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Drittes Kapitel

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Es war der fünfte Januar, das Fest der heiligen drei Könige.

Herr von Strombeck, der aus einem Kavallerieregiment der Rheinlande zu den Franz-Ferdinand-Husaren versetzt war, amüsiert sich, ein paar sehr nette, süddeutsche Sitten und Gebräuche nach dem höheren Norden zu verpflanzen. Darum hatte er und seine Gemahlin mittels hocheleganter, wappengeschmückter Karten für den fünften Januar 1914 zu einem Tanzfest, respektive „Spiel und Tanz“, eingeladen.

Die ganze geräumige Villa in der Parkstrasse erstrahlte in festlichem Licht.

Livrierte Dienerschaft hastete treppauf, treppab, und vor dem grossen, schmiedeeisernen Gartenportal rollten die Equipagen.

Die Jugend hatte allerliebste Scherze vorbereitet. Zuerst das „Kränzelbrennen“, das grosse Spannung mit sich brachte, dann eine Gesellschaft „fahrenden Volks“, die ein sehr drollig parodistisches Stück, den Freischütz mit und ohne Gesang, mit besonderer Berücksichtigung der Wolfsschlucht, deren wilde Sau verblüffend echt von einem Tertianer „gegrunzt“ wurde!

Den „Samiel hilf“ spielte ein äusserst wohlbeleibter Rittmeister mit flachshaarener Perücke, einem Monokel im Auge und dem neuesten Dienstreglement in der Rocktasche — freundlich und weltmännisch mit der Bitte, die Drachenschlucht erst gehörig zu wattieren, damit er bei seinem dreimalig aufschlagenden Kobolz die Kulissen nicht beschädige!

Die Freikugeln wurden auf hochmoderner, elektrischer Heizplatte gegossen und bestanden aus Mohrenköpfen, Berliner Pfannkuchen und Pralinee, je nachdem Bedarf für Hochwild oder Kammerjägerei in Frage kam.

Bei Kugeln mit verstellbarer Vorrichtung, zum öfteren Gebrauch, bedurfte es noch eines Stückchen Glases aus der Stallaterne des Herrn Oberst, das Hühnerauge eines Luxes, drei Rosshaare aus dem Schweife eines Wiedehopfs, und all des Blechs (nicht Bleies!), das an diesem Abend zutage gefördert wurde.

Kasper sang sein Trinklied auf die zeitgemässere und beliebtere Melodie: „Trink ’mer noch ein Tröpfchen —

Trink ’mer noch ein Tröpfchen

aus dem kleinen Henkeltöpfchen!

Oh, Frau von Strombeck —

wie ist das Leben doch so schön! —

Als gleichzeitig erhebende Ovation für die so liebenswürdige und lachlustige Hausfrau.

Zum Schluss verlobte sich Samiel mit der Agathe, welches Bündnis jedoch wieder auseinanderging, weil er sich nicht kirchlich trauen lassen wollte, und der Kaspar war zur Heilsarmee übergetreten und verkaufte an die anwesenden Zuschauer Broschüren zur Bekämpfung des Alkohols, was bei jeder Einnahme von zehn Pfennigen und Absatz einer der Schriften, den begleitenden Chor zu dem Kanon veranlasste:

Schon wieder eine Seele

vom Alkohol gerettettett ...!

Es war eine schöne stimmungsvolle Aufführung, nur Bill seufzte in Gedanken und flüsterte Sigurd zu: „Wenn es so weiter geht mit dem Modernisieren, sehe ich meine Desdemona allerdings noch in violetter Lackierung! — Das alles treibt dem Ruin der Klassik entgegen und kann nie zu einem guten Ende führen!“

Nachdem man sich etwas die stark abgenutzten Lachmuskeln gekräftigt hatte, stürmte eine Schar von Czikosreitern auf Steckenpferden in den Saal.

Die ungarischen Hirten selber rekrutierten sich aus den besten Parforce- und Herrenreitern des Regiments, und ihren Vollblütern waren Schilde umgehängt, welche die Namen der edelsten und bekanntesten Renner des Turf trugen.

Es war überwältigend komisch, die „hohe Schule“ und den „Springgarten“, die Bahn mit Hecke, Mauer und Graben zu sehen, und dazu spielte die Musik auf kleinen Kindertrompetchen, Mundharmonikas und Pfeifchen ein niedliches Stückchen nach dem andern.

Die Stimmung stieg mit der Fixigkeit eines Liebesthermometers und nun erst, nachdem ihr Kommen würdig vorbereitet war, erschienen die vier heiligen drei Könige aus dem Morgenland!

Nachfrage und Bedarf waren bei heutiger Vorliebe für exotische Gäste derart gross gewesen, dass man sich entschlossen hatte, noch einen weiteren König einzurangieren.

Frau von Strombeck trat in die Mitte des Saals und klingelte.

Als es Ruhe gab, erhob sie ihre Stimme:

„Meine Herrschaften — wir möchten gern die vier heiligen drei Könige aus dem Morgenland, welchen dieser Tag geweiht ist, verkörpern! Darf ich vier der jungen Herrn bitten, mir zur Maskierung zu folgen! Herr von Dellien! Herr von Dallmer-Dalitz — Edler von Needlitz! — Herr von Dillfingen! — Darf ich die Herren bitten, mir zu folgen!“

Frau von Strombeck schwenkte kurz ab und rauschte, gefolgt von den „Eingezogenen“ in den Nebensalon ab.

Von da verschwanden sie.

Man war ein wenig erstaunt.

Eigentlich hatte man geglaubt, es sei eine besondere Überraschung, von wem die maskierten Könige dargestellt wurden! Das nahm dem Scherz eigentlich die Pointe.

„Da ist ja doch ein Ulk bei! Wetten dass die Majestäten in ungeheuerlichem Aufzug erscheinen, so ähnlich wie Menelaus der Gute, Mann der schönen Helena!“

„Langen Sie mal ein Glas Punsch von dem Tablett herüber, Bill! Frau von Bärenhorst will trinken!“

„Ich denke ja gar nicht daran! Ich will ja gar keins!“

„Macht nichts, gnädigste Frau, dann trinke ich es! Bill soll’s nur holen!“

„Aber Heitlingen, Sie sind wirklich frech!“

„Frechheit ist Übercourage! Sie ziert den Helden!“

„Wo bleiben denn die schwarz gebrannten Majestäten?“

„Ah! Sie kommen!“

„Unter grossem Vortritt!“

„Nee — ist mehr Paradeschritt! Für so kleine Schäker aus Marokko und Bessarabien ganz gut gemacht!“

„O herbes Erwachen aus schönem Traum: die Herren sehen ja ganz unverfälscht nach dem Orientbasar aus der Friedrichstrasse aus!“

„Tatsächlich! Wir haben sie übertaxiert, Turban, Zinkenkronen, mächtige weisse und braune Bärte, Kaftans mit Schärpen, den Stern an der Stange in der Hand tragend ...“

„Nanu! Wie oft wandern denn die Könige im Kreise vor dem bewundernden Publikum herum?“

„Der kleine Dicke ist ja Dallmer!“

„Majestäteken! Treten Sie sich nicht auf Ihren Kimono!“

„Sie! Herr Sie! Nennen Sie sich nicht im Zivilleben Dellien?“

„Still ... Ru—he!“

„Es scheint, die asiatischen Beherrscher aller Nubier und Kamele kommen auf Brautschau her ... die Damen werden so scharf gemustert ...“

„Nun bleibt er vor Fräulein von Waldeck stehen!“

„Frech war er ja stets! Manchmal treibt er sogar Missbrauch mit dieser guten Gabe Gottes!“

„Gnädiges Fräulein, ich glaube, Sie sollen ein Gebetchen aufsagen, wie beim Knecht Ruprecht!“

„Singen Sie doch:

Majestät Schmidt,

Majestät Schmidt,

Was bringen Sie Röschen mit?“

Da erdröhnt Delliens Stimme in furchtbar tiefem Bass:

„Mich selber bringe ich dir mit, holdes Schätzchen, als köstlichsten Edelstein, und wenn du mich willst, machen wir heute abend noch die Hochzeitsreise unter die vierzig Palmbäume der Wüste Sahara!“

Tiefe Stille.

Alles stutzt, — richtet sich atemlos entsetzt empor.

„Das geht zu weit!“

„Ist der Kerl verrückt geworden?“ raunen die Herren und furchen die Stirn.

Sigurd Savaburg bekommt einen Kopf wie Zinnober.

Die Ader auf seiner Stirn schwillt, in jäher Empörung will er vorspringen und sich schützend vor Amarant stellen. „Der Mensch muss betrunken sein!“ knirscht er entrüstet.

Gleichzeitig ein einziger, lauter, gellender Aufschrei durch den ganzen Saal.

Die Damen prallen zurück, die Herren stehen sprachlos.

Dellien hat jählings die Arme um Amarant geschlungen und küsst wie ein Wahnsinniger ihr reizendes, jetzt so namenlos entsetztes Gesichtchen.

Schon steht Savaburg neben ihr.

„Dellien!“ schreit er auf: „Was bedeutet das! — Sind Sie bei Sinnen?!“

Da zieht die Majestät aus dem Morgenland, der vierte heilige drei König ganz gelassen die Maske von dem Gesicht und sagt: „Sie irren sich wohl, Herr von Savaburg! — Warum soll ich meine Cousine in der Freude des Wiedersehens nicht ein bisschen umarmen und abküssen? — Gräfin Valeska Plunck!“

Tableau.

Der dritte heilige König aber lüftet ebenfalls die Maske, verbeugt sich sehr tief und kräht persiflierend: „In diesem Kasten steck’ ich, meine Herrschaften, — mein Name ist Balthasar Dellien!“

Ein wahrer Sturm der Aufregung. Ein tolles, jubelndes Tohuwabohu.

„Donnerwetter — das war ein Reinfall!“

„Haha, die Gräfin Plunck!“

„Das war allerdings eine Überraschung! Bravo, Komtesse! Bravo!“

„Das hätte ich mir nicht träumen lassen!“

„Tatsächlich, zuerst habe ich mich wahnsinnig erschrocken!“

„Wie kann man denn nur auf Dellien?“

„Na, weil er so ein Paschadax ist und in seinen Händen der Passepartout einer Maskenfreiheit am gefährlichsten ist!“

„Gräfin Plunck! Kein Mensch hat sie erkannt!“

„Ja, ja, das war ein Knalleffekt! Und erst wurde unser Spürsinn so raffiniert eingeschläfert!“

„Puh!“ sagte Valeska, und rieb ihr Gesicht mit dem mächtigen rotseidenen Schnupftuch, welches in der buntseidenen Schärpe des Kaftans stak, „so ein Bart macht ja furchtbar heiss! Nun weiss ich, warum mein Grossvater keine Boa braucht!“

Bill hat sich von seinem Schreck erholt. Er konstatiert, dass die weiten Mantelärmel, wenn Gräfin Vally die Arme hebt, abermals den Eindruck eines Ballons machen.

Das ist ein gutes Omen.

Er kennt heute die Speisenfolge für das Souper nicht, aber er nimmt sich vor, diesmal die junge Dame freiwillig zu engagieren.

Die Komtesse aber wirft mit einem Aufstöhnen der Erleichterung, voll unverkennbaren Triumphs über das Wohlgelingen ihres famosen Witzes die Schärpe mit den krummen Säbeln und antiken Halfterpistolen des Onkels, die jetzt erst in ihrer anachronistischen Komik gewürdigt werden, sowie den langen, weiten Kaftan von sich, und steht wieder schlank und zierlich in dem fussfreien, weissen Spitzenkleid vor dem jubelnden Publikum.

Amarant war zuerst von Frau von Strombeck voll hellen Lachens in die Arme genommen, und die Damen und Herren der nächsten Umgebung umringten sie gleich mit einem so wirren Durcheinander von Worten, dass Sigurd schweigend zurücktrat und nur mit händeringenden Handbewegungen für die Anerkennung quittierte, dass er allsogleich die heilige Hermandad verkörpert hatte.

Nur einen flüchtigen Moment traf sein Blick Amarants heiss erglühtes Gesichtchen.

Sie sah ihn an, und zum erstenmal schlug sie unter dem seltsamen Ausdruck seiner Augen die Wimpern nieder.

Hinter ihm stand Heitlingen und zog ihn etwas abseits in den Erker.

„Aber Savaburg, das nenne ich kühn von Ihnen, so forsch ins Zeug zu gehen! Sie wussten ja gar nicht, ob Dellien nicht tatsächlich mit Fräulein von Waldeck verlobt ist!“

„Dass diese Verlobung noch nicht offiziell ist, wissen wir alle hier im Saal.“ — Sigurds Haupt hob sich steifer im Nacken: „Und dass diese Art von Karnevalulk keine Manier ist, eine Verlobung zwischen gebildeten Menschen bekanntzugeben, weiss wohl jeder.“

„Na ja!“ lachte der Graf. „Weiss der Kuckuck! Man war auf diese Wendung der Dinge tatsächlich nicht vorbereitet! Rasend amüsant gemacht! Darauf musste man ja reinfallen! Apropos — was ich sagen wollte, die kleine Waldeck sieht heute scharmant aus, — tadellos angezogen! Hat die Scharte von ehemals, mit der schiefgeschnürten Taille — Sie wissen doch? — glänzend ausgewetzt! Die Silberstickerei auf dem Seidenchiffon sieht ganz hervorragend aus!“

„Ja, sehr elegant!“

„Habe sie heute auch engagiert!“

„Endlich!“

„Eile mit Weile! — Sagen Sie mal, Savaburg, sie ist eine Enkelin des alten Riebenower Waldecks?’“

„Ja, Waldeck-Wartenfels! — Mit andern Waidecks ist sie nicht verwandt.“

„So, so! Grosses, feudales Gut, dieses Riebenow?“

Ein wunderlicher Blick Sigurds streifte den Sprecher, halb Ironie, halb Vergnügen.

„Es ist Majorat! Der älteste Sohn Klaus mit Familie hat es sozusagen schon in Besitz genommen.“

Währenddessen hatte sich Bill von Unterlüss vorsichtig durch die Barrikaden der gewaltigen Schleppen von Samt und Seide, welche die nicht tanzenden Damen über das Parkett spazierenführten — hindurchlaviert und machte vor Gräfin Plunck halt.

Diese zwinkerte ihn von unten herauf mit den scharfen Äuglein an.

„Na, es wird Zeit, dass Sie sich auch mal in die Zügel legen und mir zu meinem Bombenerfolg gratulieren! Die Idee von dem vierten heiligen Drei-König ging nämlich von mir aus!“

„Ah ... von Ihnen, Komtesse? Ich hörte, dies sei eine süddeutsche Karnevalssitte!“

„Das schon! Aber Tante dachte mit keiner Wimper daran, und ich habe die Sache erst mal angeregt!“

„So, so. Also demnach Ihr Verdienst! Es war in der Tat sehr überraschend! — Darf ich um einen Tanz bitten, Gräfin, — am liebsten wieder das Souper, wenn es Ihnen recht ist!“

Herr von Strombeck stand in nächster Nähe. Seine Ohren wuchsen nach der Nichte hinüber.

„Haha! Unterlüss!“ nickte er, und sah aus, als füge er in Gedanken noch hinzu wirklich ein netter Kerl!“

Valeska sah noch viel arroganter aus als sonst.

„Reeller Ausverkauf! Vielleicht fallen noch ein paar Extratouren als Restbrocken ab!“

„So werde ich versuchen, sie zu sammeln!“

„Haha, Unterlüss! Tuen sehr recht daran! Diese Sammlung passt für die Jugend.“

Es war fabelhaft, wie der sonst so sehr „zugeknöpfte Kommandeur“ diesen beinahe jüngsten Leutnant durch Anrede auszeichnete.

Heitlingen hatte staunend zugehört, und wandte sich mit scharfem Zug um die Nasenflügel zu einer servierenden Ordonnanz, ein Glas Sekt herunterzustürzen.

Hätte es nicht gedacht, dass selbst Unterlüss, dieser harmloseste aller Säbelträger, auch schon anfängt, sich zu schustern!“

Dabei trank er dem Kameraden zu.

Bill trat näher und nahm auch ein Glas.

„Ah — das sind Sie ja, Siebelmeyer! Helfen Sie heute abend auch mit hier im Hause?“

„Befehl, Herr Leutnant! Die sämtlichen Kasinoordonnanzen sind zugegen!“

Heitlingen hob Gräfin Plunck den Fächer auf, den sie, absichtlich oder unabsichtlich, mal wieder hinwarf und närrte sich dabei ein wenig mit ihr herum, Bill aber neigte sich noch näher zu dem ihm bestbekannten Siebelmeyer und flüsterte: „He, schon was über das Souper gehört? — Gutes Menü?!“

Die Ordonnanz flüsterte halb dienstlich, halb privat mit wichtigster Miene zurück.

„Soll recht gut sein, Herr Leutnant! Als Unterlage einen Bayonner Schinken!“

„So! — Und sonst?“

Das klang nicht sonderlich erfreut, denn für diesen sogenannten Genuss hatte Bill nicht viel übrig. Meistens ein zäher, salziger Hund — ebenso wie Sooleier! Die kann er auch nicht ausstehen.

Siebelmeyer zuckte die Achseln: „Ich werde mich mal erkundigen, Herr Leutnant!“ flüsterte er durch den rechten Mundwinkel, denn von links nahten abermals durstige Seelen, und Unterlüss wehrte gleichmütig ab: „I wo! Lassen Sie man sein, kann ja eine Überraschung werden!“

Und dann wanderte er weiter, um mal nach Savaburg zu sehen, was der wohl zu dem Bayonner Schinken sagt.

Da war es also diesmal kein herber Verlust, wenn der Ballon ihm für die Speisung der achtzig Mann seine grüne Seite versagte.

Wenn der Bayonner Schinken heute hinknallen sollte, weint ihm der Tragöde keine Träne nach.

Die beiden Kameraden, welche vortanzen und arrangieren, haben ihm schon ungefähr gesagt, wo er seine müden Beine niederlegen kann.

Fern von Madrid, den Stabsoffizieren und Grossen des Reichs, in dem Rauchsalon der Strombecks, wo diesmal Tafel Nummer 3 aufgeschlagen ist.

Der Raumverhältnisse wegen muss in verschiedenen Zimmern gegessen werden. Savaburg sitzt in Nummer 2.

Da die Aufführungen längere Zeit in Anspruch nahmen, soll jetzt gegessen und nachher noch nach Belieben getanzt werden. Schon beginnt die wilde Jagd und Sucherei nach Damen und Platz.

Die „Unbeweibten“ stehen zuerst beiseite, bilden mehr oder weniger die Lästerallee und sehen zu.

Dann kommen sie als „Ende gut, alles gut“ voll beachtenswerten Selbstbewusstseins an die Reihe.

Bill ist elegisch. — Er prophezeit sich und allen andern, dass der Bayonner Schweinigel wohl in Wahrheit ein „Sau“frass werden wird, — er hat so seine Ahnungen und Vorurteile!

Endlich sitzt auch er.

Die Krebssuppe in Tassen schmeckt recht gut; aber gleich nach ihr muss ja der französische Ekel aus Bayonne kommen.

Bill mag gar nicht aufschauen, als die Schüsseln erscheinen.

Da hält sie ihm so ein Galonierter unter die Nase.

Donnerwetter! — Was ist das?

So lecker sieht doch sonst die feindliche Platte nicht aus?

Lende! Eine mit köstlichsten Edelpilzen und Gemüsen garnierte Lende!

Nein, er träumt nicht, es ist Tatsache. Nach der Lende erscheint noch ein toter Fisch, und nach diesem Birkwild.

Der ominöse Bayonner ist diesmal lautlos und spurlos in der Versenkung verschwunden.

Als man sich erhoben hat und nach dem Tanzsaal zurückflutet, steht Stiebelmeyer an der Portiere.

Bill winkt ihn zur Seite.

„Sagen Sie mal, Siebelmeyer, was war denn das mit dem Bayonner Schinken?“

Die Ordonnanz sieht ganz entsetzt aus.

„Mal wieder ein peinliches Missverständnis, Herr Leutnant! Der Lieferant hatte zu wenig Schinken geschickt, da sollte die dritte Tafel und die erste, wo Herr Oberst mit Erlaucht sitzt, den Schinken bekommen und die zweite als Ersatz die Lende. Nun haben die beiden Bureauordonnanzen die Zimmer verwechselt, und gerade wo Herr Leutnant sassen, kam die Lende hin!“

Bill machte grosse, runde Augen.

Seltsam. — Gerade an dem Tisch, wo diesmal der Ballon Platz genommen, gab es den Schinken, obwohl es eigentlich umgekehrt hatte sein sollen.

Hat der Mensch doch noch seine Schutzengel?

Sereichte es ihm diesmal nun wieder zu Heil und Frommen, dass er den Ballon nicht zum Souper steigen liess?

Bill Unterlüss nimmt meist alles persönlich, erst den Schrillen, dann den Schutzengel.

Als Busse für sein anfängliches Räsonieren und Verzagen an dem Bayonner, geht er schnurstracks hin und wartet bis Valeskas Tänzer nach den ersten Runden des Tischwalzers seine Dame zurückbringt.

Dann bittet er um eine Extratour.

Der Oberst hat gerade sein Augenglas eingeklemmt und mustert die flotte Kampfordnung auf Amors friedlichem Schlachtfeld.

Er hat eine Leidenschaft für Bayonner Schinken, und sieht sehr satt und zufrieden aus.

Da erblickt er Herrn von Unterlüss, wie er mit tiefen Denkeraugen Valeska zu einer Extratour in den Arm nimmt.

Haha! — Unterlüss! —

Es wird sehr flott getanzt.

Ein neuer Walzer wird intoniert.

Sigurd von Savaburg steht neben Amarant.

„Unser Walzer, mein gnädiges Fräulein!“ lächelt er und legt den Arm um ihre schlanke Taille.

Sie blickt so freundlich zu ihm auf wie stets.

„Und gerade meine Lieblingsmusik!“ sagt sie fröhlich.

„Ist’s nicht der Kusswalzer?“

„O nein! Kennen Sie die Donauwellen so schlecht?“

Sie schweigen, — entzückend weich und rhythmisch wiegen sie die Klänge ein. Endlich stehen sie hochaufatmend still.

Er blickt sich schnell um und sieht, wie verschiedene Herren sich im „Rasen von Extratouren“ gefallen.

„Es ist reichlich heiss hier, Fräulein Amarant“ sagt er schnell. „Bis wir wieder tanzen, lassen Sie uns bitte in das Musikzimmer gehen. Dort sitzen nur die älteren Herren am Whisttisch, und man kann mit gedämpfter Stimme plaudern, ohne gegen den guten Ton zu verstossen!“

Sie nickt sehr einverstanden, und Sigurd entführt seine Tänzerin vor raublustigen Attentätern in den entfernter gelegenen kleinen Salon.

Um Exellenz von Linden geschart sitzen die „spielerischen älteren Kinder“ und halten die Karten in der Hand.

Sie sehen kaum auf, als ein seidenes Kleid über die Schwelle rauscht und die Sporen ihres Begleiters aufklingen.

„Da ist ein so behagliches Ecksofa — gänzlich unbenutzt!“

Dort nehmen sie Platz.

Ein Diener erscheint gerade mit einem Tablett voll Bierkelchen und Appolinaris neben den Spieltischen.

Sigurd holt sich, mit höflichem „Pardon“ gegen die älteren Herren, zwei Gläser und stellt sie auf den kleinen Tisch vor Amarant und sich nieder.

„Ich möchte bei dieser Gelegenheit“, fährt Amarant ruhig und liebenswürdig fort, „nicht versäumen, Ihnen sehr herzlich für Ihre Hilfe zu danken, die Sie mir während des Fastnachtsscherzes angedeihen lassen wollten!“

„Potz Wetter auch, Baroness! Das sollte ich wohl!“ — sein Auge flammt in der Erinnerung noch heiss und zornig auf: „Wer denkt an einen Scherz, wenn ein junger Herr, der soeben vor unsern Augen, mit der Rolle eines der Könige betraut, plötzlich eine Dame umarmt und abküsst!“

„Mit dem Kusswalzer wollten Sie vorhin auf dieses Intermezzo anspielen? Sie sahen mich dabei so neckend an?“

„Natürlich! Von dieser so stark lyrischen Szene werden Sie wohl noch geraume Zeit hören müssen!“

„Ich resigniere!“

„Sagen Sie, mein gnädiges Fräulein, wussten Sie zuvor von diesem Attentat auf Ihre Wangen?“

„Nicht die mindeste Ahnung hatte ich!“ beteuerte das junge Mädchen, und die blauen Augen spiegelten noch immer den namenlosen Schreck, den sie empfunden. „Valeska hatte der Tante Eni absolutes Schweigen abgerungen, denn — so sagte sie — wenn Amarant nicht aufschreit und schier in Ohnmacht sinkt, ist der Witz nur halb!“

„Das stimmt! Aber sehr gesund und für die Nerven zuträglich ist solch eine Überrumpelung nicht! — Sie sahen in der Tat so echt entsetzt aus, dass ich an eine Verstellung Ihrerseits nicht glauben konnte!“

„Gott bewahre mich!“

„Haben Sie es Komtesse Plunck nicht übel genommen, dass Sie in so fataler Szene mitwirken mussten?“

„Wieso das? — Es galt ja einen Scherz, der alle amüsieren sollte!“

„Zur Karnevalszeit zürnt man kecken Streichen nicht!“

„Wie töricht, hätte ich aus einem Nichts erst etwas machen wollen!“

„Ich weiss, dass Sie jetzt ganz aufrichtig sind.“

Amarant lachte.

„Sie glauben mir auf mein ehrliches Gesicht hin?“

„Das nicht allein. Aber ich mache gern Menschenstudien. Als Sie noch, bebend vor Entsetzen, in das Gesicht Ihrer Cousine blickten und den etwas rücksichtslosen Scherz — Verzeihung! — begriffen, beobachtete ich Sie, — ob Ihr Auge nun in Zorn beleidigtem Stolz oder gar Hass die hinterlistige junge Dame anblitzen würde ...“

„Aber Herr von Savaburg! Welch ein Physiognomienstudium! Ihr Interesse als Maler für wirksame Modelle ging mit Ihnen durch!“

Amarant lacht sehr heiter und hebt ihr Glas:

„A Freud’ muss der Mensch ham,

un der Mensch muss a Freud’ ham,

denn wenn der Mensch nu ka Freud’ hat,

was hat dann der Mensch?

und dies nicht nur zur Karnevalszeit, sondern immer und allzeit! Kein Übelnehmen, sondern leben und leben lassen!“

Mit wundersamem Blick sah er ihr in die Augen.

„In diesem Moment haben Sie mir tatsächlich eine grosse Freude bereitet!“

Er sagte es kurz und schlicht, und obwohl sie erstaunt fragen wollte: Ihnen, wodurch? so schwieg sie dennoch, denn in der Tür erschien Herr von Dillfingen und schaute eifrig nach ihnen aus.

„Ah! Hierher haben Sie sich geflüchtet! So nahe wie möglich an das glückliche Zufallsspiel heran! — Ich suchte Sie schon seit zwei Tänzen, mein gnädiges Fräulein, und bitte gehorsamst um eine Extratour!“

Amarant erhob sich, und Sigurd schaut ihr lächelnd nach.

Dann folgte er dem Paar langsam in den Tanzsaal.

Sein Blick umfasste die vor ihm schreitende junge Dame.

Amarant gefällt ihm so ausnehmend gut, — besser denn je eine andere zuvor. Sie ist nicht nur für seinen Geschmack das anmutigste Geschöpf, sie ist auch in allen Dingen so „zuverlässig“, und das ist mehr wert als Zepter und Krone, mehr als Geld und Gut!

Er trinkt das Glas aus, das ihm im Vorüberschreiten abermals von einem Diener angeboten wird.

Der Sekt schäumt auf.

Warum dies viele Trinken?

Sein Blut treibt bereits im Kreise, auch ohne Champagner.

Wie warm schlägt das Herz in der Brust, wie heiss wallt es in ihm empor. Ist’s draussen die Frühlingsluft, die alle Knospen treibt und die Sehnsucht nach des Lebens Mai und Liebe weckt?

Winterstürme wichen dem Wonnemond! — Ist er schon da? —

Er sieht Amarant im Tanz dahinschweben.

Im Arm eines andern.

Warum kraust das plötzlich seine Stirn?

Er will nicht wie ein Bettler beiseite stehen und nur Almosen empfangen, er will selber der reiche Mann sein, der den köstlichsten Schatz sein eigen nennt.

Er denkt an das unbeschreibliche Empfinden zurück, das ihn überkam, als er Amarant plötzlich in Delliens Armen sah und sie entsetzt aufschreien hörte bei des Unholds heissen Küssen!

Delliens — des vermeintlichen!

Es war sein Glück, dass er es nicht gewesen, denn in diesem wunderlichen Augenblick überkam es Sigurd von Savaburg, als strecke jener Fremde die Hände nach seinem Eigentum, als rüttle er an dem Fundament aller Liebe, alles Glaubens und Hoffens, das doch den unerschütterlichen Felsengrund seines Herzens bildete.

Ja, ein wundersamer Glaube, treu und unerschütterlich, lebte plötzlich in ihm an das reizendste aller Mädchen, das sein Ideal verkörpert —

„Die Sonne lag auf ihrem Haar,

als wär’ sie dort zu Haus!“ —

Neben ihm lachen ein paar Stimmen.

„Wissen Sie schon, Herr von Savaburg, was uns die vier heiligen drei Könige mitgebracht haben?“

„Ich bin sehr gespannt, Baronin.“

„Einen ganzen Sack voll Sterne.“

„Sterne?“

„Ja, lauter blanke, blitzernde Sterne! Für uns Damen als originelle Broschennadeln, für die Herren als Zivilkrawattenschmuck zu verwenden.“

„Und was soll’s damit?“

„Anstatt des Blumenwalzers soll ein königlicher Sternengalopp getanzt werden, — fabelhaft originelle Idee! Nun, ich glaube, die Karl-Ferdinand-Husaren können mit der Veränderung in der Rangliste sehr zufrieden sein.“

„Tatsache! Ein idealer Kommandeur und eine bewundernswerte Kommandeuse.“

Unter tobendem Gelächter ward etwas sehr Seltsames in den Saal gezogen.

Ein grosses, hellbraun wolliges Kamel, die respektabelste Nummer, welche Frau von Strombeck für ihren Vorjüngsten zu Weihnachten in Berlin erstanden.

Dieses Kamel hatte rechts und links einen gefüllten Sack hängen, und als es die Ordonnanzen heranrollten, brauste ein Ruf wie Donnerhall durch den ganzen Saal: „Das Reisegepäck des Balthasar, Melchiors und Kaspars! Die Könige vom Aufgang der Sonne! Das sieht man!“

„Direkt aus dem Morgenland importiert, wo sind nun die vierzig Dattelpalmen und die Affen?“

„Wenn der Sekt noch weiter so in Strömen fliesst,“ grunzte der dicke Rittmeister vergnügt, „wird es wohl bei den Herren von all den gekauften Vierhändern wimmeln. Ich für meine Person garantiere einen Gorilla!“

„Hurra, die Säcke voll Sterne!“

Savaburg war an Amarants Seite getreten und neigte sich näher zu ihr.

„Da nennt man nun alle Glückseligkeit eine konventionelle Lüge, und dabei habe ich selten eine so grosse Wahrheit gesehen, wie die ‚ungeheure Fröhlichkeit‘ in diesem edlen Kreise!“

„Bitte zum Sternenwalzer respektive Galopp antreten!“

„Sind Sie schon engagiert, Fräulein von Waldeck?“

„Nein, dieser Tanz steht nicht auf der Karte, sondern ist als opulente Überraschung eingeschoben.“

„Um so besser! Darf ich bitten.“

Er reichte ihr den Arm, und das junge Mädchen flüsterte: „Lassen Sie uns dort an der Bibliothekecke sitzen! Da baut sich am wenigsten Staffage vor uns auf!“

Savaburg lenkte sogleich nach dem geschützten Fleckchen herüber.

„Sie haben recht, wenn man so vornehm in der ersten Reihe sitzt, wird einem in der Hitze des Gefechts permanent über die grosse Zehe getanzt.“

„Und das kann sehr kampfunfähig machen.“

„Nun sehen Sie doch nur den Unfug, den die Kerle mal wieder mit dem Kamel loslassen! Wirklich, eine famos witzige Idee, es als Ordenskissen zu benutzen!“

„Abtanzen!“

„Gestatten Sie, gnädiges Fräulein! Wer zuerst kommt, pflückt zuerst des Maies Blumen.“

Dellien hatte den Turban wieder aufgestülpt und den Kaftan grotesk über die Uniform drapiert.

Er nahm dem Kamel einen der Säcke ab und sprach: „Ich bin Serenissimus, das Dekorieren ist meine Sache!“, und dabei stellte er sich gravitätisch hin und überreichte mit mehr oder minder feierlichen, mündlichen Verleihungsurkunden den ‚Pour le mérite von der Protuberanzensonne‘!“

Savaburg hatte glücklich einen Damenstern ergattert, während Amarant sich mühsam einen solchen für die Herren bei „dem Kamel“ erbetteln musste.

Dillfingen hatte sich als Dompteur bei demselben aufgestellt und schreckte die zaghaften Damen durch heftige Bocksprünge des wilden Tieres mit dem jeweiligen Warnruf: „Es beisst! Es beisst!“

Der Edle von Needlitz unterstützte diese famose Zirkusnummer, indem er mit einer Stimme, welche selbst die Musik übertönte, das Gedicht deklamierte:

„Es ging ein Mann im Syrerland,

führt ein Kamel am Halfterband!“ —

Es war tatsächlich nicht leicht für die Damen, einen Griff in die Tiefen der königlichen Bagage zu tun.

Endlich hatte Amarant eine Handvoll errungen.

Den ersten Stern ihrer Gnade liess sie über dem kleinen Needlitz aufgehen — „um ihm den Mund zu stopfen, weil er so kläglich schrie“ — und dann eilte sie Sigurd entgegen, der sich schon auf halbem Wege zu ihr Bahn gebrochen.

„Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein, schnell, ehe die Brandung wiederkehrt!“

Er nahm den entzückend gearbeiteten kleinen Stern und überreichte ihn der jungen Dame.

Ein tanzendes Paar stiess sie an, und das niedliche Schmuckstück entglitt Amarants Hand und fiel zur Erde.

Savaburg neigte sich hastig, es aufzuheben.

Seitlich auf einem Stuhl sass verpustend Rittmeister Mäxchen.

Sein rotes, rundes Gesicht glänzte wie der Vollmond (Dellien behauptet, wie ein Edamer Käse!), und die weinselig verschwommenen Äuglein äugten listig dem Entschwindenden nach.

„Das war eine Sternschnuppe, Savaburg“, grinste er freundlich.

Ein langer, leuchtender Blick Sigurds senkte sich in Amarants Auge.

„Einen solchen Gruss aus dem Paradies erhalten wir nicht oft, Fräulein Amarant, halten Sie schnell die Hände empor und fangen Sie ein symbolisches Stück Glückseligkeit auf!“

„Ich hab’s und halte es fest!“ sagte sie schlicht, und befestigte ihren hellen Orden an seiner Brust: „Man sagt, wenn erst ein Stern aufgegangen, folgen bald viel andere nach! Hoffen wir, dass es so ist!“

Im Spukschloss Monbijou

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