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Zweites Kapitel
ОглавлениеAn der Saale kühlem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn!
Ihre Stätten sind zerfallen
Und der Wind weht durch die Hallen;
Wolken ziehen drüber hin!
Wie das sang und jubelte!
Wie kraftvoll laut und schmetternd es aus all den vielen jungen Männerkehlen zu dem hochgewölbten, tief blauen Sommerhimmel emporschallte.
Jahrhunderte sind über die Rudelsburg dahingezogen.
Ihre Stätte ist zwar verfallen, aber das morsch zerbröckelnde Gestein ist gleich einer unsterblichen Seele immer noch zurückgeblieben.
Es redet mit unsichtbarer Zunge eine gewaltige Sprache.
Wer sie zu verstehen weiss, der setzt sich im flimmernden Mondenschein, bei dem Licht der ewigen Sterne, auf die moosigen Ruinenblöcke und lässt sich von der leis raunenden Stimme erzählen.
Sie gehört dem Wind, welcher da flüstert:
Es sitzt die Zeit im weissen Kleid
Und spinnt — und spinnt — und spinnt —
— auch hier im Reich des Vergehens und Vermoderns, all die feinen, seltsam schimmernden Fäden, aus welchen Lieb und Leid, Hass und Lust, Krieg und Frieden, arm und reich, gesund und krank die schwermütigen Menschenschicksale und die bitterernste Weltgeschichte wirken!
Ein Gewebe, von Blut, Tränen und Schweiss genetzt, oft grausig zerfetzt und angebrannt an wilden Feuersbrünsten, versengt an der Sonnenhitze im Schmelztiegel der Trübsal, und selten, sehr selten nur goldig durchstrahlt von einer Sonne des Glückes, vor welche die Wetterstürme des Kampfes immer wieder von neuem schwarze Wolkenberge türmen.
Die Liebe überwindet sie — und neue Geschlechter wachsen heran und bauen neue Luftschlösser und neue Leitern bis in den Himmel hinauf!
Die Rudelsburg hat schon viel gesehen und gehört.
Jener halbzerfallene Rundbogen am Eck drüben, von welchem man auf den Weg zur Saale herunterblicken kann, entsinnt sich noch genau, wie zum erstenmal jener flotte Reiterzug des Ritters Schenke von Saaleck von der Nachbarsburg herüberschwenkte. Sie kamen als Brautwerber, von jenem Edeln, welcher die heilige Elisabeth für den Landgraf von Thüringen aus dem fernen Ungarnlande herübergeholt hatte.
Das schöne Edelfräulein Jutta, welche hier auf der Rudelsburg, just in der Fensternische die Kunkel drehte, sollte zur Stammutter auf die Saaleck herübergeholt werden.
Frau Sage weint leise in ihren Schleier, wenn sie an jenes blasse Bräutchen denkt, welchem das Schicksal keine Rosen der Liebe um das schimmernde Hochzeitskrönchen legte.
Wieviel bunte Wechselbilder zogen an der Burg vorüber.
Grimme Fehde, welche mit Schwert und Beil an den Toren raste und die Pechkränze in den Burgfried warf, eine finstere Zeit voll Hass und Wahn, welche die Hexen mit Feuer und Folter ausrottete, das Heer der Hussiten, welches racheheischend heranzog und seine blutigen Schatten bis zur Burg herüberwarf.
Und dann kamen nach kurzer Ruhefrist wieder die wüsten Söldnerscharen, welche die Acker zertraten und die Wälder, Haus und Hof verbrannten, bis abermals die alte Zeit versank und neue Schrecken aus dem Menschenhirn geboren wurden.
Wo ehemals der Morgenstern und die Lanze in der Faust der Kämpen dräute, da donnerten die Feldschlangen und spien Kanonen Tod und Verderben über das blühende Land, und wo ehemals die plumpen Planwagen auf breiten Holzrädern rollten und die Sänfte langsam daherschwankte, da pfiff und schnob die Eisenbahn mit glühenden Augen durchs Land, — Feuerfunken und roten Dampf in die Luft schleudernd, gar wundersam den frommen Sinn alter Landleute an jene Stelle der heiligen Schrift gemahnend, wo Gott der Herr des Tages als Rauchsäule und nachts als Feuersäule vor seinem Volk einherzog.
Im gleichförmigen Wechsel der Tage zog die Zeit über die Ruine dahin.
Die grünen Schillerwellen der Saale rieselten unaufhörlich, gleich einem leis wogenden Band dem fernen Meere zu.
Die Autos töfften im Tal, und hoch am Saum des Abendgoldes zogen die Luftschiffe ihre wundersame Fahrt.
Die Zeit im weissen Kleid regt noch immer die fleissigen Hände, aber sie hat das Haupt sinken lassen, als wäre sie müde geworden.
Im Kreislauf aller Dinge zieht das Leben im Schattentanz an ihr vorüber. Ein Reigen des Todes, Nebelbilder, welche immer verschwommener, immer bizarrer in zerrinnender Form und Farbe werden.
Um so überraschter öffnet sie daher die verschlafenen Augen, wenn es so frisch und jubelnd zu ihr emporschallt: „An der Saale kühlem Strande stehen Burgen stolz und kühn!“
Studenten!
Deutschlands Herzblut!
Wenn sie soviel frisches, blühendes Leben sieht, dann lacht selbst einer so übermüdeten alten Frau wie der Spinnerin am Zeitenrocken das Herz vor Freude!
Da wimmelt der fröhliche Zug die gewundene Strasse herauf.
Die flotten kleinen Zerevismützen keck auf dem Scheitel, das bunte Band über der Brust und den derben Stock oder Schläger im Arm, so wandern die lustigen Brüder ihrer alten Freundin, der gastlichen Rudelsburg, entgegen.
In hellen Haufen schliessen sich die Spaziergänger den fröhlichen Festschmarotzern an, und wenn es auch beinahe als eine Unmöglichkeit erscheint, dass der Burghof und die wenigen gedeckten Räume umher die Scharen der Hungrigen und Durstigen alle aufnehmen kann, ohne dass der Wirt an allen Vorräten bankerott macht, so schieben doch unaufhörlich neue Gruppen vergnüglicher Wanderer nach, dem Studentenfest die nötige Folie zu geben.
Ein paar Equipagen schliessen sich dem Zug an, nicht in respektabler Entfernung wie sonst üblich, um nicht von den Staubtrompen eingekrustet zu werden, sondern beinahe zur Seite der Marschierenden. Denn über Nacht ist ein ergiebiger Regen gefallen, welcher die knirschenden Wölklein gelöscht und die ganze Welt ringsum in köstlich duftende Frische gebadet hat.
Zwei Wagen folgen dicht aufeinander, denn sie gehören zusammen.
Alle Wetter!
Einer der kecken Brüder Studio hat laut kommandiert: Augen rechts! — als er einen neugierigen Blick auf die Insassen der Gefährte geworfen. So haben es die flotten Burschen gern! Ein reizendes Mädchengesicht neben dem anderen!
Die duftigen Sommerkleider von zarten Farben, ein elegantestes Gemisch von indischem Mull, Spitzen, Einsätzen und Stickereien, verraten, dass die jungen Damen der Gesellschaft angehören, denn nicht nur die Kleider allein, sondern die vornehme schicke Art, wie sie getragen werden, bestimmen ihren Wert.
Unter den grossen, reichgarnierten Hüten, welche den Köpfchen eine so entzückende Folie geben, lächeln sehr amüsiert, aber doch voll feiner Zurückhaltung die rosigen Gesichter, und der Blick des Kenners wandert unschlüssig hin und her, um der Schönsten die Palme des Sieges zu verleihen.
Von allen Reizen gerad die besten nur!
Welche vereint sie alle in sich?
Hie ein bisschen — da ein bisschen ...
Wahrlich, die Wahl, die Qual!
Wer sind die Damen?
Ein mobiler „Fuchs“, welcher den Namen „Hans in allen Ecken“ erhielt, weil er überall herumpirscht und alles und jedes auswittert, hat es längst in Erfahrung gebracht.
Schon drunten in Bad Kösen, wo die Herrschaften im Hotel zum „Mutigen Ritter“ abgestiegen sind!
„Wer ist es?“
„Der Inhaber grosser Kunst- und Handelsgärtnereien, allbekannte beste Firma, Herr Kommerzienrat Tobias Maximilian Eicklingen mit Gattin und Töchtern.
Einer der „alten Herren“, Herr Doktor Rolf Eicklingen, welcher heute an dem Kommers auch teilnehmen will, hat seine Anverwandten, welche auf einer Reise durch Thüringen begriffen sind, veranlasst, sich das eigenartige Leben und Treiben auf der Rudelsburg im Zeichen des Couleurstudenten einmal anzusehen.
Die eine der jungen Damen soll auch in Würzburg seit zwei Semestern studieren.
„Was der Tausend! Ärztin?“
„Na ja, was man so Fräulein Doktor nennt. Nicht aus zwingender Notwendigkeit oder wilder Passion, sondern weil es dem reichen Mädel Spass mach, mal zu zeigen, was ’ne Harke ist!“
„Also eine Illustration zu: O Eitelkeit, dein Name ist Weib!“
„Wie man’s nehmen will, — jedenfalls trägt sie auf dem kurzgeschnittenen Haar einen Herrenhut, und ihr fussfreies Kostüm weist durch die kecke kleine Joppe etwas stark den Sportschnitt auf!“
„Würde beim Reiten also gewiss auch im Herrensitz den Sattel besteigen!“
„Die im zweiten Wagen, auf dem Kutschbock! — Hübsches, lustiges Gesicht!“
„Es ist doch noch ein Platz in der Equipage frei! Warum muss sie sich neben den Kutscher setzen?“
„Sie fährt selber!“
„Zu schade, dass bei den Damen die ernste Wissenschaft so oft mit burschikosem Wesen Hand in Hand geht!“
„Warum eigentlich? — Es ist doch viel rühmlicher, wenn eine Dame als ganzes Weib viel leistet, anstatt als halber Mann?!“
„Das stimmt! Durch Äusserlichkeiten wird die Kluft, welche die Geschlechter trennt, doch nicht überbrückt?!“
„Das kurze Haar mag für eine Ärztin sehr praktisch sein, das gibt jeder zu, denn bei nächtlichen Konsultationen, wo es oft auf die Minute ankommt, bleibt für Toilette machen keine Zeit!“
„Auch die Joppe streift sich wohl schneller an, wie eine moderne Taille mit hunderttausend Druckknöpfen, Haken und Öschen!“
„Warum soll es ihr nicht Ernst mit dem Studium sein?“
„Doktor Eicklingen will wohl nur etwas vorbeugen, falls das Examen nicht cum laude ausfällt!“
„Na ja, dann war es halt nur Spass!“
„Wenn nicht, wie bei so vielen anderen Mädels, das bittere Muss dahintersitzt und den vollen Ernst des Lebensunterhaltes fordert, tändelt man gern ein bisschen in den Hörsälen herum!“
„Wollen mal sehen, ob wir uns nachher an die Mädels heranschlängeln können!“
— — — Vor dem „Mutigen Ritter“ hatten noch mehrere Equipagen bereitgestanden.
Doktor Rolf hatte soeben von einem der Arrangeure erfahren, dass noch etliche andere „alte Herren“-Mitglieder der Verbindungen, welche vor etlichen Jahren studiert hatten, an dem Zug teilnehmen wollten.
Aber auch im Wagen, ebenso wie er.
Da die Herren just in das Vestibül traten, und die gemeinsamen Plätze in ein und demselben Wagen für sie reserviert waren, erfolgte sogleich die Vorstellung.
Die Namen erklangen.
„Doktor Eicklingen!“
„Habe die Ehre — Landrat Bodenburg!“
„Sehr angenehm! Rechtsanwalt Gleidingen.“
„Freut mich von Herzen! Assessor Freiherr Dankwardt von Waldmeister.“
Allseitiges Händeschütteln. Vivat, crescat floreat Universa!“
Farbenbrüder.
Rolf hatte momentan betroffen aufgeschaut, als er den Namen Waldmeister vor seinen Ohren erklingen hörte.
Unmerklich biss er sich auf die Lippe, um nicht verräterisch aufzulachen.
Er musste plötzlich weit zurückdenken, fünfzehn Jahre zurück, an die Taufe seiner jüngsten kleinen Nichte Cilla-Mandelblüte, von ihm aus Scherz „Mandolinata“ genannt, bei welcher eine Waldmeisterbowle getrunken und lachend des königlichen Freiers gedacht wurde!
Auch Landrat Bodenburg lächelte amüsiert.
„Welch ein eigenartig schöner Namen, Baron!“ verbeugte er sich. „Wieviel poetische Gedanken löst er aus!“
„Dankwardt von Waldmeister lachte sehr animiert. „Ein famoser Namen, nicht wahr? — Er garantiert mir in jedem Kreise trunkfester Männer eine sehr sympathische Aufnahme!“
„Bravo! Für das ewig Männliche hat der Waldmeister in Verbindung mit dem Wein als ‚geistvoller Kamerad‘ etwas sehr Seelenverwandtes, für die Damen dürfte er leicht zu ‚feurig und berauschend‘ sein!“
Leises Gelächter.
„Danke für das Kompliment, bester Doktor — es ist zwar ein wenig rätselhaft für mich — —“
„So lesen Sie Roquette!“
„Haha — Waldmeisters Brautfahrt!“
Dankwardt strich sich den vollen Schnurrbart unternehmungslustig empor.
Sein männlich schönes Gesicht mit den kraftvoll energischen Zügen belebte sich unter einem Ausdruck von Humor, welchem die aufblitzenden Augen heiter sekundierten.
„Wenn ich mich mit diesem lyrischen und königlichen Namensvetter vergleichen darf, so ergeht es mir neben ihm wie einem Johann ohne Land!“
„Ihr Reich ist doch überall da, wo die holden Blümlein wachsen!“
„Nicht eine jede kann mich begeistern! Was nützen mir da drüben in dem Garten und dort am Balkongitter die schönsten Hängenelken und Tulpen und Narzissen, wenn sie so fest in dem heimatlichen Boden wurzeln, dass sie entblättern und welken, wenn Waldmeister sie auf seiner Brautfahrt als Herzenskönigin entführen will?!“
„Das ist allerdings fatal! Nun — so muss man symbolisch reden und alle reizenden Mädchenblüten der Botanik einverleiben!“
„Das nenne ich wiederum zu weit gegangen! Wenn ich den vollen echten Namen auf das Schild schreibe, auf welchem ich meine Gebieterin, wie weiland der Roquettsche Freiersmann, durch das Leben tragen will, so muss sie mir in gleicher Farbe bekennen! Jedes Lieschen oder Annchen ist nicht für eine Blumenkönigin prädestiniert!“
„Je nun — wir haben auch eine recht stattliche Anzahl junger Damen, bei welchen die Flora selber Pate stand!“
„Das schon, und ich gestehe ehrlich, dass ich mich schon lebhaft unter den Töchtern des Landes umsah, ob ich nicht eine Erika, Hortensia, Rose, Georgine usw. fand, für welche ich die Türen meines blühenden Reiches weit und die Tore hoch machen möchte, aber da war noch keine, denn die sind unter diesen Namen doch recht rar, welchen ich mein Herz zu Füsschen legen möchte!“
„So steht die rechte noch aus!“
Rolf sass so preisherrlich da wie ein Kater im Sonnenschein und schmunzelte über das ganze Gesicht, Rechtsanwalt Gleidingen aber blickte jählings auf und fixierte ihn momentan scharf durch seine Kneifergläser.
„Wie ist mir denn, — Eicklingen — das waren Sie doch, welcher sich heute bei dem Frühschoppen entschuldigte, Sie müssten ihre Verwandten von der Bahn abholen, — ein ganzes Gewächshaus voll lebender Pflanzen, — keine Berliner, aber ebenso vollkommen waschecht — und dann erzählten Sie, dass Ihr Onkel seinen sechs Töchtern teils die poetischsten, teils die verrücktesten Blumennamen gegeben habe!“
„Als Inhaber grosser Kunstgärtnereien konnte er sich ja den Luxus von sechs blühenden Töchtern leisten!“
„Ohne dafür Steuer zahlen zu müssen!“
Dankwardt hob jäh das interessante Gesicht: „Verrückte Namen hat er ihnen gegeben? Wie denn das?“
„Na, — Kräutlein Wohlverleih, alias Arnika und ‚Fürwitzchen-Mandolinata‘ finde ich, unter uns gesagt, doch ein bisschen manoli!“
„Famos! Arnika?! — Fürwitzchen ist ja reizend — tatsächlich so getauft?!“
„Auf dem Taufschein steht in diskreter Umschreibung ‚Cilla‘!“
„Ist ja fabelhaft amüsant! — Und die anderen Töchter?“
„Folgende Skala: ad I. Rose Damascena, ad II. Oleandra, die Lorbeerrose!“
Baron Waldmeister stieg das Blut jäh in die Wangen: „Alle Donner!“
„ad III. Arnika. — Numero 4. Violetta.“
„Ist ja entzückend!“
„Numero 5. Lilie!“
„Und den Beschluss bildet?“
„Die kleine Cilla-Mandelblüte, das Fürwitzchen, welches zu seines Hauses Ehre diesen Namen mit vollem Recht verdient.“
„Und der Krösus, welchem dieser blühende Reichtum gehört, ist Ihr Herr Onkel, Verehrtester?“
„Ja, gottlob nur mein Onkel, sonst würde ich bombensicher als Rittersporn, Schwertlilie, Männertreue oder Goldlack auf diesem Planeten umherirren.“
„Sie hätten sich nicht beklagen können, das sind doch alles erlesene Gewächse!“
„Ich nehme diese Namen auch nur an, weil sie meinen guten Qualifikationen entsprechen würden. Wenn aber der liebe Onkel schlechte Laune gehabt hätte, weil ich nur ein Bub anstatt ein Mädel war, dann hätte er mich auch ebensogut Sauerampfer, Storchschnabel oder Natterkopf nennen können.“
„Mensch! So lange Sie noch nicht mit dem Löffel assen à conto der Tuttflasche gar: Bienensaug!“
Die Herren sprachen so animiert, dass der Kutscher rückwärts schielte und lakonisch dachte: „Jetzt schon so fidel, und nun fahren sie doch erst hin!“
„Und diese holdseligste aller Mädchenblüten haben die Eltern zurzeit hierher verpflanzt?!“
„Hm ... sind nun gross genug! Mussten pikiert werden!“
Dankwardt machte ein ganz entsetztes Gesicht.
„Nanu, pikiert?! Warum denn das? Man dankt doch dem lieben Gott, wenn die Damen nicht pikiert auf uns arme Männer sind, und Ihr Herr Onkel ruft diesen peinlichen Fehdezustand noch künstlich bei ihnen hervor?!“
Rolf lächelte.
„Missverstehen Sie mich nicht, König Waldmeister! Pikieren ist bei Blumenzüchtern ein Fachausdruck, welcher ‚verpflanzen‘ bedeutet!“
Allgemeiner Beifall.
Nur der Becher fehlte, um in dieser animierten Stimmung eine feste und dauernde Freundschaft der vier „alten Herren“ von jungen Jahren zusammenzuschäumen.
„Sind die Herrschaften heute auch auf der Rudelsburg anwesend?“
„Und ob! Ich redete gut zu, als sie eine Reise durch Thüringen antraten. Dort vor uns die beiden Wagen. — ‚Ich liess sie fahren dahin!‘“
„Wir müssen sie kennenlernen, bester Doktor, Sie haben doch die Liebenswürdigkeit, uns nachher bekannt mit Ihren Anverwandten zu machen?“
Rolf zuckte mit undefinierbarem Gesicht die Achseln. „Ausgeschlossen! — Sie, Herr Landrat und Herr Rechtsanwalt sind ja harmlose Leute, welche in Laurins Rosengarten ehrliche Gäste sein werden. Aber ein Waldmeister, zu dessen Eigenart es erwiesenermassen gehört, ‚auf der Brautfahrt‘ zu sein, wie er soeben selber zugestand, der würde doch in Gedanken als Herzensdieb in den fremden Garten eindringen, und das kann ich nicht verantworten!“
„Wir beaufsichtigen ihn! Vor dem Scheiden muss er die Taschen umkehren!“
Rolf sah ein wenig schalkhaft aus. „Wir alle haben keine Ahnung, dass der Name Waldmeister existiert.“
„Er ist auch sehr selten!“
„Meine Nichten würden annehmen, es handele sich um einen kecken Scherz, oder aber, sie würden so befangen sein, dass es die Stimmung beeinträchtigte. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass schon bei Cillas Taufe eine Waldmeisterbowle getrunken ward, anlässlich welcher die Roquettsche Dichtung des öfteren erwähnt ward!“
In Dankwardts Auge flammte es auf.
„Wir tragen ja heute alle wieder die Farben, und bekanntlich ist die Studentenfreiheit eine weitgehende, welche nicht verübelt werden darf. Ist es nicht statthaft, dass ich mich unter meinem wahren Namen den Damen vorstellen lassen kann, — ei, wer hindert uns daran, dass ich mich umtaufe?! Frisieren wir doch schon durch alle Äusserlichkeiten diese kleine Komödie der Irrungen als fidelen Studentenstreich! Wenn ich früher irgend jemand genasführt oder geäfft hatte, so nannte mich meine nicht allzustrenge Mutter meist mehr anerkennend wie tadelnd „du lieber Strolch!“, denn meine Scherze waren wohl keck und launig, aber niemals verletzend oder gar bösartig! Also: Assessor Dankwardt Strolch! Das klingt ganz famos und kostet nichts!“
„Das ist ja eine pyramidale Idee, lieber Assessor!“ tobte Rolf noch ebenso impulsiv wie vor Jahren, da er noch mit Leib und Seele aktiver Verbindungsstudent war und jedwedem flotten Burschenstreich tatkräftigste Hilfe angedeihen liess!
„Das wird gemacht! — unter allen Umständen! Donnerwetter ja, endlich kommt mal wieder ein bisschen Leben in die Bude.“
„Die Herren werden auf unverbrüchliches Silentium vereidigt!“
„Und wenn die sehr verehrten Eltern der schmucken Blümelein solch einen Coulleur-Scherz übelnehmen? forschte der Landrat ein wenig befangen.
„Gibt’s gar nicht! Dafür bürge ich!“ erregte sich Rolf mit lustfunkelnden Äuglein. „Übelnehmen? Da kennen Sie Herrn Tobias Maximilian und Frau Meta schlecht! — Leben und leben lassen! Ein Gärtner ist an allerhand übermütiges Schossen, Sprossen und Geränk um sich gewöhnt, wenn es ihm zu arg wird, kommt er mit Bast und Schere!“
„Also auf Ihre Verantwortung, bester Doktor?“
„Ich stehe für alle Eventualitäten ein, vorausgesetzt, dass alles tatsächlich ein Ulk bleibt und die Devise Honny soit qui mal y pense! darüber schwebt!“
„Selbstverständlich, Doktorchen! Dafür bürgt unser Ehrenwort als Kavaliere!“
„Famos, also los!“
„Und bei dem Namen Strolch soll es tatsächlich bleiben?“
„Warum nicht? Musikalische Seelen pfeifen die Musik des Bettelstudenten dazu.“
„Alle Wetter! Bettelstudent und ein königliches Inkognito —? Wie reimt sich das zusammen, Majestät Waldmeister?“
„Durchaus operettenhaft! besagter ‚Strolch‘ von Enterichs Gnaden war doch auch bei der Demaskierung ein Fürst Bibitzki!“
„Und Sie sind König Waldmeister auf der Brautfahrt!“
„Bitte diese Nebenbeschäftigung des hohen Herren ad acta zu legen!“ wehrte Doktor Rolf ab. „Meine lieben Nichten sind unberechenbar, und nicht nur die Rose weist Dornen auf!“
„Haha! Röslein wehrte sich und stach —
Half ihm doch kein Weh und Ach —
Musst’ es eben leiden!“
„Ein Gärtner von dem Weltruf des Herrn Eicklingen züchtet doch keine monstreusen Blümchen! Eine Lilie oder Violetta mit Stacheln würde einem Lämmchen mit Hörnern gleichkommen. So etwas ist in den korrekten Warmhäusern einer ersten Firma nicht zu befürchten.“
„Dem stimme ich zu!“ nickte der Rechtsanwalt und bedauerte es, nicht die erste Garnitur von Schlips und Lackstiefeln angelegt zu haben, denn er ging auch stark auf Freiers Füssen und hätte zu gern mal ein so recht liebes, herziges Mädel gefragt, ob sie schon zu der grossen Polonaise durch das ganze Leben engagiert sei.
Davon schwieg er aber wohlweislich, denn er schien für Rolfs Begriffe ganz verheiratet auszusehen und ward als zuverlässiger Gast in des fremden Nachbars Garten zugelassen.
Er lächelte verschmitzt und dachte an das hübsche Liedchen vom Kirschendieb.
„Noch eins, meine Herren! Wir sind hier die treu Verschworenen und rechnen stark und zuversichtlich auf des Elternpaar Eicklingens Toleranz! — Wie steht es aber mit eventuellen Tanten oder guten Freundinnen — hm ... hm ... aus höheren Semestern, welche sich jeglichem Übermute ablehnend gegenüberstellen und in Papa Tobias Mistbeeten die Klatsch rosen repräsentieren?“
„Und wenn die alten Basen
Auch rümpfen die Nasen,
Sie haben’s genossen,
Das macht sie verdrossen,
Sie denken mit Seufzen an schönere Zeit!“
„Als Gumpert diesen Gesangswalzer komponierte, sah die Welt schon ebenso hinter den Kulissen der ‚zärtlichen Verwandten‘ aus, wie heutzutage!“
„Doch nicht! Die moderne Welt ist schauderhaft verdorben, aber sie hat selber die Einsicht und hält es für total berechtigt, dass nicht nur die alten Tanten, sondern sogar die oberste Instanz im Himmel die Stirne kraust, wenn der Spass aufhört, ein Spass zu sein!“
„Lieber Himmelsvater sei nicht bös,
Denn das Bravsein macht mich so nervös!“
„Das lassen Sie nur meine Sorge sein! Erstens sind keine alten Basen auf hundert Meilen Umkreis in Sicht — und ...“
Dankwardt fuhr frisch und zuversichtlich fort:
„Der liebe Himmelsvater ist sicher der Letzte, welcher als Schöpfer aller Blumen und Blümelein über dies Versteckenspielen als Studentenstreich böse ist, — denn um der Büblein willen hat er doch die Mägdelein geschaffen, wie Sie wissen.“
„Gut; — Herr Dankwardt Strolch — ich drücke Ihnen als Verbündeter die Hand!“
„Hier, meine biedere Rechte!“
„Das Lustspiel auf der Rudelsburg kann steigen! — Vivat — crescat — floreat!“