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III.

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Welch ein Staunen, Flüchten, Schreien und Rennen, als das Automobil gleich einem feuerschnaufenden Ungeheuer in den sonst so stillen, welteinsamen Schlosshof sauste. Das gewaltige Hupensignal mit seinem schönen, melodiösen Vierklang hatte hierorts eine andere Wirkung, als in verkehrsreichen Gegenden.

Dort kennt man solches Getön als Warnungssignal und nimmt beizeiten Reissaus, hier hielt man es für die überraschend fröhliche Anmeldung wandernder Musikanten und stürzte in sichtlicher Freude aus der Gesindestube, aus Ställen und Scheunen herbei, um solch vergnüglicher Kurzweil teilhaftig zu werden.

Anstatt dass aber zu dem Hoftor die edlen Musikvirtuosen mit Horn, Klarinette und Brummbass einzogen, tobt jählings ein ganz entsetzliches Ungetüm mit zwei Glotzaugen und unförmiger Körpermasse, knatternd und fauchend wie ein Feuerdrache, auf die ahnungslosen Knechte und Mägde ein, so dass ein gellendes Hilfegeschrei die Luft erzittern lässt und die Holzpantoffeln wie ein schwerer Hagelschauer herniederprasseln.

Grundgütiger! welch ein grosse Wirkung von solch kleiner Ursache.

Der Chauffeur hat schon manchen Ahnungslosen erschrecken sehen, eine derartige Panik ist ihm aber so neu, dass er selber die Fassung verliert, auskuppelt und alle Bremsen zieht, ehe er in elegantem Bogen vor der Schlosstreppe vorfahren kann.

Ein paar alte Weiber, deren Füsse nicht mehr zur flinken Flucht taugen, hüpfen wie die Unsinnigen an einem Fuder Heu, das vor der Scheune steht, empor.

„De Düwel kümmt! De Düwel kümmt!“ kreischen sie ausser sich, bis es ihnen unter sinnloser Anstrengung gelingt, einen rettenden Platz auf den Bündeln zu erreichen.

Zwei Gartenmägde, die gerade einen kleinen Wagen voller Gemüse vor die Küchentür gefahren, verfallen auf die Theorie des Vogels Strauss.

Mit gellendem Hilfegeschrei werfen sie sich über die schmackhafte Ladung und bohren die Köpfe tief hinein in Salat, Spinat und junge Bohnen.

„Wenn ick ’n Speuk nich siech — dann kreegt he mich ok nich!“ philosophieren sie.

Was aus dem Souterrain empor getaucht ist, schiesst in blitzschneller Hast wieder hinunter, wie die scheuen kleinen Wüstenfüchschen sich bei einer Überrumplung in ihre Erdlöcher stürzen!

Die nervenschwacheren Knechte, die noch nicht Soldat gewesen, suchen mit schlingernden Beinen Deckung, und nur die mutigsten, das heisst die, welche durch glücklichen Zufall am weitesten entfernt standen, sperren mit erbleichenden Wangen Mund und Nase auf.

Die Mamsell liegt halb ohnmächtig auf einem Stuhl der Vorratskammer, und da sie erst auf den Hof hatte hinausgehen wollen und noch nicht in direkter Lebensgefahr war, hat sie noch die meisten Kräfte und schimpft mit dem Brustton der Überzeugung: „Aber so eine Gemeinheit! Locken sie erst die Menschen mit Musik heraus und lassen dann eine Höllenmaschine auf sie los. Mine, mir wird schwach!“ — — —

Die Insassen des Automobils, die gerade voll behaglicher Freude konstatierten, dass sie noch vor Regen und Sturm auf dem Schlosshof von Helmsdorf einfuhren, schraken entsetzt empor bei dem Höllenlärm, der sie plötzlich begrüsste.

Die Hunde tobten wie toll an den Ketten, und die, welche frei herumliefen, stoben aufheulend davon.

Hühner und Gänse erhoben flüchtend ein wahres Zetergeschrei, die Pferde, die seitwärts vor dem kleinen Inspektorwagen angeschirrt standen, gingen mit allen Vieren zugleich in die Luft, und dazwischen kreischten die entsetzten Weiber, gellte das Hilfegeschrei zu Tode erschreckter Kindlein und just, als ob sich alle Schleusen des Fürchterlichen gerade in diesem Augenblick über dem sonst so friedlich stillen Gutshof öffnen wollten, zuckte der erste Blitz durch die Luft, dem bald ein gewaltiger Donner nachrollte.

Autler sind an mancherlei seltsame Begrüssungen gewöhnt!

Auch die Angehörigen des Kommerzienrats überschauten die Situation sofort mit Kennerblick und brachen in ein schallendes, schier unlöschliches Gelächter aus.

Die verschiedenen Posen der „sich Rettenden“, das ganze Tohuwabohu dieses geräuschvollen Hexensabbats war so überwältigend komisch, dass sogar Tante Klärchen momentan alle Schmerzen vergass und in das schluchzende Gelächter der Umsitzenden einstimmte.

Onkel Rudolf wischte sich die dicken Lachtränen von den heissen Wangen und deutete nur immer wieder nach den beiden alten Tagelöhnerweibern, die mit affenartiger Behendigkeit noch immer ihre Klimmzüge an dem Heuwagen exerzierten.

„Einen Knippskasten! ein Königreich für das Porträt jener Grazien dort!“ keuchte er. „Stormy ... für dieses Entree in Helmsdorf bekommen Sie nochmals zehn Liter extra!“

Laurit war selbst so vollkommen im Banne der Komik, dass auch er sich erst satt lachen musste, ehe er sich aus dem Wagen schwang und sich seinen so schwer chokierten Getreuen zeigte.

„Zum Kuckuck, Leute! Seid Ihr denn allesamt verrückt geworden?“ rief er mit Kommandostimme. „Wollt Ihr vor einem Automobil ausreissen wie die Hasenfüsse? Marsch da! Thomas und Dierk. Schnell das Scheunentor auf, dass der Wagen ins Trockene kommt! Und Ihr da! Aus dem Wege! Wir fahren erst vor die Schlosstüre!“

Der Anblick ihres Herrn und Gebieters, der in sichtlich bester Laune und mit heilen Knochen, gänzlich unaufgefressen dem Bauch des Ungeheuers entstieg, gab dem geängstigten Mensch und Vieh die Fassung wieder.

Nur einmal noch, als der Wagen neu angekurbelt ward und gar ein paar Fehlzündungen losknallten, ertönten wilde Schreckensschreie, dann aber, als das Auto so flott und sanft dahin glitt und vor der Freitreppe gehorsam wie ein Lamm hielt, da drängten alle voll fiebernder Neugierde näher und starrten mit offenen Augen und Mäulern auf das Ungeheuerliche.

„Der Düwel“ verlor sofort all sein Grausiges, als so viel vergnügte Menschen ihm entstiegen; das runde Äussere des Kommerzienrats hatte an und für sich schon etwas sehr Vertrauenerweckendes, und als gar die junge Dame mit dem ungewohnten Schleier und Blumenschmuck leichtfüssig zur Erde sprang, da überwand auch die Mamsell ihre letzte Schwächeanwandlung und faltete schier andächtig die Hände.

„Nee, aber so was! Da denkt man, der Leibhaftige selber kommt dahergeschnaubt, und nachher ist es plötzlich der reine Engel, den er bringt! Du meine Güte, aber solch eine Überraschung, Mine ... mir wird wohler!“

Laurit hatte Frau Klara den Arm geboten und sie voll liebenswürdigster Besorgnis die Treppe empor in die herrliche, weite Flurhalle und von da in den ersten Salon geführt, der eine lange Flucht grosser Gemächer eröffnete.

Die Fensterladen waren geschlossen. Nur durch kleine Spalten fiel das Tageslicht in die kühlen Zimmer, die mit ihrer uralten Einrichtung wie die Pracht eines schlummernden Dornröschenschlosses anmuteten.

„Ach, wie herrlich! wie köstlich frisch und dunkel!“ atmete die Kranke voll Entzücken auf: „wie gut das tut! — tausend, tausend Dank!“ Sie sank erschöpft in den Sessel nieder, vor den Laurit sie geführt, und dieweil Hanna sorgsam ein Kissen vom Diwan holte, flüsterte der junge Gutsherr: „Nur ein paar Minuten bitte ich sich hier zu gedulden, meine gnädigste Frau, — ein Schlafzimmer, in dem Sie sich ganz bequem zu langem Schlaf niederlegen können, wird im Augenblick bereit sein! — Sie haben alsdann wohl die Güte, Fräulein Velan, alles so anzuordnen, wie es Ihre Frau Tante liebt!“

Der Kommerzienrat und sein Schwager Velan hatten erst das Automobil in die Scheune begleitet, um voll schmunzelnden Behagens festzustellen, dass es „tadellos“ daselbst aufgehoben sei.

Die „Menge des Volks“ schloss sich ihnen an, die beiden fremden Herren mit dem sagenhaften Wagen wie die Wundertiere anstaunend. Es erhöhte und festigte fraglos das Prestige des Inspektors, dass er aus dem Garten herbeieilte, jeder Zoll Mut und tollkühnes Heldentum! und sogar nah, ganz nah an das schnaufende Ungetüm heranging, um mit den Besitzern zu sprechen wie mit anderen Sterblichen auch. Da sah man wieder, was der für ein ganzer Kerl war, der sich selbst vor dem Teufel nicht fürchtet, und dass man künftighin alles aufs Jota glauben kann, was er von seinem Aufenthalt in Berlin und Dresden während zweier Urlaubsreisen erlebt, gesehen und gehört hatte!

Ehrfurchtsvoll bewunderte man ihn, auch als er mit dem Chauffeur die Eingeweide des Autoungeheuers besichtigte, kühn sogar sich an die geöffnete Maschinenhaube lehnte und einen Knecht beorderte, Wassereimer zu holen, um die heissen Räder zu begiessen.

Ja, es tat dem Inspektor wohl, endlich eine Gelegenheit und einen Menschen zu finden, mit dem er über die „grosse Welt da draussen“ reden konnte, und als das Wetter immer bedrohlichere Art annahm, verschloss er die Scheune und wanderte mit dem Chauffeur nach dem Zimmer neben der Herrschaftsküche, wo die Honoratioren des Gutshofes zu speisen pflegten.

Die Mamsell hatte die Befehle ihres Gebieters voll glühenden Eifers ausgeführt und mit dem Zimmermädchen die Logierzimmer für die wundersamen Gäste hergerichtet.

Die fremde Dame hatte sich auch bereits auf das Bett gelegt, — bekam Eiswasser daneben gestellt, ebenso eine Tasse sehr starken Kaffee, und nun schloss die Mamsell den grossen Leinenschrank, aus dem sie die blütenweissen Bezüge und Handtücher entnommen, wieder ab und stürzte in die Küche hinab, um über ein Souper nachzudenken, das der Herr Leutnant lakonisch für 7 Uhr bestellt hatte.

Jetzt, wo das Unwetter immer gruseliger wurde, konnte kein Mensch klar denken; sie setzte sich also mit noch immer etwas zitternden Knien zu dem Inspektor, Praktikant und Chauffeur, um bei einem Glase Bier immer mehr und mehr zu Kräften zu kommen!

Ist denn alles ein Traum? —

Hier in dem einsamen Helmsdorf plötzlich so unsagbar interessante Menschen!

Wie gesprächig der Herr Chauffeur war, was für ungeheuerliche Erlebnisse er erzählte und wie bekannt er gleich mit ihnen allen war! Draussen donnerte und blitzte es, — aber die Mamsell kam diesmal gar nicht dazu, sich gewohnheitsgemäss halbtot zu fürchten, im Gegenteil, sie trat mit hochgeröteten Wangen nach kurzer Zeit in die Küche, gab prompte Befehle für die Vorbereitungen des Mahls und sagte huldvoll zu ihrer sie als unfehlbar anbetenden Stütze: „Mine — ich fühle mich wieder vollkommen wohl! —

Tante Klärchen lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett und bemerkte, dass die himmlische Ruhe und Kühle ihren Nerven sehr wohltue; weil sie aber bei dem Gewitter nicht gerne in dem fremden Hause allein sein wollte, sass ihr Gatte opferfreudig neben ihr, hatte die Hände über dem Bäuchlein gefaltet und schlürfte, zufrieden mit sich und der Welt, all den Kaffee, den die Leidende als „viel zu viel“ verweigerte.

Dabei horchte er sehr vergnügt auf den Regen, der immer ungestümer gegen die Scheiben brauste, und sagte schmunzelnd: „Hör nur Klärchen, wie der Sturm heult! So ein Hundewetter, Blitz und Donner fast immer zugleich. Können wir lachen, dass wir jetzt nicht auf der Landstrasse sitzen. Das alles verdankst du doch nur dem Auto, und wie hast du zuerst darauf geschimpft! Netter Kerl, der Stormy! Ohne unser Schnauferl hätten wir ihn nie kennen gelernt! Da siehst du mal wieder, was das für eine menschenwürdige Erfindung ist!“

Oberst Velan hatte in dem Rauchzimmer Laurits, dessen Möbel, Kronleuchter und Kamin in künstlerischer Weise aus Geweihen gearbeitet waren, ein reiches Feld seiner weidmännischen Passion gefunden.

Wie viele hochinteressante Jagdtrophäen waren hier schon seit Hunderten von Jahren angesammelt, wie viel herrliche Waffen und Gehörne schmückten die Wände, — und dort in dem Bücherschrank neben dem Rauchtisch entdeckte er eine ganze Anzahl Bände des „Weidmanns!“ die seine Augen entzückt aufleuchten liessen.

„Wenn man einem Kind einen Apfel und ein Bilderbuch gibt, verehrtester Herr Stormy, so ist es zufrieden!“ lachte er: „und mir altem Kinde geht es genau ebenso! Die Zigarre ersetzt den Apfel, und die Bilderbogen können gar nicht interessanter sein! Nun können Sie mich für ein paar Stunden als toten Mann betrachten! — Empfehle mich.“

Laurit versicherte, dass es ihm zur grössten Freude gereiche, für die Unterhaltung seines liebenswürdigen Gastes gesorgt zu wissen!

„Aber Sie, mein gnädiges Fräulein? Wie könnte ich Ihnen die Zeit vertreiben? Soll ich nachforschen, ob Mama die neusten Modezeitungen oder ein nettes Romanbuch in ihren Zimmern hat?“

Sie lachte leise auf.

„Um Himmelswillen! Damit können Sie mich jagen! Ein Kochbuch würde mich zur Not fesseln, aber jetzt, wo es so viel draussen zu sehen gibt, auch nicht!“

Sie war in die Fensternische getreten und blickte wie verklärt in den Park hinaus.

„So viel zu sehen? Hier in dem grabeseinsamen Helmsdorf?“ fragte er überrascht.

Sie strich mit der kleinen Hand über die Augen, um die Wirkung eines allzu grellen Blitzes zu mildern.

„Grade hier! Wir armen Grossstädter haben so selten Gelegenheit das zu schauen, was am unmittelbarsten zur Seele spricht, und das ist die Natur! — In dem starren, öden Steinmeer von Mauern und Pflaster gibt es höchstens bei einem Gewitter flüchtende Menschen, Regenschirme, Gummischuhe und ausreissende Hüte zu beobachten, und das ist weder schön noch poetisch.“

Sein Blick hing wie gebannt an den roten Lippen, deren Worte ihm die lieblichste Musik deuchten, die er je gehört.

„Und hier?“ — fragte er leise, beinah zaghaft, als fürchte er, einen lieben Traum zu zerstören.

„Hier?“ — sie lächelte. „Schon seit etlichen Minuten freue ich mich, dass die kleinen Meisen dort in der Tanne Schutz fanden! Sehen Sie nur, welche muntere Gesellschaft da zusammentraf! Der Zeisig posiert als Heldentenor! Er wagt sich bis ganz vorn auf den Ast.“ — —

„Bis zum Souffleurkasten —!“

„Und schaut mit imponierender Pose nach dem Himmel —“

„Dem Augenaufschlag zufolge müsste es die Diva sein!“

„Nein, die taxiere ich auf die Meise, die sich so sentimental und scheu gegen den Ast duckt, als hätte sie beim nächsten Stichwort in Ohnmacht zu fallen!“ —

„Und die andere, die so unruhig hin und her hüpft und wippt?“

„Selbstredend die Naive! und die komische Alte ist der dicke Spatz, der sein nasses Federkleid sträubt und zu räsonnieren scheint, dass er ein unfreiwilliges Bad genommen!“ —

Laurit lachte leise auf: „Wenn man allerdings mit Ihren Augen schaut, ist das Regenwetter hier sehr amüsant!“

Hanna schwieg einen Augenblick, denn das Gewitter schien von Minute zu Minute stärker zu werden; dann fuhr sie leiser und ernster fort: „Nicht nur amüsant, nein tausendmal mehr, — gewaltig und grossartig schön! — Hören Sie, wie der Sturm durch die hohen Baumkronen rast. Wie er schrillt und pfeift und tost und alles mit eherner Faust zu Boden duckt, was zu keck und selbstbewusst emporgewachsen. — Gleicht er nicht dem Schicksal, das auch so plötzlich über manch ahnungsloses Haupt hereinbricht und die urewige Weisheit predigt: Sehe jeder, wo er bleibe, — und wer da steht, dass er nicht falle!“ —

„Ja, dem gleicht er, jenem Wettersturm, der alles hinwegfegt, was nicht das einzig wahre und sichere Fundament fand, die Wurzeln darin zu festigen!“

„Und Blitz und Donner! Welch ein Flammen und gewaltiges Rollen! Ich finde es so wahr und schön, wenn unsere Ureltern die Stimme der zürnenden Götter darin hörten! In dem Strassengewühl der Grossstadt geht das Unmittelbare solcher Himmelspredigt verloren, da gibt es zu viel Erdenlärm, der sie mit schrillen Missakkorden überschreit, — aber hier auf dem Lande, da rauschen noch die alten Wodanseichen, da beugt sich die Kreatur noch zitternd vor dem Schöpfer Himmels und der Erden, weil er ihr noch nicht fremd geworden ist, weil er sich ihr noch offenbart in tausend Wundern, im Säen und Keimen, im Blühen, Wachsen und Fruchttragen!“

Laurit nickte mit leuchtenden Augen. „Wie schön sind solche Gedanken und wie selten klingen sie von den Lippen eines modernen Weibes! Ja, es ist eine immer neu zu erfahrende Tatsache, wenn es im Liede heisst: ‚Der liebe Gott geht durch den Wald!‘ — man kann wenigstens hier auf dem Lande seinen Fussstapfen noch sichtbarer folgen wie auf dem Asphalt von Sodom und Gomorrha!“

„Welch ein Regen!“

„Die Parkwege sind Bäche geworden!“ —

„Man erkennt kaum noch die Gebüsche dort!“

„So stark habe ich ihn hier noch nicht erlebt, — es ist ja der wahre Wolkenbruch!“ —

Besorgt schauen die grossen, sinnenden Blauaugen zu ihm auf: „Hoffentlich schaden diese Wassermassen Ihrer Ernte nicht?“

„Ich hoffe, nein! — Das Heu ist gottlob bis auf den letzten Wagen eingefahren, und wenn kein Hagel kommt, wird das Getreide widerstehn!“

„Aber eine Überschwemmung? Man liest in letzter Zeit so viele Hiobsposten vom Hochwasser.“

Laurit schüttelte zuversichtlich den Kopf.

„Wir liegen hier in Helmsdorf sehr hoch; uns persönlich kann wohl nie eine Gefahr durch Hochwasser drohn, kaum eine Springflut kann für den Gutshof zur Katastrophe werden. Aber die tieferliegenden Ortschaften zu seiten des Flusslaufes können schwer bedroht werden.“

„Gott verhüte es!“

„Ja, wenn man nicht selber Überschwemmungen gesehen hat, ahnt man es gar nicht, was für ein fürchterliches Element das Wasser sein kann!“ —

„Mich deucht, der Regen stürzt immer stärker und stärker herab!“ —

„Welch ein Unwetter!“ —

Der Oberst hatte sich erhoben, trat ebenfalls an das Fenster und schaute ganz betroffen in die brausenden Wassermassen hinaus.

„Nanu? Das ist ja gegen das Völkerrecht! Solch ein Guss! und kalt scheint es plötzlich auch zu werden, die Fenster laufen ja ordentlich an!“ —

„Ach Papa! wenn wir jetzt mit der armen, kranken Tante auf der Landstrasse wären! Was sollten wir anfangen!“ — und voll warmer aufquellender Herzlichkeit streckte sie Laurit die Hand entgegen und sagte mit der weichen, süssen Kinderstimme so herzbewegend, wie er noch nie etwas vernommen: „Ach, wie danke ich Ihnen so tausendmal, Herr Stormy, dass Sie uns hier aufgenommen! Wieviel Angst und Schrecken haben Sie uns dadurch erspart!“

„Ja wir danken Ihnen! wir stehen tief, tief in Ihrer Schuld!“ nickte auch der Oberst sehr bewegt.

Laurit hielt die kleine, weiche Hand einen Augenblick fest in der seinen. „Ich habe zu danken!“ antwortete er schlicht, „Sie ahnen nicht, welch ein hohes Lied der Freude der Sturm da draussen für mich singt!“ —

„Herr Leutnant!“

„Was gibt’s, Wilhelm?“

„Der Herr Inspektor lassen bitten!“

„Sie gestatten, dass er näher tritt, meine Herrschaften?“

„Aber selbstverständlich!“

„Was gibt’s, Verehrtester? Das kühle Nass kommt Ihnen wohl auch etwas reichlich?“ —

„Für uns nicht, Herr Leutnant!“ Der Inspektor trat mit höflicher Verbeugung näher: „Aber in Germsraden sieht es schrecklich aus! Volkmar telephoniert eben an, dass ein Wolkenbruch dort niedergeht! Der Blitz hat auch dreimal gezündet!“

„Grundgütiger! Wollen sie Hilfe?“

„Direkt wohl nicht; sie wissen, dass wir unsere Spritze jetzt auch nicht entbehren können, solange das Wetter noch über uns steht! Und wie sollten wir bei Neuland durch das Hochwasser?“

„Neuland? Sind wir nicht heute Morgen über Neuland gekommen?“ fragte der Oberst.

„Ganz recht! Sie fuhren irrtümlicherweise die Chaussee geradeaus hierher, anstatt von Neuland linksum abzuzweigen!“

„Und Sie sagen, dort sei ein Wolkenbruch niedergegangen?“ Herr Velan machte ein sehr betroffenes Gesicht: „Das sind ja aber schreckliche Aussichten für unsre Heimfahrt! Die Landstrasse wird durch das Wasser nicht gerade glatter und für Autoräder zuträglicher!“

„Das wohl sicher nicht, Herr Oberst! Aber darüber wollen wir uns keine Sorge machen, sondern uns von ganzem Herzen Ihres Notquartiers in Helmsdorf freuen!“

Warum sah Laurit bei diesen Worten das junge Mädchen mit einem so schnellen, leuchtenden Blick an?

Hanna fühlte, dass ihr das Blut in die Wangen stieg.

Ein Blitz fuhr zischend hernieder, ein fast betäubender Donnerschlag folgte.

Velan legte unwillkürlich den Arm um seine Tochter und zog sie fest an seine Brust. Auch Stormy war jählings einen Schritt vorgetreten, als wolle er die Arme schützend um die junge Dame breiten.

„Es ist wohl besser, wir treten in die grosse Flurhalle hinaus, wo wir jeden Augenblick auf die überdachte Auffahrt ins Freie gelangen können!“ sagte er mit gepresster Stimme.

„Ja, ja — und Cattenstedts müssen unter allen Umständen zu uns herunterkommen!“ rief der Oberst, hastig mit Hanna dem voranschreitenden Hausherrn folgend.

Velan stürmte die Treppe hinauf nach dem Fremdenzimmer, auf den obersten Stufen kam ihnen bereits das Ehepaar entgegen.

Laurit stand neben Hanna.

Mit grossen, ängstlichen Augen schaute sie in der Halle umher, unwillkürlich faltete sie die Hände.

„Ach wenn nur diesem schönen, alten Haus kein Unheil geschieht!“ sagte sie leise.

„Gefällt es Ihnen denn, Fräulein Hanna?“

Wie Jubel klang es durch seine Stimme.

Die Antwort lag nur in einem stummen, freundlichen Nicken, denn schon rief Tante Klara von der Treppe herab nach ihr, und das junge Mädchen eilte ihr entgegen, die nervös weinende Frau zärtlich tröstend in den Arm zu nehmen. „Wenn es der Donnerblitz etwa auf uns gemünzt hatte und dachte, wir sässen noch auf freiem Felde im Auto drinn, dann ist er aber mächtig abgepritscht!“ schmunzelte der Kommerzienrat voll unverwüstlichen Humors. „Noch hat uns Stormy nicht bei der Helmsdorfer Polizei angemeldet, und ohne diese Kontrolle findet selbst Jupiter Donnergott keine Autler mehr heraus!“

Der Inspektor stimmte in das leise Lachen ein. „Nun ist’s über uns weg!“ sagte er. „Der Sturm fegt die Wolken beinah oben so schnell, als ob er in einem Kraftwagen hinter ihnen her hetzte! — Auch der Regen lässt etwas nach! Ich glaube, die gnädige Frau braucht sich nicht mehr zu fürchten, die Gefahr ist jetzt vorüber!“

Wirklich liessen Sturm, Blitz und Donner bald nach, und als der Oberst die grossen Flügeltüren öffnete, strömte eine wundervoll frische, duftende Luft in die Halle ein.

„Ah! jetzt atmet es sich gut!“ sagte er. „Nun wird es dir auch bald besser werden, Klärchen! Aber die Landstrasse? Ich fürchte, auf der kann man fürerst noch Lachse angeln!!“

„Haben die Herrschaften das nötigste Reisegepäck bei sich?“ fragte Stormy schnell. „Ich sah einen so viel verheissenden Koffer auf der Gepäckrafft!“

„O Sie ahnungsloser Engel! Mit zwei Damen über Land fahren und kein Gepäck? — In dem Riesenkolli, das Sie für eine Pneuschachtel hielten, befindet sich die Hälfte eines Damenhuts!!“

„Aber Onkel Rudolf!!“

„Das sagt alles!“ scherzte Stormy. „Also bitte, mein lieber Inspektor, setzen Sie sich einmal mit dem Chauffeur in Verbindung und lassen Sie alles Gepäck in die Logierzimmer bringen!“

„Sehr wohl, Herr Leutnant!“

„Aber Stormy! — Verehrtester! Wollen Sie sich durch solchen Leichtsinn an den Bettelstab bringen? Fünf Mann und 45 Pferde!!“

„PS!“

„O, es ist ja so sehr gütig von Ihnen ... aber noch die Nacht bleiben ...“ Tante Klara wischte die letzten Tränen aus den Augen. „Es wäre doch gar zu unbescheiden!“

„Von mir? — Dann bitte ich sehr um Vergebung, aber dem Gutsherrn von Helmsdorf liegt das alte Piratentum noch zu sehr im Blut! Auch ich bin Seeräuber und erkläre die Herrschaften hiermit feierlichst zu meinen Gefangenen, bis die Chaussee von hier nach Germsraden genau so tadellos fahrbar ist wie heute morgen!“

Wieder traf sein Blick das junge Mädchen, und diesmal blitzte es darin wie lauter Schalk und Übermut.

Das Wetter klärte sich nicht allsogleich auf. Ein feiner Regen rieselte noch unaufhörlich hernieder; wie graue Dunstschleier lag es über Wald und Feld, und die Bäume ragten regungslos in die stille, feuchtwarme Luft empor.

Dies war kein günstiges Wetter für Tante Märchens Migräne.

Als Donner und Blitz nachgelassen, begab sie sich sofort wieder in ihr Schlafzimmer zurück, um sich endgültig zu möglichst langer Ruhe zu Bett zu legen.

So fehlte sie auch an der kleinen Tafelrunde als die Mamsell voll Genugtuung dem jungen Gutsherrn melden liess: trotz des schrecklichen Unwetters sei das Diner pünktlich bereit.

Es war früh dämmrig geworden.

Die Regenwolken hingen tief herab und kürzten den Tag, und vor den Fenstern des sehr grossen, saalartigen Speisezimmers flochten Glizinien, Pfeifenkraut und Kletterrosen so dichte Kulissen, dass es notwendig wurde, die Lichter zum Essen anzustecken. Laurit sass neben Hanna, und Wilhelm, der Diener, erzählte in der Küche: „so gesprächig und vergnügt und schier aufgeregt vor Liebenswürdigkeit hätte er den Herrn Leutnant noch nie zuvor gesehn! — Das junge Fräulein sei ja aber auch der reine Engel, und wenn sie schon eine ältere Bekanntschaft von ihm wäre, würde er den Kopf verwetten, dass die beiden einig seien!“

„Na, was nicht ist, kann ja noch werden!“ — nickte die Mamsell wohlbehäbig, goss die zischende braune Butter zu dem Hecht aus der Pfanne und reichte sie der Stütze: „Es sollte mir ganz recht sein, Mine!“

Stormy schenkte seiner Nachbarin ein Glas Rotwein ein, und Hanna blickte lachend auf seine Hand.

„Sie tragen ja noch den Ring der Roggenmuhme am Finger! Absichtlich, oder geriet er in Vergessenheit während all der Schrecken der letzten Stunden?“

„In Vergessenheit? Wie wäre das möglich!“ schüttelte der junge Mann mit fast feierlichem Ausdruck den Kopf. „Solch ein Ring ist ein Talisman, mein gnädiges Fräulein, — erstens, weil er gefunden ward, zweitens, weil er einen Treuering repräsentiert, und drittens, weil er mir quasi als Symbol von der Roggenmuhme überreicht ward!“

„So wollen Sie ihn nun dauernd tragen?“ —

Wieder lächelte er so seltsam: „O nein! Nur so lange, bis ich einen noch viel bessern Ersatz dafür gefunden! — An dem Tag, wo dieser Finger einen glatten Goldreifen mit den Initialen des liebreizendsten aller jungen Mädchen angesteckt bekommt, sende ich diesen Ehering der Marie Johanne an ihren Sohn nach Amerika und bin überzeugt, dass dem Millionär Harms nie ein erfreulicheres und kostbareres Geschenk gemacht werden kann als wie dieses dünne Silberreifchen!“

Der Kommerzienrat und der Oberst hatten gerade sehr eifrig über die Kilometerzahl der morgen zu unternehmenden Rückfahrt disputiert, als Onkel Rudolf das Wort Millionär fallen hörte. Er horchte auf, steckte sich die Serviette noch fester hinter die Krawatte und sass breit und behaglich vor seinem hochgefüllten Teller.

„So ist’s recht, Stormy! zu solch guten Happen gehört eine passende Unterhaltung! Sehen Sie, ich bin ein komischer Kerl, ich fasse das Leben im allgemeinen und das Essen im speziellen als Kunst auf! Alles muss harmonieren, wenn es das sein soll, was es bezweckt, nämlich erfreulich und bekömmlich! — Eine gute Schüssel auf einem unordentlich und lieblos gedeckten Tisch kann mir niemals munden, und enthielte sie die grössten Delikatessen! Und wenn mein Leibgericht auf den Tisch kommt, und eine tränenselige Nachbarin erzählt mir dazu eine ausführliche Krankheitsgeschichte, so schmeckt mir das Essen nicht, und wenn ich ein Glas Sekt an den Mund setze und mein Gegenüber jammert mir dabei über soziales Elend vor, dass da oder dort eine arme Witwe mit sieben kleinen Kindern verhungert ist, so verliert selbst der beste Tropfen den Wohlgeschmack für mich. Alles zu seiner Zeit! Die Leute sollen mit ihrem Klingelbeutel in mein Bureau kommen und mir die dazu nötigen Leidensgeschichten und sonstigen Unglücke erzählen, sie gehen niemals mit leeren Händen weg! Aber bei Tisch — da will ich meine Ruhe und mein Behagen haben! — Jede Blume und jeder gute Witz beim Essen verlängert uns modernen Nervenmenschen das Leben, weil es den Frohsinn fördert und nur dieser allein das wahre Lebenselixier ist! Also von einem Millionär erzählten Sie eben! Das klingt erfreulich und verheissungsvoll. Hat so ein amerikanischer Goldonkel vielleicht ein neues Gericht entdeckt, oder hat sein Leben sonst Stoff zum Lachen gegeben?“

„Nichts von beiden, Herr Kommerzienrat, aber doch dürfte die Geschichte des Harms Klüssen, von dem dieser Ring stammt, in Ihre ebenso richtigen wie nachahmenswerten Theorien passen! Wenn es Sie nicht langweilt, erzähle ich.“

„Stormy, Sie sind ein netter Mensch und gefallen mir von Minute zu Minute besser! Ich habe eine Leidenschaft für Menschen, die lange, fidele Geschichten erzählen, während ich Fisch esse! Aber die Pointen nicht so plötzlich, damit ich mich mit den Gräten danach einrichten kann!“

Allgemeines Gelächter, — dann erzählte Laurit voll liebenswürdiger Lebhaftigkeit das seltsame Abenteuer des Harms Klüssen mit der Roggenmuhme, und während Onkel Rudolf mit immer vollern Backen kaute und nur voll passiven Interesses den Sprecher mit hellen Äuglein anblinzelte, liess Hanna die Hand sinken und lauschte atemlos der wunderlichen Mär.

„O wie unbegreiflich ist dieses Erlebnis!“ sagte sie leise. „Von einer leibhaftigen Roggenmuhme habe ich nie zuvor gehört, und wenn der verheissungsvolle Brief und der Dollarregen nicht tatsächlich eingetroffen wäre, so würde ich auch glauben, dass die Erscheinung der schönen Huldin nur auf einem Traum beruhte. Nun aber begreife ich, dass auch Sie mich zuerst für den Spuk hielten!“

„Was der Tausend! die Hanne hat Sie wohl nicht schlecht verblüfft, Stormy! Na, mit dem Autoschleier und den Mohnblumen sah sie auch der Originalroggenmuhme verteufelt ähnlich. Was hieltest du denn als Schicksalssymbol für dein Opfer empor? Sicher den Zettel für die drohende Einquartierung!“

Hanna ward plötzlich dunkelrot, Laurit aber sagte mit viel Betonung: „Ja, ich hielt Ihr Fräulein Tochter für die reizende Fee, deren Begegnung ich mir begreiflicherweise schon lange wünschte.“

„O, welche Enttäuschung, als sich der Irrtum so sehr prosaisch durch die Autlerin aufklärte!“

„Durchaus nicht, ich war weder dort noch jetzt im mindesten enttäuscht, denn ich bin überzeugt, dass die holde Hüterin der Felder persönlich an dem heutigen Tage nicht abkömmlich war und darum das ihr am ähnlichsten sehende Menschenkind zur Vertretung schickte! — Nun ist es auch Ehrensache der Roggenmuhme, dafür zu sorgen, dass sich das Glückssymbol an mir ebenso erfülle, wie ehemals an Harms Klüssen!

„Und welch ein Symbol war es?“

Laurit umging die Frage und hob das Glas.

„Wohl dasjenige des grössten Glückes, das es für einen einsamen Menschen geben kann!“ lachte er mit strahlenden Augen: „lassen Sie uns darauf anstossen, meine Herrschaften, dass es auch bei mir zur Wahrheit werden möchte! Die Roggenmuhme, welcher ich die Freude verdanke, so sehr willkommene Gäste in Helmsdorf begrüssen zu können, sie soll leben: hoch! hoch! hoch!“

Ein sehr heiteres, scherzendes Hin und Her, die Gläser klangen melodisch zusammen, und wieder trafen sich die Blicke.

Nein, Laurit verriet es nicht, welch einen Talisman er als Angebinde der holdesten Schicksalsgöttin am Finger trug, es genügte ja, dass sie selber es wusste und es vielleicht schon jetzt ahnte, dass nicht nur für ihn, sondern auch für sie der Trauring der Marie Johanne zum Symbol höchsten Glückes werden sollte!

Die Tür öffnete sich, Wilhelm schritt sehr hastig durch den Saal und trat hinter den Stuhl seines Herrn.

„Herr Leutnant, es sind mir Nachrichten antelephoniert!“

„Mensch! Sie sehen ja ganz verfärbt aus! was ist los?!“ rief der Oberst erregt.

„Die Brücke bei Neuland ist von dem Wolkenbruch weggerissen!“

„Um alles in der Welt! —“

„Bei Neuland? die Chausseebrücke?“

„Sehr wohl, Herr Oberst!“

„Die einzige Verbindung zwischen hier und Germsraden?!“

Der Diener zuckte die Achseln: „Wir werden wohl für eine Weile hier abgeschnitten sein, Herr Oberst! —“

„Heiliges Linksschwenkt und alle neun Millionen Schock-Hagelelement!“

Laurit hatte atemlos gelauscht, dann blickte er wieder in Hannas Augen, und nein! gewiss, er täuschte sich nicht, bei allem Schreck leuchtete es doch in denselben auf wie eine tiefinnige, heimliche Freude!

Sie bleibt gern in Helmsdorf! Sie fühlt sich durch dieses Zusammensein ebenso beglückt wie er!

„Diese Botschaft ist ja die beste, die du bringen kannst, Wilhelm!“ rief er mit beinah jubelndem Klang in der Stimme. „Meine Herrschaften, ich bin egoistisch genug, der Brücke auch nicht eine einzige Träne nachzuweinen! ‚Wat dem Enen sin Ul is — is dem Annern sin Nachtigall!‘ sagt man hierzulande, und darum wollen wir die Nachtigall sogleich mit einer neuen Flasche feiern! — Wilhelm, — frischen Sekt in den Kübel!“

Der Oberst zwirbelte unruhig den Schnurrbart.

„Sie sind die Güte selber, verehrtester Herr Stormy! aber ... aber ... führen denn effektiv keine andern Wege mehr nach Germsraden?“

„Sandwege! verkörperte Autofeinde!“

„So ein infames Pech!! —“

„Aber ich bitte Sie, Herr Oberst, seien Sie nicht so aufrichtig!! —“

Fröhliches Gelächter.

Der Kommerzienrat hatte sich bislang noch nicht hören lassen. Jetzt wischte er sich mit der Serviette den Mund und rezitirte mit dem vergnüglichen Gesicht eines wohlgesättigten Menschen: ‚Herr Cattenstedt bei Tische sass, — der hat kein Wort gesprochen‘, — ganz so wie der König Karl, liebe Kinder, der regte sich auch nicht ohne Not auf. Also die Brücke ist abgerissen? Was für ein Dusel, dass wir nicht gerade mit dem Auto drauf sassen! Ich sage es ja immer, so ein Schnauferl hat Menschenverstand, — bringt sich und uns beizeiten in Sicherheit; grossartig, was? — Und Sandwege gibt’s noch von hier nach den Delikatessläden von Germsraden? Na, was regst du dich denn so cholerisch auf, lieber Schwager? — Der Schinken mit den jungen Böhnchen war tadellos, — der Hecht geradezu ein petersiliegarniertes Gedicht — und die junge Pute, die da gerade hereinmarschiert, sieht schon von aussen aus, als könne man sie selbst mit einer Schwiegermutter in Frieden essen! Der mehr wie gute Tropfen fehlt auch nicht, — also warum ringst du die Hände? Mir gefällt es ausgezeichnet hier, und solange wie Hecht und Pute noch Nachkommen auf Helmsdorf haben, bleibe ich. — Du auch, Hannchen, was? Siehst mir gerade so fidel aus, als ob es dir auch Ia geschmeckt hätte?!“ —

„Aber selbstredend, Onkelchen!“

„Herr Kommerzienrat — lassen Sie sich umarmen —!“

Na man los, Stormychen! nur nicht auf den Magen drücken ... sonst mag ich das riesig gern, wenn die Jugend mich lieb drückt, besonders die hübschen Mädels!

„Hm ... hm ... die Gattin hört’s nicht! da hat er immer Mut!“

„Arme Tante Kläre!“ —

„Ich glaube, Kinder, der Tante Kläre ist es am liebsten, wenn sie noch ein paar Tage in „einer Kammer kühl und donkel —

„ohne Onkel“ —

Ganz recht, — über die Bekömmlichkeit einer Autotour in der Mittagssonne auf schattenloser Landstrasse mit darauffolgendem Gewitter nachdenken kann!“

„Sicher!“

Der Kommerzienrat schaute mit verliebtem Blick auf die köstlich duftende Pute, die Wilhelm mit etwas bebender Hand — er rang nach der vorschriftsmässigen Herrschaft über seine Lachmuskeln — servierte.

„Ja, ich bin überzeugt, von heute an schwärmt meine geliebte Klara für Autofahrten, denn hätte sie in der Eisenbahn gesessen — wo hätte sie ihre Migräne hernehmen und nicht stehlen sollen? — Also an die Gläser! Haben Sie eben Ihre Roggencousine leben lassen, so fordere ich jetzt ein Hurra für meinen alten Freund Billeken und alle ihm untertänigen Automobile! — Hoch! Hoch! Hoch!“

Wie lange hatte der stille, alte Speisesaal kein so fröhliches Plaudern und Lachen mehr gehört! Weil es immer noch etwas regnete und die Wege zu grundlos waren, um eine Promenade unternehmen zu können, so sass man nach Tisch in der überdeckten Veranda, die nach der Hitze des Tages einen wahrhaft idealen Aufenthalt bot.

Aus dem Park quollen köstliche Duftwogen herüber, Nachtschmetterlinge schwirrten um die Lichter, und von dem nahen Schwanenteich klang ein Froschkonzert im Verein mit dem Gezirp der Grillen, wie es Stadtmenschen nur selten in den grossen Sommerferien auf dem Lande zu hören bekommen.

Onkel Rudolf lag sehr behaglich in dem bequemen Korbsessel, schmauchte eine gute Zigarre und lauschte dem muntern Geplauder seiner Nichte, die verschiedene drollige Reiseabenteuer zum Besten gab.

„Wisst Ihr was, Kinder?“ nickte er endlich und paffte ein paar mächtige Wolken, „meinethalben kann die Brücke bei Germsraden nun auch noch der Teufel holen! — Ich finde es einfach tip-top im Helmsdorfer Notquartier!“

Die Roggenmuhme

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