Читать книгу Jedem das Seine - Band I - Nataly von Eschstruth - Страница 4

II.

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Aus dem deutschen Konsulat in der Rue Sakis Agatsch in Konstantinopel tritt ein junger Herr in einfachem, aber sehr schickem und kleidsamem Reiseanzug und wendet sich voll Behaglichkeit der Grande rue de Péra zu.

Man sieht ihm auch ohne grosse Menschenkenntnis schon auf zehn Schritt weit den Deutschen und zwar den deutschen Offizier an.

Sehr gross, schlank und dennoch kraftvoll, die Haltung straff und militärisch, schreitet er leicht und elegant über das Pflaster.

Der Hut beschattet ein regelmässig schönes, noch recht junges, blühendfrisches Gesicht, über dessen Lippe sich ein kleines, goldblondes Bärtchen keck und siegesfreudig kräuselt!

Grosse Blauaugen, auffallend strahlend in lachender Lebenslust, blitzen jeden Vorübergehenden an, als wolle ihm ihr Besitzer voll naiver Freude zurufen: „Sieh’ doch, wie froh und glücklich ich bin! Die ganze Welt möchte ich an meine jauchzende Brust drücken, — die Millionen umschlingen! So vergnügt wie ich kann kaum ein zweiter Mensch auf Erden sein! Kommt, freut euch mit mir!“ —

Wohl folgte manch wohlgefälliger Blick der sympathischen Gestalt, aber zum „Mitfreuen, Schwärmen und Geniessen“ schien niemand recht Zeit zu haben, bis vor dem „Tokatliau“ ein hastig vorübereilender junger Herr plötzlich stutzte, sich umsah, zögernd kehrt machte, und noch einmal, ihn scharf musternd, an dem Fremden vorüberschritt.

Und dann ein leiser Laut freudiger Gewissheit und schnell trat er ihm in den Weg.

„Marken! du musst es sein!“ klang es voll ehrlicher Freude zu dem blonden Reisenden empor, „du selber, Mortimer, oder dein Geist!“

Beide Hände streckte er dem Genannten entgegen, und Leutnant von der Marken stiess einen gedämpften Laut höchster Überraschung aus und sagte: „Schlüchtern, wenn ich nicht wüsste, dass du in Bremen auf dem Kontorstuhl sässest ...“

Der andere lachte laut auf: „Bei Gott, er kennt mich noch! Mortimer, alter Junge, das nenne ich ein treues Gedächtnis! Wenn man mit solch braver, ehrlicher Haut fünf Jahre lang die Schulbank gedrückt hat —“

„Bis du auf die Ritterakademie kamst —“

„Gott hab’ sie selig! und als die herrlichen Sonntage, die ich auf deinem elterlichen Gut verlebte, ein Ende hatten —“

„Himmel ja! ’s ist wie ein Traum, plötzlich hier auf der Grande rue de Péra an all das ferne Teuere erinnert zu werden!“

„Richtig! man kommt vor lauter Worten gar nicht zum Fragen! Marken ... alter Junge, welch ein guter Wind hat dich denn plötzlich hierher nach dem Orient geblasen?“ —

„Wenn ich das noch fragte! dich, den angehenden Agrarier, den der kluge Papa zum Kaufmann machen wollte!“

„Sollst du alles erfahren! Beichte auf Gegenseitigkeit! Aber hier auf offener Strasse? Undenkbar!“ — und Hans Schlüchtern schob den Arm in denjenigen des Schulfreundes und schritt mit ihm weiter: „Was hast du vor? — Eiliges? Unaufschiebbares?“

„Nein! nicht das mindeste!“

„Bon! So schlage ich vor — weil deutsche Art sich doch nie verleugnet, wir setzen uns gemütlich in die ‚Strassburger Bierhalle‘ gegenüber der russischen Botschaft und ...“

„Mensch! — nie!“ —

„Nie?“ —

„Wenn ich auf Reisen bin, schüttele ich alles Deutschtum von mir ab.“

„Und schämst dich nicht, so einen Landesverrat fröhlich lachend einzugestehn?“

„I wie werde ich denn! Sieh mal, Bier trinken und in Münchener oder süddeutschen Brauhäusern sitzen kann ich daheim alle Tage; wenn ich aber nach Konstantinopel reise, dann will ich etwas ganz anderes hören und sehen, etwas Fremdes, Aussergewöhnliches, Orientalisches ...“

„Aha, ich verstehe und bitte um Verzeihung. Sieh, dort liegt die Konditorei von Themistokles und Aslanides, das Rendezvous der reizendsten und sehenswertesten Levantinerinnen; wie wäre es damit?“

„Ohne Debatte genehmigt!“

„Zwar ist die Stunde nicht günstig, wir werden gerade jetzt etwas einsam sein, denn noch beginnt der Korso in der Grande rue de Péra nicht —“

„So lass uns warten! Ich wollte eigentlich nach dem Galataturm hinaufklettern und in Rundblicken schwelgen, denn törichterweise bin ich mit der Eisenbahn anstatt mit dem Dampfschiff angekommen ...“

„Marken! wie ist’s möglich?“

„Das frag’ meinen Oberst, der den Urlaub so knapp bemessen hat, dass man mit jeder Minute geizen muss!“ —

„Nun, dann darfst du auf keinen Fall schon jetzt den Turm besteigen! Lass uns bis Sonnenuntergang warten! Wenn es dir recht ist, begleite ich dich und freue mich schon jetzt auf den Eindruck, den das berückendste aller Panoramen auf dich machen wird!“

„D’accord!“ Mortimer drückte dem Freund herzlich die Hand: „Also verzichte ich lieber auf die interessante Gesellschaft in der Konditorei und freue mich vielmehr der Ungeniertheit, mit dir plaudern zu können! — Wie lange ist’s her, Hans, dass wir zum letztenmal nebeneinander sassen und unsere Herzen ausschütteten. Damals spannte sich der blasse deutsche Sommerhimmel über uns aus, jetzt funkelt es so heiss und golden am tiefblauen Firmament, und die üppigen Oleander streuen uns ihre Blütenblätter in den Sorbet!“ —

„Und doch ist eins so schön wie das andere, jedes zu seiner Zeit! — Nimm Platz, alter Junge! und da du ja orientalische Getränke kennen lernen willst und das kühle, schäumende Bier verschmähst, so schlage ich dir vor, zwischen einer ‚Helva‘ und einem ‚Gülatsch‘ zu wählen —“

„Goulasch ... trinken?!“ entsetzte sich Marken.

Schlüchtern lachte: „Nein, mit Paprika will ich dich bei dieser Temperatur verschonen! Gülatsch ist ein feiner Aufguss von Stärke und Rosenwasser, während Helva noch mehr Nationalgetränk darstellt, eine sehr beliebte Mischung von Maulbeersaft, Most, Sesam und Fett!“

„Pfui Deiwel!“ hätte Mortimer beinah ganz entsetzt gesagt, aber er besann sich noch rechtzeitig, dass in Tausend und einer Nacht solche wundersamen Säftlein mit Entzücken geschlürft werden, und sagte nur eifrig: „Famos! machen wir! All so etwas muss der Mensch kosten und kennen lernen!“

Nun sassen sie, in der Tat ziemlich einsam und ungestört, zusammen, schauten auf das bunte, wechselreiche Leben von Pera hinaus und tauschten die Erinnerungen aus bis zu der Stunde, welche sie so überraschend hier zusammengeführt hatte.

Hans Schlüchtern weilte bereits seit einem halben Jahr in Konstantinopel, oder besser gesagt Skutari, woselbst er in einem grossen Handelshause tätig war, seine kaufmännischen Kenntnisse zu erweitern. Er erzählte, dass der Vater viel Not und Last mit dem heimatlichen Gut habe, das, seiner Meinung nach, seinem Sohn eine sichere Existenz nicht mehr gewähren konnte.

Missernten, schlechte Leuteverhältnisse und bauliche Änderungen hätten in den letzten Jahren so viel Kosten und Aufregungen verursacht, dass der alte Oberamtmann lieber heute als morgen verkaufen möchte, was für Hans ein sehr trauriger und schmerzlicher Gedanke sei! Wenn er als Kaufmann Glück habe und die Pläne, welche er hege, verwirklichen könne, so hoffe er, so viel zu erwerben, um die geliebte alte Heimat einmal für seine Kinder erhalten zu können! — — Und er entwickelte dem sehr interessiert lauschenden Offizier die in der Tat recht grossen Chancen, welche ein Kaufmann heutzutage habe, wenn er mit etwas Kapital all die neuen, zukunftsreichen Errungenschaften des deutschen Vaterlandes ausnutzen könne!

Dann aber unterbrach er sich, legte die Hand auf den Arm des Freundes und sagte: „Ich bin sehr weitschweifig geworden und habe dir während der ganzen langen Zeit nur von mir, meiner Vergangenheit und meinen Zukunftsträumen erzählt, — nun bist du an der Reihe, dein Tagebuch zu erzählen. Aber nicht hier! Es wird Zeit, dass wir gehen, wenn wir in aller Behaglichkeit den Galataturm ersteigen wollen. Dort rastet es sich besser als hier! Ich glaube nicht, dass du dich bald von den zauberischen Bildern, welche sich dort dem Auge bieten, trennen wirst, — also haben wir die herrlichste Gelegenheit, zwischen Himmel und Erde unseren Gedanken freien Lauf zu lassen!“

Und sie wanderten Arm in Arm auf abschüssiger Bahn und sehr schlechtem Pflaster vorüber an dem Kloster Tekke der tanzenden Derwische und dem Hause des deutschen Klubs Teutonia nach dem grossartigen Bau des Galataturmes, welcher in massiver Rundung, mächtig und trutzig, wie ein ragendes Bollwerk, über die niedrigen, engen Häuser emporsteigt.

Einen Augenblick stand Mortimer und starrte, sich die Stirn trocknend, an dem Riesen empor.

Er war enttäuscht.

Sowohl der dicke, farblose Turm, auf welchem hoch droben als einzige heitere Augenweide eine Fahne in den türkischen Farben flatterte, wie das ganze armselige Stadtviertel hatten nichts, so gar nichts von all dem an sich, was sich seine Phantasie seit langen Jahren in glühender Schönheit ausgemalt. Dies war wohl orientalische Eigenart, aber durchaus kein Zauber aus Tausend und einer Nacht! Das schmutzige Strassenpflaster wusste nichts von sich wiegenden Palmen und glutrot leuchtender Rosenpracht, hier duftete es nicht nach Narden und Weihrauch und keine seidenrauschenden Vorhänge verhüllten hinter den unsaubern engen Fenstern und Gitterchen eine Lakmeh, um derentwillen man zehn Leben freudig in die Schanze schlägt.

Er seufzte ganz unmerklich auf und stieg resigniert die 140 Stufen im Innern des Turmes empor, welche zu einem weiten, hallenartigen Gemach führen, woselbst einige Feuerwärter sich müde und gelangweilt die Zeit vertrieben.

Zweie liessen schleunigst ein paar Würfel in dem breiten Schalgurt verschwinden und musterten voll gleichgültiger Ruhe die Fremden, ohne eine Spur von Sympathie, aber auch ohne eine unduldsame oder unfreundliche Miene.

Der Dritte schaute überhaupt nicht auf, sondern las andächtig in dem Koran, welcher aufgeschlagen auf seinen Knien lag.

Schlüchtern schritt grüssend vorüber und führte den Freund zu einer Wendeltreppe, welche abermals zu einem Saal führte, dessen Wände wohl durch mehr als ein Dutzend grosser Fenster unterbrochen wurden.

Schlüchtern trat hastig neben Mortimer und legte ihm scherzend die Hand über die Augen.

„Halt, mein lieber Junge! Jetzt spielen wir Blindekuh, bis ich dich freigebe! Wir sind gerade im rechten Augenblick gekommen, und du wirst deinen Glauben an die Wunder des Südens, welchen du in den kleinen Gassen drunten zu verlieren schienst, schnell wiedergewinnen!“

Während des Sprechens hatte er Marken langsam vorwärts an eines der Bogenfenster geführt; ein köstlich frischer Lufthauch wehte ihnen entgegen und der junge Kaufmann zog lächelnd die Hand von den Augen des deutschen Offiziers und rief mit heiterem Pathos: „Sieh Byzanz und stirb nicht, sondern lebe weiter!“ — Und Mortimer schaute einen Augenblick sprachlos, wie geblendet, auf den schönsten aller Rundblicke, welcher jemals einem Menschenauge geboten werden kann.

Ja, sie waren just im rechten Moment gekommen!

Wie ein glühender Feuerball sank die Sonne.

Ströme wallenden Purpurs fluteten durch die kristallklare Luft, welche in tiefblauer Unendlichkeit Meer und Welt umrahmte.

Das war ein Funkeln und Blenden, ein Glühen und Blitzen, als ob Riesenhände alle Edelsteine der Welt um die Gestade des Bosporus aufgehäuft hätten, — eine Farbenpracht, so satt, so üppig, so verschwenderisch ausgegossen wie die Phantasie eines Fiebertraumes, lag über Stadt und Flut, über der demantzitternden, spiegelnden Flut des goldenen Horns, welche dort im Süden von der neuen Brücke überspannt wird!

Hinter ihr grüsst Stambul, das sagenreiche, verzauberte, mit seiner Agia Sophia, neben ihr steigt wie ein Luftgebilde die Irenenkirche, die Achmediek und die hohe Pforte und näher hin gegen das wogende, azurblaue Wasser die Valide Dschami empor.

Und dort im Westen!

Da brennen lodernde Fackeln auf einer Kuppel — da steigen blitzende Sonnen auf, da glühen Riesenaugen wie Rubine! ... Es ist die Moschee Osmans ... die Bajazids ... und fernhin, gleich einer Fata Morgana aus blaugrünen Schatten steigend, das Schloss mit den sieben Türmen!

Und dort ... wieder ein Funkenregen und Geflimmer wie daheim bei einem Feuerwerk, — die Moschee Mohammeds des Zweiten und die Selims neben dem Balat!

Mortimer hört kaum die Namen, welche der Freund ihm nennt, — sprachlos, wie trunken vor Entzücken, starrt er auf das Panorama nieder, welches, in alle Märchenpracht voll Licht und Glanz getaucht, zu ihm emporfunkelt.

Er unterscheidet nicht die Einzelheiten, er sieht nur das Ganze, er sieht nur das bunte Gewoge von Galata, Ohmeidan und Hasskiöi, er sieht weithin über die zauberische Flut des Marmarameeres, er sieht die geheimnisvollen Parks und Lustgärten am Gestade des Bosporus .. er sieht Fyndykly, Dolmabagtsche und das malerische Skutari ... sein Blick schweift hinüber zu der asiatischen Küste, wo der weisse Marmorpalast Bejlerbej aus dunklen Lorbeeren, Zypressen und Myrtenhainen herüberglänzt, wie jenes zauberhafte Schloss aus seinem Märchenbuch, in welchem die stolze, spottende, allerschönste Prinzessin neben den plätschernden Springbrunnen ruht und ihm mit grausamen, erbarmungslosen Augen zuflüstert: „Ich bin nicht Lakmeh, die liebeskranke Taube! und ich werde leben, weil ich dich nicht liebe!“ —

Ja, dies ist Konstantinopel!

Dies ist das Land seiner Träume und seiner Sehnsucht! —

Mortimer atmet so schwer und verharrt so schweigend, dass Schlüchtern endlich lachend seinen Arm schüttelt!

„Mensch, schläfst du?!“ —

Da streicht Marken langsam über die engen. „Nein, ich schlafe nicht — ich träume dennoch die schönsten Träume!“

„Das ist für mich etwas langweilig, und darum sei nicht böse, wenn ich deine Nerven wachrüttle! Sieh mal hier, die Feuerwächter sind liebe Kerls! sie sehen es dir blauäugigem und blondlockigem Schwärmer schon an, dass du sicher den Mondschein noch hier droben abwarten willst, und da bieten sie uns Kaffee und Tabak an! Gestatte, dass ich dir serviere! Du kannst ohne Bedenken zulangen! Beides ist gut und echt! — Und nun wollen wir es uns behaglich machen und warten, bis dieses Bild so schön und magisch wird, dass du zum Dichter ausartest!! — Der Sonnenglanz ist mir, ehrlich gestanden, zu grell!“

„Zu grell?!“

„Ja, wenn man den ganzen Tag über die Augen müde geschrieben hat, sind sie gegen diese allzu bunte und blendende Schönheit empfindlich geworden. Das Tageslicht hat fraglos auch seine Vorteile und man muss den Orient auch darin kennen lernen! Aber es ist für viele Dinge zu indiskret! Es zeigt nicht nur Gold und Herrlichkeit, sondern auch viel Schmutz, Schminke und Verkommenheit! Der silberne Mond ist vorteilhafter und verschwiegener. Am Tag ist jede orientalische Stadt schön von aussen und hässlich von innen, — nachts ist sie überall schön. Es gibt nichts Feenhafteres als Konstantinopel unter klarem Sternenhimmel; wenn du nicht die dunklen, betenden Gestalten der Muezzins gegen den klaren Nachthimmel gesehen hast, wenn du nicht im Mondschein auf dem Bosporus Kahnpartien gemacht, kannst du noch nicht von dem seelenbestrickenden Zauber des Südens reden! — So; und nun Prost! ich heisse dich noch einmal mit dem Trank der Levante willkommen und erlaube mir die ebenso bescheidene wie gerechtfertigte Anfrage: „Wie kommst du hierher und was ist in der Heimat, während unserer Trennung, aus dir geworden?“ —

Mortimers sonst so übermütige Augen hingen wie in schwärmerischer Träumerei an der fremdartigen Welt zu seinen Füssen.

„Muss ich jetzt sprechen?“ —

„Selbstredend! und zwar nicht zu knapp.“

„Gut. Du warst seit jeher ein Tyrann.“

„Danke!“

„Von meinem Leben ist so gut wie nichts zu berichten —“

„Ach!!“

„Ich ging den engbegrenzten, vorschriftsmässigen Pfad, lernte, machte mein Examen, trat als Leutnant bei dem dritten Garderegiment zu Fuss in der Residenz ein und lebte dort, trotz meiner ganz anständigen Zulage, so enorm einfach und sparsam, dass meine Kameraden behaupteten, ich hätte sogar schon die Butter von meinem Speisezettel gestrichen und nährte mich von Margarine!“

„Pfui Deiwel! Und warum? Aus Geiz oder Absonderlichkeit?“ —

„Aus Idealismus!“ —

„Hört! hört!!“ —

„Ich wollte und musste sparen, Hans, um mir den glühendsten Wunsch meines Lebens erfüllen zu können ...“

„Donnerwetter! — Liebesheirat?!“ —

Marken lachte hell auf: „Vielleicht die Ouvertüre dazu! Nein, fürerst, um hierher nach Konstantinopel reisen zu können.“

„Ach! nun verstehe ich. Warum musste es aber gerade das alte Byzanz sein?“

„Weil dies zauberhafte Stückchen Erde es mir seit Kindesbeinen angetan hat, mein lieber Hans! Seinem Schicksal entgeht kein Mensch, und damit sich das meine an mir erfülle, kam ich her!“

„Dunkel ist deiner Rede Sinn, und das Rätselraten war seit jeher meine schwache Seite!“

Mortimer lächelte seltsam, halb humoristisch, halb geheimnisvoll. Er blies die blauen Wölkchen seiner duftenden Zigarette vor sich hin und schaute den Frager nicht an.

„Ich bin überzeugt, dass du mich auslachst, wenn ich die Wahrheit sage; also lass mir Zeit, mir eine Lüge auszudenken!“

„Wehe dem, der lügt! — Ich schwöre dir, dein Geständnis so tief ernst aufzufassen, als ob es sich um einen Selbstmord handle!“

„Einen solchen Abschluss setze ich nicht voraus, obwohl es auch leicht möglich ist, dass ich unter diejenige Sorte der Freiherren von der Marken rechne, welchen Konstantinopel die schwarze Kugel zurollt! Siehst du, alter Freund, diese zauberschöne Heimstätte der Romantik ist allen Trägern meines Namens seit Jahrhunderten verhängnisvoll gewesen. Da aber die Gefahr die schnelle Jugend reizt und die Abenteuerlust noch ebenso mächtig in meinem Busen lebt, wie ehemals, als ich in der Tertia die Märchen von Tausend und einer Nacht las, so liess es mir keine Ruhe; ich musste das Hazard wagen, hierher kommen und dem Schicksal den Fehdehandschuh zuwerfen. Ob es ihn aufnehmen wird und wie der Strauss für mich enden wird, ob mit Sieg und Ehren oder einer traurigen Niederlage, über welcher die Fluten des Bosporus leise Totenklage rauschen, das muss ich abwarten!“

„Marken, ist dies alles Ernst oder Scherz?“ —

„Heiliger, bitterer Ernst!“

„Willst du so unsinnig sein, etwa Liebeshändel in einem Harem zu suchen? Du ahnst nicht, welche Gefahren solch ein Abenteuer auch heute noch in dem modernen, zivilisierten Konstantinopel in sich schliesst!“

Mortimer schaute mit offenem und ehrlichem Blick in das sehr ernste Gesicht des Freundes. Seine Augen leuchteten.

„Ich werde niemals leichtsinnig oder gewissenlos ein solches suchen, bietet es sich mir aber, so gehe ich ihm auch nie und nimmermehr aus dem Wege!“ —

„Und du glaubst, dass es auf alle Fälle ein Weib sein muss, welches dein Schicksal hier bestimmt?“

„O durchaus nicht, obwohl es mir gewiss das sympathischste sein würde! Warum aber soll ich nicht vielleicht dem Sultan das Leben retten, mir seine vollste Huld und Liebe erwerben? Er adoptiert mich und macht mich zum Fürsten des goldenen Horns, welches ich sofort an die Mächte versilbern und von den Renten herrlich und in Freuden daheim leben würde!“ — Beide Herren lachten hell auf, Schlüchtern aber wiegte den Kopf und sprach: „Ich möchte dich um etwas bitten! Mache mich schon im voraus zum Adjutanten des Fürsten von Pera! Teils aus Neugierde, teils aus Amüsement und wirklicher Sorge um dich möchte ich mich an deine Sohlen heften!“

„Topp! du bist ernannt, aber nur unter der Bedingung, dass du mir niemals der schönen Suleika gegenüber zum Rivalen wirst!“

„Und warum nicht? Dies würde dem Abenteuer noch einen besonderen Reiz verleihen! Ich schiesse gut und dolche gut. — Also lang’ gequält wirst du nicht!“ —

Sie reichten sich die Hände und lachten abermals, und dann sagte Mortimer leise: „Sieh nur! sieh da unten!“ — — Violette Schleier, mit Purpur und Schwefelgelb gemischt, wogten um See und Berge, die tausend Minaretts, Kuppeln, Kioske und schlanken Türmchen sprühten noch einmal grelle Funkenperlen, dann erlosch Blitz um Blitz, die glühenden Fensterscheiben erblassten, taubengraue Schatten sanken über die Farbenglut, und langsam, bleich wie eine riesige Silberschale, stieg der Mond hinter schwarzen Zypressen empor.

Jedem das Seine - Band I

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