Читать книгу Jedem das Seine - Band I - Nataly von Eschstruth - Страница 5

III.

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Wie in einem wundersamen Rausch vergingen Mortimer die nächsten Tage.

Schlüchtern hatte sich die Nachmittage von seinen geschäftlichen Verpflichtungen frei gemacht und übernahm mit viel Genuss und aufrichtiger Freude seine amüsante Rolle als Fremdenführer.

Die schwärmerische Stimmung, welche den jungen Marken anfänglich beherrschte und ihn durchaus verändert erscheinen liess, war seinem ureigentlichen Naturell wieder gewichen, und dieses war eine sprudelnde Heiterkeit, frohe Laune und Lebenslust, welche felsenfest davon überzeugt war, dass das Schicksal — sollte es ihn tatsächlich hier in der Märchenwelt erwarten — nur das goldenste und rosigste sein könne, welches jemals einen Sterblichen zum glückseligen Mann gemacht hat.

Ein strahlendes Lächeln auf dem hübschen, frischen Gesicht, wanderte er durch alle Strassen, Gassen und Winkelchen von Konstantinopel, und manch dunkelglühendes Augenpaar lugte hinter Gitter und Teppich dem blondlockigen Fremden nach, ja, ein paarmal schien es tatsächlich, als ob eine unternehmende Schöne gar leicht zu bewegen sein würde, ein galantes Abenteuer zu bestehen, durch die schwere, eisenbeschlagene Pforte zu schlüpfen und im Arm eines jungen Helden ihren alten Jzeddin oder Ali zu vergessen.

Aber Marken schüttelte lachend den Kopf. Jenes Stückchen weisser Arm, die reizende kleine Hand, welche ihm gewinkt, oder das Augenpaar, welches ihm durch die schmale Spalte des goldgewirkten Schleiers voll flammender Jugendglut wie eine geheime Werbung entgegenblitzte, war nicht sein Verhängnis.

„Ich werde es fraglos fühlen und empfinden, wenn meine Schicksalsstunde schlägt!“ sagte er lachend zu Freund Hans, „ich denke mir, die feinen Fäden, welche die Nornen spinnen, gleichen in gewisser Beziehung einer elektrischen Klingel. Berührt sie der Finger jenes geheimnisvollen Wesens, welches bestimmt ist, in unser Leben beglückend oder vernichtend einzugreifen und unserm Dasein den Inhalt zu verleihen, so meldet sich das in unserm Herzen ebenso, als ob ein ganzer Allarmapparat von Liebesglocken in Aktion träte! — Bis jetzt hat es noch keinmal in meinem Innersten angeklingelt, also hat das Verhängnis auch noch nicht um die erwartete Audienz gebeten!“ —

Hans fand diesen Vergleich „einfach grandios!“ und bestärkte den Freund lebhaft, doch ja auf diese ominöse Visitenklingel zu warten. — Was es an Sehenswürdigkeiten in Konstantinopel gab, ward besichtigt; als Schlüchtern den jungen Offizier aber eines Abends in den Alcazar d’Amérique führte, griff derselbe ganz entrüstet nach dem Hut und erklärte: „Nein! alte, abgetakelte französische Chansonetten kann ich mir überall im Abendland auf die Nerven gehen lassen! Am Goldenen Horn aber will ich orientalische Romantik hören und sehen! Komm, es ist schade um jede Minute, welche wir hier vergeuden!“

„Gut, versuchen wir, ob wir noch einen Akt im türkischen Theater mitnehmen können, — es gibt in diesen Tagen seine letzten Vorstellungen und wird dann von dem Karagöz, einem sehr absonderlichen Puppenspiel, abgelöst, bei welchem sich der Osmane noch ebenso brillant amüsiert wie bei uns die Klippschüler! — Vielleicht amüsiert es dich auch, einmal arabische Tänzerinnen zu sehen; mein Geschmack sind sie nicht, die kleinen, dunkelfarbigen Hundevisagen können mich nicht begeistern, da ich sie zu hässlich finde! Aber der Geschmack ist ja verschieden, und wer weiss, am Ende ist es gerade das kaffeebraune Fingerchen solcher Fatime, welches die elektrische Klingel Sturm läuten lässt!“

„Wer weiss!“ zuckte Mortimer die Achseln, „der Anblick der vielen Goldstücke, welche solcher Schönen um Kopf, Hals und Ohren klimpern, hat für einen armen Leutnant etwas Faszinierendes!“

„Also avanti! Der Würfel möge rollen!“

Es war schon eine vorgerückte Stunde, und die Strassen lagen dunkel, still und ziemlich öde vor den Freunden.

Der Moslim liebt es, sich zeitig zur Ruhe zu begeben; er löscht die Lichter und verriegelt das Haus, — die Aussenwelt ist tot für ihn.

Weil aber die Nacht in dem geheimnisvollen alten Byzanz so still und dunkel ist, so sind die Geräusche, welche sie charakterisieren, desto auffälliger und unvergesslicher. Der grosse, wundervoll leuchtende Mond steht am Himmel und übergiesst Dächer, Kuppeln und Türme mit zauberischem Geisterlicht. — Wo sein Strahl nicht hintrifft, lagern die blauschwarzen Schatten desto tiefer.

Droben auf einem glatten Dach regt sich etwas.

Eine seltsame Gestalt, in weisse Tücher gehüllt, schreitet langsam wie ein Nachtwandler daher, das Angesicht gegen Osten gekehrt, die Arme wie in heissem, sehnendem Flehen zum Himmel emporgereckt.

Leise, wie in tiefer Klage, beinah’ weinerlich, klingt das monotone Gebet: — Allah illah Allah, ve Mohammed ressul Allah! —

Von fern her klingt der Ruf der Bekdschis, das Geheul der vielen herrenlosen Hunde, welche zu ganzen Rudeln die Strassen durchstreifen und voll zitternder Gier die Kothaufen durchwühlen.

Ganz vereinzelt hallt wohl aus einem Garten oder Kiosk das Gerassel der Schellentrommel oder ein Tamburin, welches ein altes asiatisches Lied begleitet, — ein Türke hat Gäste bei sich gesehen, und dieser schläfrige Gesang deutet das nahende Ende der Feier an.

Ein paar vermummte Gestalten schreiten vorüber, — die Equipage eines reichen Europäers rasselt misstönend über das Pflaster, und von dem Ankerplatz der Schiffe schrillt eine Signalpfeife herüber.

Dann ist alles wieder still, die Luft weht schwül wie aus einem Backofen von Stambul herüber, — die Myrtengebüsche duften betäubend stark, und der Himmel wölbt sich so klar und blau, so sternenbesät zu Häupten, als ob nie und nimmer eine Wolke emporsteigen könnte, den ersehnten, staublöschenden Regen zu bringen.

Aus den Türen des Theaters weht eine furchtbare Luft.

Lärm und Geschrei hallt dumpf daraus hervor, und ein paar Jungtürken stürmen mit erhitzten Gesichtern an den Ankommenden vorüber und singen und gestikulieren so lebhaft wie Betrunkene.

Ein paar Europäerinnen übelster Sorte hängen an ihren Armen.

Mortimer bleibt unwillkürlich stehen und hält Schlüchtern zurück.

„Lass uns draussen bleiben, Hans! Diese Bude scheint furchtbar zu sein, so ganz und gar nicht das, was ich hier suche!“

„Das glaube ich selber! Eine wahnsinnige Hitze und Stickluft und bereits der letzte Akt! Du versäumst nichts. Es wird schon mörderlich heiss, sogar die Nächte bringen hier kaum noch eine Erquickung! Ich will dir mal einen Vorschlag machen, alter Junge! — Konstantinopel mit all dem, was ein Tourist zu sehen bekommt, kennst du jetzt, lass uns nun mal zur Erholung ein paar Tage auf dem wonnigen Fyndykly oder den Prinzeninseln verleben —“

„Prinzeninseln? was ist das?“

„Das Schönste, was du dir denken kannst, das Buen retiro der Konstantinopler! Namentlich Prinkipo, die grösste der Inseln, ist das verkörperte Paradies! Und so ganz nach deinem Geschmack, was die Romantik anbelangt! Da klingelt es sicherlich in deinem Herzen Sturm! Ehemals waren diese Inseln die schönen Gefängnisse verbannter Prinzen und Prinzessinnen, ja, es gibt noch immer gut unterrichtete Leute an der hohen Pforte, welche behaupten, dies sei noch heutigentags der Fall! Es soll da dicht am Meeresufer eine zauberisch schöne, märchenhafte Villa orientalischen Stils liegen, welche von einem türkischen Würdenträger bewohnt wird. Derselbe lebt sehr zurückgezogen, und man munkelt, er sei eigentlich nichts anderes als ein vornehmer Gefangenwärter, denn sein Kiosk beherberge zeitweilig diejenigen Schönen, welche sich im Harem des Sultans unliebsam gemacht, welche man entweder auf kurze Zeit entfernen oder zur Strafe für immer dort in die Einsamkeit flüsternder Mandelhaine verbannen wolle! — Manche glauben an dies Gerede, viele — und darunter auch ich — lachen darüber, denn der alte Suleiman-Achmed-Bei ist ein reicher Mann, welcher sich selber die schönsten Weiber und zirkassische Sklavinnen halten kann, — und dieser Reichtum an erstklassischen Schönheiten hat wohl den Anlass zu dem Klatsch gegeben!“

„O, diese Volksstimme klingt zu poetisch und schön, um nur unwahrer Klatsch zu sein!“ rief Mortimer lebhaft; „warum erzählst du mir so etwas Interessantes erst jetzt, du Duckmäuser?“

„Ehrlich gestanden, weil ich heute morgen erst von meinem Prinzipal und Freund daran erinnert wurde!“ lachte Hans. „Wie alle Grosskaufleute hat auch Benno Haulsen & Cie. seine elegante Villa auf Prinkipo, in welcher seine Familie die heisse Zeit verlebt. Heute sind Frau und Kinder nach dort übergesiedelt, und aus diesem Anlass kam unser Gespräch auch auf Suleiman-Achmed, welchen Haulsen persönlich kennt und bei dem er sogar schon öfters in seiner sagenhaften Villa zu Gaste war —“

„Kann man auf Prinkipo wohnen?“

„Und ob! Für Geld und gute Worte kann man dort alles haben! Zu Land und Wasser spazieren fahren ... Feuerwerk sehen ... Paukgjöksü und Elmastia, Rapama und Rebab essen und Sorbet und Helva trinken; im Hotel Giacomo oder Imperial wohnen und sich eine Zeitlang alles Ernstes einbilden, ein Gott auf Erden zu sein!“

„Also auf! auf! nach Prinkipo!“ —

„Topp! morgen mittag per Dampfschiff gondeln wir los! Du nimmst Aufenthalt dort — ich führe dich in die Familie meines Chefs ein, damit du dich nicht langweilst und von der netten englischen Bonne ein bisschen beaufsichtigt werden kannst —“

„Hm! hm!!“ —

„Und ich komme mit Haulsen jeden Mittag nach Bureauschluss hinaus ...“

„Abends fahren wir im Mondschein auf dem Bosporus und warten, ob nicht mal eine der verbannten Prinzessinnen ins Wasser fällt ...“

„Grossartig! wir retten!“ —

„Falls die Delphine und Haifische garantieren, dass sie stumpfe Zähne und keinen Appetit auf Menschenfleisch haben!“

„Unbesorgt! Die kleinen Haifische tun keinen Schaden, und die grossen Unholde dringen selten, fast nie über die Dardanellen vor!“

„Also wir stürzen uns der schönen Suleika nach!“ —

„Erlaube mal! nur du, — ich nicht!“

„Um so besser. Unter diesen Verhältnissen hast du auch zu verschwinden, wenn ich mit ihr unter dem duftenden Orangengebüsch lande ...“

„Selbstredend! Ich hole schleunigst Suleiman-Achmed!“

„Mensch, ich würge dich!“ —

Unter Scherzen und Lachen wanderten sie die stillen Strassen nach Hotel Kroecker zurück, woselbst Marken sich einquartiert hatte.

In der Grande rue de Péra pulsierte noch europäisches Nachtleben.

Ein alter türkischer Rahatverkäufer lungerte noch an der Treppe herum, eine junge Negerin mit dicken Backenknochen und frechen Augen bot noch sehr zudringlich Sträusse von stark duftenden Nelken und blühende Orangenzweige an.

Mortimer zögerte, warf dem Weib eine Münze zu und griff nach einem der Zweige. Sie fasste seine Hand mit heissem, zärtlichem Griff und drückte sie gegen ihre Stirn.

„Toi, tu sais! Benim djan senin!“ flüsterte sie.

Schlüchtern lachte: „Na, Mortimer? Was sagen die Nornen?“

Marken wandte sich beinah’ zornig ab und murmelte: „Gott bewahre einen vor solch’ schwarzem Ungeheuer!! Also morgen mittag erwarte ich dich an der neuen Brücke!“ —

„Well!“ nickte Schlüchtern und schritt hastig in die Strasse zurück, von der Negerin gefolgt, welche ihm mit kreischender Stimme ihre Blumen aufdrängen wollte.

Mortimer aber stand an dem offenen Fenster seines Zimmers, schaute hinaus in die klare Mondnacht und neigte den Zweig mit den kühlen, weissen Orangenblüten gegen seine Wange.

Wie das duftete! —

Schier betäubend weht der süsse Odem um sein Antlitz, und er atmet so tief und schwer, als berausche ihn der süsse Hauch. Ebenso wie dieser, nur viel traumhafter und weniger stark, duftete der welke Blumenzweig, welcher neben Lakmehs dunkler Locke in dem Briefumschlag lag. —

In seinem Taschenbuch ruhen die kostbaren Schätze, welche er am Tage seines Scheidens von ihrer heimatlichen Erde hier zurücklassen oder in die blaue Flut des Bosporus versenken will, damit der schmerzensreiche Liebestraum jener kranken Taube, welcher hier unter dem magischen Silbermond zwei junge Herzen so leidenschaftlich entzückte, im Lande der Märchen sein Ende finde.

Die Locke und der Orangenzweig dünken dem jungen Offizier zwei heilige Vermächtnisse, welche er vor profaner Hand beschützen muss.

Und wie der Duft der frischen Blüten seine Sinne umstrickt, deucht es ihm, als ob aus den wogenden Silberschleiern der Nacht das süsse, todtraurige Antlitz der sterbenden Lakmeh tauche, dass es ihm zulächle unter Tränen — dass weisse Arme ihn geheimnisvoll hinabwinken an die Ufer des blau glänzenden Meeres, dahin, wo Prinkipo wie ein paradiesisches Gefilde aus den Wogen steigt, wo goldene Minaretts über stillen Marmorhallen leuchten .. Und doch ... nein! es ist nicht Lakmeh ... es ist das stolze, spottende Angesicht jener zauberschönen Prinzessin aus dem Märchenbuch, welche ihm wieder und immer wieder versichert, dass sie ihn niemals lieben werde ...

— — — — Am nächsten Mittag schlendert Mortimer von der Marken harrend auf der Neuen Brücke hin und her, den Freund erwartend, mit welchem er den Dampfer besteigen will, der auf der inneren Seite der Brücke angelegt hat und in einer Viertelstunde nach Haidar-Pascha und den Prinzeninseln abdampfen soll.

Wieder liegt Konstantinopel im grellen, glühendheissen Brand der Mittagssonne, und die Wasserverkäufer mit ihren wunderlichen, langen, sackartigen Gefässen machen gute Geschäfte, ebenso die Obstverkäufer, welche die köstlichsten Früchte zu wahren Bergen aufgestapelt haben und für wenige Paras oder einen Gurusch so verschwenderisch davon geben, dass der deutsche Offizier staunend stehen bleibt und mit beinah’ wehmütigem Lächeln an das Körbchen voll Kirschen, Stachel- oder Erdbeeren denkt, welches Tante Gustel ehemals vom Markt heimgebracht. Währenddessen fallen ihn zerlumpte Bettler wie die Hyänen an, glutäugige kleine Judenkinder kichern und deuten ungeniert auf die ungewohnte Kopfbedeckung des Fremden, ja, ein paar freche, kleine griechische Bengel knipsen sogar mit Obstkernen danach!

Lastträger, welche geradezu Unbegreifliches leisten und enorme Kolli auf Kopf und Rücken tragen, stampfen vorüber; Verkäufer aller Arten und Nationen bieten laut schreiend ihre Waren an, ein alter, sehr bunt und malerisch gekleideter Türke bietet strohgeflochtene, korbartige Taschen und Pfauenfedern feil und ein paar verschleierte Frauen, von sehr ernst dreinschauendem Perser begleitet, handeln und feilschen ohne Ende mit ihm, bis ein paar kräftige Neger sich mit buntem Glitzerkram, Ketten, Spangen und Nadeln dazwischendrängen.

Welch ein Leben und Treiben!

Es ist kaum möglich, all das unendlich Mannigfaltige mit dem Blick zu umfassen. Matrosen von Kriegs- und Handelsschiffen fast aller Nationen hasten lachend und schwatzend vorüber, jüdische Schnorrer schreien und preisen ihre Waren an, Araber, Derwische, elegante Europäer mit Frau, Kindern und Dienerschaft, Armenier, Griechen, katholische Mönche, eilige Touristen ... alles schiebt und windet sich in schier sinnverwirrender Weise durcheinander.

Die Zeit fliegt trotz der drückenden Hitze wie ein Traum. — Mortimer hatte die Uhr gezogen, um zu sehen, ob es sich noch lohnen würde, unter das bunte Zelt eines türkischen Kaffeehauses zu treten, als sich eine Hand auf seine Schulter legt und Hans Schlüchtern ihn in seiner lebhaften, herzlichen Weise begrüsst. Neben ihm steht ein sehr distinguiert aussehender Herr in weissem Flanellanzug, mit einem breitrandigen Strohhut, welcher ein sehr blasses, von dunkelblondem Bart umrahmtes Gesicht beschattet, aus welchem ein paar kluge, aber ersichtlich müde Augen äusserst liebenswürdig dem jungen Offizier entgegenschauen ...

Es ist Herr Benno Haulsen, der Chef Schlüchterns, ein reicher Grosskaufmann, welcher schon seit langen Jahren in Skutari seinem bedeutenden Handelshause persönlich vorsteht.

Er begrüsste Mortimer sehr herzlich und lud ihn voll echt orientalischer Gastfreundschaft allsogleich ein, das Mittagsmahl im Kreise seiner Familie in Prinkipo einzunehmen.

„Wir sind zwar mit der Reihe der Jahre schon halbe Türken hier geworden, was Sitten und Gebräuche anbetrifft“ — sagt er scherzend, „aber nur zweimal in der Woche warm zu essen, wie dies selbst bei den reichsten Moslim geschieht, hat meine kleine Frau doch noch nicht fertig gebracht! Ich weiss freilich nicht, ob sie auf einen Gast vorbereitet ist, aber ich hoffe, Herr von der Marken, Sie rechnen heute nur mit dem guten Willen und nehmen mit dem, was da ist, fürlieb!“

Selten hatte eine Bekanntschaft den jungen Offizier so lebhaft interessiert, wie die Haulsens, denn seit Schlüchtern ihm erzählt, dass der Grosskaufmann im Hause Suleiman-Achmeds bekannt sei, war es wie eine geheime Sehnsucht über ihn gekommen, durch diese Vermittlung einmal einen Blick in das geheimnisvolle Innere eines türkischen Haushalts tun zu können.

Unter dem Sonnensegel war es schattig und ein frischer Lufthauch wehte von dem leicht sich kräuselnden Wasser des Goldenen Horns empor.

Das Schiff setzte sich gemächlich in Bewegung, die drei Herren hatten sich Zigaretten entzündet und blickten über die blau sich kräuselnden Spiralen der Wölkchen hinweg nach den Ufern, woselbst die Stadt so lustig, bunt und üppig gleissend lag, dass sie beinah’ die Augen blendete.

Gold und Geglitzer überall!

Farben, Blumen, — flatternde Fähnchen — und ein Leben, so heiss pulsierend wie bei einem Fieberkranken!

Die Hitze war nicht lästig, sie hatte etwas Lösendes, unsagbar Wohliges hier auf den azurfarbenen Wassern, man hatte das Gefühl, die Arme zu dehnen und nichts anderes als nur das eine zu denken: Geniessen! In all dieser Pracht und Herrlichkeit glücklich sein! Ohne Grübeln, ohne Überlegen, — in den Tag hineinträumen wie jene drei Orgelspieler, welche sich unter den dunklen Zypressen ausgestreckt haben und, die Arme unter dem Kopf und den Tschibuk im Munde, den Abend erwarten, wo sie unter den Eschenholzläden der Cadines, der vornehmen türkischen Damen, ihre gutbezahlten Ständchen bringen werden!

Und weiter und weiter glitt das Schiff; die Mehrzahl der bunt zusammengewürfelten Fahrgäste verliess es in Haidar-Pascha und nur das bessere Publikum setzte die Fahrt nach Prinkipo fort.

Bald tauchte das lieblichste aller Eilande aus dem kristallklaren Wasserspiegel empor.

Wundervoll lauschige Gärten zogen sich bis zum Strand hinab.

Dunkle Lorbeeren und Zypressen malten ihre blaugrünen schattigen Konturen gegen den lichtgebadeten Himmel, Mandel- und Myrtengebüsche, Oleander und Granaten mit ihren leuchtendroten Blütenbüscheln webten sich dazwischen und der betäubend starke Duft von vielen Tausenden der köstlichsten Rosen, Nelken, Orangen und Levkoyen schwoll in heissen Wogen über die stille Flut selbst bis hierher an das Schiff.

Inmitten der Insel erhoben sich sanftgewellte Bergrücken zu ansehnlicher Höhe, die romantischen Bauten von Klöstern und Schlössern grüssen herüber, entzückende, weissschimmernde Villen, malerische bunte Kioske mit mächtigem Goldgitter lachen durch die schlanken Palmwedel, und vor den Marmorstufen der Treppen schaukeln sich zierliche Nachen, bereit, die verschleierten Schönen, die verbannten Prinzessinnen aus dem Harem des Suleiman-Achmed in verschwiegener Nachtstunde aufzunehmen. —

Tief versteckt im lauschigen Grün liegt die Villa Haulsen, und nach Stunden schon ist Mortimer so heimisch dort geworden wie ein langjähriger Freund, welcher, sehnsüchtig erwartet, endlich Einkehr gehalten.

Die Hausfrau ist eine sehr heitere, elegante, liebenswürdige und humorvolle Frau, welche jede Unterbrechung in der Einsamkeit dieses fremden Landes als wahren Genuss ansieht und voll freudiger Hast anordnet, dass das luftige Fremdenzimmer für den Herrn Leutnant instand gesetzt werde.

Mortimer will voll bescheidenen Dankes ablehnen, aber seine Gründe sind so wenig stichhaltig, dass er von allen Seiten ausgelacht wird und sein Bleiben in Villa Haulsen selbstverständlich wird, er ahnt es selber kaum wie! —

Die Kinder sind herzige kleine Blondköpfe, welche voll zutraulicher Neugierde allsogleich Freundschaft mit dem lustigen Onkel schliessen, welcher so viel Verständnis und Interesse dafür hat, dass die Köchin Dora von einer guten alten Aga gelernt hat, Rosenbonbons zu kneten, und dass Sabub, der Gartenbursch’, heute morgen einen Delphin gefangen hat; zwar nur einen ganz kleinen, aber er hat Platz in dem Badebassin, „und das ist der Vorteil seiner Kleinheit!“ hat Sabub sehr richtig bemerkt.

Natürlich muss das liebe Tier sofort besichtigt werden, die Mama und die blasse, sehr zarte und graziöse Engländerin, welche in nichts der stolzen und spottenden Prinzessin aus Tausend und einer Nacht gleicht, sowie Schlüchtern schliessen sich der Expedition an. —

Dann sitzt man auf der Veranda, um deren schlanke Säulen eine wahre Wildnis stark duftender Blüten rankt, trinkt Mokka und amüsiert sich, zuzusehen, wie der Hausherr sich bemüht, seine Wasserpfeife „in Zug“ zu setzen; es ist noch immer heiss und die Damen, welche in hellen, spitzenduftigen Toiletten bequem in den breiten Rohrsesseln liegen, behaupten, es sei noch kein Genuss, um diese Stunde im Garten zu promenieren!

Wenn die Sonne untergehe, habe der Ausblick auf das Meer etwas Bezauberndes, und das Genussreichste, was dieses paradiesische Fleckchen Erde biete, sei und bleibe eine Gondelfahrt im Mondschein, welche alles erfülle, was sich die Phantasie je von der Romantik einer Bosporusfahrt träumen lasse!

Eine Gondelfahrt!

Mortimer ist so begeistert von diesem Gedanken, dass es seine liebenswürdigen Wirte ganz selbstredend finden, sie schon an diesem nämlichen Abend auszuführen. Herr Haulsen kann leider nicht daran teilnehmen, da er mit dem letzten Schiff nach Konstantinopel zurück muss, wo ihn am nächsten Morgen dringende Geschäfte erwarten.

Er verspricht, von der Landungsbrücke eine jener grossen, schweren Barken zu senden, in welcher eine grössere Anzahl Menschen Platz hat und welche zwar etwas langsamer und plumper über das Wasser gleitet als die flinken kleinen Kaiks, aber dafür auch eine absolute Sicherheit gewährt.

In lustigem Geplauder und Nichtstun verstreicht die Zeit und ein frischer Luftzug, welcher plötzlich die gestreifte Markise hebt, meldet an, dass der glühendrote Sonnenball dem Horizont entgegensinkt.

Jedem das Seine - Band I

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