Читать книгу Bräutigam und Braut - Nataly von Eschstruth - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеDa Gerda die freundliche Einladung der Frau Konsul von Lehnsdorf angenommen, ein paar Tage bei ihnen auszuruhen, um auf Wunsch des so liebenswürdigen Eskenboomschen Ehepaars Haag kennen zu lernen, so harrten ihrer Genüsse, welche sie daheim sehr selten, fast nie kennen gelernt hatte. Nach der Oper sollte noch ein elegantes Restaurant besucht werden, was für das so sparsam gewöhnte alternde Mädchen ein ganz neuer, reizvoller Eindruck war. Die Anregung dazu hatte ein auf dem Konsulat viel verkehrender Grosskaufmann gegeben, welcher auch in der Loge den Platz neben Frau von Lehnsdorf eingenommen.
Schon sein Äusseres verriet den Bonvivant und schien das Original, nach welchem verschiedene moderne Lustspieldichter so köstlich kopiert hatten.
Friedrich Karl Rösing war ein kleiner, sehr beweglicher Herr, trotz seiner Wohlbeleibtheit voll nervösem Temperaments, sehr gern witzig, anspruchsvoll die Unterhaltung führend und sich als massgebend in derselben behauptend.
Man musste ihm zuhören, zu rechter Zeit lachen oder empört sein über das, was just von dem Sprecher angestrebt ward, denn Widerspruch regte ihn auf, wirkte schädlich auf seinen Appetit und war ihm daher bei den Mahlzeiten ganz besonders verhasst.
Er ass gern, sehr gut und recht viel und konnte sich zur Raserei erregen, wenn ein Tischgenosse eine Speise, welche er schätzte, gleichgültig oder gar widerwillig ass, — dieselbe zu verweigern, würde einen Riss selbst in die älteste und beste Freundschaft gemacht haben, welcher als Gegenleistung und Schadenersatz selbst durch indische Vogelnester und märchenhafte Kabinettweine nicht wieder gutzumachen war.
In seinem Freundeskreis behauptete man daher, lediglich diese so stark entwickelte Eigenheit trage die Schuld an seiner Ehelosigkeit, denn noch hätte Herr Friedrich Karl Rösing trotz ungeheurer Anstrengungen seiner- und andererseits noch nicht diejenige gefunden, welche er voll Überzeugungstreue zum Altar führen konnte.
„Um alles in der Welt, Kinder! keine so lustige, fidele, kleine Schraube, die einen Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommen lässt! Fremde Witze sind mir niemals egal, denn in der Regel ärgert es mich, dass ich sie nicht gemacht habe, und wenn ich kribbeliger Kerl auch noch ununterbrochen angeregt werde, gehe ich vollends aus der Tüte! — Also Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Geld, Familie — Äusseres, Alter — das ist mir nun tatsächlich schnuppe, denn dies erachte ich für Nebensache, weil ich darin auch die Hauptsache repräsentieren möchte. Wo nun eine Frau finden, welche trotzdem meinem grossen Haushalt vorstehen und ihn voll guten Verständnisses repräsentieren kann?“
Ja, da war guter Rat teuer, denn Herr Rösing war eine glänzende Partie, und wie Mückenschwärme wurden ihm die jungen Damen aus aller Herren Länder zur Brautschau zugeführt.
Aber wer so viel begehrt ist, wird mit der Zeit misstrauisch, und kam nun eine Heiratsaspirantin, auf deren vorzügliche passende Eigenschaften er von vornherein aufmerksam gemacht wurde, so war dies verfehlt. — Lachte und scherzte sie, so wandte sich Friedrich Karl indigniert ab, und war sie grüblerisch, sinnend, jeder Zoll Tragödie oder Charakterrolle, so fuchtelte der Vielbegehrte nur mit hellem Gelächter beide Hände durch die Luft und wehrte jeden weiteren Ansturm mit der Versicherung ab: „Euch Gauner durchschaue ich! Nichts wie Bluff!! War wohl ein sauer Stück Arbeit, die allerliebsten Mädels auf den Mann zu dressieren?! Nee, nee, auf den Leim krieche ich nicht! Und ausserdem — alle viel zu hübsch! viel zu jung! — Geht mir zu sehr auf die Nerven! Besten Dank für weitere Bemühungen — ich wachse mich täglich mehr zum Erbonkel aus!!“
Da musste man es eben dem guten Zufall anheimgeben, dem scharmanten Sonderling freizustellen, ob ihm das Glück auch einmal ein wattiertes Pantöffelchen in den Schoss warf!
Heute nun hatte er in der Theaterloge neben Frau von Lehnsdorf gesessen um durch sein Monokel die neue Erscheinung Gerda in ihrem sehr schlichten dunkelblauen Reisekleid mit der wohl modernen, aber doch recht anspruchslosen Frisur anzustarren. So viel Resignation im Äusseren und Wesen hatte er lange nicht gesehen.
Das wirkt verblüffend.
„Wie heisst die Dame neben ihren, Gatten, gnädige Frau?“
„Fräulein Gerda Freienfeld!“
„Also schwarz-weiss-rot — obwohl sie blau aussieht?“
„Stimmt; vom Scheitel bis zur Sohle deutsch.“
„Hm. Eltern in Öl?“
„Schämen Sie sich! — Halbwaise.“
„Geld?“
„Vakat. Gesellschafterin bei Eskenbooms.“
„Alle Donner! — — Familie?“
„Ausgezeichnet. Vater Rechnungsrat.“
„So—so! Noch viel Anhang?“
„Ach nein, sie steht wohl ganz allein im Leben, da die junge Stiefmutter den Platz im Hause für sich allein beansprucht.“
„Also Frau Rechnungsrat!! Hat sie auch noch weitere Stiefkinder zu berechnen?“
Selbstredend pruschtete die Frau Konsul vor Lachen über die drastischen Bemerkungen, was Herrn Rösing herzlich freute.
„Nein, sie ist einzig in ihrer Art!“
„Uff! Das wäre die erste! Sonst doch immer im Dutzend billiger!! Na — und ist sie immer so stillvergnügt wie heute?“
„Ob vergnügt, weiss ich nicht, still allem Anschein nach sehr!“
„Sie scheint sich königlich zu amüsieren! Hat glührote Wangen vor Entzücken über den Schnädderedeng da unten, — aber sie belästigt niemand damit! Neulich war ich Zeuge, wie so ein hysterischer Backfisch beinah den Veitstanz vor Fröhlichkeit bekam und den Vater jeden Bühnenwitz noch einmal extra in die Ohren krisch, dieweil sie der schwergeprüften Mutter die Ärmel dabei vom Leibe riss! — Grässlich! Ich sage Ihnen — grässlich! Ebenso nachher bei Tisch — das Kapitol mit sämtlichen Alarmgänsen muss die Insel der Vergessenheit dagegen gewesen sein!“
„Sollten Sie nicht ein klein wenig übertreiben, bester Herr Rösing?“
„I wo! Ich passte auf! Der kleine Lork sollte ja zur Attacke auf mich gehetzt werden! Übrigens — wie alt ist denn die Germania da neben Ihrem Gatten?“
„Ich taxiere auf Mitte der Dreissiger!“
„Also doch! Glaubte, sie sähe nur so ein bisschen verhungert aus.“
„Das wird sich bei Eskenbooms wohl bald begeben!“
„Will sie denn lange da im Haus bleiben? Man bloss nicht so ein Dauer- und Trauergelöbnis mit bindender Haft!“ — Herr Friedrich Karl hatte das Augenglas eifrig mit dem eleganten Battisttuch poliert, klemmte es wieder ein und starrte mit dem andern unbehinderten Auge ungeniert auf Gerda hin, welche ihn vollkommen ignorierte und in selig verklärter Ruhe die wonnigen Melodien auf sich wirken liess.
„Ich finde, Musik macht hungrig!“ fuhr Rösing nachdenklich fort. „Mir ist’s, als haute mich der Kerl da unten an der grossen Pauke immer auf den Magen! Finden Sie nicht auch, gnädige Frau? Solche Püffer ins Gekröse wirken wie Massage. Ich schlage vor, wir fahren nachher alle zu dem ‚leckeren Mintepottje‘ im Konigin-Restaurant und studieren die Speisekarte!“
„Wenn mein Mann einverstanden ist, sehr gern!“
„Mann einverstanden!!“ rang Friedrich Karl die Hände. — „Was die Frau will, das will Gott! Also auch Ihr vergötterter Haustyrann! Wenn Sie ihm jetzt erklären, der liebe, nette, gute, appetitliche — das heisst, der mit Appetit gesegnete — Freund Rösing hat uns eben alle, — Logierbesuch dito — zu einem Ohnmachtshappen eingeladen, dann möchte ich mal den sehn, welcher seine Gattin hungern liesse!!“
Und so war es tatsächlich.
Als Herr von Lehnsdorf hörte, dass Rösing summa summarum deutsches Konsulat zu einem seiner bekannten einfachen, kleinen Ohnmachtshappen eingeladen, lockerte er unbemerkt die zu engen Knöpfe an der Weste und nickte: „Aber selbstverständlich! Wir haben Zeit, dass Sie Umstände machen können!“
So fuhr man zum Souper.
Gerda war so plaziert, dass der Gastgeber sie ungeniert beobachten konnte.
Und das tat er.
Er bestellte sich gleich nach dein Hühnerfrikassee nach eine zweite Portion.
Das war ja etwas Entzückendes, wie es dem Mädel da drüben schmeckte!!
Und wenn er eben von einer Mastsitzung aus der Bar riche gekommen wäre, der Anblick von Gerda Freienfeld hätte ihn zum ausgehungerten Tiger gemacht. Seltsam! Wie solch ein Essen voll verständnisinnigen Genusses bei dem Zuschauer den Appetit anregt!
Und wenn er irgend was Ulkiges sagt, dann lachen ihre Augen — innig! Fabelhaft! Er hat das Empfinden, als schüttelten sich ihre sonst so ernsten Augen ordentlich vor Lachen, — aber reden tat sie nicht dabei.
Merkwürdig! Höchst merkwürdig!
Ein Heiterkeitserfolg, welcher ihm wohltut und nicht geniert.
Ob das wohl immer so bei ihr ist?
Er hat nie so recht begriffen, warum es Männer gibt, die „maulfaule“ Weiber um solcher Tugend willen missachten. Das sind meistens Stösel, welche selber nicht viel goldene Worte zuzusetzen haben! — Er denkt anders darüber.
Nur ein einziges mal redete er Fräulein Freienfeld an.
„Gar nichts Besonderes, — so vielleicht — ob es heute Dienstag wäre?“
Für gewöhnlich blitzen ihn dann die Augen der Interviewten an, empört — ironisch, gelangweilt — oft recht indigniert.
Das ist so sein Barometer.
Bei Fräulein Gerda bleibt er auf „beständig“ stehen.
Sie sieht ihn freundlich an und versichert, dass es heute Dienstag ist.
Er zieht die Uhr.
„Sie irren sich, — es ist schon Mittwoch, — fünf Minuten über zwölf.“
Die meisten nehmen so was übel. Selbst die Frau Konsul klappt ihn mit ihrem Tulpenstengel auf die Hand und sagt schmollend: „Sie Unverbesserlicher!“
Sie hat nur davon, dass die schöne Blume alle Blätter fahren lässt und Herr Rösing vergnüglich mit den Augen zwinkert: „Dass die Damen doch nie wissen, was die Glocke geschlagen hat! Auch Sie nicht, gnädigste Frau, — es ist nämlich schon genau eine Sekunde über ein Viertel eins!!“
Gerda ass ruhig und eifrig weiter, denn der Kellner wartete auf ihren Teller.
Das war vernünftig, dass sie nicht wie andere lyrische Fräuleins den ganzen schönen Pastetenrest schiessen lässt, dass sie sich auch nicht sonderlich hetzt dabei, sondern noch Zeit findet, sich wieder vor Lachen mit den Augen zu kugeln, — na, und last not least, sie beisst nicht die Würde heraus, sondern lässt sich’s weiter schmecken. Weder zimperlich, noch übelnehmerisch, noch überspannt poetisch — noch selbstbewusst ... hm ... seltsam, sehr seltsam ... und Herr Friedrich Karl Rösing ist zum erstenmal im Leben zerstreut, denn er greift nun seinerseits nach dem schönen gelben Tulpenstengel neben dem Teller und will justament die Sauce damit löffeln ...
„Dunnerknister!! wenn das einer gemerkt hätte!!“
Niemand hatte es beobachtet, weder den deplazierten Blumenkelch noch all die heftigen Erschütterungen, welche eine katastrophale Umwälzung in dem tiefsten Herzinnern des reichen Mannes hervorzubringen drohten.
Wer nach jedem Gang zweimal essen kann, ist nicht verliebt, — behaupten die Dichter und Denker, — aber auch diese Ansicht kann in der modernen Zeit nur noch durch die Ausnahmen der Regel gestützt werden.
Man sagte sich sehr vergnüglich und gesättigt Gute Nacht, und die Frau Konsul fragte beim Geleit zum Fremdenzimmer Gerda noch einmal ganz harmlos, gewissermassen als (pour parler) Gesprächsblüte: „Die Oper hat Ihnen also gefallen? Ist auch erstklassig, und Freund Rösing ist ein scharmanter, gastfreier Mann!“
„Ja, das ist er! Ich bin ihm so sehr dankbar für die Einladung!“
Das klang ebenso überzeugt wie wohlerzogen.
Gerda schlief sanft und friedlich die ganze Nacht ebenso wie Friedrich Karl — welcher die Hände über dem Magen zusammengelegt hatte und so zärtlich dabei lächelte, als hielte er denselben für sein Herz. Droben am Himmel aber ging die Sonne auf und lachte — lachte — lachte!
An Esten war die neue Zeit ziemlich spurlos vorübergegangen.
So wie es seit bald dreihundert Jahren in dem ehrwürdigen Haus lag und stand, so unverändert grüsste den Beschauer ein Stücklein Vergangenheit, welche beredter wie all die rauhen Kehllaute seiner Besitzer von holländischem Fleiss, Einfachheit und peinlichst sauberer Ordnung erzählte.
Die grosse Diele mit den gedunkelten Bildern altholländischer Kunst und dem mächtigen Kachelofen in der Ecke, welcher seinen Geburtsschein aus Delpht gleich an der Stirn trug, die grosse Standuhr mit dem geschnitzten Gehäuse und dem eigenartigen Metallzifferblatt, dessen erhabene weisse Porzellanzahlen von Zeigern bestrichen wurden, welche nebst dem Perpendikel das Bild von Sonne, Mond und Erde — verkörperten, schien der Inbegriff aller Gemütlichkeit, und als Gerda durch die offene Tür eintrat, begrüsste sie just das „Zwölfuhrgeläut“, welches ihr in Ohr und Herzen wie Glocken des Friedens wiederhallten!
Und eine friedliche gesegnete Zeit war es, welche nun für die so lange stiefmütterlich Behandelte anbrach.
Herr Willem van de Eskenboom schien alles in der neuen Hausgenossin zu finden, was er erwartet hatte, die freundliche Folie für seine herzige, kleine Frau, neben welcher er voll starren Eigensinns keine andern Göttinnen duldete. Sie musste immer einzig in ihrer Art sein, nie durfte ihm und ihr anderer Geist, Witz und Grazie gefährlich werden, diese Ruhe des Herzens verlangte er für sich und sein ganzes Haus.
Noch hatte man sich kaum recht eingelebt mit der neuen Freundin, als eines schönen Tages das Telephon klingelte.
„Lieber Eskenboom, — ich bin hier ganz in der Nähe, möchte mir gern mal deine Jungpferde ansehen, — habe Bedarf. Schicke mal zum 1-Uhr-Schnellzug einen Wagen an die Bahn!“
„Is gut! is gut, — alte Jong! Wen aber soll ich denn eigentlich abholen?“
„Deinen alten Freund Rösing! — Verstehst mich?“
„Das will ich meinen. Dann komm mal her.“ —
Dass Rösing ein reicher, netter, famoser Kerl war, — das wusste Eskenboom, dass er aber sein Freund war ...? und duzte ihn ... hm — —“ er kraute sich in den lockigen blonden Haaren —: „Seltsam — sollte er bei dem letzten Sektgelage im Konsulat Brüderschaft mit ihm getrunken haben? Einen tüchtigen Schwipps hat er gehabt, sein Elizachen hatte ihn andern morgens in das Ankleidezimmer geführt, das sah aus, wie ein Schlachtfeld. Selbstredend hatte die süsse Schelmin das Chaos selber zusammengebraut, um ihn zu necken! — Einen roten und einen schwarzen Morgenschlappen vor dem Bett, damit fing’s schon an! und einen Lackstiefel in der Waschschüssel und sein Nachthemd im Hosenstrecker ausgespannt und den Zylinder als diskretes Toilettenstück ... o du ewiger Boonekamp of Magenbitter! Das war eine schöne Bescherung!! Dass Hottjepottje, der stichelhaarige englische Terrier, seine beste Frackkrawatte als Halsband voll verbitterten Ingrimms am Stiefelknecht abzureiben suchte, war ihm vollends schleierhaft! Er hatte doch dem Köter seine beste weissseidene nicht umgebunden?! — Oder doch?! — O dieser Brummschädel! Und Eliza sah ihn immer so listig von der Seite an und legte voll sanften Vorwurfs die Händchen auf seine Schulter — „Willem, was hast du dir bei diesem allen nur gedacht?!“
Damals wusste er es selber nicht, — nachher, ja nachher! Wenn man so ein — ein — ein druwe luwe liewe lawes kreuzfideles Weibchen hat!!
Aber der Schmollis mit Rösing? — Sollte etwa auch seine Frau mit dem Kerl Brüderschaft getrunken haben?
Alle Haare sträubten sich ihm einzeln vor Eifersucht.
Unmöglich! — Die Damen hatten ja gar nicht mit gekneipt!!
So etwas würde Eliza doch auch nie und nimmer tun.
Und er?
Ja, du liebe Zeit, — wenn Rösing es behauptet, muss es wohl so sein.
Er stürmt zu seiner Gattin, um zu bitten, dass ein paar gute Schüsseln mehr für den Feinschmecker aufgetragen werden und ... ja die Tischordnung! — Er mag das nicht, wenn jeder wildfremde Duzbruder daherkommt und sich neben seine Frau setzt!
Er tut so intim, der Rösing!
Könnte ihm so passen, bei Tisch mit dem lustigsten Geplauder unterhalten zu werden und derweil zu essen — — es hat niemand sich an der Heiter keit seiner Frau zu delektieren wie er, der ihr ehelich angetraute Herzensmann!
Da wird ein Riegel vorgeschoben!
Er, Willem van de Eskenboom, sitzt an der Speisetafel seinem Gast gegenüber, und die fröhliche Hausfrau präsidiert an der Seite des Gemahls.
„Vis-à-vis ist besser, wie nah dabei“ — heisst es, und „vorgesehen und nachgedacht — hat manchem schon gross’ Leid gebracht“!
Fräulein Freienfeld lässt sich von dem teuern Schmollisbruder — er keucht immer noch vor innerer Erregung — wie komme ich nur dazu, mit dem Menschen Brüderschaft zu trinken! muss das eine Besäufnis gewesen sein!! — na also — Fräulein Gerda lässt sich vom Duzfreund Rösing den Arm bieten und dann können sie sehen, wie sie fertig werden!
Und so geschah es.
Der reiche Mann traf präzise ein, besah die Koppel für die „Pferdestudenten“, welchen er nun zu Amt und Würden verhelfen wollte, und kaufte zwei recht hübsche und nicht zu teuere Kohlfüchse. Kohlfüchse darum, weil er sich in Gedanken sagte, „es ist ja der reine Kohl mit dem Pferdehandel, — eigentlich komme ich ja, um mich selber meistbietend an die Frau zu bringen! Na, wollen mal sehen, ob ich alter Knabe noch leidlich im Kurs stehe!“ Dann begrüsste man die Damen.
Frau Eliza war immer sehr angeregt und guter Dinge, wenn Gäste kamen. Sie empfing Herrn Rösing mit einem wahren Brillantfeuer von Laune und Witz, und dieser schüttelte sich innerlich wie ein Pudel unter der Traufe und dachte: „Fürchterlich! wenn das auch beim Essen so weitergeht, gehe ich sicher an versetztem Spickaal zugrunde!!“
Eskenboom aber stand so stolz und erhaben an der Seite der entzückendsten aller Frauen, als könne er nur voll tiefsten Mitleids auf den armen Mitmenschen niederblicken, welcher endlich vor seines Schöpfers begehrenswertestem Meisterwerk steht und einen Zettel daran hängen sieht, mit den ominösen Worten: „In festen Händen!“
Während Willem und Gerda sehr den guten, wenn auch nicht ganz neuen Witz belachten, mit welchem Eliza den Pferdekauf ad acta legte: „Wissen Sie auch, Herr Rösing, warum Ihre Kohlfüchse ‚Pferde‘ heissen?“ — „Na, weil man damit ‚fährt‘!!“ antwortete er prompt: „Ach so! ich dachte, weil zu einem Rösing naturgemäss eine Rosinante gehört!“ — was einen Sturm der Heiterkeit entfesselte.
Aber dennoch waren beide Herren nicht zufrieden, der eine, weil es ihn verdross, dass seine Frau anstatt des ersten nicht den zweiten Witz gemacht hatte, und der Grosskaufmann, weil er fürchtete, durch ein derartiges Provoziertwerden um jeden beschaulichen Tafelgenuss zu kommen. Er wusste, dass auf Esken gut gekocht wird, da braucht man Ruhe zum Prustelieren!
So suchten denn seine Augen Fräulein Freienfeld, welche auch jetzt ihre ganze Begeisterung über seine Schlagfertigkeit in die Augen legte, ohne auch nur im mindesten in die Unterhaltung einzugreifen.
Langweilig? — Das wäre!! ein sehr vernünftiges, nettes Mädchen.
Und nun kam das Dessert zum Beginn der Mahlzeit.
Willem sagte ihm mit ganz undefinierbarem Ausdruck im Gesicht, er bitte, Fräulein Freienfeld zu Tisch zu führen.
Rösing knickte gefühlvoll zusammen. „Musik in meinen Ohren!“ lächelte er mit dem Brustton der Überzeugung.
Und Eliza, welche bereits am Arm ihres Gatten vorausschritt, wandte mit einem ganz allerliebsten Schelm das Köpfchen und lächelte.
„Zukunftsmusik?!“
Nun war Willem wieder obenauf, er hätte beinah einen Luftsprung vor Triumph getan, denn nach dem Blick, mit welchem Friedrich Karl die junge Dame eben angesehen, war die Bemerkung seiner geistreichen Frau geradezu glänzend!
Rösing aber presste in ergrimmter Abwehr eines jedweden weiteren Geisteskampfes den Arm seiner Tischdame gleichzeitig gegen Magen und Herz und knurrte unhörbar: „Dann ist’s der Hungergalopp!!“ Aber es würgte ihn, dass er höflichkeitshalber diesen parierenden Gegenhieb verschlucken musste!
Und Eliza dachte im Herzen: wenn es nicht gar zu unhöflich gewesen wäre, hätte ich zu dieser Musik gleich die Worte geliefert: „Beefsteakpolka!!“
Und nun sass man einander gegenüber und ass recht viel und gut, und während der moderne Lukullus Friedrich Karl mit Kennermiene erst auf der Zunge prüfte und dann schluckte, — musste der Unglücksrabe Eskenboom ohne Sinn und Verstand hinter die Krawatte kauen, denn der unbarmherzige, kleine Racker von einer Frau tischte als angenehme Tunke zu Fisch und Braten derartige Pensionserinnerungen: „an Schellfisch mit Pflaumenmus und Champignons mit Zucker und Zimt“ auf, dass ihr Eheherr immer nur den Mund zum Lachen, aber nicht zum Essen aufsperrte!
So eine amüsante Frau muss ja ein Schicksal sein! — Unglücklicher Kerl, der nicht mal in Ruhe einen Happenpappen genehmigen kann!
Und Herr Willem strich mit hochrotem Kopf den blonden Schnurrbart mittels Serviette empor und empfand ein tiefes, aufrichtiges Mitleid mit dem neuen Duzbruder, weil er sich mit einer Tischgenossin abfinden musste, die nur alle Jubeljahre mal die Monotonie des Speisezettels durch ein paar Worte unterbrach, welche immer nur den bescheiden gehorsamen Punkt hinter die Ansichten des geehrten Herrn Vorredners setzte.
Wie begeistert sah Eskenboom sein beredtes Weibchen, — wie wohlzufrieden und dankbar Friedrich Karl seine schweigsame Nachbarin an.
Nach dem Essen regnete es.
Man blieb, anstatt die projektierte Gartenpromenade zu unternehmen, in den Zimmern zurück.
Gerda spielte etliche Nocturnos und noch mehrere Sonaten, klassische Sätze und Adagios, bei denen es sich gut verdaut, und welche er infolgedessen recht gern über sich ergehen liess, bis Frau Eliza die ganze gute Wirkung wieder über den Haufen warf und Lieder trällerte, die jedweder Siesta Hohn sprachen!
„Gebt mir ein Weib — ein Weib, ein Weib! — das ich herzen kann, — das ich küssen kann!!“
— — Ja, ja! — ist ja ganz schön und gut! Friedrich Karl steht ja schon allen Ernstes im Begriff, zuzulangen!
Nur nicht so furchtbar lyrisch und pressiert! Das geht auf die Nerven.
Er weiss ja noch nicht mal, ob Fräulein Gerda will.
Sie lacht so höflich und findet es ganz nett und korrekt, dass jetzt im Lied ein „Kirschendieb“ ernstlich verwarnt wird, in Nachbars Garten zu steigen, — wo er höchstens verhauen wird; eine Möglichkeit, welche Willem in den Harnisch zu bringen scheint, denn sein sonst so mildes blaues Auge bekommt etwas kriegerisch Herausforderndes. — Hottjepottje, welcher sich gerade in bedenklicher Weise vor ihn setzt und sich zu schappen beginnt, bekommt sogar einen energischen Tritt: „Das kannst du dir auch hinter die Ohren schreiben, du elender Zuchthäusler!!“ — und dabei sieht er Herrn Rösing an.
„Ja ja — Diebe sind mir auch immer grässlich gewesen“ — nickt der Grosskaufmann harmlos und fügt mit einem beinah innigen Blick auf Gerda hinzu: „nur Herzensdiebe nicht, — zu deren Zunft möchte ich gern selber mal gehören!“
Hottjepottje kläfft los und reteriert auf den Balkon, denn jetzt hat Willem energisch zugetreten!
Fräulein Freienfeld scheint aber von der ganzen Sache nicht viel gehört zu haben, sie hat sich über den Hund erschreckt und sieht ein bisschen dämlich aus!
Es ist gut, dass schon in einer Stunde der Zug nach dem Haag zurückdampft.
Rösing hält gar nichts von mündlichen Liebeserklärungen. Wie alle Gemütserregungen wirken sie schädlich.
Er wusste auch gar nicht, was er sagen sollte. — Irgendein Liebesgedicht deklamieren? — Infam, dass die einschlägigsten schon alle so bekannt sind. Man musste da gerade auf Ovid oder Petrarca zurückgreifen.
In den Sachen Ovid ist Schwung und Feuer, — namentlich die Geständnisse an seine blonde Sklavin Bissula —! Du liebe Zeit, wie lang ist das schon her, dass er in der Prima dafür schwärmte und sich vornahm, im Falle ihn das Schicksal mal zum Lenker grosser Völker mache, um dieser Bissula willen die Leibeigenschaft wieder einzuführen! Aber gerade so etwas in eine Liebeswerbung einzuflicken, dürfte riskiert sein.
Und Petrarca? Vielleicht das hohe Lied der Liebe, für welches er den Lorbeerkranz bekam?! — Auch so ’ne Sache. — Was ist Liebe und Romantik heutzutage? Die Damen sind alle praktisch beanlagt und fussen auf dem Realen. Wenn heutzutage ein Petrarca nicht den goldenen Lorbeerkranz versilbert und ihn seiner Umworbenen in Form eines Brillantkolliers zu Füssen legt, gilt er für einen Knickstiefel und eine sehr mässige Partie.
Vielleicht tun es die Brillanten auch ohne Gedichte und poetische Aussprache! — Er versteht sich nun mal nicht auf Gefühlssachen, und über seine Kräfte kann doch der Mensch nicht.
Friedrich Karl pafft noch ein paar riesige himmelblau duftende Wölkchen aus seiner wundervollen Havannaserie und nimmt sich vor, die Sache noch zum letzten gründlich zu überlegen und dann einen ruhigen, sachgemässen Brief zu schreiben.
Binnen einem halben Jahr muss er persönlich nach den Kolonien hinaus, er muss nach dem Rechten sehen, jetzt mehr denn je, und währenddessen braucht er eine treue, zuverlässige Seele, welche hier im Haag sein Hab und Gut sowie den reichen Hausstand verwaltet. — Die Tochter eines Rechnungsrats wird doch rechnen können!!
Er drückt also Gerda noch einmal recht herzlich die Hand, und seine runden, gutmütigen Augen sehen beinah feierlich aus.
„Es war sehr schön, dass ich Sie wiedersah, Fräulein Freienfeld! — Wir haben uns ganz gut vertragen. Nun bitte ich Sie, mich während der nächsten acht Tage nicht zu vergessen“ — und mit einem Anflug seiner alten, drolligen Selbstironie: „Gehen Sie doch manchmal an die Koppel hinaus und sehen Sie sich die Rosse an, dann denken Sie schon an mich!“
Was Frau Eliza wieder zu so einer leidigen Rückäusserung veranlasste: „Lieber nicht! es sind lauter Durchgänger.“
Da hatte sie wieder die Lacher auf ihrer Seite. — Friedrich Karl aber eilte mit beflügelten Schritten dem Wagen zu und schickte ein Stossgebetlein zum Himmel: „Lieber Herrgott, behüte meine zukünftige Frau, dass sie sich nicht durch irgendeinen Humorbazillus bei Frau Eliza ansteckt!“
Fräulein Freienfeld hatte sich mit sehr höflichem, korrekten Wesen verabschiedet und wandte sich nun in ihrer stillen Art, in Haus und Hof wieder ihres Amtes zu walten.
Eskenboom aber legte den Arm um sein fideles Weibchen, sie noch ein wenig in den Garten zu führen.
„Glaubst du, Eliza, dass Rösing Absichten auf Fräulein Gerda hat? — Armer, armer Mann!!“
Und dann hörte man wieder das Kichern und Lachen des glückseligen Paars durch die Blütenbüsche, und die Sonne stand am Himmel und lachte mit.