Читать книгу Die Roggenmuhme - Nataly von Eschstruth - Страница 5

II.

Оглавление

Drei Tage waren vergangen.

Laurit Stormy war durch den Wald geritten, um auf den entfernter liegenden Wiesen nach der Heuernte zu sehen, die an diesem Tage mit der Einfahrt der letzten Fuder beendet werden sollte.

Sein Pferd scheute plötzlich vor einem Ochsengespann und brach seitlich aus, verfing sich in dem Brombeergestrüpp und stürzte auf die Beine. Laurit sprang aus dem Sattel, die Knechte eilten herzu und halfen dem Rappen auf die Füsse.

„Er lahmt, gnädiger Herr!“

„Hier auf das scharfe Steinicht ist er aufgeschlagen, über dem Knöchel blutet er!“

Störmy untersuchte den Schaden. „Es ist nichts von Bedeutung, aber ich möchte ihn trotzdem schonen und werde zu Fuss nach Hause gehen!“

„Dierk kann ihn führen, Herr Leutnant. Der Weg durch den Wald hier ist gar nicht weit, wenn der gnädige Herre durch das Korn gehn, schneiden Sie ein tüchtiges Stück ab.“

Laurit hob jählings das Haupt. Durch das Korn! War dies nicht derselbe Weg, den ehemals Harms Klüssen gegangen war, als er von der Heuernte auf der Waldwiese zum Essen ging?“ —

Er lachte. Seltsam. Bei Mondschein in des Matthis Holunderlaube hatte ihm ein Abenteuer mit der Roggenmuhme so poetisch gedeucht, dass er ernstlich beabsichtigte, dem holden Spuk zu Gefallen zu gehn; bei hellem Tageslicht aber kamen ihm solche Ammenmärchen doch zu töricht vor, um sich ihretwegen womöglich zum Gespött der Dörfler zu machen!

Er vermied es direkt, in der Mittagszeit auf die Felder zu gehen, und nun ereignet sich plötzlich ganz unerwartet ein kleiner Unfall, welcher ihn direkt zwingt, in das Gebiet der Roggenmuhme einzudringen!

Lächelnd schiebt er den leichten Strohhut aus der Stirn zurück und atmet tief auf.

„Der Weg ist nicht zu verfehlen, Inspektor?“

„Unmöglich, Herr Leutnant! Hier dicht an dem Waldrand beginnt der Roggenschlag, der sich bis hinab an die Chaussee zieht. Wenn Sie quer durch das Feld gehn, erreichen Sie diese in ein paar Minuten, und dann ist’s ja der gerade Weg bis zum Schlosshof.“

„Danke Ihnen, Inspektor. Dierk soll bestellen, dass der Fuss des Rappen sofort gekühlt wird!“

„Sehr wohl, Herr Leutnant!“ —

Laurit wandte sich nach freundlichem Gruss ab und schritt in den Wald hinein.

Die Sonne glühte auf den Kiefern; — ein fast berauschender Duft lag schwül unter den lichtdurchflimmerten Baumkronen.

Ab und zu schoben sich ein paar Buchen mit frisch-grünem Gezweig dazwischen. Der Boden war mit glatten Nadeln besät, zwischen denen hellgrünes Heidelbeerkraut und hohe, graziöse Farren ein entzückendes Teppichmuster woben, hie und da noch bereichert durch die verschiedenen Schwämme, gelbe Pfefferlinge und prahlende Fliegenpilze mit roten, weissgetupften Kappen, als seien lustige Heinzelmännchen vor Schreck über den fremden Wanderer in dem Boden festgewachsen.

Tiefe, feierliche Stille.

Fern nur gurren ein paar Waldtauben, und an einem Buchenstamme huscht mit leisem Rascheln ein Eichhörnchen empor, sich in dichtem Gezweig zu verstecken.

Laurit schreitet gemächlich aus und doch ist der schmale Waldstreifen schnell durchmessen. Ein Schmetterling, die kleine blaue Sylvia, gaukelt zutraulich vor dem jungen Manne her, als wolle sie ihm den Weg zeigen, und als Laurit den Waldesschatten verlässt, bleibt er einen Augenblick in entzücktem Schauen stehen. Welch herrliches Bild entrollt sich vor seinen Augen. — Er steht auf einer kleinen Anhöhe. Vor ihm, wie ein leuchtender Goldteppich, dehnen sich die fast reifen Roggenfelder, seitlich gesäumt von hochstämmigem Buchenwald und durchschnitten von dem grellweissen Strich der Fahrstrasse, die sich nach kurzer Biegung im Waldesschatten verliert.

Jenseits derselben leuchten smaragdgrüne Wiesen, aus welchen die ersten vereinzelten Häuschen des Dorfes mit ihren Gärtchen und buntgestrichenen Fensterrahmen freundlich herüberlachen — und noch weiter zurück streben in weisslichem Gelb die Sanddünen empor, das endlos weite, dunkelblau wogende Meer säumend, das sich hinter ihnen in unbegrenzter Herrlichkeit ausbreitet.

Wahrlich, wenn hier in diesen Feldern die Roggenmuhme ihr Heim gewählt, so hat sie sich ein herrliches Erdenfleckchen ausgesucht, um das sie auch der verwöhnteste Geschmack beneiden könnte.

Wie schön ist die Welt! Wie geschaffen für Glück und Liebe, und wie weit und sehnsuchtsvoll wird ein junges Menschenherz, wenn es inmitten all dieser Herrlichkeit einsam und allein dahinschreitet und auf die blaue Wunderblume harrt, ob sie nicht plötzlich auch ihm ihren Kelch öffnen will.

Langsam schreitet Laurit in die schmale Gasse hinein, die sich der Pfad zwischen den wogenden Kornfeldern geschnitten hat.

Jetzt erst merkt er, wie unsagbar heiss es ist. Die Luft liegt regungslos, sie flimmert und blitzt wie glühender Odem, und aus dem Roggen steigt ein feiner, süsser, geheimnisvoller Duft empor, der die Sinne schmeichelnd umfängt wie eine Narkose.

Ist es das Korn oder der rote Mohn, der es durchflammt?

Ein zarter, bitterlicher Hauch wie Opium liegt in der Luft, — selbst die schillernden Fliegen scheinen mit ausgespannten Glimmerflügeln still zu stehn, wie berauscht von süssem Traum.

Wie das so müde macht! —

Ringsum ein weites, ganz leise wogendes Meer von goldenen Ähren, — es blendet schier die Augen und es gehört alle Willenskraft dazu, sich nicht niederzulegen, — unterzutauchen in diese Roggenflut und den geheimnisvollen Duft einzuatmen, bis eine wundervolle Fata Morgana aus den Halmen emporsteigt, mit strahlenden Himmelsaugen, gleissendem Goldhaar und dem süssen Zauberlachen der Hexe Loreley auf den Lippen, — die Roggenmuhme!

Wo bleibt sie?

Wenn sie heute nicht emportaucht aus ihrem verwunschenen Schloss, so tut sie es wohl nie!

„Erscheine, o weisse Dame! erschein’, erscheine mir!“

Wahrlich, George Brown hat nicht sehnsuchtsvoller auf den holden Spuk im Schottenschlosse gewartet wie Laurit Stormy auf das blonde, schleierumwallte Weib im Roggenfeld. —

Horch! ... von dem Kirchturm hallen zwölf Glockenschläge empor! —

Unwillkürlich hemmt der junge Mann den Schritt und fühlt sein Herz höher schlagen. Wie Fieberglut rieselt es durch seine Adern. Ist er krank? Macht ihn der Opiumduft zum Phantasten?

Er steht und starrt über die wogenden Halme hin. — Sie muss kommen ... sie muss ... und was wird sie ihm als Glückssymbol zeigen? —

Roggenmuhme!

Ahnst du nicht, wie ich auf dich warte?

Und plötzlich ein leiser, halberstickter Aufschrei. Laurit Stormy taumelt jäh zurück und hält sich mit beiden Händen das Haupt, als wolle er sich gewaltsam aus tiefem Schlaf wachrütteln.

Er träumt! — er muss träumen ...

Da vor ihm steigt es plötzlich aus glänzenden Ähren empor, das wunderholde Spukgebilde! Eine schlanke, weissgekleidete Gestalt, ein süsses, liebreizendes Antlitz, das ihn aus grossen Blauaugen fast erschrocken anstarrt! — Lichtblonde Löckchen kräuseln sich um die weisse Stirn, ein schneeiger Schleier wallt vom Haupt hernieder, zu beiden Seiten der Schläfen von leuchtend roten Mohnblütensträussen gehalten. —

Roggenmuhme!

Laurit Stormy steht regungslos und starrt die zauberhafte Erscheinung an.

Er will sprechen, aber er vermag es nicht.

Da raschelt es im Korn; die Huldin schreitet ihm zaghaft entgegen und hebt die Hand.

Herr des Himmels! träumt er denn wahrlich? Einen kleinen, schmucklosen Ring hält sie ihm entgegen.

Wahrlich .. er sieht’s genau ... einen Ring! —

Und plötzlich tönt eine weiche Stimme an sein Ohr:

„Gewiss haben Sie den Ring verloren und suchten danach, mein Herr! Ich habe ihn soeben gefunden, bitte nehmen Sie ihn!“ —

Sie spricht, — die Roggenmuhme spricht zu ihm? Laurit reisst die Augen noch weiter auf, rafft sich zusammen und schreitet einen Schritt näher.

War er von Sinnen? Jetzt sieht er plötzlich scharf und genau .. eine bildhübsche, junge, elegante Dame, welche vor ihm steht.

„Mein gnädiges Fräulein ...“ Er greift mechanisch nach dem Ring —: „Ich begreife nicht .. Sie hier in dieser Einsamkeit .. um diese Stunde? ..“

Da lacht sie, genau so silberhell wie die Roggenmuhme, wenn sie einen hasenfüssigen Bursch verspottet.

„Meine unerwartete Erscheinung hat Sie überrascht? Eigentlich müsste ich wohl gepfändet werden, weil ich ohne Erlaubnis in das Kornfeld eingedrungen bin? — Vergeben Sie! Der rote Mohn trägt die Schuld, ich liebe ihn so sehr und werde um seinetwillen sogar zur Feldfrevlerin!“

Sie weist auf den grossen Strauss von Blüten und Ähren, der ihr im Arme liegt. Laurit starrt sie noch immer an wie eine Vision.

„Wohl, wohl! — wie aber kommen Sie hierher, meine Gnädigste? —

Sie hebt abermals die kleine Hand und deutet nach der nahen Chaussee.

„Unser Auto steht dort hinter der Wegbiegung im Waldesschatten!“ lächelt sie, dass die weissen Zähnchen im Sonnenlicht blinken: „Wir haben uns verfahren, weil Onkel eine falsche Karte eingesteckt hatte, und nun wollen wir unfreiwillige Rast halten und erst frühstücken, ehe wir die dreissig Kilometer zurückfahren!“ —

„Ein Automobil! Ah ... das ist ja höchst interessant! Nun fange ich an zu begreifen! ... Sie sind irregefahren — gewiss! Wie käme sonst auch ein Auto in dieses weltentlegene Dörfchen, wo die Kultur und die Landstrasse wie in einer Sackgasse aufhören!“

Ihr Blick schweift in entzücktem Schauen über die Landschaft.

„Von schwindender Kultur merke ich nichts, und mit der Sackgasse bin ich sehr einverstanden, ohne sie hätten wir dieses reizende Idyll niemals kennen gelernt! — Wie schön ist es hier! Wie wundervoll schaut es sich über das Meer! Tausendmal natürlicher und malerischer als von dem Strand der Seebäder, wo Strandkörbe und geputzte Menschen jeden Hauch von Poesie morden!“

Jähe Röte der Freude steigt in seine gebräunten Wangen, — ein aufleuchtender Blick dankt ihr für das Lob, das sie seiner Heimat spendet.

Plötzlich blickt er auf den Ring nieder, den er noch immer in der Hand hält.

„Sie gaben mir einen Ring, mein gnädiges Fräulein, was bedeutet das?“

Sie neigt das Köpfchen näher und blickt auf den schmalen Silberreif nieder.

„Ich fand ihn just in dem Augenblick, als Sie mir begegneten!“ sagt sie harmlos. „Hier an dem dürren Schlehdornästchen hing er, und da dachte ich, Sie hätten ihn verloren, weil Sie so suchend umher schauten!“

Voll graziöser Anmut wendet sie sich um nach dem schmalen Wegrain, an dem ein kleines Dornbüschchen seine Ranken über den Erdboden kriechen lässt.

Wieder schlägt Laurits Herz hoch auf in heissem Entzücken. Ja, er hat suchend umher geschaut, suchend nach dem Glück ..., suchend nach einem so wunderholden blonden Weib, das jählings wie die Verkörperung seiner kühnsten Träume vor ihm steht. —

Liest sie das etwa in seinem Blick?

Er wendet mit unsicheren Fingern den Ring hin und her.

„Nein, mir gehört dieser Reifen nicht!“ sagt er kopfschüttelnd. „Es scheint einer jener einfachen Trauringe zu sein, wie ihn die armen Fischer hier zumeist tragen! — Richtig! er trägt ja eine Inschrift: ‚Harms, 2. 6. 1885‘ buchstabiert er — und dann blickt er voll Überraschung auf und ruft: „Sicherlich der Trauring der Marie-Johanne! Ihr Mann hiess ebenfalls Harms wie der einzige Sohn, und Klüssen trug ihn wohl zur Erinnerung an die Mutter!“

Mit schnellem Blick überschaut er den Platz, an dem der Schlehdorn steht.

Fraglos! Der Ring flog dem jungen Burschen vom Finger, als er mit der Heugabel auf die Erscheinung der Roggenmuhme einschlug. — Es muss dieselbe Stelle hier im Korn gewesen sein. — Seltsam, sehr seltsam! —

Der laute Ton einer Hupe schallt von der nahen Waldecke herüber, und die junge Dame wendet sich hastig zum Gehen.

„Ah ... der Onkel hat Hunger und ruft zum Frühstück! — Schade, dass der Ring nicht Ihr Eigentum ist, — ich hätte mich dadurch so schön vor der Pfändung schützen können!“

„Davor kann Sie nichts schützen, mein gnädiges Fräulein!“ lachte Laurit, zog den Hut und klappte mit ritterlicher Verneigung die Hacken zusammen; „gestatten Sie, dass ich mich als Eigentümer des so total abgeplünderten Feldes vorstelle: Stormy, Leutnant der Reserve — und dass ich hiermit feierlich konstatiere: die geräuberten Feldblumen wiegen ein paar Liter Benzin reichlich auf!“

Die junge Dame ging heiter auf seinen scherzenden Ton ein, während er an ihrer Seite der Chaussee entgegenschritt: „Also mit Benzin muss ich mich freikaufen! Das ist praktisch! Nun fragt es sich aber, ob Ihr Wagen besser auf Stellin oder Dapolin läuft? Wir führen nur die erstere Sorte mit uns!“

„Dank für Ihre besorgte Nachfrage! mein Wagen läuft vorläufig noch am besten auf Heu und Hafer und hat nur zwei PS, aber ich hoffe es noch im Lauf des Herbstes auf eine Maschine zu bringen, und darum interessiere ich mich schon jetzt lebhaft für Autos! Glauben Sie, dass Ihr Herr Onkel mir eine Besichtigung des seinen gestattet?“

„Aber selbstverständlich! Wie alle Autler ist er blind entzückt von seinem „Schnauferl“, und wenn Sie dieses benzinfressende Ungeheuer schön, praktisch, tadellos finden, so ist er stolz wie ein Vater, dessen Kind man als einen Wunderknaben lobt!“ —

„Zum zweitenmal Dank für diesen liebenswürdigen avis au lecteur! — Ist Ihr Herr Onkel Soldat?“

Das junge Mädchen schob den langen, weissen Autoschleier, den ihr der Wind über die Schulter wehte, zurück. „Nein, mein Onkel ist der Kommerzienrat Cattenstedt, seine Frau die Schwester meines Vaters, des Oberst a. D. Velan, ich heisse Hanna Velan und begleite nebst meinem Vater das Ehepaar Cattenstedt auf einem Ausflug nach dem Seebad M.“

„Ah! Da haben Sie sich allerdings gründlich verfahren!“ Laurit hatte den Hut gezogen und sich bei Nennung des Namens abermals höflich verbeugt; jetzt blieb er stehn und bot der jungen Dame ritterlich die Hand, um sie den steil abschüssigen Grasrain, der den Fahrweg säumte, hinabzugeleiten.

Hanna legte ihre kleinen, schlanken Finger harmlos in die seinen. „Sehen Sie, da steht unser Landaulet! und Papa und der Chauffeur sind von jenen Häusern an dem Feld drüben, wo sie sich des näheren über den Namen des Dorfs und eventuellen Zustreckeweg erkundigen wollten, zurückgekommen!“

Sie hob die Hand und winkte, munter auf der Chaussee ausschreitend, den Herren zu, die erstaunt den Nahenden entgegenschauten. —

„Ich bin beim Blumenstehlen abgefasst!“ rief sie lachend, „kostet zehn Liter Benzin, Onkelchen! Hier, Herr Stormy nimmt es für seinen künftigen Wagen schon jetzt in Empfang!“

Eine schnelle, launige Begrüssung der Herren. Der Kommerzienrat schob seine korpulente kleine Gestalt näher und streckte, sich vorstellend, dem jungen Mann die Hand entgegen.

„Wollen auch unter die Autler gehn? Famos, ist auch das Gescheiteste, was ein Mensch heutzutage tun kann! So einem Wagen hat man viel zu danken! Er macht energisch, kühn ... stählt Haut und Nerven —“

„Namentlich die der Riechorgane!“ nickte der Oberst voll grimmen Humors, „und wenn der Mensch nicht zu Migräne neigt, wie meine Schwester, macht so eine kleine Komödie der Irrungen auf wegweiserlosem Terrain auch unempfindlich gegen dreissig Grad im Schatten!“

„Mensch, dafür gibt’s Waldesschatten und Frühstückskörbe!“ lachte der Kommerzienrat, trat an das offene Landaulet heran, in dem eine blasse, schlanke Dame mit halbgeschlossenen Augen lehnte, und sagte: „Gestatte Klärchen, dass ich dir Herrn Stormy vorstelle! Der Beherrscher dieses unbekannten Reichs ist dir gewiss als Schutzengel geschickt und verrät uns irgendeinen kleinen Badeort in der Nähe, wo es Hotels und kühle, dunkle Zimmer gibt!“

Frau Cattenstedt reichte dem jungen Mann mit wahrem Dulderlächeln die Hand, und Laurit zog diese sehr liebenswürdig an die Lippen. „Wenn Sie sich in dieser Beziehung meiner Fürsorge überlassen wollen, gnädigste Frau, so werde ich unbedingt für alles Gewünschte sorgen, — wie aufrichtig bedauere ich es, dass Sie sich gerade heute, auf einer so heissen Tour, derart unwohl fühlen!“

„Siehst du, Klärchen! Ich sage es ja immer, die Betrunkenen und die Autler haben ihre ganz besondern Schutzgeister!“ nickte der Kommerzienrat sehr wohlwollend und zog die weisse Weste unter dem geöffneten Leinenjackett über dem runden Bäuchelchen glatt. „Ganz extra um deinetwillen hat der gewaltige „Billeken“ unser kleines Hanneken in die Kornblumen geschickt, damit sie durch Herrn Stormys Hand der Gerechtigkeit überliefert wurde!“

„Billeken?“ lachte Laurit verbindlich. „Nein, ich glaube kaum, dass dieser Schutzpatron der Automobilisten auch mir, dem nichtzünftigen Rosselenker, so viel Angenehmes beschert hätte! Ich glaube eher, dass es unsere hier heimische gute Fee, die Roggenmuhme, war, die diese so erfreuliche Bekanntschaft vermittelte! Ich hatte Ihre Fräulein Nichte tatsächlich zuerst für den holden Spukgeist selbst gehalten!“

Frau Cattenstedt blickte bedeutend angeregter als zuerst auf den Sprecher. Sie lächelte sogar. „Ja, Sie haben recht! Wem Hanna unvermutet entgegentritt, der muss sie für etwas Überirdisches halten! Der Autoschleier und die Mohnblumensträusse à la Geisha geben ihr ein ganz phantastisches Aussehen!“

„Aber geschmackvoll gemacht!“ klang die fette Stimme des Kommerzienrats in tiefem Bass dazwischen. „Du hast ja bei der Hitze deine Automütze auch a. D. gesetzt und nur den Schleier um das Haar gebunden, — weiss der Kuckuck, wo die Damen sich selbst da noch schön machen können, wo wir Männer wie die Pavians aussehn! Aber nicht allein darin seid ihr Evas geschmackvoll, mir scheint, dass der Frühstückskorb, den unsere Kleine gepackt hat, auch recht appetitlich ist! Wissen Sie was, mein lieber Stormy, bieten Sie mal meiner Frau den Arm und führen Sie das erlöschende Seelchen vor die Krippe! — Was? Exkusen wollen Sie machen? Nee, Verehrtester, is nich! Sehen Sie, das ist nun auch so ein guter Einfluss vom Auteln, — man wird so menschenfreundlich! Und weil man nirgends lange Zeit hat, ist man überall schnell bekannt! — Wer weiss, ob wir uns nach diesem flüchtigen Begegnen — wir haben sicher unsere 95 Kilometer in dieser Stunde! — noch einmal so jung und so gemütlich wiedersehen! Also lassen Sie uns darauf anstossen, dass Billeken und die Roggenmuhme zwei famose Leute sind, die selbst bei 30 Grad im Schatten noch nicht ihren Humor verlieren! — Bitte zu kommen!“

„Nie hat die Roggenmuhme einen begeisterteren und dankbareren Verehrer dadurch erworben wie mich!“ scherzte Laurit und half der Kommerzienrätin sorgsam aus dem Wagen. „In dieser Einsamkeit empfinde ich es geradezu als Fest, in so liebenswürdigem Kreise aufgenommen zu sein!“

Schon während er sich mit dem Ehepaar Cattenstedt unterhielt, war sein Blick ab und zu verstohlen zu dem jungen Mädchen herübergehuscht, das in anmutigster Weise schnell und geschickt ihres Amtes als Hausfrau waltete.

Der Oberst hatte mit Hilfe des Chauffeurs zwei grosse Kasten unter den Chauffeursitzen hervorgeholt, die in ebenso praktischer wie eleganter Form alles enthielten, was einer leckeren Frühstückstafel zur Zierde gereicht.

Hanna breitete das weisse Damasttuch auf dem weichen Moosteppich des Waldbodens aus, belegte es in der Mitte mit den Blumen, die sie im Feld gepflückt, stellte Teller und Bestecks auf und richtete die Menageschüsseln mit ihrem verlockenden Inhalt so gut es ging als kalte Platten an.

Wie geschickt ihre kleinen Hände schafften! Man sah es ihnen an, dass solche Tätigkeit eine gewohnte und sympathische Beschäftigung für sie war.

Der Oberst wickelte währenddessen die Flaschen aus ihren Strohhüllen, Selterswasser, Soda mit Whisky, goldfarbenen Frade und zum Schluss noch den leichten deutschen Schaumwein, den der Kommerzienrat als einziges Alkoholgetränk bei dem heissen Wetter gestattete.

Mit vielem Ächzen und Stöhnen liess sich der dicke Onkel Rudolf an dem Wegrain nieder, der Oberst breitete sorgsam ein Plaid für seine Schwester aus, und Hanna und der Chauffeur hatten alle Hände voll zu tun, um die improvisierte kleine Gesellschaft zu bedienen.

Eine feuchtfröhliche Stimmung behauptete schnell ihr Recht.

Der Kommerzienrat hatte wahr gesprochen; — wer auf schnell rollenden Pneus die Länder durchfliegt, hat nicht lange Zeit zum bekanntwerden. Veni, vidi, vici! —

Man ist da und man kennt sich — oft besser und sympathischer wie Menschen, die sich jahrelang in steifer Langweiligkeit des Zeremoniells begegnen und nie über ein paar Phrasen hinauskommen.

Hanna hatte endlich auf Befehl des Onkels alle Schüsselchen und Flaschen in „Greifweite“ gestellt, und zwischen dem Kommerzienrat und Laurit Platz genommen.

Das weisse Kleid floss in duftigen Falten durch Gräser, Moos und Blüten, schlanke Farren wiegten sich über den kleinen Füssen, und ein paar einzelne Sonnenstrahlen flimmerten über das blondlockige, schleierumbundene Köpfchen.

Wie sie mit roten Lippen so heiter lacht, wie die Wangen heiss und heisser erglühen, wie die wundervollen Augen es verraten, dass diese Frühstückspause ihr zur hellen Freude gereicht, dass sie dem Onkel nicht im geringsten grollt, dass er eine falsche Karte eingepackt und diese Irrfahrt verschuldet hat!

Laurit hebt das Sektglas.

„Jetzt müssen Sie mit mir ganz extra anstossen, mein gnädiges Fräulein.“

„Mit zehn Litern Benzin?!“

„Nein, die kommen später! aber mit dem einzigen Rebenblut, das einer Roggenmuhme würdig ist! — Ihr haben wir unsere so charmante Begegnung zu verdanken, und darum soll sie die erste sein, der unser Glas erklingt!“

Ein fast schwärmerischer Blick flog nach dem Roggenfeld hinüber, dann trafen sich die schlanken Kelchgläser und Auge ruhte in Auge. — Nur einen Augenblick, aber es war, als ob plötzlich ein unsichtbarer Zauberfaden gewebt würde, der von Herz zu Herzen lief und beide zu Gefangenen machte.

Tante Klärchen seufzte plötzlich tief auf und presste beide Hände gegen die Schläfen.

„Die Schmerzen werden immer toller anstatt besser! Ich ängstige mich unsäglich vor der langen Fahrt durch die Mittagshitze und würde mich gern ein paar Stunden hinlegen!“

„Das müssen Sie unter allen Umständen, gnädigste Frau!“

„Gottlob, die Sonne scheint sich zu verstecken!“

„Es kommt auch plötzlich etwas Wind auf!“

„Hoffentlich kein Gewitter!“

„Wir wollen einmal Ausschau halten! Dort drüben blicken wir die Waldschneise hinab, da sieht man, ob Gewölk aufsteigt!“

Laurits Augen leuchteten.

„Gewitter sind hier meist sehr schwer! Es würde unmöglich sein, dabei zu fahren!“

Hanna war aufgesprungen und schritt der Waldschneise entgegen, der Oberst folgte ihr, und auch Laurit eilte ihr nach.

„Um alles in der Welt, da steigt es ja so schwarz wie Tinte empor!“ rief sie erschrocken.

„Donnerwetter, ja! Da ist uns ja eine nette Bescherung über den Hals gekommen!“ nickte auch der Oberst, die Hand über die Augen haltend, „in einer halben Stunde können wir es wohl hier haben!“

„Wenn wir tüchtig zufahren, erreichen wir wohl noch das nächste Städtchen!“

„Nein, mein gnädiges Fräulein, ganz undenkbar!“ — Laurit stand neben Hanna und empfand es mit einem süssen, wohligen Behagen, dass ihr Schleier weich und schmeichelnd über seine Hand wehte. Er lächelte ganz seltsam.

„Ob Sie noch soviel Kilometer zwischen Helmsdorf und sich legen möchten, es hilft Ihnen nichts, ich pfände anstatt der zehn Liter Benzin Ihre Freiheit und halte Sie gefangen!“

„Gibt es im Reichsgesetzbuch keine Paragraphen für beute- und blutdürstige Strandräuber?“ Sie scherzte, ward aber doch sehr rot dabei.

„Wenn der hohe Gerichtshof die Strafen diktiert, sicherlich, wenn aber die Roggenmuhme als oberste Instanz den Spruch zu fällen hat, dürfte er sehr milde ausfallen!“

Der Oberst, der noch ein paar Schritte weitergegangen war, kehrte hastig um. „Es sieht wirklich sehr böse dahinten aus; kommen Sie bitte, meine jungen Herrschaften, wir müssen Kriegsrat halten!“

„Sehen Sie, es wird schon kriminell!“

Laurit lachte beinah übermütig und haschte nach den roten Blütenblättern des Mohns, die ein neuer Windstoss von Hannas Köpfchen herabwirbelte!

Tante Klärchen war schon wieder in den Wagen gestiegen, und der dicke, kleine Kommerzienrat trieb den Chauffeur, der den improvisierten Frühstückstisch zusammenpackte, zur grössten Eile an.

„Wir bekommen bombensicher die Jacken gewaschen!“ rief er den Nahenden entgegen, „nun tun Sie mir die einzige Liebe, Herr Stormy, und dirigieren Sie uns in das nächste, beste kleine Nest, wo man einen Unterschlupf findet! Wohin führt dort die Chausseeabzweigung?“

„Schnurgrade nach dem einzigsten, besten und sichersten chambre garni, das in dieser Gegend aufzutreiben ist, verehrtester Herr Kommerzienrat!“ Laurit trat neben den Wagen und zog abermals sehr höflich den Hut vor Frau Klara.

„Sie waren so ausserordentlich gütig, gnädigste Frau, mich, den völlig Fremden, an Ihren Frühstückstisch einzuladen! Sie haben mich dadurch verwöhnt und mir die Berechtigung gegeben, Revanche zu üben! Dort hinter den Parkbäumen liegt Schloss Helmsdorf! Meine Mutter ist leider zurzeit in Kissingen, es fehlt also die Hausfrau, die die Honneurs machen müsste; dennoch verspreche ich Ihnen die kühlsten, dunkelsten Zimmer und den begeistert guten Willen, alles aufzubieten, Ihnen einen behaglichen Unterschlupf gegen Wind und Wetter zu geben, wenn Sie mich mit Ihrem Besuch erfreuen und beehren möchten!“

Frau Klara reichte ihm hastig die Hand und versicherte mit weinerlicher Stimme: „Tausend Dank! Ach, ich komme so gern, ... ich kann mich kaum noch aufrecht halten ...“

„Stormy, Sie sind ein Engel!“ schmunzelte Onkel Rudolf gerührt: „Dafür dürfen Sie auch unentgeltlich bis in Ihr Schloss Auto fahren!“

„Heissen Dank, Herr Kommerzienrat!“

„Bei 40 Grad im Schatten ist das keine Kunst“ lachte der Oberst. „Sie sind wirklich die Güte selbst, Herr Stormy! Und Sie sehen, wir zieren uns auch absolut nicht, sondern fallen bei Ihnen ein wie die Heuschrecken!“

Laurit neigte sich und half Hanna die letzten Messer und Gabeln aufsammeln.

„Wissen Sie, was ich wünschte, gnädiges Fräulein?“ fragte er leise.

Ihr Blick huschte nur flüchtig unter den dunklen Wimpern zu ihm empor: „Ich hätte erst meine zehn Liter Benzin ebenso sicher, wie jetzt ihre Besitzer?“

Er lachte mit. „Auch das; so nebenbei möchte ich aber, dass das heutige Gewitter gar kein Ende nehmen möchte!“

„Recht menschenfreundlich!“

„Sie freuen sich sehr auf Ihren Badeaufenthalt in M.?“

„Nein! ich gehöre nicht zu den Herdentieren, denen es nur im dicksten Gewühl wohl ist!“

Wieder leuchtete es in seinen Augen auf.

„Sie werden auch von ... von niemand dort erwartet?“

Das klang so atemlos forschend, beinah wie ein wenig Eifersucht.

Sie sah ihn voll an. „Ich wüsste nicht von wem; höchstens von dem Portier in Hotel Bristol, wo die Zimmer bestellt sind!“

Nun lachen sie beide hell auf — aber es klingt anders als sonst.

„Wo leben Sie für gewöhnlich, gnädiges Fräulein?“

„Ist diese Frage wirkliche Teilnahme oder bitterste Ironie?“

„Aber Fräulein Velan! Ironie?“

Wie erschrocken er aussieht! Wieder gräbt der Schalk seine Grübchen in ihre Wangen.

„Nun ja! Wenn man biedere Sachsen fragt, nachdem man über eine Stunde ihr Idiom gewürdigt hat, woher sie sind, — dann ist es sogar sträfliche Ironie!“

Er amüsiert sich königlich. „Ihr Herr Onkel würde vielleicht seine Nationale auf der Zunge tragen, aber Ihr Herr Vater und Sie, mein gnädiges Fräulein? Wenn Sie mir sagen, wir sind Berliner, Ostpreussen, Schwaben oder Hannoveraner, so glaube ich es auch!“

„Bravo! Sie haben wirklich feine Ohren! In all diesen genannten Städten oder Ländern hat mein Vater einmal kürzere oder längere Zeit in Garnison gestanden! Wir sprechen darum ein regelrechtes ‚Armeedeutsch!‘, von allem etwas, bis jetzt vielleicht der neue Wohnort Leipzig uns seinen endgültigen Stempel aufdrückt!“

„Hanna! Hanna! Um Gottes willen! Es donnert ja schon!“

„Wir sind — spricht jene — zum Fahren bereit!“ rezitiert Onkel Rudolf und wuchtet näher, um noch einmal Umschau über das „verlassene Zigeunerlager“ zu halten! „Die Zelte sind abgebrochen, — fort töffen die Gestalten; wer sagt dir wohin?!“

„Graden Wegs in die Notquartiere von Helmsdorf!“ lacht der Oberst und macht es sich auf seinem Sitz neben dem Chauffeur bequem. „Bitte einsteigen!“

Die Maschine schnurrt und rattert los; der Chauffeur hat angekurbelt und klettert gewandt auf seinen Platz.

Tante Klärchen giesst sich gottergeben noch den letzten Rest ihrer Eau de Cologneflasche ins Taschentuch, und ihr Gatte „wühlt“ sich möglichst bequem auf seinem Platz ein.

„So! nun mögen uns Billeken und die verehrliche Roggenmuhme gnädig sein, dass uns kein Schlauch platzt, — dann sind wir bei Ihnen angelangt, mein lieber Stormy, ehe Sie Ihre Gastfreundschaft reuen kann, — und sehen Sie, dieses unheimlich schnelle „me voilà!“ ist die fünfte vorzügliche Eigenschaft der Autos!“

Die Roggenmuhme

Подняться наверх