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Theo Bruns Verleger der Revolte Ein Vorwort

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»Die Methoden seiner Prosa sind so experimentell wie die sozialen Bewegungen, von denen sie handelt«, schrieb Peter O. Chotjewitz über das Schaffen des italienischen Schriftstellers Nanni Balestrini. Dies gilt auch und in besonderem Maße für den Roman »Der Verleger«, sein in Form und Inhalt vielleicht radikalstes und virtuosestes Werk.

Auch wenn der Name in dem Roman nicht ein einziges Mal genannt wird, so ist doch klar, um wen es sich bei dem Verleger handelt. Es geht um Giangiacomo Feltrinelli, die vielleicht einflussreichste und schillerndste Verlegerpersönlichkeit der europäischen Nachkriegsgeschichte. Am 19. Juni 1926 in Mailand geboren, nahm er als junger Mann am Befreiungskampf gegen die deutsche Besatzung und das Mussolini-Regime in den Reihen der US Army teil. In diesem Kontext machte er die Bekanntschaft von Partisanen, deren Tradition für ihn zeitlebens die zentrale Achse seines politischen Denkens und Handelns bilden sollte. Im März 1945 trat er der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) bei, die er nach dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn 1956 wieder verließ.

Nach dem Krieg gründete Feltrinelli eine Bibliothek sowie ein weltweit beachtetes Institut zum Studium der internationalen Arbeiterbewegung und des Sozialismus. 1954 eröffnete er den Feltrinelli-Verlag in Mailand, dem später eine Kette von Buchläden, die sich in Zentren der Bewegung verwandelten, angegliedert wurde. Binnen kurzem hatte der Verlag riesigen Erfolg. »Doktor Schiwago« von Boris Pasternak und »Der Leopard« von Giuseppe di Lampedusa wurden zu Weltbestsellern. Das weltoffene Projekt war international ausgerichtet, ein Leuchtturm freien Denkens, um den sich zahlreiche junge Schriftsteller und Intellektuelle scharten. Balestrini, der seit 1962 im Verlag arbeitete, erinnert sich rückblickend an die »prickelnde Atmosphäre von intellektueller Vitalität, von Freundschaft und Komplizenschaft«. Auch Inge Feltrinelli, eine deutsche Fotografin und dritte Ehefrau des Verlegers, hebt den Enthusiasmus, das Himmelstürmende der Anfangsjahre hervor. »Jeder von uns glaubte, der Verlag sei das Zentrum der Welt.«

Die kubanische Revolution war für Feltrinelli ein elektrisierendes Ereignis, das in seinem Denken mit der Erfahrung der Resistenza verschmolz. Mehrfach reiste er nach Kuba, wo er Fidel Castro und Che Guevara traf. Als der französische Philosoph und Revolutionstheoretiker Régis Debray in Bolivien als angeblicher Mitkämpfer Ches verhaftet wurde, reiste Feltrinelli nach La Paz, um sich für seine Freilassung einzusetzen. Er hatte zuvor dessen Buch »Revolution in der Revolution«, die klassische Formulierung der Fokustheorie, die die kubanische Erfahrung auf den Begriff brachte, in italienischer Übersetzung herausgebracht. In der Folge wurde Feltrinelli selbst verhaftet, zwei Tage lang verhört und schließlich des Landes verwiesen. Nach dem Tod Guevaras übersetzte und publizierte er dessen »Bolivianisches Tagebuch«, das sofort in zehntausendfacher Auflage Verbreitung fand. Auf dem Buchcover war das ikonische Foto abgebildet, das der kubanische Fotograf Alberto Korda von dem Guerillero gemacht hatte.

Feltrinelli, der gut Deutsch sprach, war der Studentenbewegung in der BRD eng verbunden und mit Rudi Dutschke befreundet. Er eröffnete den Internationalen Vietnamkongress im Februar 1968 in Berlin und ging wie Dutschke der strategischen Frage nach, ob und wie eine Übertragung der Guerillamethoden aus der Dritten Welt in die Metropolen möglich sei. Nach dem Attentat auf Dutschke lud ihn Feltrinelli nach Mailand ein, um ihm einen geschützten Raum für seine Rekonvaleszenz zu gewähren.

In Italien kam es im Heißen Herbst 1969 zu einem Ausbruch von Arbeiterkämpfen neuen Typs, zu spontanen, von räteähnlichen Komitees organisierten Massenstreiks, die sich der Kontrolle der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften entzogen. Gleichzeitig wurde das Land von einer Serie von Attentaten der extremen Rechten erschüttert, die ihren blutigen Höhepunkt in dem Bombenanschlag in der Nationalen Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand am 12. Dezember 1969 fand. Obwohl – wie sich herausstellen sollte – Anhänger der faschistischen Organisation Ordine Nuovo für den Anschlag verantwortlich waren, wurde die Tat zunächst der Linken angelastet und die Anarchisten Pietro Valpreda und Giuseppe Pinelli wurden beschuldigt. Feltrinelli, der schon lange einen Staatsstreich von rechts befürchtet hatte und im Attentat der Piazza Fontana eine Parallele zum Reichstagsbrand sah, reagierte, indem er in die Illegalität ging. Anfang 1970 verkündete er in einem Brief an die Presse »das Ende der demokratischen Illusionen« und gründete eine klandestine Organisation, die GAP (Gruppo d’Azione Partigiana), die in seinen Augen den Befreiungskrieg der Resistenza zu Ende führen sollte. Nach verschiedenen kleineren Aktionen ereignete sich am 14. März 1972 der tragische Vorfall von Segrate. Bei einer Sabotageaktion gegen einen Hochspannungsmast in der Nähe von Mailand kam es vermutlich zu einer vorzeitigen Explosion der Sprengladung. Unter dem Mast wurde die Leiche eines Mannes gefunden. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei dem Toten um den berühmten Verleger handelte.

Sofort nach seinem Tod verbreiteten sich Gerüchte, dass Feltrinelli Opfer eines Geheimdienstkomplotts und ermordet worden sei, während die militante Linke darauf bestand, dass er kein Opfer, sondern ein Revolutionär sei, der kämpfend gefallen sei. Der Roman gibt in seiner Vielstimmigkeit der komplexen und kontroversen Figur des Verlegers ihre Würde zurück, indem er ihn in seinen Motiven und Handlungen ernst nimmt und sich gegen eine Entstellung wendet, die darauf abzielt, eine unbequeme Person unkenntlich zu machen. Der Verleger erscheint so als die Summe der Widersprüche seiner Zeit und als »ein leidenschaftlicher, aufrechter, zerrissener Zeuge, offen gegenüber der Welt, die sich verändert«.

Dennoch ist das Buch kein biografischer Roman. Der komplexe Text stellt vielmehr das Porträt einer Epoche dar, eingefangen im Moment des Todes des Verlegers, der einen unwiederbringlichen Bruch, einen Einschnitt in der Geschichte der radikalen italienischen Linken bedeutete. Danach war nichts mehr wie zuvor. Der Tod des Verlegers stellte alles in Frage und forderte Entscheidungen heraus. Er markierte den Übergang von einer Phase des Kampfes zu einer anderen, in deren Verlauf sich die Auseinandersetzungen zugleich radikalisierten und dezentralisierten. Der neue Zyklus beinhaltete das Ende der alten, an die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften gebundenen Arbeiterbewegung und beruhte auf dem Aufbruch einer neuen rebellischen Generation, die sich frontal gegen das Regime der Arbeit selbst kehrte und die Kämpfe auf das gesamte gesellschaftliche Terrain ausweitete. Die Revolution wurde alltägliche Praxis, verband sich mit einer neuen Art zu denken und zu lieben. Getragen von einer stürmischen Jugend, die in ihren unmittelbaren Lebensverhältnissen, in ihren Verkehrsformen und Geschlechterverhältnissen so etwas wie eine anthropologische, nicht mehr rückgängig zu machende Veränderung durchmachte, die so tief reichte, dass für sie eine Rückkehr in die etablierten Verhältnisse unmöglich war. Diese existenzielle kulturelle Revolution wird einen kurzen, aber nachhaltigen Kampfzyklus prägen, der mit der Entführung Aldo Moros durch die Roten Brigaden, in denen das alte, monolithische Revolutionsmodell fortlebte, der fortschreitenden Militarisierung und der staatlichen Repression sein Ende finden wird.

Der Roman ist kunstvoll konstruiert und in zwölf Szenen gegliedert. Die ungeraden Kapitel geben im Zeitraum zwischen dem Auffinden der Leiche und der Beerdigung des Verlegers den Obduktionsbericht der Leiche, den jeweiligen Stand der polizeilichen Ermittlungen, die Reaktionen der Presse, Erklärungen der Politiker, Nachrichten über das Geschehen in aller Welt wieder. In den geraden Kapiteln treffen sich vier ehemalige Weggefährten des Verlegers, die 17 Jahre nach seinem Tod versuchen, einen Film über sein Leben zu drehen und die Schlüsselbedeutung, die dieses Ereignis für sie selbst und die Entwicklung der italienischen Linken beinhaltete, zu ergründen. Eingestreut sind Szenen aus dem Roman »Unter dem Vulkan« von Malcolm Lowry, der die Geschichte einer verzweifelten Liebe und des tragischen Todes eines britischen Konsuls in Mexiko erzählt, der dem Alkohol verfallen ist. Lowrys Roman spielt zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, eine Allegorie der nahenden Katastrophe. Das Filmprojekt über den Tod des Verlegers in Balestrinis Roman wird schließlich scheitern, doch aus den Erinnerungsfragmenten und zahllosen Zitaten entsteht eine Collage, die ein faszinierendes Bild jener Zeit ergibt. In dieser kunstvoll zusammengefügten Polyphonie offenbart sich die Meisterschaft Balestrinis, der sich jeder Wertung enthält und den Lesenden die Freiheit lässt und die Anstrengung zumutet, sich ihr eigenes Bild zu machen.

Auch wenn er selbst in dem Roman – wie in seinem gesamten Werk – unsichtbar bleibt, Nanni Balestrini weiß genau, wovon er redet. Er war neben Toni Negri, Oreste Scalzone und Franco Piperno Gründungsmitglied von Potere Operaio (Arbeitermacht), einer außerparlamentarischen Gruppierung, die aus den Erfahrungen der neuen, unabhängigen Arbeiterkämpfe des Heißen Herbstes 1969 entstand. Später galt seine tiefe Sympathie der Bewegung der Autonomia, die in alle gesellschaftlichen Bereiche diffundierte und die Lebensverhältnisse revolutionierte. Im Kontext des großen staatlichen Schlages gegen die autonome Bewegung am 7. April 1979, in dessen Folge Hunderte von Militanten verhaftet wurden, floh Balestrini auf Skiern über die Alpen nach Frankreich, nachdem er morgens in der Zeitung gelesen hatte, dass nach ihm gefahndet wurde. In der Folge lebte er mehrere Jahre im französischen Exil, bis der Haftbefehl gegen ihn 1984 aufgehoben wird. Im Mai 2019 ist Nanni Balestrini mit 83 Jahren in Rom gestorben. Er ist und bleibt der große, unübertroffene Romancier der italienischen Revolte.

Die Neuausgabe dieses Romans, dessen deutschsprachige Übersetzung wir erstmals 1992, dann 2008 erneut im Rahmen der Trilogie »Die große Revolte« veröffentlichten, ist eine Hommage an unseren Autor und Compagno Nanni. Und zugleich die Erinnerung an einen Verleger, der seine Existenz in die Waagschale warf, im Versuch, die Welt zu verändern und die Ideen umzusetzen, an die er glaubte.

Der Verleger

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