Читать книгу Lebende Blumen - Nataly von Eschstruth - Страница 4

Erstes Kapitel

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Wenn man die lange, tiefschattige Lindenallee, welche aus der Stadt heraus in die an und für sich recht reizlos flache Umgegend führt, bis zum Ende hinabgewandert ist, so wogt auf warmen Sommerlüften oder mildem Frühlingsodem ein fast berauschender Duft daher.

Woher?

Die Leute in der Stadt wissen es und ihr liebster Spaziergang führt sie hinaus in das Stücklein unverlorenen Paradieses, welches hier, vor all dem Lärm und Grossstadtgetriebe selig versteckt, ein märchenhaftes Dasein träumt.

Man muss schon dicht vor den gewaltigen Ligusterhecken stehen, wenn man einen Blick in dieses wonnevolle Reich von Knospen, Blüten und Früchten werfen will.

Ein hohes, spitzgiebeliges Ziegeldach ragt über die Gruppen erlesen schöner Bäume empor.

Im Frühling zauberhaft anmutig in allen lichten Farbenmischungen, von dem zarten, fast weissgrünen Leuchten der Silberpappel durch dicke Tuffs maifrischer Birken, Kastanien, Linden, Ulmen und Ahorn, bis zu dem voll gesättigten Braunrot der Blutbuche und -nuss.

Dazwischen lachen Jasmin und Syringen, schüttet der Goldregen sein gleissendes Füllhorn aus übervollen Zweigen, und der Rotdorn prunkt mit dem glühenden Pirus um die Wette, dieweil neben ihnen in reizendem Wettbewerb all die vielen Ziersträucher mit weit offenen Blumenaugen und ausgebreiteten Zweigarmen dem segenspendenden Himmel entgegenstreben.

Wie artigen Kindern hat ihr Wärter ihnen kleine Täfelchen umgehängt, wie schmucke Serviettchen, auf welchen ähnlich wie „Mamas Liebling“ die schönen Namen prangen, nach welchen der liebe Frühling seine Kleinen benannt haben wollte!

Wer diese anmutigen Lenzeskinder lieb hat, kann viel Reizendes hier schauen, immer neue Wunder an Form, Farbe und Duft, welche sich täglich frisch erschliessen, in oft verschwenderischer Fülle und Abwechselung.

So oft wie Gott der Herr sein allmächtiges „Werde“ über die ehemals so öde und dunkle Welt gerufen, so oft haben sich entzückende Blütenkelche erschlossen, haben helle, liebe Äuglein dankbar zu ihm emporgestrahlt!

An dem sehr alten, weissgetünchten Haus scheint alles zusammengetragen zu sein, was da rankt, klettert und sich in graziösen Gewinden an Blatt und Bäumen emporschlingt.

Da sind alle Rosen, Glizienias und Klematisarten vertreten, ihre neu importierten Schwesterchen aus Japan und Amerika sind bald zwischen ihnen heimisch geworden und grüssen die ungezählten Freundinnen aller Gattungen und Sorten, welche sich auf den breiten Rabatten vor dem Hause, sowie auf den samtweichen, kurzgeschorenen Rasenflächen der Gartenanlagen zu imposanter Fülle und Vollendung entwickeln.

Die Nachtigallen bauen ihre Nester dazwischen und Schwälbchen und Stare finden voll treuer Sehnsucht alljährlich den Weg hierher zurück.

Hinter dem Haus, dessen schneehelle Tüllstores in dem Sonnenglanz leuchten, dehnen sich weite Felder wie zauberholde Blumenteppiche, je nach Jahreszeit und Modegeschmack mit den Massen von Veilchen, Narzissen, Hyazinthen und Tulpen bedeckt, welche zu Tausenden auf den Markt hinauswandern.

Da weben sich alle Fäden, welche den ungezählten Menschenleben das Muster wirken, in die Formen hinein, zu welchem all die Blumen und Knospen gebunden werden.

Die Rosengirlanden, welche dem jungen Erdenbürger glückverheissend in das Taufbecken nicken, die feierlich schönen Konfirmationsbuketts und die fröhlichen Kotillonsträusschen im Geleit der duftenden Blumenarrangements für Festtafeln aller Art’ — das keusche, heilige Weiss von Mrythe und Orange, welche im Brautkranz zum Symbol der Liebe werden, bis die ernsten, dunklen Zypressen und Imortellen sich zum letzten Gruss für selig in ihrem Gott Gntschlafene, im Palmenschmuck zusammenschliessen!

Es ist eine gar beredte Sprache, welche die kleinen Blumen duften, aber nicht ein jeder Mensch hört und versteht sie, denn dieses Lallen geht nicht in das Ohr, sondern in das Herz ein, und es sind meist nur die ganz Gottbegnadeten, welche so fein mit dem Herzen hören können, dass ihnen der Blumenduft die seligsten und tiefsinnigsten Psalter der Ewigkeit singt! Das ist ein ganz besonderes Himmelsgeschenk von dem, welcher sich selber den „guten Gärtner“ genannt hat, nicht nur für die Blümlein, welche draussen in Feld und Garten wurzeln, sondern vielmehr für all die zarten, liebreizenden Menschenblüten, welche er so gern hegt und pflegt, durch seine Gnadensonne erwärmt und erfreut und durch milden Regen nach Hitze und Wettergraus erquickt und stärkt.

Sie müssen nur kommen und den so freundlichen und barmherzigen Gärtner bitten, dass er sie als die Seinen anerkennen und freundlich in seine treue Hand schreiben will.

Dann fehlt es an keinem Guten, nur geduldig ausharren müssen sie in der Trübsalshitze und Gewitternot, wie die Schwestern in Wald und Heide. Wenn es noch so dunkel und traurig in der unheilschwülen Welt aussieht, einmal wird es doch wieder hell, — die rechte Zeit muss nur dafür kommen!

An dem grossen Gartentor ist ein breites Schild angebracht.

„Handels- und Kunstgärtnereien von Tobias Maximilian Eicklingen.“

Nicht nur stadt-, sondern weltbekannt ist seine Firma, Geschmack, Kunstsinn, tadellose Ware garantiert die alte Tradition des Hauses.

Heute sieht die Einfahrt, welche sonst als einzige ohne Blumenschmuck nur der Beleuchtung dient, ebenso imposant aus wie sonst bei hohen Fest- und Feiertagen, wo entweder die Pfingstmaien sie überragen oder die Christbäume fröhliches Willkommen bieten.

Heute schlingt sich eine grosse Girlande von Pfeiler zu Pfeiler, und die Menschen, welche aus den herzurollenden Wagen steigen, tragen ein Sonntagskleid und sehen alle so fröhlich aus, als wollten sie schon auf ihren Gesichtern den Sonnenschein des Frohsinns in das Haus tragen.

Bei Kommerzienrat Eicklingens ist Taufe!

Wunderbar! Das sechste Mädel!

Sonst wünschen sich die Väter zu ihren Töchtern doch meist auch einen Sohn, Herr Eicklingen macht jedoch eine Ausnahme von dieser Regel.

Er ist ein Germane, ur- und kerndeutsch „bis auf die Knochen!“ wie er selber sagt, und die Deutschen haben es schon von alters her bewiesen, dass sie das Weib als ihr Liebstes und Heiligstes stets in Ehren gehalten!

So auch er.

„Ich bin Gärtner und sollte mir nicht als reizendste Zierde meines Hauses Töchter wünschen?“ lacht er, und dabei reckt er seine hohe, markige Gestalt, und das blondlockige Haupt auf den breiten Schultern hebt sich stolz an der Wiege seiner Sechsten —: „Unsere Frauen und Mädchen sind die lebenden Blumen, welche unser arbeits- und mühereiches Leben schmücken, idealisieren und inhaltsreich machen! Würden wir Rosen pflegen, wenn sie nur Dornen trügen? — Ist nicht seit alters her die Blume zur Helmzier ritterlicher und streitbarer Männer erkoren? — Ich kann des Guten nie zu viel haben und meine Sechste hier ist mir noch willkommener wie die Fünfte!“

Und dabei hob er das süsse kleine Bündel im Taufkleid mit starken Armen empor, dass die himmelblauen Seidenschleifen aufwogten, küsste zärtlich das rosige kleine Gesicht und sagte: „Als erstes Blümchen bist du gekommen, du herziger Frühlingsgruss! Just mit den blauen Cillas zu gleicher Zeit! So sollst du auch ihren Namen tragen, und mit deinen himmelsfarbenen Augen, so Gott will, dein Lebenlang die fröhliche Lenzesverheissung zu denen tragen, die dich lieb haben: ich bringe euch den Frühling mit!“

Frau Meta, seine Gattin, zollte vollsten Beifall, und so geschah bei Eicklingens abermals das Originelle, so oft von allen Leute Besprochene, dass der Stadtgärtner seinem jüngsten Töchterchen ebenso wie allen vorangegangenen wieder einen Blumennamen gab.

Diese Passion des liebenswürdigen Mannes war ja so begreiflich!

Er lebte und webte ja nur für seine Blumen!

Immer neue Wunder schufen seine erfolgreichen Kulturen und die vollendet schönsten neuen Sorten, welche auf den Markt gebracht wurden, trugen den Namen Eicklingen auf ihrem Ruhmesbanner.

Eine zahlreiche Gesellschaft versammelte sich in den eleganten, gastlichen Räumen. Viele Anverwandte, Freunde und gute Bekannte, welche die kleine Cilla bei ihrem Eintritt in das Leben begrüssen wollten.

Der Taufaltar war mit den blauen kleinen Frühlingsboten, gleich wie mit einem Teppich bedeckt, aber es waren nicht mehr die einfachen Wiesenblümchen, wie sie sonst gleich freundlichen Äuglein aus Moos und überwinterten Halmen lugen, sondern grosse, herrlich gefüllte Kelche, welche die geduldigen Versuche ihres Gärtners belohnt hatten, und als neue, wenn auch nicht hochstielige Blumen seine Sortiments bereicherten.

An blauen Blumen herrscht leider Mangel!

Die Vergissmeinnicht stehen nur kurze Zeit zur Verfügung, die „Braut in Haaren“ und Eychorie widerstehen noch immer den Versuchen, sie zu modernen Luxusblumen zu machen!

Um so erfreulicher, wenn die Cilla endlich so völlig und dekorativ wurde, dass wenigstens die Ostertafeln durch sie ein neues, abwechselungsreiches Gepräge erhielten.

Darum hat man den Täufling auch in himmelblaue Schleifen gekleidet, und wie es der glückstrahlende Vater gewollt, schmückte ein flachgebundener Strauss das Brüstchen der Namensschwester, und ein allerliebstes, winziges Kränzchen lag gleich aneinandergereihten Sternen auf dem Köpfchen des Babys.

Gerade darauf war Tobias Maximilian sehr stolz, denn solch ein süsses Geschöpfchen im blauen Glorienschein war wohl noch nie zuvor getauft.

Originell wie immer! lächelten die Festgäste, und der sprudelnde Champagner sprühte den Tau glückseligster Lebenslust auf Kind und Blumen.

Die kleinen Schwestern des Täuflings sind zugegen.

Die Damen ziehen sie zu sich heran, sie zärtlich zu liebkosen, und die Herren scherzen mit den so hübschen und geistig regen Kindern.

Man plaudert mit ihnen, wie man sich gewöhnlich mit Kleinen unterhält, über Dinge, welche ihnen bekannt und geläufig sind und welche eine Antwort ihrerseits ermöglichen.

Gross ist die Auswahl der Themas ja nicht, und für viele Erwachsene, welche nicht ständig mit Kindern zu tun haben, hat der Verkehr leicht etwas Befangenes, welches beide Teile verlegen macht.

Was soll man mit solch unbedapften Geschöpfchen reden?

„Ah — komm mal her, mein Mädel! Du bist die Älteste unter euch Geschwistern?“

Die auffallend hübsche Achtjährige macht einen sehr wohlerzogenen Knix.

Der Blick ihrer tiefdunklen Augen, gross, voll und weich, wie metallisch flimmernder Samt, huscht dabei schnell an sich herab, ihr Spitzenkleidchen noch einmal prüfend zu mustern.

Sie trägt einen Kranz purpurroter Rosen auf den langwallenden schwarzen Locken.

„Und wie heisst du?“

Ein stolzes Heben des Köpfchens, ein Blick aufsprühenden Selbstbewusstseins in dem reizenden Gesicht, welcher kaum mit den Jahren der Kleinen in Einklang zu bringen ist.

Sie ist diese Frage so gewöhnt.

„Ich heisse Rose Damascena!“

„Rose Damascena?! Das ist ja ein sehr eigenartiger Name!

„Wie hübsch, dass du Rose genannt wirst!“

„Ich werde meistens Damascena genannt, weil dies die schönste der Rosen ist!“

„So, so!“

„Also ganz und gar eine kleine Königin unter deinen Geschwistern!“

Onkel Rolf, der Student, lacht und lässt die langwallende Haarespracht durch die Hände gleiten!

„Müssen wir dich etwa Majestät nennen?“

Damascena lächelt, — nicht wie ein Kind, sondern ein ganz klein wenig arrogant, wie ein Prinzesschen, welches man überflüssige Dinge frägt.

„Wenn wir Räuber und Königskind spielen, tuen es die Jungens von Geheimrat und Hauptmanns! — Sonst aber nicht.“

„Machen sie auch einen tiefen Knix dabei, wie das bei hohen Damen so üblich ist?“

„Wenn ich es als Prinzessin verlange, ja!“

„Und du verlangst es natürlich?“

„Wenn sie albern sind und nicht wollen, dann ja! — dann müssen sie, sonst spiel ich nicht mit!“

„Ganz recht so! Wenn man Rose Damascena heisst und Königin ist, müssen einem die höchsten Ehren angetan werden!“

Damascena nimmt solche Worte, welche immer im Scherz gesagt sind, sehr ernst und würdevoll auf und findet es ganz selbstverständlich, wenn sich die Unterhaltung in dieser Weise abspielt.

Sie steht meist etwas voran, und erwartet, dass man sie beachtet und ihr schmeichelhafte Worte sagt.

Es geschieht fast stets, denn das Kind ist ebenso auffallend hübsch, wie ihr Name herausfordernd eigenartig wirkt.

„Und du da, kleiner Tituskopf? — Wie heisst du?“

„Ich heisse Oleandra!“

„Alle Wetter, wie schön! — Wie kommst du denn zu diesem südländischen Namen?“

Die Genannte hält sich meist an der Seite ihrer Schwester Damascena und lächelt nur ein recht altkluges Lächeln.

„Oleandra heisst Lorbeerrose, so wie sie im Gewächshaus von Papas neuen Kulturen steht!“

„Lorbeer! Sieh mal da! Schon in der Wiege hat man dich mit Lorbeeren geschmückt, kleines Mädel!“

Hast du dir denn infolgedessen den Lorbeer zu deiner Schicksalsblume erwählt?“

Oleandra wiegt nachdenklich den Kopf.

„Wenn ich so heisse, sagt Tante Erna, so muss ich mir im Leben auch fraglos mal viele Lorbeerkränze holen!“

„Wo denn?“

Die Kleine zuckt die Achseln: „Ich weiss noch nicht so recht.“

„Willst wohl mal eine berühmte Sängerin werden?“

„Doras Klavierlehrer hat mich neulich schon mal singen lassen ...“

„Nanu?! — bist doch erst sieben Jahre alt!“

„Aber sie sagen, meine Stimme sei stark und kräftig! Und ich heisse doch Oleandra, die Lorbeerrose!“

„Wer ist denn Dora?“

„Der Backfisch bei Geheimrats!“

„Möchtest du nicht lieber eine weltberühmte Malerin werden?“

„Vielleicht auch! Fräulein hat neulich die Bilder, welche ich angetuscht habe, zu Papa getragen und gesagt: ‚Das Kind hat fraglos Farbensinn und Maltalent!‘“

„Das wäre ja grossartig! — Und was sagte dein Vater?“

Oleandra zuckte die schmalen Schulterchen und warf die Lippen auf.

„So recht eigentlich gar nichts! ‚Es sei ganz nett gemacht!‘ meinte er, und Fräulein versicherte: ‚ich beobachte meinen Schützling so scharf auf künstlerische Neigungen hin, weil sie doch Oleandra heisst!‘“

Das klang alles so fremd aus dem winzig kleinen Mündchen.

„Und du da, kleines Blondinchen, du bist die dritte der Schwestern?“

„Ja, ich bin Nummer drei!“ klingt die resolute Antwort, „Papas Schlingel und Mamas Bengelchen!“

Allgemeines Gelächter.

„Aber das sind doch nicht deine Taufnamen?“

„I wo! Ich heisse man Arnika!“

„Arnika! Das Kräutlein ‚Wohlverleih‘ im Volksmunde!“

„Wie ist denn dieses Arzeneikräutlein zu dir gekommen?“

„Papa hat doch die entzückende, vielfarbige Arnika gezüchtet! — Weisst du das nicht?“ klingt es beinah etwas ironisch zu dem Frager auf. — Ironisch, wenn das bei solch kleinem Kind überhaupt möglich ist! Aber die grossen, kühlen und klugen stahlgrauen Augen blicken so wunderlich und die kleine Stuppsnase hebt sich recht keck dazu in die Luft.

„Da willst du wohl mal einen Apotheker heiraten und recht viel Malzbonbons und süsse Regliesse essen?“

Arnika lacht sehr laut.

„Nein — ich mag keinen Mann! Und Walzbonbons erst recht nicht! Max drüben sagt, wenn ich nach so einem Wundkraut hiesse, müsste ich mal Doktor studieren!“

Oleandra zieht eine kleine Grimasse.

„Solch ein Unsinn! Sie hat ja immer geweint, wenn sich einer in den Finger schnitt und sie Blut sah.“

„Aber jetzt schon lange nicht mehr!“ verteidigt sich Arnika pikiert. „Jetzt habe ich unserer Köchin sogar selber einen Lappen um den Finger gewickelt, wie sie sich neulich verbrannt hatte, und die Gänse schneide ich jetzt immer auf und nehme sie aus, ganz wie ein Doktor das macht!“

„Weil sie doch Arnika heisst!“

„Und wenn die Puppen krank sind, kommt sie immer als Doktor und macht alles genau so, wie der Herr Sanitätsrat. Sogar Pillen sollen sie schlucken und sich in den Hals sehen lassen ... und ... und ...“

„Sei still! Du sollst das nicht sagen.“

„Sogar unsern Hund hat sie neulich kuriert, der hatte sich den Magen verdorben ...“

„Alle Wetter! Warum denn gerade den Magen verdorben?“

Wieder das fein spöttische Lächeln des Kindes.

„Nun, der streckt doch immer die Zunge heraus, wenn ich sage: Zeig’ mal deine Zunge, mein Jung’! so gehorcht er doch und ist nicht so albern, wie die dummen Puppen!“

Frau Eicklingen war herzugetreten.

„Ah, hier ist wieder Verwunderung über den Namen Arnika!“ ruft sie amüsiert. „Nicht wahr, eine seltsamer Gedanke von meinem Mann, das Kind so zu nennen! — Damals, kurz ehe sie geboren ward, hatte gerade seine entzückende Gartenedelarnika einen Preis bekommen — und da kam es ihm in der Freude so in den Sinn!“

„Kräutlein Wohlverleih ist doch eine sehr nette Bezeichnung für ein weibliches Wesen!“

„Daran denkt nur niemand! Immer heisst es Arnika!“

Wieder erhebt der Vetter Student die dröhnende Bierstimme.

„Ist ja auch viel zeitgemässer, wenn das Mädel Doktor wird! He! Arnika, ich studiere noch ein Dutzend Semester länger und warte auf dich! Dann wirst du Fuchs bei mir, — wir reiben unsere Salamander ...“

„Was ist denn das, Onkel? Bitte erzähl’! Ja, ja, ich reibe einen Salamander. Das ist doch ein Tier?“

„Und trinken Bierjunge! Du kannst doch hoffentlich schon ordentlich eins hinter die Binde giessen?“

Arnika schüttelt sich vor Lachen.

„Wenn ich Student werde, bekomme ich auch so ein Käppchen und Band wie du?“

„Na gewiss! Dann wirst du halt eine Couleurschwester.“

„Aber Rolf! Mach doch keinen Unsinn!“

„Warum denn nicht, Meta! Spass muss sein! Wenn das Mädel nun mal Arnika heisst, dann kann sie auch den Äskulapstab anstatt des Fächers oder Kochlöffels schwingen! Komm her, Schwester Saufsack, bist mein Kommilitone!“

Arnika schlägt derb in die dargebotene Hand ein.

Sie wird von Tag zu Tag mehr „Bengelchen“!

„Lilie soll ja Nonne oder Diakonissin werden!“ spottete sie, das möchte ich nun niemals! Im Kloster ist es so langweilig, sagt Dora, und in den Krankenhäusern ist auch nichts los!“

„Lilie?“ frägt es wieder in dem Kreis der fremden Gäste. „Bist du das, kleine Heilige?“

Und man winkt dem blassen Zwillingsschwesterchen der Oleandra, welche ziemlich teilnahmlos beiseite steht und der Unterhaltung schweigend lauscht. Sie scheint die wenigst hübsche.

Sehr mager und spitz neigt sich das farblose Gesichtchen zur Brust, und die Augen blicken müde und resigniert.

„Das wäre ja noch besser, wenn du in ein Kloster gehen wolltest, Lilie! Hast du denn Lust in solch grossem, dunklem Hause zu wohnen?“

Das Kind lächelt gleichmütig. „Papa sagt, hier in der Nähe gibt es gar kein Kloster! Aber barmherzige Schwestern genug!“

„Na also! Dann brauchen sie dich doch nicht mehr.“

Die ernsten Augen verschleiern sich.

„Sie sagen immer, weil ich Lilie hiess, so müsste ich wohl mal ganz was Frommes werden! — Solch eine Haube sieht ganz hübsch aus! — Und tanzen? — Ich mag so wilde Spiele gar nicht so gern!“

„Weil wir sie immer auslachen!“ tollt Arnika und macht am Arm des Onkel Student Schwingübungen.

„Wenn sie hopsen will oder Greifspielen, oder gar wildes Tier, dann schreien die Jungens immer: hurra! die Heilige geht los! — jetzt tanzt die heilige Lilie!“

„Das ist sehr unrecht von den Jungens.“

„Warum denn? Sie sagen doch alle, so eine Lilie sei eine Kirchenblume.“

„Es gibt doch so fröhliche Diakonissinnen.“

„Und warum muss denn jede Lilie so feierlich genommen werden?“

„Papa sagt auch, die Lilie sei die Schwester der Rose und eine der herrlichsten Blüten.“

„Nicht wahr, Kleinchen? Darum kannst du doch sehr lustig und fidel im Leben sein.“

Das Kind schüttelt den Kopf. „Warum denn? Tante Gretel sagt, die barmherzigen Schwestern werden im Himmel alle Engel. Und ich möchte sehr gern mal ein wirklicher Engel werden!“

„Aber erst im Himmel?“

„Ja, ich warte so lang!“ ist die gleichmütige Antwort. „Tante Altenhagen sagt doch auch, dann bekäme ich so einen goldenen Reif um den Kopf wie die heilige Anna auf dem Bild bei Pastors.“

„Na ja! Also doch eine Heilige!“

„Der Name ist Vorbedeutung!“

„Doch nicht immer!“

„Nun zum Beispiel unsere kleine Violetta.“

„Komm mal her, Puppchen! Was willst du Vorjüngste denn mal werden?“

Die grossen, guten und zärtlichen Augen des Kindes schlagen sich voll auf.

„Ganz artig und bescheiden sein, wie Mama und Fräulein sagen!“ lächelte sie.

„Das ist aber mal brav!“

„Warum sagt es denn Mama gerade zu dir?“

„Ein Veilchen muss immer ganz demütig sein,“ erklärt Damascena etwas diktatorisch, und Arnika belehrt abermals: „Das Veilchen ist doch das Sinnbild der Bescheidenheit, sagt Herr Motz, weisst du das nicht?“

„Natürlich weiss ich das!“

„Und Violetta heisst doch Veilchen.“

Oleandra wirft das Köpfchen zurück und lächelt.

„Sie ist ja noch so klein und dümmchen. Sie spielt nur mit ihren Puppen. Dann ist sie die Mama und kocht ihnen Suppe, und legt sie zu Bett und fährt sie im Kinderwagen ...“

„Und wenn sie erst grösser ist, will sie ihnen Kleider nähen.“

„Und Strümpfe stricken.“

„Und beim Christkind will sie sich zu Weihnachten einen Papa für ihre Kinder wünschen!“

„Bravo, Violetta! Das ist ein schlauer Gedanke!“ ruft ein unverheirateter Landgerichtsrat vergnüglich. Ich werde dem Christkind gleich meine Adresse schicken, falls es nicht wissen sollte, woher solch einen Vater auf Kaution nehmen!“

„Spielt ihr andern denn nicht ebenso gern mit Puppen?“

„Lilie! ja, Lilie spielt auch manchmal mit ihnen, aber dann sind sie meist krank, und sie setzt sich eine Haube von der Kinderfrau auf und kommt als Pflegerin.“

„Und ich als Doktor!“

„Fehlt ja nur noch der Totengräber!“ ulkt der Student. „Na Eicklingen hat sich ja mit seinen Töchtern ganz gut eingedeckt!“

„Mir ist das Spiel mit den dämlichen Puppen viel zu dumm!“ rümpft Rose Damascena das reizende Näschen.

„Mir auch! Mir erst recht!“ echoen Oleandra und Arnika.

„Na und was wird denn nun aus der kleinen Cilla hier?“

„Cilla heisst: Fürwitzchen!“

„Das ist ja drollig!“

„Also ein lüttes Gör, das immer recht frech mit dem Schnabel vorweg ist“, lacht der Student drastisch. „An der bekommst du mal Konkurrenz, Arnika! Wenn du nicht auf den Mensuren mitpaukst und dir nicht den Doktorhut holst, dann wird Fürwitzchen mein Liebling.“

„Cilla ist ja zu niedlich.“

„Die kleine Frühlingsbotin, wie ihr Vater sie nennt.“

„Wirklich ein entzückender Strauss von lebenden Blumen, mit welchen der ehrengeachtete Herr Tobias sein trautes Heim schmückt!“

„Sie sind wohl sehr stolz auf ihr Patenkindchen, gnädige Frau?“

Die Grossmama lächelt freundlich.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sie Mandelblüte genannt.“

„O wie poetisch!“

„Aus besonderer Vorliebe.“

„Kennen Sie nicht das süsse kleine Lied: Wenn die Mandeln blühen!“

„Italienisch?“

„Wenn es von ewiger Glückseligkeit kündet, so muss es auch in unsterblicher Sprache geredet sein!“

„Was ist dann, Grossmama, wenn es so weiss und duftig rosa im Land der Sonne an allen Ästlein und Zweigen blüht?“

„Dann zieht die Göttin Minne ein in Herz und Haus!“ lächelt die alte Frau mit weichem Blick der Sehnsucht, „und in ihrem Gefolge sind all die Wonnen und Freuden, von denen die Herzen so oft träumen und denken und doch unentwegt auf die Erfüllung ihres heissesten Wunsches warten müssen.“

„Grossmama! Du bist Dichterin!“

„Hattest du dir so viel von dem Namen für die Kleine versprochen?“

„Gewiss! Man glaubt so gern und so fest und zuversichtlich an solch schöne Verheissungen.“

„Wer weiss, ob Fürwitzchen deinen Erwartungen entsprochen hätte.“

„Warum?“

„Es gibt doch auch bittere Mandeln“, scherzte der Enkelsohn.

„Die wachsen nicht im Paradies!“ schüttelt die Matrone das ergrauende Haupt, „und die reizenden Reime des genialen Unsterblichen versichern ja für Herz und Seele alle Ruhe eines Seraphs mit aller Himmelslust dazu —: wenn die Mandeln blühen!“

„Wir taufen Cilla um.“

„Das gilt nicht.“

„Sie singen ihr das Lieblingslied so oft vor, gnädige Frau, bis Baby es als Ehrensache erachtet, alle Hoffnungen seines Grossmütterchens zu erfüllen.“

„Für Haus und Hof.“

„Und den gesamten Familienring der Eicklingen!“

„Das ist selbstverständlich.“

„Geteiltes Glück ist doppeltes Glück.“

„Während geteilter Taufkuchen nur halber Kuchen ist.“

„Rolf, du bist unausstehlich!“

„Minnchen ist nicht mehr so geizig wie früher, sie hat sich gebessert ...“

„Hörst du, Meta?“

„Inwiefern das?“

„Nun, als wir Oleandra und Lilie tauften, servierte sie uns aus lauter Sparsamkeit Zwillinge, damit sie die Festlichkeit mit einer grossen Torte bestreiten konnte.“

„Sehr richtig!“

„Bei meiner Nichte Cilla hilft alle Genauigkeit nichts, wir erhalten unverkürzte Ration!“

„Aber nicht nach Grossmamas Herzen. Die rosa und weiss blühenden fehlen!“

„Doch nicht!“ erklang eine sonore Stimme mit fröhlichem Lachen hinter der Plaudernden. „Ich weiss gar wohl die Wünsche meines lieben Weibes zu würdigen und bin stets bemüht, alle ihre Sehnsucht, so weit es in meiner Macht steht, zu erfüllen ...“

„Hurra! Der Grosspapa!“

Der alte Herr mit dem lockigen weissen Haar und dem noch immer flott ausgestellten dunklen Schnurrbärtchen, welches ihm das Aussehen eines Marquis mit gepuderter Perücke gab, stand zwischen den Portieren und winkte einem Diener, ihm zu folgen.

Die süsseste aller Mandeltorten trug dieser auf einem Tablett, nach dem Rauchzimmer, wo soeben noch eine „verfrühte Maibowle“ von Waldmeister aus den Frühbeeten der Firma Eicklingen, als besonderer Scherz angesetzt wurde, und der alte Grosskaufmann hielt ein Sträusschen von weissen und rosa Blumen in der Hand, verneigte sich ritterlich vor seiner Gattin und zitierte lächelnd: „Die ewige Liebe kann ihren Einzug halten, Sisi, die Mandeln blühen!“

Da gab es einen allgemeinen Jubel und Grossmama Luise sah ihrem Gatten voll tiefen und warmen Dankes in die Augen und sagte zärtlich: „Das sieht dir einmal wieder ähnlich, du Herzensmann!“

„Ist Cilla nun doch eine Mandelblüte geworden?“ forschte Damascena.

„Nach dem Taufschein wohl nicht! Aber ich denke, das Lieblingslied der Grossmutter ist nun doch wie ein sinniger Segenswunsch auf unseren kleinen Täufling überkommen!“

„Ich, als stimmberechtigter Onkel bin doch sehr dafür, dass man die Mandeltorte nicht grausam von der Bowle trennt!“ rief Student Rolf übermütig. „Ich füge meiner jüngsten Nichte zur Cilla und Mandelblüte noch den Waldmeister hinzu, denn dies ist die einzige Blume, welche für eine herangewachsene junge Dame die beste aller Bedeutungen hat!“

„Hurra — mir ahnt etwas!“

„Aber nichts Böses!“

„Im Gegenteil! — An die Gläser, meine Herrschaften! — Waldmeisters Brautfahrt ist zu weltbekannt, um sie in diesem weihevollen Augenblick verschweigen zu können!“

„Sehr richtig!“

„Der König der Wälder hat soeben seinen Einzug gehalten, um sich aus dem Strauss lebender Blumen, im Hause des Herrn Tobias eine Waldmeisterin zu wählen! In fünfzehn bis zwanzig Jahren, so denke ich, hat er seine Wahl endgültig getroffen und dann bitte ich um das Recht, für das neuverlobte Paar die süsseste aller Festbowlen ansetzen zu dürfen.“

„Bravo! Die kleine Cilla-Mandelblüte schiesst den Vogel ab!“

„I wo! Ich steh für mein Patenkind Damascena ein!“

„Bon; so tue ich es für meinen Kommilitonen Arnika!“

„Und ich für Oleandra!“

„Und ich stimme für die Lilie!“

„Na, Papa Eicklingen, dann lassen Sie die Warmbeete beizeiten anheizen, damit dem König Waldmeister warm ums Herze wird.“

„Das besorgen die holden Blümlein ganz allein.“

„Also heute bei der Taufe der Jüngsten wollen wir mit vollem Glas der Brautbowle gedenken, welche gleich Fortunas Füllhorn alle Glücksvollendung über dieses Haus ergiesst.“

„Grossmama — hörst du es? — Wenn die Mandeln blühen!“

„Sie tuen es.“

Der Pfarrer, welcher im Hause des Kommerzienrats den heiligen Akt der Taufe vollzogen, schritt an der Seite des Landegerichtsrates der Stadt entgegen. Es war ein köstlicher Heimweg, durch den milden, stillen Frühlingsabend.

Zum letztenmal stiegen die Vögel mit hellem „Gutenachtgruss“ zum Himmel, zogen ihre weiten Kreise, gleichsam als wollten sie noch einen freundlich hütenden Blick auf die Welt hernieder tun, welche so gar nicht müde werden will, gleichviel, ob die Sonne mit gutem Beispiel vorangeht und sich auf ihrem nächtigen Lager in weiche Wolkendecken hüllt.

Die Schwalben schiessen im fröhlichen Zickzackflug noch einmal hin und her über die saubere Landstrasse, und die Mückenschwärme stellen ihren tollen Ringelreihen ein und verkriechen sich in den Baumrinden.

Von den nahen Feldern tönt Gesang.

Die Landarbeiter ziehen mit ihren Gespannen, Pflug und Egge, sowie den farbenfreudigen Drillmaschinen Zurück. Die Alten müde und gebeugt von der Last der Jahre, die Jungen mit flottem Gang und geschulterten Spaten, helles Lachen in den Augen und ein Lied auf frischen Lippen.

Die ersten Dämmerschatten sinken herab und verdichten sich unter den breiten Lindenkronen der Allee.

Die Herren sind anfänglich schweigend nebeneinander hergeschritten. Nur hier und da tauschen sie kurzen Gruss mit Vorübergehenden, oder wehren frech kläffende Hunde ab.

Der Pfarrer zieht den Hut von dem Haupt, um hochaufatmend die frische Luft um die Stirn streichen zu lassen.

„Welch ein lindes Wehen ringsum“, sagt er leise. „Mehr denn je kommt mir im Frühjahr das herrliche Wort in den Sinn: ‚der Geist, welcher an allen Enden wirkt und schafft!‘ — dann deucht es mir, man sieht sein geschäftiges und schöpferisches Walten mit Augen, man erlebt es persönlich mit, wie eine Welt erschaffen wird.“

„Tatsächlich, Herr Pastor, Sie sprechen aus, was ich denke. Vor ein paar Wochen war hier noch Eis und Schnee und bleiche todesstarre Zeit über der Welt, welche wüst und leer in tiefer Leblosigkeit einen ewigen Schlaf zu schlafen schien, und heute ist wiederum wie vor vielen Millionen Jahren ein seliges Liebeswunder geschehen, welches sein „Werde, so gewaltig über all die Schneemassen rief, wie damals, als die ersten Seiten der Bibel erfüllt wurden.“

„Sie kennen und lieben also wohl gleich mir die wundervolle Haydensche Vertonung dieses Anfangskapitels der Schrift: Die Schöpfung.“

„Es bringe die Erde in Fülle hervor,

Blühende Gewächse, die Samen tragen.“

Welch eine Melodie! Welch eine Urkraft des Klanges! Unwillkürlich hört man solche Harmonien durch das weite All brausen.

„Blumen! — Lebende Blumen! Gerade heute, jetzt, wo wir solch einem jungen Menschenblümchen das Wasser ewigen Lebens über das blonde Köpfchen sprengen durften, gewinnt solch ein Schöpfungswort doppelt schönen Wert.“

„Es ist eine ganz reizende und eigenartige Idee von dem Ehepaar Eicklingen, ihren Töchterchen Blumennamen mit in das Leben hinaus zu geben!“

„Sehr praktisch und sinnig empfunden“, nickte der Pfarrer nachdenklich. „Aber so sehr ich auch früher schon diesen lebenden, kleinen Blumen voll Entzücken ihre schönen Namen zulegte, so sehr sind mir gerade heute ernste Zweifel gekommen, ob es wohl das rechte war.“

„Inwiefern das?“

„Man sagt wohl nicht mit Unrecht: Nomen est omen! Der Dame eines Menschen wird zu einem Stück eigenster Persönlichkeit. In einem Namen können nicht nur, — nein, sie tuen es sogar sicher — die einzelnen Charaktereigenschaften schroff zutage treten.“

„Und doch lacht man oft über so viel unpassend gegebene Namen. Ich kannte eine Brunhilde, verwachsen, klein, hässlich wie eine Meerkatze.“

„Äusserlich, bester Freund! Äusserlich!“

„Allerdings! — und einen Siegfried, den Idioten auf O-Beinen! Die wandelnde Parodie auf den reckenhaften Götterspross!“

„Äusserlich, lieber Freund! Rein äusserlich!“

„Ich verstehe Sie nicht! Trennen Sie den inneren Menschen so scharf von seinem Fleisch und Blut?“

„Gewiss, und versichere Sie, dass diese, Ihre angeführten Beispiele nur die Ausnahmen sind, die auffälligen, welche die allgemeine Regel bestätigen, dass die Namen für ihre Träger ein Glück — aber auch ebensogut ein Unglück sein können! Sie sahen an jener Brunhilde nur die Aussenseite, von dem Idioten schweige ich! Aber wissen Sie nicht, ob nicht in dem elenden, siechen Frauenkörper eine Seele wohnte, so stark, so totenkühn, wie diejenige von Wotans ‚herrlichem Kind?‘ Wenn man von klein auf mit einem Namen genannt wird, an welchen sich gewaltige Traditionen knüpfen, so bedingt es schon die menschliche Eitelkeit und Phantasie, all diese Überlieferungen auf sich selber zu beziehen und sie auf die eigene Person anzuwenden, welche ja denselben Namen trägt, wie das Ideal aus der Heldensage oder Geschichte.“

„Aha! Ich verstehe, wo Sie hinauswollen!“

„Schnurstracks auf das Ziel! Denken Sie sich einmal in die Lage Ihrer unglückseligen, verkrüppelten Brunhilde hinein.“

„Der Name speiste den Geist mit denselben Eindrücken, den eine Walküre auf Menschen macht. Das verwachsene, missgestaltete Mädchen möchte es der gewaltigen Himmelstochter gleich tun, der Name verpflichtet sie gewissermassen dazu! Warum hiesse sie sonst so? Und nun quält sich der gefesselte Geist in den trostlosen Banden eines schwachen missgestalteten Körpers! — Die Seele will heldenhaft, gewaltig empor, — der Leib zwingt sie erbarmungslos nieder! Der Geist jauchzende, sieghafte Tatenlust, der Körper grausame Gefangenschaft!“

„Man sollte annehmen, Herr Pfarrer, ein kranker Körper hat gar nicht die Kraft für derart seelischen Aufschwung.“

„So krank macht wohl ein akutes Leiden, nicht aber eine Missgestaltung! Denken Sie an Prinz Eugen, den edlen Ritter, an einen Menzel — an — um noch weiter zurückzugreifen — den Apostel Paulus mit dem Pfahl im Fleisch! — Wie viele andere könnte man noch nennen! Und dies sind Beispiele von übergewaltigem Geist, welcher die Materie bezwang: ‚Das Genie! Die Begeisterung!‘“

„Und wo diese fehlen? Ein verzweifelter Kampf ohne Sieg! Welchem meist der Name zum Ballast ward, der die falschen Illusionen, welche nicht verwirklicht werden konnten, weckte und täglich nährte!“

„In dieser Beleuchtung allerdings volle Wahrheit! — So glauben Sie, dass den kleinen Eicklingens ihre idealen Namen nicht sehr vorteilhaft sein werden?“

„Ich bin sehr gespannt, die seelischen Einflüsse und Entwickelungen, die diese Namen auf Leib und Seele ausüben werden, zu beobachten.“

„Es fiel mir heute allerdings auch auf, dass gerade von den Kinder die Bedeutung ihrer Namen besonders stark hervorgehoben wurde.“

„Von den Kindern selbst!“

„Je nun — unwillkürlich wurden auch die Grossen gereizt, davon Notiz zu nehmen.“

„Sehen Sie! — Nichts ist so gefährlich für das leichtempfängliche Kindergemüt wie ein Name, an welchen sich gewisse Bedingungen knüpfen.“

„Eine Rose! Ah — also, du bist die Königin unter den Geschwistern! Alle müssen dich wohl Majestät nennen?!“

„Und wenn es von Erwachsenen zehnmal im Scherz gesagt wird, so nimmt es ein lebhaftes Kind zehnmal für ernst.“

„Ich machte die Beobachtung, dass die kleine Arnika ein wenig gewaltsam für den Doktorhut gedrillt wird.“

„Wir hörten es ja, dass sie anfänglich eine direkte Abneigung gegen alles Verpflastern hatte, weil sie nicht mal Blut sehen kann.“

„Eine medizinische Passion liegt ihr so fern wie Himmel und Erde getrennt sind.“

„Aber sie heisst nun mal Arnika, und der Vetter Student amüsiert sich, sie als kleinen Kommilitonen anzuulken. Schliesslich wird aus dem anfänglichen Scherz eine moralische Verpflichtung, eine krankhafte Einbildung: du musst das werden, was alle von dir erwarten.“

„Hoffentlich sind die Kinderseelen alle so gesund und stark, dass sie sich von Wahnideen freiringen.“

„Sie alle haben noch das schwärmerische Alter vor sich, wo schon manche Phantasterei eine unliebsame Gestalt angenommen. Gerade in der Wahl des Berufes lassen sich junge Mädchen nur zu leicht durch ihr sensibeles Empfinden in verkehrte Bahnen lenken.“

„Da ist es nicht immer der Name, welcher peinlich beeinflusst, sondern oft auch gewissenlose Ratgeber, sogenannte verständnisinnige Freundinnen oder Freunde, welche das Lebensschifflein schon von viel armen, kleinen Pilotinen in stürmische Flut hinausgetrieben haben, wo nie der verheissene sichere Rettungshafen sich ihnen aufgetan.“

„Hörten Sie nicht, wie schon jetzt Oleandras Stimme gerühmt und ihr eine grosse Karriere als Sängerin prophezeit ward?“

„Ebenso das Mal- und Zeichentalent!“

„Weil sie Lorbeerrose heisst.“

„Bei andern geschieht es vielleicht auch ohne solch bedeutungsschweren Namen.“

„Die Mutter sagte mir, dass die kleine feine Stimme des Kindes in nichts aussergewöhnlich erscheine.“

„Beachten die Fremden solch mütterliche Einsicht? Würde bei einer verblendeten Tochter die Mama jemals Gehör finden, wenn die Menge von gedankenlosen Schwätzern es dem Mädel weismacht.“

„Das Schicksal so vieler, unbefriedigter Männer und Frauen, denen ein Talent anphantasiert oder aufgezwungen ward, welches sie nicht besassen, und an welchem sie als an einem verfehlten Beruf zugrunde gingen.“

„Jedenfalls bin ich auf das äusserste gespannt, inwieweit sich diese These Ihrer Ansichten bei dem reizenden Schwesternkranz im Stadtgärtnerhaus bewahrheitet.“

„Hoffen wir das beste!“

„Unsere Wege trennen sich wohl hier, verehrtester Freund. Sie biegen, der Kürze halber, wohl allsogleich in die Augustenstrasse ab?“

„Ein Stoss von Arbeit wartet noch auf dem Schreibtisch der Erledigung. Es war ein so schöner, genussreicher Tag heute, dass ich ihn würdig beschliessen möchte.“

„Immer fleissig! Hut ab! Ich bekenne mich mehr zu den Flagellanten froher Feierstunde! Für mich ist der Tag bis zum Schluss doch nur ein angebrochener, darum will ich dem flotten Brautschauer Waldmeister in der Taufbowle den soliden Pilsener Ehemann auf die Nase setzen.“

„Also ein ‚Prost Blume‘ zum Abendschoppen!“

„In jeder Weise, für das Gärtnerhaus ein Prost ‚lebende‘ Blume!“

„Auf Wiedersehen!“

Lebende Blumen

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