Читать книгу Vae Victis - Band II - Nataly von Eschstruth - Страница 5

Fünfzehntes Kapitel.

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Die Sonne war in wunderbarer Klarheit untergegangen und löste mit dem letzten Scheidegruss eine Farbenpracht aus, wie sie nur in Märchenträumen oder dem Orient zu finden sind.

Der Himmel flammte in Lichtgluten, welche vom grellen Schwefelgelb bis in das feurigste Orange spielten, durchblitzt von Purpurstreifen, welche, gleich dem königlichen Banner des Tages, zur letzten Huldigung für den Scheidenden gehisst waren! —

Nach Osten lagerte noch das tiefe Azurblau über dem Horizont, sich in köstlichem Farbenspiel abtönend, bis das Feuermeer des Sonnenuntergangs die Regenbogenskala verschlang und wabernde Lohe über die wehenden Schleier der Lichtgöttin triumphierte. — Aus dem Niltal stieg es zart und duftig wie ein Hauch empor.

Die graziösen Blätterkronen der Palmen schimmerten violett und taubengrau; breite, blendende Reflexe lagen auf den langsam rollenden Wogen des Flusses, und in dem eleganten Luxor blitzten die ersten Lichter auf, begann das interessante und internationale Leben der grossen Hotels.

Auf den Terrassen des Savoyhotels trank man nach dem Diner den Kaffee und träumte, in den bequemen Sesseln liegend, ein Märchen aus Tausend und einer Nacht, dessen Mittelpunkt jedoch das hochmoderne Abendland mit all seinem verschwenderischen Luxus, seinen Errungenschaften der Neuzeit und seinen lebensfrohen Menschen bildete, welche es per Dampfer und Extrazug hinausgetrieben, die Wunder des Südens mit eignen Augen zu schauen. In dem Garten mit all seiner tropischen Pflanzenpracht huschten die schlanken, braunen Gestalten der Ägypter, welche, zum Teil sehr malerisch kostümiert, ihre Verkaufsartikel feilboten oder träge hingelehnt, einer Bestellung für Reittier oder Wagen warteten. —

An einem kleinen Tisch, auf welchem die eleganten Mokkatassen dufteten und erlesene Liköre in farbigen Kelchgläschen glühten, hatte eine kleine Gesellschaft Platz genommen. Baronin von Völkern, in einer Toilette, welche der Poesie dieser Umgebung und dem Geschmack der Trägerin alle Ehre machte, war an dem Arm ihres schönen Gemahls über die Terrasse geschwebt, um sich lässig in einen der niederen Sessel gleiten zu lassen — Mattfarben blauer Crêpe de Chine floss wie ein Spinngewebe in weichsten Falten an der überschlanken Direktoirfigur nieder und verlor sich in langer Schleppe, von deren Saum eine schwere Silberstickerei emporstieg und sich über das ganze Vorderteil des Kleides emporrankte.

Schalartig gebundene Schärpen, durch breite Silberfranzen beschwert, schlangen sich, über der Brust kreuzend, um die kurze Taille und rieselten lang auf die Schleppe hernieder; Sträusse von frischen, weissen Hyazinthen dufteten sehr stark an dem Ausschnitt der tief dekolletierten Taille, und um den Hals wand sich ein vielreihiges Perlenhalsband, durch die erlesensten Brillantspangen zusammengehalten.

So wenig hübsch auch das Gesicht der jungen Frau war, und so unsympathisch es durch seinen Ausdruck sentimentaler Arroganz ward, wirkte die ganze Erscheinung dennoch verblüffend schick und reizte die abenteurlustige Männerwelt, dieser Dame, welche durchaus nicht abgeneigt schien, Romane zu erleben, die Schleppe zu tragen.

Bonaventura war nicht im mindesten eifersüchtig, nicht einmal auf den so hochinteressanten und eigenartigen Syrier, den Grafen Nicodemo Cassarate, dessen Anblick bereits seine extravagante Gattin in einen wahren Taumel der Begeisterung versetzte. Sie brachte die Lorgnette gar nicht von den Augen, wenn der eigenartige Mann in dem Speisesaal oder auf der Terrasse erschien, bis sich der so stark Provozierte schliesslich mit einem wunderlichen kleinen Lächeln Herrn von Völkern vorstellte mit der lakonischen Bitte: „Führen Sie mich zu madame la baronne.“

Dies geschah selbstverständlich sofort.

Seit jener Stunde war Graf Nicodemo Cassarate der tägliche Begleiter Ellinors — ja, man hätte sagen können, ihr Verehrer, wenn dieser Titel für den wunderlichen Herrn gepasst hätte. —

Richtiger war es, die Baronin seine Verehrerin zu nennen, deren schmachtende Bewunderung der interessante Mann so nachsichtig huldvoll, beinahe resigniert erduldete, wie der Mond sich anbellen lassen muss, weil er es leider nicht verbieten kann. —

Graf Nicodemo war kein schöner Mann in des Wortes eigentlichster Bedeutung, aber er war eigenartig, so ganz aussergewöhnlich und hinreissend originell, dass er selbst die schönsten Engländer und Franzosen, welche in Luxor für unwiderstehlich galten, fraglos in den Schatten stellte.

Ein schmales, fleischloses, sehr scharfgeschnittenes Gesicht, mit kühn gebogener Nase und zwei tiefliegenden Schwarzaugen, welche in unbändiger Leidenschaft wie ein Höllenbrand glühten — grosse, spitze, blendend weisse Raubtierzähne, welche unter dem dunklen, kleinen Schnurrbart blinkten, als schliche ihr Besitzer einem Opfer nach — dazu ein tief gebräunter Teint und eine grosse, schlanke, biegsame Gestalt, der man die zähe, fast eiserne Muskelkraft wie einer Offenbarung ansah — dies war Graf Nicodemo.

Ein syrischer Wolf! —

Eine jener kometenartigen Erscheinungen, von denen niemand recht weiss, woher sie kommen und wohin sie gehen — von denen man dies und jenes Geheimnisvolle munkelt, wie der Goldstreif, welcher hinter ihnen herrauscht, erworben ist, wie dies oder jenes Kapitel aus ihrem Vorleben so dunkel ist — wie sensible Seelen bei dem Anblick der langen, schmalen Hände mit den wohlgepflegten Krallennägeln den Atem so ängstlich anhalten, als fühlten sie diese Hände plötzlich würgend an ihrem Halse. —

Wo seine Familie herstammte?

Man wusste es nicht und fragte nicht danach.

Wo sein Wohnsitz war? — Ob er überhaupt ein home hatte oder nur ruhelos die Welt auf seinem wundervollen Auto durchraste? —

„Nie sollst du mich befragen!“ stand es voll drohender Abwehr in den finsteren Augen.

Ein syrischer Wolf!

Die Wüste ist so gross, es versteckt sich so viel Raubzeug darin — wer spürt ihm nach!

Den Hof machte Graf Nicodemo nicht.

Er beugte den erzenen Nacken vor keinem Weib, auch vor dem schönsten nicht.

Er befahl, und sie lag zu seinen Füssen und gehorchte. — Wie eine zwingende, unheimliche Gewalt lag es in seinem Blick, und wehe der verwöhnten, kleinen Mädchenhand, welche in koketter Laune mit diesem wilden Feuer spielen will — es verzehrt sie selbst.

Man erzählt sich, dass der Graf den vergangenen Winter in Kairo verlebte.

Eine sehr hübsche, anspruchsvolle Dollarprinzessin, die Witwe eines Amerikaners, kaprizierte sich darauf, den „syrischen Wolf“ zu zähmen und ihn mit den Rosenketten der Liebe zu binden!

Und dieweil sie sich einbildete, den Stolzen mit tausend feinen Maschen der Koketterie zu umstricken, war sie es selber, die sich unrettbar in diesen Fädchen fing, die selber in wahnwitziger, unheimlicher Leidenschaft erglühte, so dass sie das Leben ohne ihn nicht mehr ertrug.

An dem Morgen, wo der Unbesiegbare mit seinem regungslosen Bronzegesicht unverlobt abgereist war, hatte sich die arme Missis in ihrem Zimmer vergiftet, und ein kleiner, festverschlossener Koffer, an welchem sie noch die Adresse des Grafen befestigt, brachte diesem ihren letzten Abschiedsgruss — all ihren immens wertvollen Schmuck und ein grosses Kapital, welches sie bereits flüssig gemacht hatte, um eine Herrschaft mit herrlichem Schloss in der Nähe von Paris zu kaufen. Dort wollte die verblendete Frau die Flitterwochen mit dem geliebten Mann verleben, wie sie selber einer Freundin anvertraut.

Aber der Unbesiegbare schied, ohne sie erhört zu haben, und die verschmähte Millionärin rächte sich dafür so edel, wie es ihrer grossen Liebe würdig war — sie schenkte ihm als Andenken den Besitz, woselbst sie in seinen Armen ein seliges Liebesglück erträumen wollte. —

Wie interessant solch ein Sieg über Weiberherzen doch einen Mann macht!

Ellinor war begeistert.

„Ich verstehe, dass sie ihn liebte — dass sie ihn aber so ohne weiteren Kampf freigab, begreife ich nicht!“ rief sie sehr lebhaft; „der Tropfen höhlt den Stein, und wenn es ein Weib nur richtig anfängt, so muss sie schliesslich den Sieg behalten und den Begehrten dennoch zu ihren Füssen sehen!“

Bonaventura hatte es längst aufgegeben, seiner Gemahlin auch nur im geringsten zu widersprechen! — Warum das? Er liebte keine bissigen Bemerkungen und fand es viel zu gleichgültig, wie und was die Baronin Völkern gut fand und behauptete!

So nickte er auch jetzt nur und beschränkte sich, im höflichen Konversationston hinzuzufügen: „Die Damen sind so grundverschieden beanlagt! Ich hörte, dass reifere Frauen wie fasziniert von dem eigenartigen Mann sind, junge, kindlich reine Mädchen aber seine Nähe meistens fliehen, wie das Küchlein den Habicht!“

„Damit urteilst du selbst über die naiven Gänschen, welche sich instinktiv vor einer Gefahr fürchten, welche die betörende Eigenart dieses Mannes für ihre keusche Jungfräulichkeit bildet! — Ich für meine Person kenne keinen höheren Genuss, als mit diesem geistvollsten aller Männer zu plaudern!“

Auch jetzt, als man auf der Terrasse sass und den Mokka schlürfte, wartete Ellinor voll fast nervöser Unruhe auf den Grafen, welcher einen Jagdausflug von mehreren Tagen machte und heute abend zurückkehren wollte. Als er ging, hatte er ihr nicht, wie sie es von allen gewöhnt war, galant die Hand geküsst, sondern sie nur mit dem scharfen, blitzenden Blick angeschaut.

„Sie fürchten für mich, Baronin?“ lachte er, indem er nur die Lippe ein wenig über die grellen Zähne emporzog, „ich habe schon manchem Raubtier furchtlos gegenübergestanden!“

„Und es stets besiegt?“

„Stets. Mit der Waffe und der Faust.“ Er zog mit geschmeidiger Bewegung das lange Dolchmesser, welches sich an dem Jagdgurt schaukelte, aus der Scheide und hob den sehnigen Arm. — Er schien aus Eisen.

„Auf diese gute Klinge vertraue ich oft noch mehr, als auf die Büchse — sie liess mich noch nie im Stich und trank sich oft satt an königlichem Blut!“

„Königlichem Blut?!“

Seine Zähne schienen zu phosphoreszieren: „Warum erschrecken Sie? Ist der Löwe nicht der Tiere König?“ —

„Gewiss, gewiss .. und wenn es auch nicht nur einer Wüstenmajestät gegolten ... je nun .. wir verstehen uns ja!“

Welch wunderlicher Ausdruck in seinen harten, grausamen Zügen. „Ja, wir verstehen uns. Alles und jedes ist für uns ein Feind und jagdbares Wild, was sich uns entgegenstellt und es auf den Kampf ankommen lässt, wer da ducken soll! —“ Er stiess den Dolch in die Scheide zurück und reichte ihr die Hand. „Leben Sie wohl, Baronin! Ich bedarf Ihrer Wünsche nicht; — es gilt stets das Recht des Stärkeren, und ich glaube, der werde ich immer sein — auch auf dem Gebiet, wo sonst das Weib seine Triumphe über den Mann feiert!“ — — Er drückte ihre mageren, schmalen Finger, dass sie vor Schmerz hätte aufschreien mögen — und ging, ohne sich nur einmal umzuwenden, nach dem Nildampfer hinab, auf welchem seine, meist eingeborene, Dienerschaft ihn erwartete. Ja, sein Händedruck tat weh — er war ein rüder Gruss für solch ein verwöhntes Händchen; aber Ellinor fühlte, wie ihr Herz in heissem Entzücken tobte.

Der Riese, der gewaltige, unbeugsame stolze Übermensch, vor welchem alles — auch sie in den Staub muss! —

Endlich! — Endlich hat sie ihn gefunden!

Nun sitzt sie auf der Terrasse und erwartet ihn voll fiebrischer Ungeduld.

Je tiefer die Schatten sinken, je voller und zauberhafter der Mond aufsteigt und alle elektrischen Flammen glühen, desto erregter wird sie und desto unliebenswürdiger zeigt sie sich gegen ihre Umgebung.

Rolf-Valerian ist vor acht Tagen eingetroffen; selbstredend lernte er Graf Cassarate auch kennen.

Mit seinen langsam müden Schritten kam er aus dem Hotel und liess sich leise ächzend neben Ellinor in einen Sessel niederfallen.

Ein schneller Blick huschte nach Bonaventura hinüber, welcher an der Brüstung stand und auf das Leben und Treiben des Nils herniederschaute.

„Hör mal, Schwesterchen —“ flüsterte Herr von Heym, sich näher neigend, „ich habe eine Bitte!“

Ellinor rührte sich nicht.

„Was soll’s?“ —

„Ich habe gestern abend mit Nicodemo Cassarate in einem Kreise exquisiter Lebemänner gezecht. Es ging etwas wüst her — natürlich wurde auch gespielt.“

„Natürlich?“

„Natürlich; wie hätte dieses Laster bei so vielen andern fehlen dürfen? — Ich habe mich verausgabt.“

„Hm ... persönliches Pech. Freut mich für Cassarate.“

„Kannst du mir aushelfen?“ —

„Nein.“

„Scherzest du?“

„Durchaus nicht. Mir ist sehr wenig burlesk zumute.“

„Du verfügst doch über genügende Mittel?“

„Gewiss; ich rechne auch und werfe das Geld nicht zum Fenster hinaus.“

„Was soll ich anfangen?“

„Das ist deine Sache.“

Rolf-Valerians Blick bekam etwas Stechendes, als er die so wenig liebenswürdige Schwester scharf fixierte.

Einen Augenblick überlegte er.

Ellinor war sichtbar sehr schlechter Laune, was begreiflich war, da der Gegenstand ihrer Anbetung rücksichtslos genug war, die so selbstherrliche Dame aus rein egoistischen Gründen warten zu lassen.

An und für sich war das höchst amüsant zu beobachten, wie die arrogante Predigerin Nietzschescher Thesen endlich die einsam auf Löwen und Schakale streifende, nicht blonde, sondern pechschwarze Bestie gefunden hatte, welche nicht nur mit der Reitgerte, sondern mit der Nilpferdpeitsche und dem Dolch zum Weibe ging.

Diese Spezies Mann imponiert der Frauenrechtlerin noch etwas mehr, als der ritterlich galante, stets rücksichtsvolle und liebenswürdige Gatte, welchem das „Ewig-Weibliche“ noch genau so hoch und heilig erscheint, wie dem Dichter Frauenlob! —

Es wird der teuern Baronin absolut nichts schaden, wenn sie ein bisschen schlecht von einem oppositionell beanlagten Verehrer behandelt wird; nur in diesem Augenblick passt es Herrn von Heym durchaus nicht in den Kram, denn er kannte die grenzenlose Unfreundlichkeit seiner Schwester, welcher es ein Bedürfnis ist, im eignen Ärger möglichst viele andere Menschen ebenfalls anzuärgern. — Sie jetzt an die Schuld erinnern, in welcher sie sich ihm gegenüber befindet, wäre erst recht töricht, denn da Ellinor keinen Funken von Liebe oder nur Interesse für den Gatten mehr besitzt, würde sie ihn höchstens als verrückt verspotten, wenn er jetzt einen beträchtlichen Lohn dafür verlangte, dass des Bruders kluges Eingreifen ihr zu seinem Besitz verholfen. Dafür muss er gelegenere Zeit abwarten. Rolf-Valerian nagte momentan unschlüssig an der Lippe; dann blies er, sehr gelassen wie stets, die blauen Wölkchen seiner Queen in die wonniglinde Nachtluft und begegnete dem boshaft lauernden Blick der Schwester, ohne mit einer Wimper zu zucken.

„Nun? Was wirst du denn tun?“ fragte Ellinor und zerzupfte in grausamem Spiel die stark duftenden Blüten, welche vor ihr auf dem Marmortischchen standen. „Spielschulden müssen von anständigen Menschen umgehend bezahlt werden! — Ist wohl peinlich, vor einem Mann wie Nicodemo Cassarate so abgebrannt zu erscheinen?“

Der Gefragte schlug das Bein über, dass der feuerrote seidene Strumpf hoch über dem Lackschuh zu sehen war.

„Durchaus nicht. Die Herren bezahlte ich umgehend per Scheck. Mir fehlt nur momentan das nötige Kleingeld zum Verplempern. — Die Hotelrechnung kommt erst in acht Tagen, bis dahin habe ich mir längst das Nötige per Telegraph anweisen lassen.“

Frau von Völkern war enttäuscht, und das ärgerte sie abermals.

Sie wandte den Kopf und erwiderte den Gruss einer Französin, welche in weisser Spitzentoilette näherrauschte.

Ellinor hatte beobachtet, dass sie ebenfalls für Graf Cassarate glühte, aber eine lange nicht so bevorzugte Rivalin war, wie sie. — Es wäre amüsant, die Bedauernswerte noch ein wenig mehr zu alterieren, darum hob Ellinor voll lässiger Grazie die Hand und rief: „Wohin? Trinken Sie Ihren Mokka bei mir und lassen Sie uns plaudern!“ —

Herr von Heym erhob sich und trat nach ein paar höflichen Worten zurück, um an Bonaventuras Seite, an die Brüstung der Terrasse zu schreiten.

In seinen halbzugekniffenen Augen lauerte eine kleine Schlange, welche La Revanche heisst.

Völkern richtete sich empor und reichte dem Nahenden flüchtig die Hand.

„Schon da?“ scherzte er, „bereits ausgeschlafen?“

„Spotte nur, du wunderlicher Kerl, der die ganze Nacht wie ein Murmeltier verschnarcht; ahnst gar nicht, wie anstrengend so eine Saison in Luxor ist!“

„Nein — ich ahne es nicht.“

„Warum eigentlich nicht? Ellinor ist die verkörperte Toleranz, an Geld fehlt es dir auch nicht — warum spielst du dich plötzlich so sehr als den Soliden auf?“

Bonaventura zuckte die Achseln. Sein Blick, welcher über den unvergleichlichen Zauber des abendlichen Niltals schweifte, bekam etwas Schwärmerisches.

„Ich bin ein Gefühlsmensch!“ lächelte er, „und ein vollkommener Neuling jedem orientalischen Märchenreiz gegenüber. Was du schon ungezählte Male geschaut, wirkt auf mich noch wie eine Narkose, was dich bereits langweilt, erfüllt mich noch mit Entzücken.“

„Alles zugestanden! — Aber du kannst ja den ganzen Tag und Abend in Natur schwelgen, die Nacht kannst du immerhin der Venus vulgaris opfern! — Warum spielst du nicht mit mir bei Cassarate?“

„Verzeih den harten Ausdruck — es ist mir zu wüst. — Der Mann verkörpert für mich den Inbegriff alles Unsympathischen!“

Rolf-Valerian lachte hellwiehernd auf: „Dass die Eifersucht nicht aus dir spricht, alter Junge, weiss ich! Du bist mehr ahnungsvoller Engel als Türke!! Und deine Gattin scheint sich alle Tage mehr für den syrischen Wolf zu begeistern!“

„Unfasslich. — Aber jeder hat ja seinen eignen Geschmack. Ich für meine Person kann mich des Argwohns nicht erwehren, dass der exotische Herr Graf eine recht dunkle Existenz ist!“

„Wohl möglich! Die ägyptischen Modeplätze sind ja anerkannt Sammelort für allerlei Hochstapler und Abenteurer — aber gerade darum für den Beobachter so interessant.“

„Ich würde es für entschieden gut halten, nicht allzu intim mit Cassarate zu werden; aber es ist ja unmöglich, Ellinor in diesem Sinne zu beeinflussen!“

Der Blick Rolf-Valerians schillerte: „Na nu! Das wäre schlimm! Du bist doch ihr Ehegatte und kannst ihren Verkehr sehr energisch regeln! Du bist viel zu gutmütig! Dem Trotzkopf gegenüber musst du sehr andere Saiten aufziehen! Welch ein Mann lässt sich derart auf der Nase herumtanzen, wie du?!“

Bonaventura richtete sich beinahe entsetzt empor. „Um alles! Es würde Mord und Tod geben! So wie ich Ellinor kennen lernte, halte ich jede Beeinflussung ihres Willens für ausgeschlossen. — Ausserdem ist mir jede häusliche Szene ein Greuel. — Sie ist alt genug, um zu wissen, was sie zu tun und zu lassen hat.“ —

„So so! Nun, es ist ja deine Sache! Bequemer ist es freilich, wenn jedes den eignen Weg geht. — Apropos .. Nicodemo und Konsorten sind abwesend, ich langweile mich — kommt mit in meinen Salon, wir spielen mal für uns ein Kümmelblättchen! Ist ja unter Schwägern ganz egal, wer gewinnt!“

Wieder lachte Herr von Heym; aber sein Blick bohrte sich erwartungsvoll in den seines Gegenübers.

Bonaventura wehrte hastig mit der Hand ab.

„Mensch! Welch ketzerischer Gedanke! In dieser himmlisch schönen Nacht sich in ein dumpfes Zimmer setzen und Buben drehen!! Ich habe nie gern gespielt! Du kommst eben von Monte Carlo, wo du wochenlang am grünen Tisch sassest; hast du denn das ewige Kartenratschen nicht zum Ekel bekommen?!“ —

„Wie man es nehmen will!“

„Es muss doch mit der Zeit seinen Reiz verlieren!“

„Das Gewinnen nicht!“

„Für arme Teufel, ja! Das glaube ich gern; aber für einen so steinreichen Mann, wie du?!“

Ein seltsames Zucken flog um die schmalen, bläulichen Lippen Heyms. „Es ist nicht der Einsatz, sondern der Triumph des Sieges,“ sagte er heiser, „der schwächt sich niemals ab.“ —

„Du bist mir nicht böse, dass ich ablehne?“

„Aber mein lieber Junge, hältst du mich für einen Spiessbürger, den der gute Geschmack anderer beleidigen kann?“ — Wieder herrschte einen Augenblick Stille; aber in dem Auge Rolf-Valerians bäumte abermals die kleine, boshafte Viper Revanche empor.

„Solch eine Tropennacht macht den Menschen weich und schwärmerisch!“ fuhr Heym langsam fort, zog sich einen Sessel heran und nahm neben Völkern Platz. „Man glaubt gar nicht, wie sehr sie auf die Seele einwirkt. Da werden alle alten Erinnerungen wach — die lieben, süssen Träume, welche man längst zu Grabe gelegt, stehen lebendiger auf, denn je, und gaukeln uns Bilder vor das innere Auge, welche uns selig und traurig zugleich machen!“

Der Sprecher beobachtete heimlich die Wirkung seiner Worte in Bonaventuras Antlitz, welches sich allerdings voll träumerischen Ernstes der mondlichten Ferne zuwandte. „Du bist doch sonst kein Spielverderber, Völkern, warst die längste Zeit deiner Ehe fast der tollste Lebemann unter uns — aber heute bist du wieder Primaner — und siehst du, mir geht es just wie dir! — Es muss in der Luft liegen, die solchen Einfluss hat!“

Bonaventura atmete tief auf; es klang wie fast ein Seufzer, als er antwortete: „Wie sprichst du so wahr! Wir sind jetzt acht Wochen in Luxor, ich habe den vollen Zauber dieses wunderbaren Erdenfleckchens kennen gelernt, und mir ist es, als ob seine Schönheit eine Sehnsucht bei mir auslöse, welche ich nicht begreifen und kaum noch beherrschen kann!“

Heym setzte bedächtig eine neue Zigarette in Brand und tat ein paar tiefe Züge.

„Völkern —“ sagte er flüsternd und neigte den Kopf plötzlich tief zur Brust, „glaubst du wohl, dass ich dieselbe unbegreifliche, schier unheimliche Sehnsucht kenne — und mich vor ihr fürchte?“

„Vor ihr fürchte?“ wiederholte der Baron mit grossen Augen: „du Rolf-Valerian? Das verstehe ich nicht.“ „Wohl möglich — welch ein Menschenkenner vermöchte in der Seele eines einsamen, ruhelosen, übersättigten Mannes noch die Lyrik eines Gymnasiasten zu lesen? Auch der beste nicht. — Siehst du, Völkern, solch eine Nacht, wie die heutige, löst die Zunge — du bist wohl der einzige hier, der mich versteht, wenn ich dir versichere, dass ich vor solch sehnsüchtigen Stimmungen monatelang nach Monte Carlo flüchtete, dass ich auch heute wieder Teufels Gebetbuch aufschlagen wollte, um die leise Stimme meines Herzens zu übertönen!“

Bonaventura rückte näher und legte, aufs höchste betroffen, die Hand auf den Arm des Schwagers. „Rolf-Valerian — bist du verliebt?“ —

Das rotblonde Haupt mit den spärlichen Scheiteln war noch tiefer auf die Brust gesunken. „Wohl möglich,“ murmelte er; „denn die Sehnsucht in meinem Herzen schreit nach einem Weib, das ich liebe und mit welchem ich wohl unaussprechlich glücklich geworden wäre!“ —

„Wie sehr überraschst du mich! Und warum stillst du dieses Sehnen nicht, da es doch dein Leben krönen würde?“ —

„Unmöglich!“

Völkern fuhr beinahe ungestüm auf: „Ein Mann, der, wie du, über Millionen verfügt, kann doch wählen, wen er will!“

„Glaubst du? — Irre dich nicht. — Ich, der reiche, steinreiche Mann habe mir von dem Weib meiner Liebe .... einen Korb geholt!“

Bonaventura zuckte jäh zusammen, wie ein Erbleichen ging es über seine Züge.

„Kenne ich sie?“ fragte er gepresst.

Wieder sog Heym wie in durstigen Zügen den feinen Zigarettenrauch ein.

„Und ob du sie kennst! Wohl keiner so gut, wie du!“

„Malva?“

„Malva.“

„Sie wies dich ab?“ Der Baron stiess es fast atemlos hervor. „O, das war eine Marotte von ihr, eine etwas schwärmerische Überspanntheit! Ich will dir den Grund offen und ehrlich sagen. Sie scheut sich, das Weib eines Monisten zu werden! Eine Ehe ohne kirchliche Trauung wäre ihr unerträglich gewesen!“ — —

Die kleinen, rotumränderten Augen blinzten mit wunderlichem Ausdruck zu dem Sprecher auf. „Du irrst abermals!“ sagte er sehr ruhig, „auch ich glaubte, in dieser unserer religiösen Meinungsverschiedenheit den Grund für Malvas schroffe Ablehnung zu erkennen, und darum liess ich ihr mitteilen, dass meine Liebe zu jedem Opfer, selbst dem einer Sinnesänderung, bereit sei. — Ich wollte unsere Ehe auf durchaus christlichem Fundament aufbauen und erachte eine kirchliche Trauung für selbstverständlich.“

Völkern hatte sich aufgerichtet; er stützte sich schwer mit beiden Händen auf die Balustrade und starrte den Sprecher aus weitoffenen Augen an.

„Und ihre Antwort?“ stammelte er.

Rolf-Valerian strich umständlich die Zigarettenasche ab — in seinen Augen lag der Ausdruck einer Katze, welche mit grösstem Genuss ein armes Mäuslein martert.

„Solltest du Glücklicher diese Antwort nicht besser wissen?“ seufzte er tief auf.

„Ich?!“

„Wen anders wie dich hätte Malva so unbeschreiblich tief und innig geliebt, dass sie um dieser treuen Liebe willen die Hand des reichsten Mannes im ganzen Lande ausschlug?“

„Um ihrer Liebe .. um meinetwillen?!“ Das klang wie ein halberstickter Schrei.

Bonaventura taumelte gegen die Blütenkulisse der Balustrade zurück und hob die Hand gegen die Stirn, als wolle er sich überzeugen, dass er nicht träume.

„Um meinetwillen?“ wiederholte er noch einmal.

Heym schien die Wirkung seiner Worte gar nicht zu beachten.

Mit halbgeschlossenen Augen lag er im Sessel, und seine edelsteinfunkelnde Hand hielt mechanisch den glimmenden Tabak. —

„Nun natürlich! Die Antwort war so deutlich, dass ich gar nicht zweifeln konnte. Du hattest ihr doch auf Tod und Leben den Hof gemacht, und ihre süssen Veilchenaugen ruhten ja mit einem Ausdruck auf dir, Beneidenswerter, dass ein Blinder sehen musste: dies süsse Kind würde eher einen tausendfachen Tod sterben, ehe es die Liebe zu dir aus dem Herzen risse! — Na, es ist überwunden, Bonaventura. Ellinor feierte ihren Sieg über die arme Kleine, und ich musste mich in das Unvermeidliche fügen. Ich warf mich toller als je in den wilden Strudel der Lust, um zu vergessen! Aber wenn eine so weiche, milde Vollmondnacht all die kleinen Liebesgötter entfesselt, wenn es dort über dem Nil so glänzt und duftet, als flüsterten sie uns ganze Psalter der zärtlichsten Wonne ins Ohr — dann .. ja dann steigt die Erinnerung wieder herauf — und ich träume, ich sässe dort in dem Kahn, hielte das süsseste blonde Weib mit den blauen Enzianaugen im Arm und hätte Welt und Zeit vergessen!“ —

Sekundenlang war alles still, nur Völkern war tief in den Schatten des Lorbeers und der Myrten zurückgewichen, und von seinen Lippen klang es wie das leise Aufstöhnen eines zu Tode Getroffenen.

Heym sprang jäh auf und schleuderte mit scharfem Auflachen die Zigarette in den Garten hinab: „Zum Teufel mit solch sentimentalen Anwandlungen!“ rief er; „ich hasse diese Mondscheinnächte am Nil, weil sie immer einen Waschlappen aus mir machen! Wenn man sich vor Reminiszenzen schützen will, soll man trinken, spielen und schöne Weiber lieben, welche mehr Donna — als Madonna sind! Komm, alter Junge, wir wollen das Leben geniessen und mal sehen, wem von uns beiden die Coeurdame zuspringt! Meine Malva — deine Malva!“ —

Wieder lachte er frivol auf und wollte Völkerns Arm fassen; — dieser trat von ihm zurück und schüttelte beinahe heftig den Kopf.

„Ich habe weder Durst nach Wein, Gold oder Frauengunst! Aber es reizt mich, den Zauber dieser geheimnisvollen Nacht zu erproben, ob er dieselbe Wirkung auf mich, wie auf dich hat! Ich mache noch einen Spaziergang nach jener kleinen Moschee droben auf dem Hügel — —“

„Ah — das Grab des grossen Scheichs!! Das ist die rechte Staffage, du Schwärmer! Wo träumt man von verlorenem Glück wohl schmerzlicher, als gerade dort —!“ Und voll feinen Spottes erhob er die Hand und sang mit heiserer Stimme — Scheffel variierend:

„O Nubierin — was schauest du

Mich an mit sengenden Blicken?

Dein Aug’ ist schön, doch nimmer wird’s

Den deutschen Mann berücken!

Jenseits des Niles liegt ein Grab —

Gegraben am grünen Rheine

Drei weisse Rosen blühen darauf —

Meine Liebe liegt dareine! —“

Bonaventura hörte kaum noch die letzten Worte.

Er hatte das Gefühl, als würge ihn plötzlich eine eisige Hand, als steige ihm alles Blut schwindelnd in die Schläfen.

Mit letzter Selbstüberwindung versuchte er zu lachen. „Meine Liebe begleitete mich über das Meer, und was hinter mir liegt, ist vergessen!“ — Aber er raffte eilig den Hut, welcher von dem Sessel niedergeglitten war, empor und schritt mit kurzem Gruss davon.

Ein undefinierbarer Blick aus Heyms Augen folgte ihm.

Kochender Ingrimm und Ärger.

Hatte er den Narr falsch taxiert?

Zum zweitenmal war sein geschickter Schachzug, Ellinors Börse zur goldenen Ader zu lassen, missglückt.

Die blonde Malva hatte ihn ebenfalls im Stich gelassen, denn er hatte sich den Erfolg, sie in dieser Stunde so lyrisch zu zitieren, anders gedacht.

Eine kleine, melancholische Rückerinnerung des Herrn Leutnants a. D. — voilà tout. — Was tun? Er braucht Geld.

Je nun, er wird seine Fühlhörner ausstrecken. Auf der Insel Elefantine gibt es wohl noch andere Nabobs, welche ein kleines Jeuchen der Langenweile einer tropischen Mondscheinnacht vorziehen.

Vae Victis - Band II

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