Читать книгу Die Regimentstante - Band II - Nataly von Eschstruth - Страница 5

XVI.

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Oberst von Laucha befand sich in einer wunderlichen Stimmung.

Er hatte schon seit zwei Tagen auf irgend einen demonstrativen Schritt seitens der sich beleidigt geglaubten Herren der Gesellschaft gewartet, er hatte mit einer gewissen nervösen Spannung dem jedesmaligen Erscheinen seines Adjutanten entgegengesehen, aber es schien, als wollte sich kein Staubwölkchen heben, als sei der eben noch so drohend schwarze Himmel wie durch Zauberspuk wieder glatt gefegt.

Am dritten Tage endlich ertrug er diese rätselhafte Stille nicht mehr.

Sollte es wirklich möglich sein, dass Tante Resi den Konflikt noch rechtzeitig gelöst und den drohenden Sturm beschworen hatte? — Das wäre allerdings ein fabelhafter Erfolg, welcher ihm, dem Frauenverächter und Hagestolz am allermeisten imponieren würde!

Wie brauchbar und wohlthätig hätte sich in diesem Fall die Regimentstante abermals erwiesen, wie unentbehrlich machte sie sich dem Offizierskorps!

Witz und Geist, und eine erstaunliche Schlagfertigkeit hatte er längst an ihr bewundert, ihre Menschenkenntnis und das unbezahlbare Talent, die Leute richtig zu nehmen und sie da zu fassen, wo sie sterblich sind, enthüllte sie jetzt wieder in verblüffender Weise. —

Ja, die Frauen!

Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden hat wohl gewusst, warum es nicht gut wäre, dass der Mann allein sei, — und der, welcher dagegen revoltiert, und sich einbildet, als Junggeselle frei und ungebunden und viel bequemer durch das Leben zu gehen, wie mit dem ärgerlichen Anhang von Weib und Kind, der macht am allerherbsten und traurigsten die Erfahrung, dass es ein übel Ding ist, sich gegen die Weltordnung aufzulehnen, dass es wahrlich nicht gut für den Mann ist, allein zu sein.

Es gibt ja wohl auch Ausnahmen von dieser Regel, es scheint wenigstens so oft, als ob manch ein Hagestolz recht zufrieden und behaglich durch die Welt ginge, — aber oft bringt noch die zwölfte Stunde alles mit sich, was er in Jugendfrische und Manneskraft so spielend überwunden, so lachend von sich abgeschüttelt.

Dann wehen die kalten Schauer der Einsamkeit und Verlassenheit durch das Herz des kranken oder hilflosen, alten Mannes, ein Weheschrei nach Liebe und ehrlicher, herzlicher Zärtlichkeit gellt durch seine Seele, ein Durst nach frischem Lebenswasser martert ihn — und jene milden, freundlichen Huldgestalten, welche es ihm einzig an die Lippen halten könnten — Weib und Kind — ziehen wie graue Nebelgestalten fern — fern an ihm vorüber.

Die Menschen sehen, was vor Augen ist — das Gesicht eines Junggesellen, welches er der neugierig forschenden Welt zeigt, — aber in das Herz sehen sie nicht — und darin sieht es um so dunkler aus, je mehr der Lebenstag sich neigt, je mehr es Abend werden will.

Wie stramm und selbstbewusst schritt Herr von Laucha über die Strasse, erhobenen Hauptes, mit der Miene eines Mannes, welchen die Mitwelt nur beneiden kann!

Und doch zogen so ganz andere Gedanken durch seinen Kopf, die Überzeugung, dass es wahrlich nicht gut für den Mann ist, allein zu sein. Er befand sich auf dem Weg zu Tante Resi, er musste einmal Nachricht einholen, wie die Aktien denn eigentlich ständen.

Und er traf sie zu Hause.

Die Wintersonne schien so hell und klar durch die duftigen Spitzengardinen in ihren Salon, die Hyazinthen dufteten und die Vögel zwitscherten im Käfig, und alles atmete Leben, Frohsinn und Behaglichkeit; Lauchas Salon war wohl noch eleganter, noch stilvoller eingerichtet, und der Ofen heizte auch vortrefflich, und die Sonne traf auch seine Fenster — und doch ... seltsam ... es waltete hier ein so ganz anderer Geist, wie bei ihm daheim.

Wahrlich, die Frauen haben es lange nicht so nötig zu heiraten, wie die Männer.

Sie schaffen sich ihr trautes Nest, sie wissen sich zu helfen, sie können liebevolle Genossinnen um sich haben, Damen aus ihren Kreisen, und keine ungebildete, gefühllose und habgierige Haushälterinnen, welche sich keine Skrupel daraus machen und nicht viel danach fragen, ob es in den Augen der Welt einen etwas eigenen Beigeschmack hat, alleinstehenden Herren die Hausfrau zu ersetzen. — Herr von Laucha seufzte tief auf. „Ja, wenn man Schwestern, oder sonst eine ältere, distinguierte Verwandte hätte, die einem den Haushalt führt, so wie Wieders mit seiner Resi! Ja, der braucht wirklich nicht zu freien, wer es so gut daheim hat ... aber er ... pah! lächerlich, er ist ja viel zu alt dazu — und ausserdem, er wüsste auch jetzt noch keine einzige, die er heimführen möchte —! Es gibt da so tausenderlei zu bedenken und zu beachten — die Ehe ist ein Hazard — und wer nicht gewaltig aufpasst, verliert rettungslos! Ja, so ein Leutnant, solch ein Springinsfeld, der heiratet noch forsch darauf los, aber wenn man erst in die Jahre gekommen ist, wo man anfängt zu überlegen — da wird die Wahl von Tag zu Tag schwerer!

Etwas eilig und erhitzt trat Fräulein von Wieders dem Harrenden entgegen.

„Tausendmal bitte ich um Vergebung, Herr Oberst, dass ich so unpräcise zur Stelle bin! Ich packte aber gerade den Menagekorb für Herrn von Rentzke, und wollte mich nicht gern dabei vertreten lassen ....

„Menagekorb für Rentzke? Was haben Sie denn mit dem armen, kranken Huhn zu thun?“

Resi sah ganz erstaunt aus —: „Nun — ich muss doch für ihn sorgen! Seit zehn Tagen liegt der Ärmste mit gequetschtem Fuss, — er fiebert und soll strenge Diät halten, und aus dem Gasthaus schicken sie ihm Suppen, die man vor Pfeffer und Fleischextrakt nicht essen kann! Wie kann ich denn so etwas dulden!“

„Und nun kontrollieren Sie die Hotelköchin?“

Resi lachte: „Nein, Herr von Laucha — das möchte ein undankbares Geschäft und verlorene Liebesmühe sein. Nun koche ich ihm selber, wie sich das für eine pflichtgetreue Regimentstante gehört!“

Laucha verbeugte sich. „Hut ab vor Ihrer ausserordentlichen Liebenswürdigkeit, mein gnädiges Fräulein! Nun verliert ja selbst das „Kranksein“ alle Schrecken, wenn man weiss, dass Tante Resi über ihren Schützlingen wacht! — Ich danke Ihnen verbindlichst im Namen des ganzen Offizierskorps, dass Sie unseren Kameraden so wacker pflegen!“

„Das ist selbstverständlich und nicht der Rede wert; übrigens habe ich eine Bitte an Sie, sehr verehrter Herr Oberst!“

„Verfügen Sie über mich, meine Gnädigste, aber zuvor gestatten Sie mir noch schnell eine Frage, welche mich zu diesem Überfall in Ihr Boudoir getrieben hat. Lautet die Antwort recht erfreulich, so öffnet sie Ihren Wünschen um so energischer Thür und Thor!“

Resi zog den Store etwas vor das Fenster, weil das helle Licht ihren Gast blendete, — und Laucha empfand diese Aufmerksamkeit sehr angenehm, obwohl er sie nicht erwähnte, sondern eilig fortfuhr: „Seit unserer letzten Aussprache im Schlossgartenpavillon scheinen die Ereignisse in Maisenburg still zu stehen. Ich warte jeden Tag, dass die Bombe einschlagen soll — aber weder ein fernes Brummen noch Pfeifen meldet mir an, dass solch Projektil im feindlichen Lager abgeschossen ist. Sie hatten die grosse Güte und Courage, mein gnädiges Fräulein, die Angelegenheit in Ihre thatkräftigen Hände nehmen zu wollen, und da komme ich denn in der Annahme her, dass Sie den Gegner rekognosziert haben und über seine Pläne und Absichten nunmehr unterrichtet sind!“

Resi lachte über das ganze Gesicht. „In der ganzen Welt ist Frieden — und der Krieg wird abgeschafft!“ sang sie beinahe übermütig; „Gott sei Dank, man denkt weder an böse Pläne, noch hat man die Absicht, irgendwelche Schwierigkeiten zu machen, — die ganze fatale Sache ist beigelegt und ausgestanden, und Sie werden diesbezüglich überhaupt nichts mehr zu hören bekommen!“

Wie ein Aufleuchten ging es über Lauchas faltiges Gesicht.

„Auf Wort?! — Ist das verbürgte Wahrheit oder nur sensationelle Zeitungsente?“ scherzte er.

„Verbriefte und besiegelte Wahrheit! Hier liegt ein Billet der Präsidentin, welches Sie vielleicht interessiert!“

Der Oberst las: „In aller Eile herzlichsten Gruss! Mein Mann ist von allem unterrichtet und, wie ich Ihnen voraussagte, teuerstes Fräulein von Wieders, ganz unserer Ansicht, dass nach dieser Beleuchtung der Dinge absolut kein Grund vorliegt, beleidigt zu sein! Er wird energisch darauf hinwirken, dass der ganze, thörichte Klatsch dahin verbannt werde, wo er hingehört, in die Rumpelkammer! Auch die anderen Herren — Brauer, Werner, Lachner — haben ihm völlig zugestimmt. Allerdings würde es gut sein, eine freundschaftliche Begegnung der Herren mit dem Offizierskorps zu veranlassen, um die Sache endgültig zu Grabe zu tragen! Wie denken Sie darüber, meine Liebste? Die Töchter küssen ihrem teuren Pflegemamachen die Hand, und mein Mann empfiehlt sich bestens! In aller Eile Ihre sehr ergebene Chlotilde von Haun, geb. Inselbach.“

„So; na das lässt sich hören!“ schmunzelte Laucha, „da wäre ja also wirklich alles wieder in schönster Ordnung; und wem verdanken wir das? Unserer wackeren Regimentstante! Wahrlich, mein liebes Fräulein Resi — Sie haben da eine neue Charge creiert, welche allen anderen Regimentern zur Nachahmung anempfohlen werden müsste! Gestatten Sie, dass ich diese kluge, gütige, energische Hand unseres Friedensengels küsse!“

Resi wehrte in ihrer frischen Art ab. „Um alles in der Welt, Herr von Laucha, machen Sie nicht aus einer armseligen Mücke einen Elefanten! Was ich habe und bin, steht im Dienste des Regiments. Und nun zur Tagesordnung zurück! An den Brief der Präsidentin schliesst sich allsogleich meine Bitte. Sie lasen, dass man eine freundschaftliche Begegnung wünscht?“

„Ganz recht; was könnte man da thun? Haben Sie bereits darüber nachgedacht?“

„Ja, — ich that es. —

„Und das Resultat?“

Resi sah nachdenklich auf ihre Fingernägel nieder. „Das Civil hat sich ausserordentlich nachgiebig und friedfertig gezeigt —“ sagte sie mit Nachdruck, „es würde nun wohl nicht zu viel sein, wenn auch das Regiment sich in jeder Weise entgegenkommend erwies!“

„Ganz meine Ansicht.“

„Wir haben sonst unsere Regimentsbälle erst nach Weihnachten gegeben, — der frühe Winter berechtigt uns dieses Jahr, schon jetzt Einladungen zu einem derartigen Fest ergehen zu lassen. Um diese gütige Erlaubnis wollte ich Sie bitten, Herr Oberst!“

„Aber selbstverständlich, mein gnädiges Fräulein, Ihr Vorschlag wird ohne Debatte angenommen. Die jungen Herren werden höchst angenehm überrascht sein! Wo gedenken Sie das Fest zu arrangieren?“

„Wir haben leider keine Wahl, — es muss wie stets im Hotel stattfinden. Und daran möchte ich allsogleich noch einen anderen Wunsch knüpfen.“

„Ich bitte —“

Resi stützte die Hände auf den Tisch und richtete sich sehr resolut auf. „Wir sind diesmal mit dem blauen Auge davon gekommen, Herr Oberst, wir haben uns abermals überzeugt, dass solche antidiluvianischen Zustände, wie sie bisher walteten, auf die Dauer unmöglich sind. Das Offizierskorps muss sein Regimentshaus, seinen eigenen Mittagstisch haben, das ist eine absolute Notwendigkeit.“

Laucha zuckte die Achseln. „Niemand sieht dies mehr ein, wie ich. Sie wissen auch, mein gnädiges Fräulein, dass schon mancher Anlauf gemacht worden ist, diesen Traum zu verwirklichen, aber leider stets vergeblich. Die Räumlichkeiten der kleinstädtischen Hotels sind sehr beschränkt, über mehr wie einen Esssaal verfügt kein einziges, und das Billardzimmer opfern die Wirte nicht. Wir hatten ja schon einmal die Absicht, in einem Zimmer der ersten Etage zu essen, aber das erwies sich als zu klein, denn bei unserer hohen Zahl von unverheirateten Herren ist unsere Tafelrunde eine recht respektable!“

„Und ein eigenes Regimentshaus gründen?“

„Das kostet Geld, recht viel Geld sogar, und wir verfügen über keinen derartigen Fonds, um ein Haus zu kaufen, oder zu mieten, es einzurichten und eine Menage in Gang zu bringen! Das Regiment hat ja nichts, absolut nichts hier vorgefunden, weder Kaserne, noch Kasino, und wenn ja auch das Offizierskorps aus meist recht vermögenden Leuten besteht, so kann ich als Kommandeur doch nicht dafür stimmen, dass die Börse der Herren für eine private Allgemeineinrichtung zu hoch belastet wird!“

„Ich sollte denken, dass sich ein anständiges, wenn auch fürs erste noch bescheidenes Unterkommen auch ohne erhebliche Kosten beschaffen liesse —“ beharrte Resi mit ihrer liebenswürdigen Ruhe, „darf ich wohl einmal versuchen, bester Herr von Laucha, eine Offiziersmesse zu stande zu bekommen? Es lässt mir keine Ruhe, bis ich wenigstens jede Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen, erschöpft weiss!“

Der Oberst verneigte sich mit einer zustimmenden Geste. „Ich würde Ihre Bemühungen als eine der grössten Freundlichkeiten auffassen, welche je dem Regiment erwiesen sind, und was in meinen Kräften steht, dieselben zu unterstützen, soll mit grösster Bereitwilligkeit geschehen. Sie haben uns schon so oft Proben Ihres fabelhaften Talentes „Unmögliches möglich zu machen“ gegeben, verehrteste Tante Resi, dass es wie Verblendung aussieht, in diesem Fall Ihren Erfolg anzuzweifeln, doch gilt es hier mit so viel realen und klingenden Hindernissen zu rechnen, dass Geschicklichkeit und Klugheit allein kaum dagegen ankämpfen dürften! Immerhin bitte ich Sie von Herzen, sich für die Angelegenheit zu interessieren, wir stehen ja bereits auf dem Standpunkt, all unsere Sorgen und Anliegen rücksichtslos zu unserer Tante Resi zu tragen!“

„Hoffen wir das Beste; erreiche ich etwas, so bitte ich um die Erlaubnis, weitere Rücksprache nehmen zu dürfen. Und wegen des Balles wollen wir sobald wie möglich eine Entscheidung treffen; es wäre gut, wenn die Einladungen nächster Tage schon ergehen könnten!“

„Ich werde heute bei Tisch das Nähere veranlassen. Sie erhalten sogleich durch eine Ordonnanz Bescheid, mein gnädiges Fräulein, und ich bitte Sie schon im voraus, im Namen der Herren, das Arrangement des Festes wieder etwas zu beaufsichtigen, oder ganz in Ihre Hände zu nehmen. Sie kommandieren sich zwei der Herren zu Ihrer persönlichen Dienstleistung und werden alles wieder ebenso tadellos zu stande bringen, wie all die Jahre zuvor, wo Sie bereits die Oberleitung all solcher Veranstaltungen übernommen hatten. Ich hörte bereits mit viel Begeisterung und Anerkennung davon erzählen, wie praktisch und elegant Sie stets diese Tanzfeste arrangiert hätten!“

„Eine Dame bekommt so etwas stets billiger heraus, wie Herren, welche anstandslos und hilflos bezahlen müssen, was man fordert. Wenn wir erst unser eigenes Regimentshaus haben, wollen wir schon zeigen, was eine Harke ist!“

Resi lachte und rieb sich vergnügt die Hände, sie lehnte stets jeden Dank und jede Anerkennung in ihrer bescheidenen Weise ab, ohne sich dabei den Anstrich jener anspruchslosen Dulderwesen zu geben, welche sich nur darum in den Schatten stellen, um eine desto grellere Beleuchtung ihrer Persönlichkeit zu erzwingen.

Der Oberst verabschiedete sich. Er sah so vergnügt und animiert aus, wie selten.

„So wäre denn wieder Frieden im Lande!“ nickte er noch einmal schmunzelnd vor sich hin und atmete bei dem Gedanken an alle Möglichkeiten, welche da gedroht hatten, doch recht erleichtert auf: „Nun werde ich mir mal den Attentäter Dorpat unter vier Augen vornehmen und ihm klar machen, was er seiner Regimentstante alles zu danken hat. — Er soll auch mit dem blauen Auge davon kommen — —“

„Peccavi, Herr Oberst! — peccavi! lassen Sie mich für ihn um Nachsicht bitten!“

Laucha lachte in bester Laune. „Unbesorgt, gnädigste Tante, Ihr Schützling soll diesmal noch am Leben bleiben! Aber eine kleine Ermahnung und einen sanften Kniff ins Ohr muss der junge Herr wohl mitnehmen — schon um des Prinzips willen! — Und somit Gott befohlen, meine liebe lady patroness! Ich wiederhole noch einmal meinen verbindlichsten Dank!“ —

Säbelklirrend schritt er die Strasse entlang; am Marktplatz begegnete ihm der Präsident, man grüsste sich voll ausgesuchter Höflichkeit. Ja, es war alles wieder im reinen, und Laucha nickte noch einmal lächelnd vor sich hin und wiederholte in Gedanken:

„An weicher Seide prallt

Zurück die scharfe Klinge —

Sanftmut wirkt gröss’re Dinge

Wie schneidende Gewalt!“

O diese Weiber! —

Dann trat er in einen Blumenladen, und wählte das schönste Arrangement, welches um diese Jahreszeit aufzutreiben war.

„Die dankbaren Regimentsneffen ihrer geistreichen Tante!“ kritzelte er auf eine Karte und adressierte den duftenden Gruss an Fräulein Therese von Wieders.

Achat von Kronstadt sass in seinem behaglich warmen Zimmer und hielt ein neues, höchst interessantes, militärisches Werk in der Hand, in welches er sich mit Leib und Seele vertiefen wollte. Er hatte sich die „Studien über Truppenführung“ schon seit Tagen bestellt und voll Sehnsucht darauf gewartet, denn es gab ja nichts anderes mehr in der Welt, wofür sich der einsame Generalstäbler interessierte, als wie die Wissenschaft auf dem Gebiete, in welchem sein ganzes Denken und Wirken wurzelte.

So hatte er bisher geglaubt, — so dachte er auch noch vor zwei Tagen, als er voll Ungeduld in seinem Zimmer auf- und niederschritt und wähnte, der lange Winterabend könne gar nicht zu Ende gehen, wenn nicht ein anregendes Buch vor ihm auf dem Tisch läge.

Und heute hielt er das so schmerzlich erwartete Werk in Händen, und seine Blicke flogen zerstreut und gedankenlos über die einzelnen Seiten, ja schliesslich ganz darüber hinweg, um draussen, in den verschneiten Baumwipfeln Rast zu halten.

Und während er so hinaus in die Winterstille blickte, zog ein traumhaftes Lächeln über seine schönen Züge, und seine Augen spiegelten seine Gedanken, denn sie blickten ebenso entzückt und verklärt, als wie vorgestern abend im Lager der Gustel von Blasewitz, als er zum erstenmal in ein Mädchenantlitz blickte, welches ihn mit dem vollen Zauber weiblicher Holdseligkeit bannte.

Martina Gollnow! —

Wie eine freundliche Huldgestalt umschwebte ihn ihr Bild, anfänglich zurückgescheucht mit all den tausend Waffen, die das Herz eines älteren Junggesellen sein Leben lang gegen das Weib geführt, welches seine goldene Freiheit durch zarte Bande bedrohte, — dann aber wie eine übernatürliche Macht geduldet, und schliesslich voll unerklärlicher Sehnsucht gesucht und mit jedem Gedanken festgehalten!

Martina, dieses junge, liebliche Geschöpf, dieses reizende Gemisch von Jungfrau und Kind, stolz und spröde in ahnungsvollem Selbstbewusstsein des Weibes, welches darauf angewiesen sein wird, sich einst durch eigene Kraft einen dornigen, blütenarmen Lebensweg zu erkämpfen, und doch beseelt von der unschuldsvollen Sehnsucht nach Blumen und Sonnenschein!

Wie selten hatte die Freude diese reine Stirn geküsst, wie selten hatten ihre Augen so strahlend glücklich in die Welt geschaut, wie neulich abend, wo sie sich so herrlich amüsierte, wo sie beim Abschied Resis Hals umschlungen und mit ihrer weichen Glockenstimme so unbeschreiblich dankbare und selige Worte geflüstert — „ach, es war ja gar zu schön — so schön, wie noch nie im Leben!“

Und er hatte diese leisen Worte doch erlauscht und sie tönten wie ein Echo auch in seinem eigenen Herzen —: „ja, so schön, wie noch nie im Leben!“ Nun sass er und stützte das Haupt in die Hand und träumte in den frostigen Wintertag hinaus, — lauter liebe Märchen von Frühling und Sonnenschein, von Lenzesglück und Liebe .... Manchmal zog ein ernster, bedrohlicher Gedanke wie eine Wetterwolke herauf, — dann schloss er die Augen, um sie nicht zu sehen, dann wandte er sich desto sehnsüchtiger der Sonne zu und lächelte, wenn die grauen Nebel unter ihrem Strahl zerrannen.

Achat ensann sich, in ferner Kindheit auch mit offenen Augen Märchen geträumt zu haben. Er versenkte sich dann mit aller Phantasie und Ausschliesslichkeit in die Bilder, welche ihm vorschwebten, er wies alles zurück, was an die Wirklichkeit erinnerte, er versank in der Flut seiner Gedanken, wie ein Fischer wonnetrunken hinab taucht in das Meer, wenn ihm die Zauberglocken Vinetas aus der Tiefe läuten. —

Und so vergass Kronstadt auch jetzt noch einmal Zeit und Welt, um sich in einem Märchentraum zu verlieren, aus welchem ihm das Glück mit weissen Händen winkte, das Glück, welches zum erstenmal die Gestalt eines Weibes angenommen und ihm mit Martinas braunen Augen entgegenlächelte.

Unbewusst fast legte er die „Studien“ aus der Hand und erhob sich, um an das Fenster zu treten.

Das Wetter hatte nicht viel Verlockendes, grauer Dunst verschmolz Himmel und Erde und begann bereits, seine einzelnen, feinen Schneestäubchen durch die Luft zu streuen, in nicht allzulanger Zeit gibt es wohl ein regelrechtes Schneetreiben, und das sieht sich vom warmen Zimmer aus am behaglichsten an, wenigstens für ältere Leute, und Achat von Kronstadt hatte sich trotz seines jugendlichen Aussehens schon lange zu den „Alten“ gerechnet.

Ist er denn ganz und gar verwandelt? —

Es zieht und lockt ihn plötzlich hinaus, wie ehedem, wo er noch mit flinken Knabenhänden der Eiskönigin einen Krystallpalast bauen wollte, — wo er die beschneiten Tannenbäumchen übermütig schüttelte und sich unter die rieselnde und herabstäubende Schneelast stellte, voll abergläubischer Lust jubelnd:

„Bäumlein, Bäumlein, rüttle dich,

Wirf Gold und Silber über mich!“ —

oder:

„Am Zauberbaum im Thalesgrund

Der junge Knabe wartend stund —

Da warf durch Ros’ und Flieder

Das Glück er ihm hernieder!“

Ja, er ist wieder ein Kind wie ehedem, es hält ihn nicht mehr im engen Zimmer, er will auch hinaus und sehen, ob nicht der Zauberbaum des Lebens das Glück auf ihn herabschütte!

Hastig greift er nach Mantel, Säbel und Mütze und verlässt das Haus.

Wohin? —

Wo soll er sein Glück wohl suchen?

Gollnows sind ja von früh bis spät im Hause thätig, — er hörte, dass man die Schwestern sehr selten, eigentlich nie zu sehen bekomme. Gesellschaften würden weder besucht, noch gegeben, und um viel auf der Strasse herum zu promenieren, hätten die armen, kleinen Hausmütterchen keine Zeit.

Gleichviel, vielleicht treibt jetzt — gerade jetzt ein unbewusstes Sehnen auch Martina aus dem Hause — und wo wird sie dann die Schritte hinlenken?

Sie ist ja so gern mit den Fröhlichen fröhlich, sie wird sich nach der Stille des Hauses doppelt nach Menschen und Lebenslust sehnen!

Also wird sie gewiss nach dem grossen Gottersteich hinaus gehen, wo die Musik spielt und die Jugend sich auf Schlittschuhen tummelt.

Kronstadt schlägt infolgedessen auch diesen Weg ein, und es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass es doch sehr seltsam für den Einsiedler Achat ist, dass er plötzlich voll lebhafter Spannung allen promenierenden Damen entgegenschaut, ob nicht unter diesem oder jenem Schleier das anmutigste Gesichtchen hervorlächelt, welches er je gesehen!

Umsonst, — jede neue Begegnung bringt eine neue Enttäuschung, und der Oberstleutnant steht schliesslich an dem Ufer des gewaltigen Teiches, welcher mehr den Namen eines Sees verdient, und blickt beinahe traurig auf das Menschengewimmel hinaus.

Wäre sie dort zu finden?

Kaum möglich.

Aber er schreitet mechanisch die verschneiten Stufen hinab und schlendert langsam die breit gefegte Bahn entlang.

Die jungen Kameraden grüssen ihn mit heitern Zurufen, hie und da nahen bekannte, ältere oder jüngere Damen, — aber Martina ...

Und doch .. dort .. auf der Bank — dieses zierliche Köpfchen unter dem weichen Pelzkäppchen, diese schlicht gekleidete und doch so vornehm elegante Gestalt — Kronstadts Herz hämmert in der Brust. Sie ist es! Und er ist so jung geworden, so jung — er freut sich bei ihrem Anblick, wie ehemals, wenn der Christbaum erstrahlte.

Sie sitzt auf einer Holzbank und vor ihr kniet ein junger Civilist und scheint ihr den Schlittschuh etwas fester zu schnallen.

Ob auch sie sich freuen wird, ihn wiederzusehen? Ein beinahe ungestümes Verlangen, dies zu erforschen, erfasst Achat. Leise schreitet er auf dem Schnee näher und tritt ungesehen hinter sie. —

Die Regimentstante - Band II

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