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2. Kapitel

New York, Gegenwart

»Auf gar keinen Fall!« Kaja Lenoire schoss förmlich aus dem wuchtigen Ledersessel hoch. Sie ballte die Fäuste und baute sich vor dem Schreibtisch ihrer Chefin auf, die ein süffisantes Grinsen zur Schau trug. »Du weißt, dass ich am liebsten allein arbeite. Ein Partner ist das Letzte, was ich brauche!«

»Das ist nicht verhandlungsfähig«, erwiderte Catherine Belcott in endgültigem Ton. Ihre Pupillen weiteten sich, ein erstes Anzeichen dafür, dass Ärger drohte. Kaja kannte sich gut aus mit allen Warnsignalen, die verrieten, dass ihre Vorgesetzte die Geduld verlor.

»Mit wem habe ich die Ehre?« Den sarkastischen Tonfall konnte Kaja nicht unterdrücken. »Darf ich mir wenigstens aussuchen, mit wem ich ans Ende der Welt reisen werde?« Sie hatte eigentlich »Arsch der Welt« sagen wollen, beschloss dann aber, den Bogen nicht zu überspannen. Als Tochter eines Predigers legte Catherine sehr viel Wert auf Höflichkeit. Wenigstens so lange, bis das Erbe ihrer Mutter, einer amerikanischen Werwölfin, die strenge Erziehung zur Seite schubste. »Wie sieht es denn mit Madoc aus? Ich habe gehört, er hat seinen letzten Auftrag gerade erledigt. Irgendetwas mit diesen Hexen in New England, stimmt´s?« Ein kleiner Ablenkungsversuch vom leidigen Thema eines Partners konnte nicht schaden.

»Kaja«, sagte Catherine mit ruhiger Stimme, »wenn du dich beruhigen könntest, dann würde ich dir sowohl deinen Partner vorstellen als auch den Fall mit euch besprechen. Setz dich.« Widerstrebend nahm Kaja Platz. Ihr zierlicher Körper vibrierte förmlich vor angestauter Energie. Sie war heute so früh ins Hauptquartier der Shifter Cops zitiert worden, dass ihre morgendliche Joggingrunde durch den Central Park ausfallen musste. Ihre Chefin langte hinüber zum Telefon und drückte eine Taste. »Sondra, schickst du mir bitte den neuen Mann herein? Ja«, sie rollte mit den Augen, »ich habe es ihr gesagt. Und ich lebe noch, danke der Nachfrage.« Catherine zwinkerte Kaja zu. »Dein Ruf eilt dir voraus, meine Liebe. Ich könnte mir vorstellen, dass deine Kollegen bereits Wetten darauf abschließen, wie lange unser neuer Mann es mit dir aushält.«

Kaja bemühte sich vergeblich um ein Pokerface, bevor sie in lautes Lachen ausbrach. »Dann ist meine Strategie ja aufgegangen«, stellte sie fest. »Mein letzter Partner …«

»… hat kapituliert und schiebt jetzt eine ruhige Kugel im Innendienst. Erinnere mich bloß nicht daran«, fiel ihr die Chefin ins Wort. »Du mit deiner Vorliebe für riskante und unüberlegte Aktionen hast mich schon einige Nerven gekostet. Vom Papierkram ganz zu schweigen.« Sie legte den Kopf schief und lauschte. »Ah, da kommt er.« Es klopfte leise, und auf Catherines »Herein« öffnete sich die Tür. Noch bevor Kaja sich umdrehen oder höflich aufstehen und auf den neuen Kollegen zugehen konnte, erfüllte sein Geruch den Raum.

Unwillkürlich schloss sie die Augen. Diesen Duft hatte sie schon lange nicht mehr wahrgenommen, und die Erinnerungen, die mit ihm kamen, ließen sie die Fäuste ballen. Warmes, von langen Sonnenstunden aufgeheiztes Holz. Milch und Honig. Ein frisch bezogenes Bett, sauber und leicht nach Stärke duftend. Und darunter, kaum wahrnehmbar, der schwül-feuchte und leicht muffige Geruch des allgegenwärtigen Sumpfes. Der nächste Schock kam, als sie aufstand und sich ihm zuwandte. Er überragte sie um zwei Köpfe, und das war selbst für Kajas Verhältnisse viel. Sie war es gewohnt, die Kleinste zu sein, aber dieser Mann füllte den Raum auf mysteriöse Weise mit weit mehr als seiner Größe. Er war gut gebaut, mit breiten Schultern und einer muskulösen Brust. Dabei wirkten seine Muskeln nicht wie im Studio antrainiert, sondern so, als wüsste er sie auch einzusetzen. Kurzes, dunkles Haar umrahmte ein kantiges Gesicht, in dem die bernsteinfarbenen Augen leuchteten. Sein Blick, so kam es Kaja wenigstens vor, erfasste ihre Person in Bruchteilen von Sekunden. Seine Nasenflügel blähten sich, sogen ihren Geruch ein, und für einen Moment weiteten sich seine Augen. Dann trat er einen Schritt auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. »Seth Ives.« Sein Händedruck war angenehm fest, aber er schien trotz seines dominanten Geruchs kein Macho zu sein. Seine zweifellos vorhandene Kraft benutzte er jedenfalls nicht, um ihr die Hand zu zerquetschen und zu demonstrieren, wer von ihnen beiden die Oberhand hatte. Das war schon mal ein Fortschritt zu ihrem letzten Partner.

Sie wandte sich Catherine Belcott zu, die das Aufeinandertreffen der beiden von ihrer Position hinter dem Schreibtisch beobachtet hatte, und machte sich nicht einmal die Mühe, das zufriedene Grinsen von ihrem Gesicht zu verbannen.

»Setzt euch doch«, schlug Catherine vor und griff nach einer dünnen Akte, die auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch lag. »Ihr wisst ja bereits, dass euer Auftrag euch nach Louisiana führt. In die Nähe von Mandeville, um genau zu sein. Die Kleinstadt hat etwa zwölftausend Einwohner und liegt am Nordufer des Lake Pontchartrain, genau gegenüber von New Orleans.« Das war ihre Art, an einen Fall heranzugehen. Systematisch machte Catherine sie mit der Geografie ihres Einsatzgebietes vertraut, bevor sie zu den wirklich wichtigen Dingen kam. Kaja warf Seth, der seinen Ledersessel neben ihr vollkommen ausfüllte, einen Blick zu. Völlig entspannt saß er da, die Hände locker im Schoß gefaltet. Sein Geruch hing immer noch in der Luft, aber wenigstens hatte er diese beunruhigenden Augen geschlossen.

»Es gab bislang zwei Todesfälle mit Hinweisen auf übernatürliche Phänomene«, fuhr Catherine fort, ohne einen Blick in die Akte zu werfen. »Beide fanden innerhalb einer Familie statt. George und Maryanne Buckley. Er war zweiundsiebzig, sie achtundfünfzig Jahre alt zum Zeitpunkt ihres Todes. Sie starben am vierzehnten Juni.«

»Sie gehen davon aus, dass es noch weitere Todesfälle geben wird«, stellte Seth fest. Er hatte die Augen wieder geöffnet, schaute Catherine aber zu ihrer heimlichen Erleichterung nicht an. Vielleicht, überlegte Kaja, half ihm das Aussprechen des Offensichtlichen beim Nachdenken? Andererseits konnte sich hinter diesem riesigen Körper auch ein schwerfälliger Geist verbergen. Sie seufzte innerlich.

»Warum hat man uns nicht früher benachrichtigt?«, fragte sie und bezwang das dringende Bedürfnis, im Büro auf und ab zu laufen. Wenn Seth laut denken musste, okay. Sie jedenfalls brauchte Bewegung, musste rennen und schwitzen, um einen klaren Kopf zu bekommen.

»Genau das ist der heikle Punkt. Der Modus Operandi ähnelt dem eines gesuchten Serienkillers, also hat sich das FBI den Fall geschnappt und erst einmal alle relevanten Informationen unter Verschluss gehalten. Unser Kontakt im St. Tammany Parish, zu dem Mandeville gehört, hatte Schwierigkeiten mit der Polizei. Wir haben weder Fotos vom Tatort noch den Bericht des Gerichtsmediziners.«

Seth runzelte die Stirn. »Das heißt also, uns erwarten nicht nur bürokratische Hindernisse, sondern wir dürften gar nicht dort sein. Es läuft auf einen Undercovereinsatz hinaus.« Okay, er war also doch kein langsamer Denker. Fragend sah Kaja die Chefin an.

»So ist es. Ihr könnt euch bei Stacy unten in der Waffenkammer alles abholen, was ihr braucht, inklusive eurer falschen Papiere.« Das belustigte Funkeln in Catherines Augen verhieß nichts Gutes, und der nächste Satz bestätigte Kajas Verdacht. »Ihr seid Kaja und Seth Elvington, die gerade eine Hochzeitsreise durch die Südstaaten der USA machen.«

»Etwas noch Absurderes ist dir wohl nicht eingefallen?« Kaja war entsetzt, beinahe schon schockiert. Catherine wusste doch, dass sie eine Einzelgängerin war! Jetzt hatte sie ihr nicht nur einen Partner aufs Auge gedrückt, sondern auch noch einen Ehemann. Selbst wenn es nur ein fiktiver Ehemann war, so mussten sie sich ein Zimmer teilen, in der Öffentlichkeit turteln und Händchen halten.

»Ist es etwas Persönliches oder bist du nicht professionell genug, um den Job vernünftig auszuführen?« Die gelassene Stimme ihres neuen Anhängsels klang weder vorwurfsvoll noch beleidigend. Er schien einfach neugierig zu sein. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten sie neutral.

Kaja hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl. Selbst im Stehen war sie kaum größer als der Hüne, der sich ganz entspannt im Stuhl räkelte. »Ich arbeite am liebsten allein«, erklärte sie mit ruhiger Stimme. »Es hat nichts mit dir zu tun«, fügte sie noch hinzu. »Ich bin mir sicher, du bist ein guter Cop, aber Teamwork ist nichts für mich. Ich brauche Platz und Ruhe zum Denken.«

»Wenigstens hast du nicht gesagt, dass ich ein netter Kerl bin«, sagte er und erhob sich ebenfalls. »Aber es geht hier nicht nur um dich. Da draußen sterben Menschen.« Das Lachen erstickte in ihrer Kehle. So wie Seth es sagte, klang es weniger melodramatisch, sondern nach einer klaren Feststellung. »Ich schlage vor, wir versuchen es wenigstens. Wenn wir zwei gar nicht miteinander zurechtkommen oder ich dich am Denken hindere«, er rollte die Augen, »dann kannst du deinen nächsten Fall wieder ohne mich lösen.«

»Besser hätte ich es auch nicht sagen können«, sagte Catherine abschließend. »Nehmt die Unterlagen mit. Es steht zwar nicht viel drin, aber ihr habt einen ersten Überblick. Eure Kontaktperson ist eine Miss Adelaide Fisher. Sie führt das Magnolia B&B, wo ihr auch übernachten werdet.« Damit waren sie entlassen. Catherine Belcott hielt sich nie damit auf, ihren Leuten gute Wünsche mit auf den Weg zu geben. Sie ging schlicht und einfach davon aus, dass sie Erfolg hatten.

Im Schatten der Sümpfe

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