Читать книгу Die Regimentstante - Band II - Nataly von Eschstruth - Страница 4

XV.

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Gibt es nicht noch andere Wege, um alles ins Gleiche zu bringen?“ fragte Resi leise und ihre Augen glänzten so zuversichtlich, dass Laucha sie gespannt ansah.

„Ich wüsste keinen, mein gnädiges Fräulein, als den gewöhnlichen, auf welchem alle solche Händel, welche sich schliesslich zu Ehrensachen zuspitzen, ausgetragen werden, und der kann sowohl für Dorpat wie für mich sehr verhängnisvoll werden!“

„Haben Sie schon direkte Äusserungen von seiten des Civils, resp. seinen Vertretern erhalten?“

Nein, — dazu ist das Kuckucksei zu frisch gelegt. Aber wie ich höre, berät man seitens der Herren, welche sich als beleidigt erachten, die nötigen Schritte!“

„Sie haben in der That beabsichtigt, einzelne Persönlichkeiten aus der Gesellschaft auszuschliessen?“

„Narrheit! Unsinn!“ polterte der alte Herr los, „ich kenne ja die Menschen kaum, — wie soll ich da persönlich werden! Ich habe mich lediglich dahin geäussert, dass meine jungen Herren allzusehr durch die grosse Geselligkeit belastet sind, — der Dienst leidet darunter!“

„Man würde nach Dorpats Äusserung solch einer Versicherung kaum glauben.“

„Darum ist es auch sehr fraglich, ob ich sie überhaupt machen kann und werde.“

„Wir müssen infolgedessen jedweder Anfrage oder einem darauf hinzielenden Schritt seitens der beleidigten Partei zuvorkommen!“

„Das halte ich für unmöglich.“

„Von Ihrer Seite allerdings; ich als Dame geniesse die Freiheit, zu handeln.“

„Die kleinste Unüberlegenheit Ihrerseits kann die Sache aufs unberechenbarste verschlimmern.“

„Das hoffe ich selbstverständlich zu vermeiden. Noch eine Frage, Herr Oberst. Wenn in hiesiger Gesellschaft eine Familie auftauchte, welche nicht ganz einwandsfrei ist, — sagen wir zum Beispiel, der Vater sei wegen übler Spielgeschichten graviert — würden Sie Ihren Herren gestatten, in solch einem Hause zu verkehren?“

Laucha fuhr mit gerunzelter Stirn empor. „Nie! Unter keinen Umständen! Wie aber kommen Sie plötzlich auf solche Idee?“

Resi lächelte fein. „Je nun — wenn sich eine solche Familie hier befände — so wäre ja das Verbot des Herrn Oberst sehr gerechtfertigt!“

Jähe Röte stieg in das Gesicht des alten Junggesellen.

„Es befindet sich aber keine solche Familie hier!“ stiess er kurz hervor.

„Noch nicht — aber sie ist vielleicht in Sicht!“

Laucha schob seinen Stuhl jählings näher, seine Hand umkrampfte den Arm der Sprecherin.

„Fräulein Resi ... wenn ... wenn das wahr wäre!“ ...

Sie nickte mit heissen Wangen. „Es ist wahr, und das muss uns helfen, Herr Oberst. Ganz durch Zufall habe ich gehört, dass ein Herr von S. — der Name ist Ihnen vielleicht aus einem Spielerprozess erinnerlich, welcher ehemals durch alle Zeitungen ging, — dass dieser Herr von S. sich ganz hier in der Nähe, auf Hoffersberg, ankaufen will. Die Nachricht ist wohl mehr Gerücht und ich hoffe nicht, dass sie sich bestätigt, gleichviel, sie muss jetzt gute Dienste thun! Nehmen wir an, Herr Oberst, ich hätte Ihnen nicht erst heute, sondern schon vor etlichen Tagen darüber gesprochen, und mit dem Gedanken an diese Familie, welche nicht in unsere Gesellschaft gehört, haben Sie sich dem Offizierskorps gegenüber geäussert! Lassen Sie uns, bitte, diesen etwas jesuitischen, aber sehr praktischen Weg, welcher aus dem Labyrinth heraus führt, benutzen! Und auch das Weitere lassen Sie meine Sorge sein! Ich verspreche Ihnen, dass die Sache unterdrückt sein soll — auf ganz privatem Wege arrangiert — ehe sie Dimensionen annehmen kann, welche bis zur Brigade und Division hinauf reichen! Einverstanden? Von Herrn von S. und seinen Absichten wussten Sie durch mich — seit wann? Je nun, ich müsste mich sehr irren, wenn ich Ihnen nicht wirklich schon vor acht Tagen davon sprach!“ —

Laucha war mit beinahe nervöser Hast aufgestanden und ein paarmal mit schnellen Schritten hinter dem Planwagen auf- und niedergegangen. Plötzlich blieb er vor Resi stehen, sah ihr lachend in die Augen, wie ein Mensch, welcher nach stürmischer Meerfahrt plötzlich wieder Land sieht und sagte: „Ja, Sie haben recht — ich glaube mich auch zu entsinnen, dass Sie mir schon vor acht Tagen davon sprachen!“ und dann lachte er noch herzlicher, reichte ihr beide Hände entgegen und rief: „Welch ein Segen ist’s doch um solch eine Regimentstante!

„Prosit!“ sagte Resi und hob fröhlich den Becher: „Nun wollen wir auf „Gut Glück“ anstossen, und dann bitte ich Sie, gleich handeln zu dürfen; die betreffenden, massgebenden Damen sind hier, und man muss das Eisen schmieden, so lange es heiss ist!“

„Ganz meine Ansicht. Handeln Sie! — Mein Vertrauen auf Ihre diplomatische Kunst ist gross! — O Weiberlist! Ja, Shakespeare hat recht: Wer kann ein Weib durchschauen!“

„Logisch denken wir Frauen ja nicht“ — neckte Fräulein von Wieders — „aber wir wissen uns zu helfen!“

„Das stimmt, und darauf lassen Sie uns anstossen!“

Herr von Laucha strich mit der Hand über die gefurchte Stirn: „Wie solch eine ‚undienstliche‘ Aussprache doch so wohl thut, sie frischt alle Lebensgeister wieder auf und dies allein ist für mich schon ein grosser Gewinn! Seien Sie bedankt dafür, Tante Resi —! Des Donnerers Wolken, welche so schwer über Jlios herabhingen, sehen mir lange nicht mehr so dunkel aus, wie zuvor! Nun, Lichtenberg, — was gibt’s?“ —

Kai griff nach dem Punschbecher: „Gestatten Herr Oberst, dass ich noch einmal fülle?“

„Das gestatte ich, lieber Graf — und bitte Sie, mir die neue Auflage drüben an dem Tisch zu servieren. Ich höre da so viel lustiges Lachen, dass es mich unwiderstehlich anlockt, mit der Jugend jung zu sein! Darf ich um Ihren Arm bitten, mein gnädiges Fräulein? — Man scheint Sie im Kreise Ihrer Getreuen gewaltig zu entbehren!“

Resi stimmte sehr eifrig zu und schaffte „Platz für den Wallensteiner!“

Sie sorgte dafür, dass der Oberst neben die lustigste und redseligste der jungen Damen gesetzt wurde, ohne jedoch selber an dem Tisch Platz zu nehmen. Sie ging geschäftig hin und her und Kai Lichtenberg folgte wie ein Schatten.

„Aber Tante Resi — wie konnten Sie es so lange im tête-à-tête mit dem Alten aushalten!“ grollte er, „als ob gar keine anderen Menschen weiter auf der Welt wären! Kaum, dass ich mir einen Platz an Ihrer Seite erobert hatte — wurden Sie schon wieder fahnenflüchtig!“

„Ich wollte Ihnen Gelegenheit geben, sich auch mal zu amüsieren!“ lachte sie.

„Dann beschäftigen Sie sich, bitte, möglichst viel mit mir, sonst kann ich’s nicht!“

Resi hörte nur mit halbem Ohr. Sie legte plötzlich die Hand auf seinen Arm. „Thuen Sie mir den Gefallen, Graf, und vertreten Sie mich für ein Viertelstündchen! Sehen Sie nach dem Rechten und brauen Sie neuen Punsch, falls es nötig wird —“

„Wo wollen Sie hin?“

„Die Regimentstante ist in Dienst gestellt; der Oberst hat mir Alarm geblasen!“

„Das ist empörend! Wie kann er uns das ganze Fest verderben! — Wenn er mich als Adjutant zu Ihnen kommandiert hätte“ —

„In diesem Falle unmöglich, die Sache ist diskret!“

Kai machte ein undefinierbares Gesicht, welches ungefähr besagen wollte: O, wenn du ahntest, was ich für gute Ohren habe! —“ — Aber er neigte nur ergeben das Haupt zur Brust und seufzte: „So kommen Sie wenigstens bald — sehr bald wieder, — ich finde es unerträglich ohne Sie!“ —

War denn Resi blind, dass sie gar nicht merkte, wie sehr er ihr den Hof machte? —

Sie sagte nur: „Wenn es länger dauert, wie eine Viertelstunde, schicke ich Ihnen meine Photographie!“ — und dann sah sie wieder recht zerstreut aus und huschte unbemerkt in den Nebensaal.

Kai sah ihr mit schwärmerischem Blick nach.

Wie war es möglich, dass man sie hässlich genannt? Dieses geistvolle, liebenswürdige, heitere Gesicht, diese famose Erscheinung!

Auf ihn übte sie geradezu einen Zauber aus. — Sehr junge Herren begeistern sich ja mit Vorliebe für reifere Damen, und Kai Lichtenberg hatte im ganzen Leben noch kein weibliches Wesen derart imponiert, wie die Regimentstante. Schon in der Geschichtsstunde hatte er stets die thatkräftigen, energischen und klugen Frauen bewundert; eine Kaiserin Katharina begeisterte ihn geradezu, — und hätte das Schicksal Resi von Wieders auf einen Czarenthron gesetzt — wer weiss, ob sie nicht noch grössere Dinge vollbracht hätte, wie die russische Landesmutter! Auch jetzt muss sie voll Geist und Humor die Fäden entwirren, welche ein anderer Tolpatsch zusammengeknäult hat! —

Wird es ihr gelingen? — Es wäre grossartig! es wäre anbetungswürdig —! Nicht, weil dadurch viel Ärger, dem Dorpat vielleicht ein gebrochener Hals und dem Oberst ein blauer Brief erspart bliebe, — seit dem Moment, wo Kai in der Rangliste steht, erachtet er alle Vordermänner nur als überflüssige, das Avancement störende Gegenstände, — sondern weil es beweisen würde dass Graf Lichtenberg ein Menschenkenner ist und seine Huldigungen an keine Unwürdige verschwendet!

Man ruft seinen Namen, man winkt ihn an das Ende der Tafel, wo er anscheinend neben ein Backfischchen placiert werden soll!

Empörend? Was soll er mit solch einem Kinde sprechen? Er hatte für diese maigrüne Jugend so gar nichts übrig, sie erinnert in so widerwärtiger Weise an die Kinderstube — und von dieser strebt Kai ab, so weit — o, so weit wie nur irgend möglich!

Sage mir, mit wem du umgehst, dann sage ich dir, wer du bist! — Heisst es nicht so? — Gott bewahre ihn, dass er noch mit Backfischen oder sehr jungen Damen verkehrt, es würde seiner Mannhaftigkeit und Würde den Todesstoss versetzen! —

Er entschuldigt sich sehr eilig und etwas interessant zerstreut, dass er Fräulein von Wieders zu vertreten habe und beim Punschbrauen beschäftigt sei! — eine gefühllose Hartherzigkeit, welche dem armen Backfisch einen tiefen Seufzer abzwingt.

Resi war währenddessen durch den Hauptsaal geeilt, alle jubelnden Zurufe nur durch hastiges Nicken und Lächeln erwidernd.

Ihr Blick irrte spähend umher, bis er aufleuchtend haftete.

Gott sei Dank, die Präsidentin war noch anwesend, sie stand vor der Bude, in welcher ihre beiden Töchter Bücher verkauften, und schien rechte Not zu haben, dieselben zum Heimgehen zu bestimmen.

Fräulein von Wieders trat mit herzlichem Gruss heran.

„Endlich finde ich Sie, meine gnädige Frau, und habe die Freude, Sie zu begrüssen! — Man ist ja an das Feld seiner Thätigkeit so festgenagelt, dass man keinen Moment Zeit findet, die lieben Freunde aufzusuchen!“

Die Präsidentin erwiderte den Gruss merklich kühl. „O bitte, Fräulein von Wieders — das habe ich weder erwartet, noch verlangt!“ antwortete sie ziemlich scharf und wandte sich, eine weitere Unterhaltung abbrechend, abermals an ihre Töchter. „Es ist Zeit, Kinder! Ihr wisst, Papa hat nur die Erlaubnis gegeben auszuverkaufen!“

„Aber hier sind noch drei Bücher, Mama!“

„Die übernimmt eine andere Dame!“

Resi trat einen Schritt näher. „Gnädige Frau —“ sagte sie leise und dringlich, „darf ich Sie um eine kurze Unterredung bitten?“

„Dazu ist heute wohl kaum noch Zeit — —“

„Morgen aber ist es auf jeden Fall zu spät! Ich bitte Sie herzlichst, gnädige Frau, einen Augenblick mit mir in der Konditorei Platz zu nehmen, es ist eine dringende und wichtige Angelegenheit, welche ich mit Ihnen besprechen möchte!“

„Wenn dieselbe bald erledigt sein kann —“ zuckte die Präsidentin mit einem Blick die Achseln, welcher deutlich genug sagte: „Gib dir doch gar keine Mühe — es ist ja doch umsonst!“ —

Aber sie folgte voll steifer Höflichkeit.

„Ich sehe dort Frau Regierungsrat Lechner, Frau Oberlandgerichtsrat von Brauer und Frau Werner sitzen — auch an diese Damen möchte ich mich mit meinem Anliegen richten und bitte Sie, meine verehrte, gnädige Frau, an ihrem Tisch Platz zu nehmen“.

„Wie Sie wünschen!“

Die genannten Damen blickten sehr erstaunt auf und wechselten recht vielsagende Blicke, als die Präsidentin und Fräulein von Wieders, nach ebenso förmlicher und kühler Begrüssung mit letzterer — an ihrem Tischchen Platz nahmen. Wie in sehr abweisender Erwartung richteten sich aller Augen auf die Regimentstante, und man sah es den erregten Mienen der Damen an, dass just das Thema des neuesten, sensationellen Stadtklatsches sehr lebhaft unter ihnen erörtert war.

Resi ging schnurstracks auf ihr Ziel los.

„Ich sehe an Ihrem so ganz veränderten Wesen, meine Damen, dass auch Sie unter dem Einfluss jenes abscheulichen Geredes stehen, welches, wie ehemals jener ominöse Apfel in den Kreis der Götter, auch in unsere friedliche und scharmante Gesellschaft gerollt ist! Sie wissen, meine Damen, dass die schönste und edelste Mission der Frau die ist, Frieden zu stiften und Frieden zu erhalten, und darum wende ich mich an Sie mit der Bitte, unterstützen Sie mich in diesem Bestreben, und lassen Sie uns Frauen erreichen, was die Männer auf freundschaftlichem Wege kaum noch erreichen können! — Sie haben von der Äusserung gehört, welche Leutnant Dorpat am Offizierstisch gethan hat?“ —

„Allerdings, und wir sind sehr gespannt, die Elemente genannt zu erhalten, welche nicht in die Gesellschaft gehören!“ —

„Bei welchen kein Offizier verkehren kann!“

„Wo der Oberst künftighin das Besuchemachen seiner Herren verbieten will!“ —

Sehr scharf und sehr feindselig klangen die Stimmen, so gar nicht nach lieblichen Friedensharfen, aber Resi blickte die Sprecherinnen mit ihren freundlichen Augen sehr ruhig und lächelnd an und sagte kurz und bündig:

„Diese Elemente will ich Ihnen nennen, meine Damen!“

„Ah! Wäre es möglich? — Undenkbar!“ Wie elektrisiert schnellten die Köpfe der kleinen Tischrunde empor und die Augen funkelten so überrascht und wissensdurstig, dass Fräulein von Wieders sich dem Ziel schon um ein ganzes Stückchen näher gerückt sah.

Es liegt nun einmal in der weiblichen Natur, sich für fremde Angelegenheiten zu interessieren, und eine kleine Dosis Skandal würzt die Unterhaltung in der Kemnate.

Wenn man nicht selber das räudige Schaf ist, welches aus der Herde ausgemerzt werden soll, so ist es ein behagliches Gruseln, die Schicksale des Betreffenden zu verfolgen!

Auch die Damen an dem Konditoreitischchen waren nicht gleichgültig gegen die Konduite, welche dem lieben Nächsten ausgestellt werden sollte, und die überraschende Thatsache, dass sie auf die brennende Frage früher Antwort erhalten sollten, wie ihre Männer, welche stark bezweifelten, ob sie diese Antwort überhaupt erhalten würden, hatte etwas ungeheuer Packendes.

So wurde der Abgrund, welchen man zuerst durch deutliches „Fernrücken“ von der Regimentstante markiert hatte, schon bedeutend kleiner, denn ganz unwillkürlich schob man die Stühle näher zusammen, um besser hören zu können.

„Wenn ich jetzt völlig frei und offen zu Ihnen spreche, meine Damen“, begann Resi feierlich, „so muss ich auf Ihre vollste Diskretion rechnen können, denn Sie wissen selber, wie ernst die Angelegenheit steht. Auf eine offizielle Anfrage, auf eine gewisse Pression hin, kann und darf der Oberst kaum den wahren Sachverhalt aufklären, wenn er nicht wieder neue Konflikte heraufbeschwören will, also halte ich es für meine Pflicht, mich an Sie und Ihre Intervention zu wenden, meine Damen, denn ich bin genau von der ganzen Sachlage unterrichtet, und mir, als weiblichem Wesen, verbietet keine strenge, militärische Vorschrift den Mund! Also zur Sache! Haben Sie ehemals von dem Spielerprozess in der Residenz gehört, durch welchen viele Herren aufs schwerste graviert wurden? Es wurden schlichte Verabschiedungen erteilt und in etlichen Fällen sogar noch schwerere Strafen verhängt, — der Name des Herrn von S. war zu jener Zeit in aller Mund!“

„O gewiss, ich entsinne mich!“ rief die Präsidentin eifrig, „es war ja ein unerhörter Skandal; alle Zeitungen waren voll davon!“

„Ja, ja — mir schwebt es auch noch so dunkel vor — hat er nicht sitzen müssen?“ —

„Gott bewahre uns, dass wir hier so etwas erleben!“ seufzte Frau von Brauer.

„Diese Gefahr liegt näher, als Sie glauben, meine Damen!“ zuckte Resi mit sehr ernster Betonung die Achseln und leise Ausrufe und Aufschreie der höchsten Erregung unterbrachen sie.

„Sage ich es nicht, dass sie heimlich im Klub spielen?“ rief Frau Werner brüsk — und die Regierungsrätin bekam zwei dunkelrote Flecke auf die hagern Wangen und umkrampfte mit der Hand den Theelöffel —: „Hab’ ich mir doch längst gedacht, dass so etwas im Werke ist!“

„Sie irren, meine Damen!“ schüttelte Resi sehr energisch den Kopf, — „Gott sei Lob und Dank hat dieses Laster bisher noch keine Wurzeln in Maisenburgs solidem Boden schlagen können. Im Klub wird ein harmloser Skat, — in der Sonne zeitweise ein ebenso harmloser Whist gespielt, — die Einsätze sind überhaupt nicht nennenswert. Aber die Gefahr, dass dies anders werden könne, liegt nahe. Denken Sie doch, meine Damen, dass besagter, berüchtigter Spieler, der Herr von S., beabsichtigt, sich auf Hoffersberg anzukaufen, und die hiesige Gesellschaft mit seiner Familie durch Besuche zu beehren!“

Ein vierstimmiger Schrei der Entrüstung. „Das wäre alles, was da fehlte! Das könnten wir gerade brauchen! Mit solch einer Bagage verkehren wir nicht!“

„Uns hier die gesunde Luft verpesten lassen!“

„Unsere Männer und Söhne solch einem verderblichen Einfluss aussetzen!“

„O, man erwidert diesen Besuch gar nicht, man schneidet von vornherein jeden Verkehr ab!“

„Es wäre ja noch schöner, wenn man uns zwingen wollte, mit jeder hergelaufenen Sippe zu verkehren!“ —

„Ganz Ihrer Ansicht war auch der Oberst, meine Damen!“ sprach Resi mit besonderem Nachdruck, und es zuckte dabei um ihre Lippen und in ihren klugen Augen blitzte es, wie bei einem Jäger, welcher das Wild sehr schlau und unentrinnbar eingekreist hat. „Als Herr von Laucha die Nachricht erhielt, erging es ihm genau wie Ihnen, wie jedem, der sie hören wird, — er war aufs äusserste besorgt um seine jungen Offiziere, denn der Einfluss eines derart gefährlichen Spielers ist ganz unberechenbar; auch ist es direkt unstatthaft, dass ein Offizier in solch einem Hause verkehrt. — Der Oberst, welcher aufs strengste über die guten Sitten wacht, welcher — obwohl er selber Junggeselle ist — sehr hohe Anforderungen an die Pflichten der Ehemänner stellt, wollte auch den hiesigen Frauen zu Hilfe kommen, und sie vor dem grenzenlosen Elend bewahren, durch den Spielteufel an den Bettelstab gebracht zu werden! Er glaubte, wenn das Regiment sich von dem Verkehr mit einer Familie zurückzieht, werde die andere Gesellschaft, mit welcher unser Offizierskorps doch stets so trefflich harmonierte, stillschweigend diesem Beispiel folgen! — Es widerstrebt dem ehrenhaften Sinn eines Mannes, eine Familie ohne Not an den Pranger zu stellen und zum Stadtgespräch zu machen, darum durften vorerst auch in dieser Angelegenheit keine Namen genannt werden. Wenn der Kauf von Hoffersberg wirklich perfekt werden sollte, war es noch Zeit genug, durch Andeutung die Gesellschaft zu warnen, denn gerade Leuten, wie einem Herrn von S. gegenüber muss man doppelt vorsichtig sein, — es würde ihm ja eine teufliche Freude bereiten, jeden vor seine Pistole zu fordern, welcher durch eine unvorsichtige Äusserung Veranlassung dazu gibt. Nun erklären Sie es sich wohl selbst, meine Damen, warum Dorpat nur von „gewissen Elementen“ sprach! Konnte und durfte er am Wirtstisch Namen nennen? — Und wie konnte er es überhaupt für möglich halten, dass ein derartiges Missverständnis dadurch entstehen konnte? — Ich dächte, unsere Gesellschaft wäre so tadellos und scharmant, dass solch ein Gedanke von vornherein ausgeschlossen sei. Wie gern unsere jungen Offiziere in Civilkreisen verkehren, haben sie bewiesen — und ich weiss es, dass etliche der Herren es noch eklatanter beweisen wollen durch Myrtengrün und veilchenblaue Seide!!“ —

Die Präsidentin horchte hoch auf und ward ganz rot vor Freude bei dem Gedanken, diese lyrische, kleine Anspielung könne auf ihre Töchter gemünzt sein, und die Regierungsrätin nickte sehr lebhaft und rief: Der Oberst ist ein Ehrenmann; das hat man ja gar nicht geahnt, dass er so streng auf gute Sitte auch unter den Verheirateten hält! Solch eine gewisse Kontrolle ist ja das beste, was wir Frauen uns wünschen können!“

„Ich habe gleich zu meinem Mann gesagt: es ist Unsinn mit dem Klatsch!“ ereiferte sich Frau Werner. „Ich kenne ja Dorpat so gut — er ist der harmloseste, beste Mensch der Welt — —“

„Und der Oberst wäre der letzte, welcher eine Kränkung beabsichtigte! Das sieht man ihm doch an, dass er Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle ist!“

„O, was wird mein Mann sagen, wenn er diese überraschenden Aufschlüsse hört! Sie erlauben doch, liebes, teuerstes Fräulein von Wieders, dass wir unseren Gatten diese so ganz veränderte Sachlage mitteilen?“

Und die Präsidentin streckte Resi voll intimster Herzlichkeit beide Hände entgegen: „O wie danke ich Ihnen Ihr Vertrauen und Ihre Offenherzigkeit, welch eine Beruhigung haben Sie uns allen dadurch verschafft!“

Die Regimentstante drückte aller Hände voll warmer Innigkeit: „Ich erlaube es nicht nur, sondern ich bitte Sie geradezu, meine Damen, Ihren Herren Gatten — à discrétion — Mitteilung von dem soeben Gehörten zu machen. Warum die Sache nicht offiziell verhandelt werden kann und darf, wissen Sie, — aber es genügt, wenn Ihre Herren die wahre Lage der Dinge erfahren, und wenn der Herr Präsident, der Herr Oberregierungsrat, Herr Werner und Herr von Brauer den jungen Herren erklären, „die Sache ist abgethan, — wir ersuchen Sie, dieselbe nicht mehr zu erwähnen —“ ei, so müsste es doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn etliche skandalsüchtige Köpfe noch rebellieren wollten! Was kommt dabei heraus, meine Damen? — Ein Duell über das andere! Der Oberst ist in dieser Beziehung unglaublich scharf, er würde fraglos mit der Pistole vorgehen — und Dorpat ebenso — und wer hätte den Tratsch auszubaden? Ihre Herren Gatten, meine Damen —! Denken Sie, welch ein entsetzliches Unglück, wenn Sie womöglich wegen solch einer thörichten Geschichte den Witwenschleier tragen müssten!“

„Entsetzlich!“ —

„Herr des Himmels, nur kein Unglück!“

„Ein Duell? Ach, das überlebte ich ja nicht!“

Resi streckte den Damen voll warmer Dringlichkeit abermals beide Hände entgegen: „Darum helfen Sie mir, meine Freundinnen, das Unheil aus dem Wege zu räumen, ehe es Unglück stiften kann! Die böse Saat muss im Keim erstickt werden, und es wäre schlimm, wenn der Einfluss der Frau so schwach und unbedeutend wäre, dass er nicht mal Frieden stiften könnte! Bedenken Sie, was dieser Konflikt für Folgen haben würde! Eine jahrelange Feindschaft und Trennung der Gesellschaft, — geplante Verlobungen würden unterbleiben, die Geselligkeit würde einseitig und langweilig, die jungen Mädchen würden den Mangel an Tänzern empfinden, es wäre ein ewiges sich Befehden und Bekriegen, anstatt dass wir wie bisher in so glücklicher Harmonie lebten! — Wenn erst der grosse Riss geschehen ist, lässt er sich so leicht nicht wieder zukitten, und wer leidet am meisten darunter? Die Unschuldigen, — die Jugend!“ —

Die Präsidentin hatte sich erhoben. Sie warf resolut den Kopf in den Nacken, und ihre Augen blitzten so entschlossen und selbstbewusst, wie bei einer Frau, welche genau weiss, dass sie noch das Heft in der Hand hält!

Sie legte den Arm um Resis Schultern. „Sie sollen sich nicht in uns getäuscht haben, mein liebes, teures Fräulein von Wieders! Nun, wo wir Ihre Eröffnungen hörten, wäre es ja geradezu lächerlich, wenn wir noch beleidigt sein wollten! Warum denn? Wir können ja dem Oberst und Dorpat nur aus vollstem Herzen zustimmen. Und wenn mein Mann hört, wie die Sache liegt, so garantiere ich, dass er all seinen Einfluss aufbieten wird, etwaige böse Zungen zum Schweigen zu bringen!“

„Selbstverständlich, mein Mann wird das Gleiche thun! Ich denke doch, so schwer fällt auch das Wort der Frau noch in die Wagschale, um thörichte Zwistigkeiten verhindern zu können!“

„Verhindern! das ist das rechte Wort!“ nickte Resi Beifall, „und darum wollen wir das Eisen schmieden, so lange es heiss ist! An das Werk, meine Damen, ehe die Herren anderweitige Schritte thuen können!“

Voll ehrlichen Eifers löste man die kleine Tischrunde auf, und manch überraschter Blick folgte den Damen, als die „schwer beleidigten Gattinen des Civils“ sehr ostensibel mit der Regimentstante der Kürassiere, Arm in Arm durch den Saal schritten, um nach sehr herzlicher Verabschiedung, schleunigst den Heimweg zu den grollenden Gatten anzutreten.

Dorpat und Hunolf standen gerade an der Bude der Präsidententöchter und kauften voll viel Galanterie und Heiterkeit ein Buch ein, und darum wollte die Mutter nicht stören, sondern blinzelte Tante Resi nur vertraulich zu: „Die Kücken wollen so gern erst ausverkaufen, ich lasse sie noch ein Stündchen hier, — unter Ihrem gütigen Schutz, geliebte Tante Resi!“

„Welch ein reizendes Amt, zwei solch herzige Töchterchen bemuttern zu können!“ lächelte Fräulein von Wieders liebenswürdig, und die beiden Damen drückten sich abermals die Hände und schieden.

Dorpat hatte sich an Resis Seite gepürscht. „Seh’ ich recht im Mondenschein?“ recitierte er mit einem Gesicht, in welchem Hoffen und Bangen um den Sieg stritten —: „So ganz d’accord mit den Feindinnen? Tante Resi — wie steht’s um mich? Was sagt der Oberst? — Was haben Sie bei den Damen ausgerichtet?!“

Resi lachte über das ganze Gesicht und nickte dem Schützling fröhlich zu —: „Die Aktien stehen so gut und sicher, dass Sie Ihr ganzes Vermögen darin anlegen können —! Also Kopf hoch, — freuen Sie sich des Lebens, denn noch ist Polen lange nicht verloren!“

Ein wahrhaft anbetender Blick aus seinen Augen traf sie. „Gott erhalte Tante Resi!“ sang er leise nach der Melodie von „Gott erhalte Franz den Kaiser“, — und stiess dann noch aus vollstem Herzen hervor: „Ja, Gott erhalte sie uns! Was wären wir armen Kerls ohne unsere kluge Regimentstante!!“ —

Die Regimentstante - Band II

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