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3. Kapitel

Von New York nach New Orleans

Die knapp dreieinhalb Stunden Flugzeit verbrachte Seth schlafend neben ihr. Kaja wunderte sich über seine Gelassenheit. Vor einem neuen Fall war sie immer besonders unruhig. Erst in dem Augenblick, da sie den Tatort betrat und all ihre Sinne einsetzen konnte, wurde sie ruhiger. Dann übernahm der Shifter Cop in ihr, bis der Fall gelöst war. Ihre Aufklärungsquote lag bei fast hundert Prozent und war wahrscheinlich der einzige Grund, weshalb Catherine sie noch nicht aus dem Team geworfen hatte.

Seths Brust hob und senkte sich ruhig, und für einen Moment beneidete Kaja ihn um seine Gelassenheit. Mit einem Seufzer schlug sie die Akte auf und vertiefte sich in die mageren Einzelheiten. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, würde sie sich eben einarbeiten. Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, wusste sie immerhin, dass George und Maryanne Buckley weder Gestaltwandler waren noch Hexen, Magier oder Vampire. Ganz offensichtlich hatten sie ein ruhiges Leben geführt, sonntägliche Kirchgänge inklusive. George war bis zu seiner Pensionierung Geschäftsführer der größten Bank in New Orleans gewesen. Maryanne hatte zeitgleich mit seiner ersten Beförderung ihren Job als Grundschullehrerin aufgegeben. Seit George Privatier geworden war, hatten die beiden zwei größere Reisen nach Europa unternommen, und das war auch schon das Aufsehenerregendste, was das Vorzeige-Ehepaar jemals getan hatte. Wirklich ungewöhnlich war allein die Tatsache, dass ihre beiden Kinder immer noch mit ihnen in der riesigen Villa lebten und keine Anstalten machten auszuziehen. Sowohl Annie mit ihren dreiundzwanzig Jahren als auch die fünfunddreißigjährige Hailey lebten noch bei Mama und Papa. Die Bilder von ihnen zeigten zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Während die rothaarige Hailey auf beiden Fotos lächelnd in die Kamera blickte, wandte ihre jüngere Schwester das Gesicht ab und sah zu Boden. Es war beinahe, als wollte sie nicht fotografiert werden, dachte Kaja und blätterte die wenigen Seiten noch einmal durch. Viel war es wirklich nicht, was Miss Fisher da zusammengetragen hatte. Schade, dass sie keine vernünftige Akte hatte. Sie hätte gern einen Blick in die Bankunterlagen der Buckleys geworfen. Das Haus und seine Lage ließen darauf schließen, dass viel Geld im Spiel war, und nach Kajas Erfahrung ergaben die naheliegenden Motive oft die ergiebigsten Hinweise, wenn man einen Mord untersuchte.

Mit einem unterdrückten Seufzer wandte sie sich wieder Miss Fishers Informationen zu. Es war so eine Sache mit den Kontaktleuten, die im Auftrag der Shifter Cops ein Auge auf die paranormale Community hatten. Amateuren wie ihnen fehlte der Blick fürs Wesentliche, für das Herz eines Falls, wie Kaja es immer nannte. Andererseits war selbst eine so gut strukturierte und professionelle Gemeinschaft wie die Shifter Cops auf die Unterstützung angewiesen, die von den Laien kam. Die Paranormalen oder Supes, wie sich die Jüngeren nannten, merkten für gewöhnlich schnell, wenn etwas nicht stimmte. Hexen waren normalerweise die Ersten, denen Unregelmäßigkeiten auffielen. Das lag nicht etwa an ihrer überragenden Intelligenz – Kaja hatte schon Hexen kennengelernt, die nicht schlauer gewesen waren als ein Pfund Butter. Hexen neigten dazu, lange Zeit am gleichen Ort zu leben, anders als Vampire oder Werwölfe, und kannten ihre Stadt besser als jeder andere. Apropos Werwölfe … Was für ein Gestaltwandler war der Mann neben ihr?

Definitiv kein Panther, so wie sie einer war. Ihm fehlte der scharfe, beißende Geruch, den die Männchen ihrer Art ausströmten. Auch kein Löwe oder ein anderes an Land lebendes Raubtier. Normalerweise konnte Kaja gut einschätzen, in was sich ihr Gegenüber verwandelte. Wenn man wusste, wonach man Ausschau halten musste, war es gar nicht so schwer. Sie erkannte es meist an den Augen. So wie ihre grünen Augen und die schwarzen, dichten Locken ein Hinweis auf ihre zweite Natur waren, so sollten seine enorme Größe und seine bernsteinfarbenen Augen eigentlich sein Geheimnis preisgeben. Es war sein Duft, der sie verunsicherte – er roch so sauber und frisch, trotz des Hauchs von Sumpf, anders als jeder männliche Wandler, den sie kannte. Die meisten trugen ihren Testosteronhaushalt sozusagen mit fliegenden Fahnen vor sich her und neigten dazu, ihr Revier zu markieren. Mit Duft natürlich, nicht indem sie das Bein hoben. Ein leises Kichern konnte sie nicht unterdrücken, als sie sich vorstellte, wie Seth sich in einen riesigen Wolfshund verwandelte und sein Bein hob. Aber nein, er war kein Wolf, kein Hund und ganz sicher auch kein Vogelwandler. Diese Spezies neigte zu flaumigen, weichen Haaren, die kaum den Schädel bedeckten. Er hingegen hatte schönes Haar. Es sah dicht aus, aber nicht drahtig, und glänzte. Sie rutschte ein Stück näher und nahm noch eine Nase.

»Warum fragst du nicht einfach?« Seths tiefe Stimme klang amüsiert.

Kaja zuckte zurück und errötete. »Ich wollte nicht neugierig sein«, sagte sie und schämte sich ein bisschen, weil sie ihm auf die Pelle gerückt war. Unter Gestaltwandlern hielt man höfliche Distanz zum Gegenüber, bis der- oder diejenige signalisierte, dass ein Näherkommen erlaubt war.

Er grinste. »Als frisch getrautes Ehepaar werden wir um körperliche Nähe nicht herumkommen. Du solltest dich also daran gewöhnen, nicht allzu sehr auf Distanz zu gehen. Und wenn es dir zu viel wird, brichst du einen Streit vom Zaun, verschwindest für eine Stunde und tobst dich aus.«

»Du siehst das alles ziemlich relaxt«, stellte Kaja fest. Seth zuckte die Achseln und sah sie mit diesen eigentümlichen Augen an. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her. Wenn sie nicht bald ein bisschen Bewegung bekam, würde sie ausflippen. Ein lautes Ping kündigte an, dass der Anflug auf den Louis Armstrong Airport kurz bevorstand und sie ihre Sicherheitsgurte anlegen sollten.

»Wäre es dir lieber, ich würde mich aufregen? Das liegt mir nicht. Ich bevorzuge es, meine Wut für sinnvolle Aktionen aufzusparen, wie zum Beispiel die Jagd nach unserem Killer.« Er ließ den Gurt einrasten und lehnte sich wieder zurück. »Und, was sagt die Akte?«

Kaja warf sie ihm auf den Schoß. »Lies selbst. Du brauchst dir gar nicht erst anzugewöhnen, mich die ganze Arbeit machen zu lassen.«

»Das habe ich auch nicht vor.« Zum ersten Mal, seit sie sich kennengelernt hatten, schlich sich eine Spur von Ungeduld in Seths Stimme. »Aber Partner arbeiten normalerweise zusammen an einem Fall. Das bedeutet, sich die Arbeit zu teilen.«

Kaja schwieg einen Moment. »Woher willst du wissen, dass ich zuverlässig und gründlich bin? Du kennst mich einen halben Tag und willst dich blind auf das verlassen, was ich dir sage?«

Seth richtete seine beeindruckende Gestalt im Sitz auf und beugte sich zu ihr herüber. »Davon ist nicht die Rede. Du hast ein echtes Vertrauensproblem, weißt du das?« Kaja zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Du bist ein Cop. Du gehörst zu den Guten. Ich habe mir sagen lassen, dass deine Aufklärungsrate bewundernswert hoch ist. Du und ich, wir stehen auf der gleichen Seite, sonst wärst du kein Shifter Cop. Ich vertraue dir nicht blind, aber einen gewissen Vertrauensvorschuss bekommst du von mir.«

»Das ist naiv«, konterte sie.

»Nein«, erwiderte er. »Das ist normal. Also, erzählst du mir jetzt, was ich wissen muss, oder soll ich dir erst meine gesamte Lebensgeschichte erzählen?«

Das Flugzeug ging in den Sinkflug. Kaja überlegte, dann gab sie sich einen Ruck. »Also gut, Partner. Du hast gewonnen. Vorerst.«

Sie sah sein zufriedenes Grinsen und spürte, wie ihre Mundwinkel zuckten. Vielleicht würde die Situation ja doch nicht in die erwartete Katastrophe ausarten. »Aber zuerst verrätst du mir, was deine wahre Natur ist. Und«, sie hob warnend den Zeigefinger, »keine Ratespielchen, bitte. Der letzte Gestaltwandler, der mit mir Rätselraten spielen wollte, hat seine Geheimniskrämerei bitter bereut.«

Seth hob fragend die Augenbrauen, aber sie ignorierte seinen unausgesprochenen Kommentar. Sollte er doch glauben, was er wollte. Er rückte noch näher und ließ seinen spezifischen Duft aufsteigen. Ihr wurde schwindelig, als Milch, Honig und Stärke in den Hintergrund traten. Die Wolke aus Sumpf und Brackwasser nahm ihr den Atem. Das Bernstein seiner Augen wurde gelbgrün, die Pupillen glichen jetzt senkrechten Schlitzen. Oh nein, das hatte ihr gerade noch gefehlt!

»Ich bin ein Krokodilwandler.«

Kaja schloss die Augen. Ein Panther und ein Krokodil. Das konnte nicht gut gehen. Beide waren notorische Einzelgänger, und wenn sie aufeinandertrafen, gab es nur einen Überlebenden. Das war zumindest in der Tierwelt der Fall. Sie hatte noch nie einen Krokodilwandler getroffen und konnte nur hoffen, dass sie beide über genügend Selbstbeherrschung verfügten.

Im Schatten der Sümpfe

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