. Was nicht etwa daran lag, dass er diesmal einen schwarzen Anzug, Hut und eine dunkle Brille trug – tatsächlich war sein Aufzug dazu angetan, alle Blicke auf sich zu ziehen, obgleich er wohl gedacht haben musste, sich auf diese Weise unkenntlich zu machen –, nein, ich konnte ihn deshalb so schwer ausmachen, weil er in einer abgelegenen Ecke ganz hinten im Café saß. Er war schon vor mir eingetroffen und hatte bereits im Voraus ein paar Flaschen Bier geordert, die er auf dem Tisch bereitgestellt hatte, um nicht später auf den Kellner warten zu müssen, der angesichts der Vielzahl an Gästen, die etwas von ihm wollten, seine Schwierigkeiten hatte, alle Wünsche zügig zu erfüllen. Außerdem wollte Simon verhindern, dass wir von jemandem unterbrochen wurden. Dass das Bier nicht kühl bliebe, sei nicht weiter schlimm, meinte er und griff nach einer Flasche, warmes Bier sei schließlich gesund.

»Auf deine Entscheidung«, sagte er, während wir anstießen, »Du hast mich also nicht enttäuscht, sondern bist geblieben. Genauso kenne ich dich! Danke dir!«

»Der Dank gebührt dir«, erwiderte ich freundlich, »ich bin sehr neugierig, was auf mich zukommt. Auf jeden Fall bleiben wir optimistisch«.

Nachdem wir einen Schluck getrunken hatten, erklärte ich – vielleicht, um ins Gespräch zu kommen, einer von uns musste ja schließlich den Anfang machen –, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, ihn an irgendeinem öffentlichen Ort zu treffen, da dies für ihn ja gefährlich sein könnte. Er lächelte, bedankte sich, dass ich mir solche Sorgen machte, und gab mir zu verstehen, es sei ihm vor allem um die Schriftstücke gegangen. »Und da die jetzt bei dir in Sicherheit sind, ist mir alles andere egal.« Für ihn bleibe nun nichts weiter zu tun, als ein wenig Vorsicht walten zu lassen. »Den Rest überlassen wir dem Zufall.«

Dann forderte er mich auf, ihm gut zuzuhören, da er nun noch einige über die Hefte hinausgehende Dinge ansprechen wolle. Vor allem aber, bat er eindringlich, dürfe niemand hier den Namen der Verfasserin mitbekommen. »Du weißt, wen ich meine«, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.

»Ich habe bis jetzt nur die ersten beiden Hefte gelesen«, erklärte ich und sagte mit einem Lächeln: »Siehst du, einmal habe ich meinen Aufenthalt wegen Kismet um ein Jahr verlängert, und jetzt weiß ich nicht einmal, wie lange ich bleibe. Und beide Male wegen einer Frau. Cheers!« Ich hob meine Bierflasche.

»Ich verstehe«, sagte er, »du hast also bis jetzt erst zwei der Hefte gelesen. Doch was ich dir nun erzählen werde, wird dich bestimmt dazu bringen weiterzulesen.«

Der Beginn seiner Geschichte, erklärte er, liege in ferner Vergangenheit, genauer, in der Zeit seines Studiums an der University of Michigan.

»Erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen?«, fragte er und vergewisserte sich nach allen Seiten blickend, dass uns niemand im Café beobachtete. »Weißt du noch, wie ich dir damals von meiner Arbeit an dem Wörterbuch erzählt habe?« Ihm war natürlich klar, dass ich mich noch daran erinnerte. Das Wörterbuchprojekt war seine Lebensaufgabe, sagte er nun. Früher hatte ich gar nicht nachvollziehen können, wie die Arbeit an einem Wörterbuch zu einer solchen Leidenschaft hatte werden können. Oft hatte er mir zu verstehen gegeben, dass dieses Wörterbuch, an dem er gearbeitet hatte und vielleicht noch immer arbeitete oder das er aufgrund der Dinge, die ihm in den letzten Jahren widerfahren waren, liegengelassen hatte, sich wesentlich von allen anderen Wörterbüchern unterschied. »Leider habe ich dir die Hintergründe damals nicht genauer erläutert, ich habe dummerweise nur ganz allgemein davon gesprochen. Vielleicht hatte ich Angst, du klaust mir die Idee, wer weiß!«, sagte er, seine Bierflasche noch immer in der Hand. Erneut stießen wir an.

»Cheers«, sagte ich, und er begann zu erzählen.

Sein Bruder Gerry, der vor Jahren Rabbiner geworden war, und zuvor als Offizier bei den Marines gedient hatte, war zehn Jahre älter als Simon. Doch trotz Simons Jugend, er war damals vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, war ihm etwas an der Art und Weise aufgefallen, wie sein Bruder redete, wenn er auf Urlaub nach Hause kam. Doch wenn er seinen Bruder nach diesen Ausdrücken fragte, die ihm unklar und neu erschienen, lachte dieser nur und sagte, so sprächen sie eben bei den Marines.

Simon wusste nicht mehr, wann er begonnen hatte, sich für die Frage zu interessieren, ob denn alle Soldaten weltweit solch eine eigene Sprache besäßen. Doch er erinnerte sich, dass ihn diese Frage lange umgetrieben hatte. Manchmal hatte er nächtelang nicht schlafen können. Als er sich ein kleines Heft anschaffte, um hier und da ein Wort zu notieren, das er von seinem Bruder aufgeschnappt hatte, war ihm noch nicht bewusst, dass sein Wortschatz mit der Zeit immer weiter anwachsen und dieses kleine Heft von zahlreichen größeren abgelöst werden sollte. Sein Bruder hatte sich nicht geizig gezeigt und ihn mit sämtlichen Wörtern versorgt, die ihm geläufig waren. Und als Simon schließlich auf die Universität kam, sollte er Linguistik studieren und sich auf die Sprache der Soldaten spezialisieren.

So hatte das Ganze seinen Anfang genommen, und im Laufe der Zeit hatte er begonnen, Abhandlungen über die Soldatensprache zu schreiben: Flüche in der Soldatensprache, Erotik in der Soldatensprache, Humor in der Soldatensprache und andere Titel mehr. Sein Professor hatte es anfangs als eher befremdlich empfunden, dass er sich allein mit solchen Themen beschäftigte, und darin nur eine vorübergehende Liebhaberei erblickt, wie sie in den ersten Universitätsjahren bei Studenten zuweilen vorkommt. Simon allerdings hatte unbeirrt an seinem Lieblingsthema weitergeforscht, war ganz darin aufgegangen, weshalb ihn sein Professor schließlich zu einer Unterredung in sein Büro bat. Er war ein kritischer Geist, wie die meisten seiner Professorenkollegen an der University of Michigan in Ann Arbor, die der Generation der Studentenbewegung der Sechzigerjahre angehört hatten und für jedes neue Thema ein offenes Ohr zeigten. Zwischen den beiden hatte sich ein tiefgreifendes Gespräch entsponnen. Der Professor hatte Simon nach seinen Quellen gefragt und den Grund wissen wollen, warum ihn die Soldatensprache so beschäftige. Und Simon hatte ihm nicht nur alles ausführlich erläutert, sondern sich darüber hinaus unbeschreiblich glücklich gefühlt, den Professor auf sein Thema aufmerksam gemacht zu haben. »Sie glauben also, die Soldaten haben eine eigene Sprache?«, hatte ihn der Professor gefragt. »Ja, das ist meine Überzeugung. Und meine Forschungen bestätigen es«, lautete die Antwort des jungen Studenten. Während des Gesprächs notierte sich der Professor immer mal wieder ein paar Wörter, die Simon erwähnt hatte, darunter vor allem jene, die er in seinen Studien zitierte. Bevor Simon schließlich nach einer mehr als zweistündigen Unterhaltung das Büro verließ, äußerte der Professor, dass ihn tatsächlich einige Wörter stutzig gemacht hätten, weil er sie nicht verstanden habe. Sie seien sicherlich Teil des Wortschatzes der Marines, weshalb es ihn sehr freue, wenn Simon sie ihm übersetzen würde. Und in diesem Moment war Simon blitzartig die Idee gekommen: ein Wörterbuch!

Eine Soldatensprache, dachte er, muss es in der übrigen Welt gewiss auch geben, und wenn er verschiedene Sprachen studierte, könnte er ein wirklich umfassendes Wörterbuch zusammenstellen. Er erstellte eine Liste und einen Arbeitsplan, um jene Sprachen zu lernen, die in den Konfliktregionen seiner Zeit gesprochen wurden.

»Was meinst du?«, fragte er und sah mich an, als wolle er sich vergewissern, dass die Überraschung, die er mir bereiten wollte, ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. »Heutzutage ist es schwierig, eine einzige Region auszumachen, die konfliktreicher ist als die übrigen, denn an vielen Orten der Welt herrscht Krieg, ob nun im Kleinen oder im Großen.« Aber damals, Anfang, Mitte der Achtzigerjahre, welche Sprache habe da an erster Stelle gestanden? Nun? Doch wohl Arabisch, dann Hebräisch und in einem gewissen Sinne auch Farsi. – Und so hatte er sich parallel zur Linguistik auch noch für Nahoststudien eingeschrieben.

Bei seiner Ankunft in Kairo war es Spätherbst. Seinen Abschluss in Linguistik und Nahoststudien hatte er in der Tasche. Vom ersten Studienjahr an war ihm klar, dass man, um eine Sprache zu beherrschen, auf Reisen gehen und sie an Ort und Stelle studieren muss. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, in Kairo seine Arabischkenntnisse zu vertiefen, sich mit den Ägyptern in ihrer Sprache zu unterhalten und von ihnen zu lernen, um sich anschließend der Herausgabe seines Wörterbuchs zu widmen. Für all dies hatte er höchstens ein Jahr eingeplant, und zwar nicht, weil das ihm zur Verfügung stehende Geld nicht länger gereicht hätte, sondern um sich auch mit jenen anderen Sprachen zu befassen, die er für sein Weltwörterbuch benötigte, wie etwa das Persische oder Hebräische. Zwar hatte er große Lust gehabt, in den Iran zu gehen, seine Hebräisch-Studien aber hatten sich von Kairo aus leichter weiterverfolgen lassen, schließlich grenzt Israel an Ägypten und war diesem nach dem Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten und der Unterzeichnung eines Friedensvertrags genau vier Jahre vor Simons Ankunft und infolge der anschließenden Grenzöffnung näher gerückt. Simon hatte sich nun leichter auf dem Landweg zwischen Tel Aviv und Kairo hin und her bewegen können und sich nicht mehr gezwungen gesehen, über Zypern nach Israel einzureisen. Während jenes Jahres, von dem er gedacht hatte, es werde sein einziges sein und er würde danach, gleich im Anschluss an die Fertigstellung seiner Studien, nach Michigan zurückkehren, tat er alles ihm erdenklich Mögliche, um bloß nicht den Verdacht zu erwecken, sich nicht allein aus literarischen Gründen mit der arabischen Sprache zu beschäftigen, sondern tatsächlich wegen seiner Arbeit an einem Wörterbuch, das mit dem Militär in Beziehung stand. Er musste also zunächst einmal Soldaten finden, sich mit ihnen unterhalten und sie, wenn auch indirekt, befragen. Damals hatte er zufällig vom Café El Horryia gelesen, und was er da gelesen hatte, hatte ihm den Weg zu seinem Ziel gewiesen.

»Weißt du, dass dieses Café seit seiner Eröffnung 1936 der Lieblingstreffpunkt der Ausländer in Ägypten ist?«, fragte er mich und zog einen alten Zeitungsausschnitt aus der Tasche, den er aufbewahrt hatte. »Was für ein Zufall!«, dachte ich, als ich den Papierfetzen, den er mir unter die Nase hielt, in Augenschein nahm und überflog. Das Viertel Bab al-Louk war zu jener Zeit, als das Café eröffnete, nahezu unbewohnt. Es lag an einem Platz, den man damals noch Maidan al-Zuhur nannte, Platz der Blumen. Weil es so abgelegen lag, hatte mit Ausnahme einiger englischer Soldaten niemand den Weg dorthin gefunden. Zunächst brachte das Café seinen Besitzern auch nichts als gewaltige Verluste ein. Doch mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stockte Großbritannien seine Truppen in Kairo auf, die britischen Soldaten zeigten eine besondere Vorliebe für dieses Café, dessen zunehmende Beliebtheit unter den Briten dann auch Paschas, Polizisten, Soldaten und Künstler anzog. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass genau an der Stelle, wo sich heute das Café befindet, früher das Haus des berühmten ägyptischen Politikers Ahmad Urabi gestanden hat. Von hier aus war er mit seinen Unterstützern zum Abdin-Palast gegen den Khediven, den ägyptischen Herrscher, gezogen, um Freiheit für das Volk einzufordern. Nach dem Scheitern der Revolution, der Gefangennahme Urabis und seiner Verbannung auf die Insel Ceylon wurde auch sein Haus zerstört. An dessen Stelle errichtete man ein neues Gebäude in englischem Stil mit dem Café El Horryia im Erdgeschoss. Es gab also keinen besseren Vorwand als den der Erforschung der Geschichte dieses Cafés, um sich mit ehemaligen Militärführern zu treffen, die hier regelmäßig verkehrten. Eigenartige Ausdrücke und sprachliche Wendungen ließen sich mit ihrer Hilfe leicht belegen. Nur durfte Simon keinen Argwohn bei ihnen erwecken, wollte er nicht Gefahr laufen, als Spion verdächtigt zu werden. Er musste die Kontaktaufnahme vorsichtig angehen, seine Gesprächspartner zunächst fragen, welche Zeit sie erlebt, welche Sprache sie verwendet hatten und wie sich diese von der zeitgenössischen unterschied.

Dank der Zuarbeit dieser alten ägyptischen Militärs erwarb sich der junge Simon Syros, der in seiner Energie und Neugier keinen Deut nachließ und keine Langeweile kannte, mit seinen Besuchen im Café El Horryia schon nach drei Monaten eine Fülle an Informationen. Er brauchte die Männer nur an vergangene Zeiten zu erinnern, schon begannen sie begeistert zu erzählen.

Binnen kurzem war Simons Name im Café in aller Munde: »Der Amerikaner, der fließend Arabisch spricht, sogar ägyptischen Dialekt, und die Erinnerungen des Cafés aufschreibt«, so nannte man ihn dort. Manch einer war sogar, noch ehe Simon sich an ihn gewandt hatte, von sich aus auf ihn zugekommen und hatte ihm Vorwürfe gemacht: Warum er sich nicht zuerst an ihn gewandt habe? Er habe einen ganzen Vorrat an Geschichten, Simon hätte viel zu verlieren, wenn er nichts davon erführe! Damit hatte Simon nicht gerechnet. Einer der Gäste des Cafés, ein Mann, der auf den ersten Blick wie Anfang dreißig wirkte, tatsächlich aber, wie Simon später herausfand, Mitte, Ende vierzig gewesen sein musste – er war allemal eine elegante Erscheinung und trug eine dunkle Sonnenbrille –, saß immer allein in einer Ecke und beobachtete Simon bei allem, was er tat. Simon, dem dies aufgefallen war, entschied zu warten, ob nicht auch dieser Mann sich ihm eines Tages vorstellen würde.

Es musste am ersten März gewesen sein, einem relativ milden Tag – allerdings war gerade der Chamsin-Wind aufgekommen und hatte Sand und Staub mit sich geführt. Simon konnte sich noch so gut an jenen Tag erinnern, da er nicht wie üblich am Eingang des Cafés gesessen, sondern einen Platz in einer weiter hinten liegenden Ecke eingenommen hatte, genau an jener Stelle, die er nun auch für unser Gespräch gewählt hatte. Plötzlich war der elegante Mann auf ihn zugekommen und hatte sich ihm als Salim Adli vorgestellt. Simon musste immer lachen, wenn er an diesen Namen dachte, ausgerechnet Salim in Kombination mit Adli, war doch dieser Mann alles andere als salim – untadelig – oder adil – gerecht. Bis er den wirklichen Namen des Mannes erfuhr, sollte noch viel Zeit vergehen, in der die beiden einander mehrmals sahen, was am Ende zu einer gewissen Vertrautheit zwischen ihnen führte. An jenem Tag im März jedoch hatte er nicht einen Moment an dem Namen gezweifelt. Es war ja auch einerlei, ob er nun Salim oder Fathi hieß, Izzat oder Mahmud – lauter Namen, die ihm dieser Mann später genannt hatte, zum Spaß oder unter den heiligsten Schwüren, die Wahrheit zu sagen. Welche Namen auch immer Simon von ihm hörte, spielt letztlich keine Rolle: Der Mann blieb für ihn, selbst als sein richtiger Name und seine Identität ans Tageslicht gekommen waren, doch immer nur Salim Adli.

Er arbeitete, wie er Simon erklärte, in einem Filmunternehmen. Er sei auf Simon aufmerksam geworden und fragte sich, was dieser junge Amerikaner wohl von all den pensionierten Soldaten in Kairo wollte. Mit einem Augenzwinkern bat er Simon, nicht zu glauben, dass ihm sein Tun verdächtig vorkomme oder er ihn etwa der Spionage bezichtige, um Gottes willen, nein, schließlich sei Kairo, und darauf sei er stolz, ein Attraktionspunkt für Studierende von nah und fern. »Nehmen Sie sich allerdings in Acht!«, sagte Salim Adli noch und sah Simon dabei an, als wollte er die Wirkung seiner Worte auf dessen Mienenspiel studieren, während er ihn gleichzeitig am Arm packte und ihm versicherte: »Ich möchte Ihnen schließlich helfen!« Das allerdings nur, wenn er, Simon, seine Hilfe auch wirklich wünsche, fügte er gleich noch hinzu, ohne eine Antwort abzuwarten. Anschließend erklärte er, dass es ihm nur darum gehe, Simon mit einem bedeutenden Offizier bekannt zu machen, der damals etwa zweiundsechzig Jahre alt war und lange in der Armee gedient hatte, bis ihm das Schicksal einen Streich gespielt hatte. »Eine Prüfung Gottes«, sagte Salim Adli in einem deutlich bekümmerten Tonfall. »Denn der Herr ist krank.« Er sei ans Bett gefesselt, erfuhr Simon nun, weshalb er ihn auch nicht im Café antreffen könne. Salim Adli jedoch war bereit, ihn zu ihm bringen, und war sich sicher, dass der ehemalige Offizier Simon bei all seinen Forschungen nützlich sein könnte.

Damals, am ersten März jenes Jahres, war Simon mitnichten bewusst, dass er im Begriff war, einen enormen Fehler zu begehen, als er Salim Adlis Vorschlag, den kranken Offizier zu besuchen, annahm. Im Nachhinein betrachtet aber bewies jeder einzelne Augenblick jenes Tages, wie begriffsstutzig er doch gewesen war: zunächst der Augenblick, als er sich von seinem Platz erhob, dann derjenige, als er das Café verließ und schließlich der darauf folgende, als er »mit diesem Salim Adli« in einen großen Mercedes stieg. Und ebenso die Minuten, die er unterwegs mit diesem Mann verplauderte, der sich nicht scheute, sich nach einer so kurzen Bekanntschaft als sein neuer Freund zu bezeichnen; dann der Augenblick ihrer Ankunft vor dem Haus des kranken Offiziers, den kennenzulernen Simon so neugierig war, dann der danach, als Salim Adli, ohne zu läuten, vor Simon das Haus betrat, anschließend derjenige, als Simon Salim ins Haus folgte, und schließlich jener letzte Augenblick, als die Gattin des Offiziers, eine schöne, kräftig gebaute, hochgewachsene Frau mit blondem Haar, die beiden in einem nachthemdartigen Hauskleid und mit finsterem Gesichtsausdruck im Salon begrüßte. Iatidad lautete ihr Name, wie Simon sich erinnerte. Sie wirkte, als wäre sie schockiert, die beiden zu sehen, genauer, Salim Adli zu sehen. Denn kaum war ihr Blick auf Simon gefallen, der hinter dem größeren Salim Adli verdeckt gestanden hatte wie dessen Schatten oder Diener, hatte sie ihn angelächelt. Simon erinnerte sich noch, wie sie auf ihn zugekommen war und ihn zunächst auf Englisch willkommen geheißen hatte. »Sorry, excuse me!«, hatte sie dann noch gesagt. Als Simon ihr jedoch auf Arabisch antwortete, sprach sie in ägyptischem Dialekt weiter. Ihre Entschuldigung bezog sich auf die Hauskleidung, die sie trug. »Ihr Besuch kommt sehr überraschend«, hatte sie leicht irritiert gesagt und noch hinzugefügt, dass es mit Si Samahs Gesundheit – auf diese Weise hatte Simon auch den Namen des Offiziers erfahren – seit den frühen Morgenstunden immer weiter bergab gegangen sei. Eben erst habe sie den diensthabenden Militärarzt angerufen, damit er ihn ins Krankenhaus einweise oder herkomme, um ihn zu behandeln. Sie wisse nicht, ob Si Samah überhaupt zu einem Gespräch in der Lage sei. Jedenfalls erinnerte sich Simon, dass sich der Gesichtsausdruck dieser Frau sekündlich veränderte, sobald sie den anderen anblickte, der wiederum seinerseits keinerlei Mühe darauf verwendete, seine verächtlichen Blicke zu verhehlen. Warum war Simon nicht wenigstens in jenem Moment auf die Idee gekommen, dass da etwas nicht stimmte? Als sie schließlich – Salim und er, denn die Frau ging nicht mit hinein – zu dem kranken, bettlägerigen Offizier ins Zimmer traten und sich die Salontür hinter ihnen schloss, fand er sich einem vollkommen zusammengesunkenen Mann gegenüber, der kaum in der Lage war zu sprechen, einem Mann, der so hinfällig wirkte, als hätte er kürzlich erst eine Embolie, einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder einen Nervenzusammenbruch erlitten und würde nur noch von seiner Neugier auf Simon Syros am Leben erhalten. Und das war es dann auch, was ihm Si Samah nun erklärte, der jedes einzelne Wort schwer atmend hervorpresste. Er habe Simons Kommen inständig herbeigesehnt, sagte er, und schließlich notgedrungen Salim Adli befohlen, ihn herzubringen. Dann also war es gar nicht so, wie Salim Adli es erzählte, dachte Simon damals im Stillen. Bei allem, was Salim Adli nun tat, wirkte er wie ein Untergebener Si Samahs, auch wenn man dies aus ihrem Äußeren nicht unbedingt schließen konnte: Si Samah hatte einen dunklen Teint, Salim dagegen war hellhäutig, Si Samah war klein, vielleicht nicht größer als einen Meter sechzig, und mager, während Salim groß und kräftig war. Trotzdem verhielt sich Salim, als wäre er Si Samah unterstellt und handele nur auf dessen Anweisung. Besser gesagt, es war eine sonderbare Beziehung, die über die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Untergebenem, Herrn und Diener hinausging. Den Kopf stets gesenkt, den Blick auf Si Samah gerichtet, hatte Salim kein einziges Wort mehr gesagt, nachdem Si Samah zu sprechen begonnen hatte. Dieser redete, als hielte er eine lange Ansprache, sozusagen ein Abschiedswort an die Welt, als wüsste er, dass seine Tage gezählt seien. Er sagte sogar, er habe darauf bestanden, dass Simon Syros an jenem Tag zu ihm nach Hause kommen sollte, bevor es zu spät wäre. »Wie Sie sehen, schwinden meine Kräfte«, sagte er. »Und bevor sie mich gänzlich verlassen und ich nicht mehr sprechen kann, wollte ich Ihnen noch zu Ohren kommen lassen, was gesagt werden muss.« Er versank fast in dem dicken Sofa, auf dem er lag, und war mit einer Bettdecke zugedeckt, die die gleichen Streifen trug wie sein Pyjama, von dem nur der oberste Teil zu sehen war. Beides wirkte wie Requisiten aus einem Gefängnisfilm. Trotzdem bestand der Mann darauf, seine Rede zu halten.

Nachdem er Simon begrüßt hatte, erklärte er, er wisse alles über ihn. Anders als Simon selbst von sich oder andere von ihm behaupteten, sei er mitnichten ein Amerikaner, der die Geschichte des Cafés El Horryia niederschreibe. »Blödsinn! Lassen Sie doch diesen Quatsch! Damit Sie wissen, wie viel ich über Sie weiß, werde ich Ihnen von der Universität berichten, an der Sie studiert haben, und von Ihrer Stadt Ann Arbor. Sie sind ein Absolvent der University of Michigan in Ann Arbor, mein Freund!« Und damit zog er mehrere Papiere unter seinem Kopfkissen hervor, darunter offenbar einen Bericht mit den Informationen, die er über Simon gesammelt hatte, und bat Salim Adli vorzulesen, was darin geschrieben stand. »Ann Arbor ist eine Stadt im US-Bundesstaat Michigan. Gegründet wurde sie im Jahr 1824. Eine Theorie besagt, dass sie sehr wahrscheinlich nach den Ehefrauen der beiden Stadtgründer John Allen und Elisha Walker Rumsey benannt wurde. Was die University of Michigan betrifft, so wurde sie 1824 von Detroit nach Ann Arbor verlegt. Damit setzte im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert ein Wachstum der Stadt ein. Während der Siebziger- bis zu Beginn der Neunzigerjahre unserer heutigen Zeit gewann die Stadt große Popularität durch linke Aktivitäten, denn sie war ein Zentrum liberaler Politik und wurde schließlich wegen ihrer aktiven Rolle im Civil Rights Movement und der Studentenbewegung zu einem Kristallisationspunkt politischer Aktivitäten im Westen …« Bevor Salim Adli mit dem Verlesen des gut fünfseitigen Berichts, der wie eine Akte über Simon Syros begann, fortfahren konnte, wurde er von Si Samah unterbrochen. »Das reicht«, sagte er. Anschließend richtete er sich auf und sah Salim Adli an. »Mit diesem Bericht wollte ich unserem amerikanischen Freund nur einen Eindruck davon vermitteln, dass ich alles über ihn, seine Stadt und seine Universität weiß. Es genügt, dass sie ein Zentrum des Liberalismus ist, dieses Gifts, das uns nichts als Probleme und Zerstörung gebracht hat. Jemand wie er, ein Absolvent dieser linken oder liberalen Universität – denn das ist das Gleiche, Liberalismus und linke Politik sind Zwillinge, und für beide ist in unseren Regionen kein Platz – ist mit einem ganz anderen Ziel hergekommen, nämlich diese destruktiven Ideen hier zu verbreiten.« Nun richtete er seine Worte direkt an Simon. »Haben Sie mich verstanden?« Zur Erklärung fügte er mit derselben schwachen, aber entschlossen klingenden Stimme hinzu: »Sie sind Absolvent der University of Michigan, Institute of Advanced Studies, Branch of Middle Eastern Studies. Einigen wir uns also zunächst einmal darauf, dass Sie mit Ihrem Besuch etwas anderes bezwecken, als eine Studie über das Café El Horryia zu schreiben. Ist das richtig?« Dann schwieg er, möglicherweise, weil er auf eine Antwort von Simon wartete, vielleicht aber war die Sache für Si Samah damit, dass sie sich geeinigt hatten, auch einfach erledigt.

Erst als Simon mir die Geschichte im Café El Horryia erzählte, fiel ihm ein, dass die Art und Weise, wie der kranke Offizier den Namen des Cafés, Horryia – Freiheit –, ausgesprochen hatte, nicht der Ironie entbehrte. Damals jedoch, vor dem auf dem breiten Sofa hingestreckten Körper, hatte Simon sich ganz den Gepflogenheiten entsprechend verhalten, er hatte den Gruß des Offiziers höflich erwidert und dabei nicht einmal vergessen, sich ägyptischer Ausdrücke zu befleißigen. »Sie sprechen Arabisch wie ein Ägypter?«, hatte der Offizier ihn daraufhin gefragt, eine Frage, die eher einer Bestätigung glich. »Ja, mein Herr«, hatte Simons Antwort gelautet.

»Gib mir mal das Album, Mahmud!«, hatte Si Samah daraufhin Salim Adli befohlen, und das Fotoalbum auf dem Tischchen gemeint, das sich nun zwischen den beiden Männern und Simon befand, da sich Salim Adli, kaum hatte er dem Kranken das Album gereicht, auf den Rand des Sofas gesetzt hatte. Simon wusste nicht, ob er darüber lachen sollte, dass sein Begleiter mit einem Mal Mahmud hieß. Warum bloß hatte er sich in jenem Moment nicht entschuldigt, war aufgestanden und hatte gesagt, dass er gehen müsse? Reichte es ihm nicht, Salim Adlis neuen Namen zu hören? Welcher normale Mann ließ sich denn am selben Tag mit zwei verschiedenen Namen anreden? Warum hatte er dies Salim Adli damals nicht einfach ins Gesicht gesagt? Er wusste es nicht. Alles, was er wusste und woran er sich noch erinnerte, war, dass er wie betäubt auf seinem Platz sitzen geblieben war und sich den zweiten Teil von Si Samahs Rede angehört hatte. Oder auch nur einen Teil dieses Teils, denn kaum hatte Si Samah wieder das Wort ergriffen, bemerkte Simon, wie sich die Salontür ihm gegenüber leise öffnete und Iatidad in deren Rahmen erschien. Zuerst drückten nur ihre Fingerspitzen die Tür einen kleinen Spaltbreit auf, dann aber sah er, wie sie ihren Körper zur Hälfte in den Schlitz schob und ein Stück Pappe in die Höhe hielt, auf dem geschrieben stand: »Glauben Sie diesen Lügnern nicht!« Gleich darauf war sie wieder verschwunden. Simon musste grinsen. Das Ganze hatte kaum ein paar Sekunden gedauert, doch der seltsame Anblick hatte ausgereicht, ihn von dem abzulenken, was Si Samah von sich gab. Nur Fragmente, Bruchstücke, Satzfetzen, die er sich erst wieder zusammensetzen musste, waren ihm im Gedächtnis geblieben. So erfuhr er beispielsweise, dass Si Samah einer der ersten Offiziere gewesen war, die sich an dem Umsturz gegen König Faruk beteiligt hatten; dass er das Bataillon Nummer 13 angeführt hatte, dessen Kameraden größtenteils den sogenannten Freien Offizieren angehörten, welche die Bewegung vom 23. Juli 1952 ins Leben gerufen und die Monarchie abgeschafft hatten. Ein Jahr später hatte Si Samah die Leitung des Geheimdienstes übernommen. Ein Jahrzehnt lang war er dessen Chef gewesen. Für den Aufbau des ägyptischen Geheimdienstes hatte man gewaltige Finanzmittel und Erfahrungen anzapfen müssen. Noch notwendiger aber war die Bereitstellung qualifizierter Kräfte gewesen. Ihre Ausbildung war das schwierigste Problem, vor dem der neu zu erschaffende Apparat gestanden hatte. Doch Si Samahs direkte Kontakte zu den Geheimdienstchefs verschiedener Länder in aller Welt waren ihm, so sagte er stolz, eine große Hilfe gewesen.

Das Finanzierungsproblem hatte er gelöst, indem er mit einem Grundkapital von 300.000 Ägyptischen Pfund eine Transportfirma gründete, die ihre Gewinne an den Geheimdienstapparat überwies. Als er dem Staatspräsidenten von dieser Firma berichtete, forderte dieser ihn auf, das Kapital zu erhöhen, und kam mit ihm darin überein, sich selbst mit 100.000 Pfund vom Präsidentenkonto zu beteiligen, und zwar unter der Maßgabe, dass die Armee eine weitere Summe einzahlte und die Gewinne der Gesellschaft auf alle drei Beteiligten aufgeteilt wurden.

Von diesem Moment an waren Geheimdienst und Armee Verbündete. Der Fortbestand des einen entschied über den Fortbestand der anderen, die Macht des einen über die der anderen. Sämtliche Versuche, die beiden auseinanderzudividieren, waren gescheitert, erklärte Si Samah und erinnerte Simon zugleich daran, wer dies alles bereits versucht hatte: Israel, die Sowjets, Deutschland. Doch sie waren samt und sonders gescheitert. »Diese Lektion sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben!«, sagte er. Ungefähr gegen Ende dieses Satzes konzentrierte sich Simon wieder stärker auf seinen Gesprächspartner. Ihm blieb auch nichts anderes übrig, denn angesichts dessen, was der Mann nun von ihm forderte, saß er plötzlich wie angewurzelt da, als wäre er mit einem Mal gelähmt. Der alte Mann sagte geradeheraus, er sei wirklich froh, Simon getroffen zu haben, und verlange von ihm nicht mehr, als das, was er ihm nun anvertrauen werde, an seine Untergebenen im amerikanischen Geheimdienst, dem CIA, weiterzuleiten. Liberalismus sei Unsinn, sollte er ihnen sagen, die Armee und die Geheimdienste in Ägypten seien die einzigen Garanten für regionale und weltweite Stabilität. Falls sie Zweifel daran hätten, sollten sie ihn nur baldmöglichst kontaktieren, dann würde er ihnen den Gedanken einer Zusammenarbeit mit dem CIA erläutern, welche die Gründung eines globalen Geheimdienstapparates mit Zentren an verschiedenen Orten der Welt beinhalte, von denen sich eines in Kairo befinden müsse. Leider habe seine Krankheit ihn arbeitsunfähig gemacht und gezwungen, sich von den Zentren der Macht fernzuhalten. Trotzdem habe er nach wie vor Männer im Apparat, die ihm vertrauten und eher für ihn als für die neue Führung arbeiteten. Ihre Loyalität ihm gegenüber bestehe seit geraumer Zeit, was auch kein Wunder sei, da er selbst sie geschult habe, und nicht nur sie, sondern auch ihre Ehefrauen. Nur gemeinsam mit ihm, erklärte er, könne der amerikanische Nachrichtendienst erfolgreich arbeiten. Diese Botschaft müsse Simon übermitteln. »Haben Sie mich verstanden?«, fragte Si Samah, eher zur Bekräftigung seiner Worte, als um sich zu erkundigen. Die Sache war erledigt, Simon Syros war ein Agent des CIA, der sich nur als Forscher ausgab.

Simon kam dies alles ausgesprochen grotesk vor, er musste über diese verrückte, beinahe schon paranoide Vorstellung beinahe lachen. Okay, der Typ mag verrückt sein, dachte er sich dann, aber vielleicht ist er auch gefährlich.

Auf diese Weise verlief der Abschied zwischen Simon und dem kranken Mann, der, kaum hatte er seinen Satz beendet, in tiefen Schlaf sank. Und so war es Salim Adli, der Simon dann bat, doch aufzustehen, damit sie die Villa verlassen konnten, ohne allerdings zu wissen, dass die Rede, die Si Samah eben gehalten hatte, auch seine letzte war. Am selben Tag noch wurde er ins Kairoer Militärkrankenhaus transportiert. Um seine Gesundheit war es tatsächlich äußerst schlecht bestellt. Seit gut fünfzehn Jahren hatte er, nachdem den damals erst Neunundvierzigjährigen eine Koronarembolie niedergestreckt hatte, unter dieser Krankheit gelitten. Diesmal sollten ihm nur noch vier Tage bleiben. Am fünften des Monats verstarb er.

Soad und das Militär

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