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Eine Einführung in die fünf Grundbedürfnisse von Kindern

Das Verhalten Ihres Kindes verstehen

„Es gibt kein richtiges oder falsches Verhalten. Die einzige Entscheidung von Bedeutung ist die zwischen Angst und Liebe.“

Gerald Jampolsky, Ph.D.

Oft rufen mich Eltern an, weil das Verhalten ihrer Kinder sie verwirrt. Sie wollen liebevoll darauf eingehen, stellen aber fest, dass ihnen das nicht gelingt. Viele Eltern wissen bereits, wie man liebevoll kommuniziert, doch sie sagen, sie bringen es nicht fertig, ihr Wissen umzusetzen.

Unsere eigenen Gedanken sind es, die uns daran hindern, das Kind zu verstehen und zu wissen, wie wir darauf eingehen sollen. Was ein Kind tut, ist nicht gut oder schlecht; es ist einfach der Ausdruck seelischer und körperlicher Bedürfnisse oder unschuldiges Spiel. Dennoch bewerten wir im Kopf schnell das Verhalten eines Kindes, und wir reagieren nicht auf das Kind, sondern auf unsere eigenen Interpretationen seines Verhaltens.

Auf einen klaren Wunsch nach der Erfüllung körperlicher Bedürfnisse wie Schlaf, Nahrung oder Wärme einzugehen, erscheint uns leicht. Doch wenn die Bedürfnisse des Kindes seelischer Natur sind oder wenn es sich auf eine Art ausdrückt, die im Widerspruch zu unseren Wünschen steht, erleben wir bei uns selbst vielleicht Reaktionen, die von Verwirrung über Wut bis hin zu Hilflosigkeit und Verzweiflung reichen können. Diese Reaktionen sind nicht authentisch in dem Sinne, dass es sich bei ihnen nicht um ein direktes Eingehen auf das Kind handelt, sondern um alte Gedanken; sie hindern uns daran, das Kind klar zu sehen, wie es in der Gegenwart ist. Diese Gedanken wurzeln in unserer Vergangenheit und werden in die Zukunft projiziert, häufig äußern sie sich in Form von Ängsten hinsichtlich der Entwicklung des Kindes oder unseres Bilds als Eltern.

Anders ausgedrückt, missverstehen wir ein Kind oft, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, auf die automatische Reaktion in unserem Kopf zu hören. Unser Inneres spielt alte Aufzeichnungen ab, und wir als Menschen sind so angelegt, dass wir uns mit dieser inneren Stimme identifizieren. Wir gehorchen der Stimme, die automatisch in unserem Kopf abgespult wird, obwohl sie nicht mit dem, wie wir sein wollen und wie wir wirklich sind, im Einklang steht.

Mit Weisheit und Liebe auf Kinder einzugehen, ist möglich, wenn wir ganz präsent und frei von altem inneren Geschwätz sind. Liebe kann nur in der Gegenwart erfahren werden. Wenn Sie ganz bei Ihrem Kind präsent sein könnten, würden Sie dieses Buch nicht brauchen und auch kein anderes zu dem Thema. Es ist nur unser Inneres, das komplizierte Botschaften sendet. Stellen wir uns vor, ein Kleinkind zieht seinem Babygeschwisterchen ein Spielzeug aus der Hand. Die Mutter hört in ihrem Inneren den Gedanken, das sei gemein oder grob, während das Kleinkind selbst völlig unschuldig handelt. Vielleicht will es spielen, es braucht ein Spielzeug und erkennt noch nicht, dass das Baby auch ein Mensch ist, oder ihm gefällt die Reaktion des Babys, oder es möchte Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie Ihr Kind wahrnehmen, ohne es in eine Schublade zu stecken oder zu analysieren, können Sie effektiv und friedlich auf es eingehen, wie es in vielen Beispielen in den folgenden fünf Kapiteln gezeigt wird.

Wenn das, was ein Kind tut, bei Ihnen Ärger, Wut oder Schmerz auslöst, könnten Sie versucht sein, das Verhalten zu unterbinden. Doch das funktioniert nicht, und selbst wenn das Verhalten (durch Angst) abgestellt wird, tritt ein anderes an dessen Stelle, welches demselben unerfüllten Bedürfnis entspringt. Ihr Kind ist Ihr Lehrer; wenn Sie sich der Lektion entledigen, indem Sie Ihr Kind zum Aufhören bewegen, verlieren Sie beide. Wenn Sie dagegen den Gedanken, die dazu führen, dass Sie Ihr Kind negieren, auf den Grund gehen, wie Sie es in Kapitel Eins gelernt haben, werden Sie an emotionaler Freiheit gewinnen und in der Lage sein, auf Ihr Kind einzugehen, anstatt bloß auf es zu reagieren. Die Erkenntnis, dass das Kind ein Bedürfnis ausdrückt, kann uns helfen, unsere Zielsetzung zu ändern, so dass es uns nicht mehr darum geht, den Ausdruck des Kindes zu unterbinden, sondern darum, herauszufinden, was es braucht. Wenn wir den Ausdruck des Kindes unterbinden, bleiben wir in unseren alten Verletzungen gefangen und verstehen das Kind nicht. Doch wenn wir erkennen, dass unsere gedanklichen Reaktionen nur alte Aufzeichnungen sind, und deren Gültigkeit und Relevanz prüfen, können wir lernen, wie Prozesse in unserem Inneren ablaufen, und können das Kind dann in der Gegenwart klar sehen.

Mit anderen Worten, das größte Hindernis für unsere Fähigkeit, das Kind zu verstehen, besteht darin, dass wir unsere Gedanken und Ansichten, die automatisch als Reaktion abgespult werden, als Wahrheit oder als nützliche Richtschnur ansehen. Im Lauf der folgenden Kapitel werden Sie lernen, wie Sie Ihre liebevolle Hilfestellung (am Kind orientiert) von Ihren Reaktionen (an Ihnen selbst orientiert) unterscheiden können. Ein klarer Unterschied zeigt sich, wenn man die Folgen betrachtet: Liebevolle Hilfestellung führt zu friedlichen Lösungen und inniger Verbundenheit mit Ihrem Kind, während Reaktionen zu Streit, Ärger und Entfernung voneinander führen.

Oft ist das, was ein Kind tut, einfach die Erfüllung seiner Bedürfnisse, etwa wenn es endlos herumrennt, wie ein Brüllaffe schreit oder das Badezimmer in einen tropischen Regenwald verwandelt. Seine Motivation zu verstehen, macht es leicht, das Kind entweder gewähren zu lassen oder ihm ein Betätigungsfeld zu bieten, das Ihre eigenen Interessen oder das Wohlbefinden anderer nicht beeinträchtigt. Unser inneres Geschwätz, wir könnten die Kontrolle über das Kind verlieren, es könnte sich nicht gut entwickeln, oder andere in unseren Gedanken entwickelte Dramen und Erwartungen behindern unsere Liebe und unser Verständnis für den Ausdruck des Kindes.

Wenn Sie den Blick auf Ihr Kind richten, wird es Ihnen leichter fallen, liebevoll auf es einzugehen. Die fünf emotionalen Grundbedürfnisse, die der Verhaltenssprache eines Kindes zugrunde liegen, sind:

• Liebe

• Freiheit des Selbstausdrucks

• Autonomie und Macht

• Emotionale Sicherheit

• Selbstachtung

Wenn diese Grundbedürfnisse zuverlässig erfüllt werden, bildet diese Erfahrung ein stabiles Fundament, auf dem Kinder ihr Potenzial entfalten und kraftvoll und zufrieden mit sich selbst und mit anderen leben können. Mit anderen Worten, ein Kind, das sich in der Liebe seiner Eltern geborgen fühlt, das sich als wertvoll und autonom empfindet und sich sicher fühlt, ganz es selbst zu sein und sich ganz auszudrücken, wird gedeihen und mit sich selbst und mit Ihnen verbunden bleiben. Dagegen neigen Kinder zu Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten und anderen Problemen, wenn sie sich emotional unsicher, hilflos oder einsam fühlen.

Die folgenden Kapitel bieten einen Einblick in die vielen Verhaltensweisen, mit denen Teenager, Kinder, Kleinkinder und Babys diese fünf Grundbedürfnisse äußern, und eröffnen bereichernde Möglichkeiten, wie man darauf eingehen kann.

Von der Erziehung zur Einfühlung

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