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Donnerstag

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»Es langt, Felix! Her mit dem Kleid, aber flott, oder ich werd fuchsteufelswild!« Meine Schwester ist ein Pfundskerl im doppelten Wortsinn. Bei einer Körpergröße von kaum eins fünfundsechzig wiegt sie garantiert … wobei, so genau weiß ich das gar nicht, denn ihr Gewicht ist eines der bestgehüteten Geheimnisse, die ich kenne.

Glucksend vor Lachen springt mein Sohn im weißen offenen Hemd, Unterhose und schwarzen Socken auf die Eckbank in Gabis Küche. Meine Schwester bewohnt das obere Stockwerk des Hauses und ich das untere. Der Vater ist bereits vor meiner Rückkehr ins Elternhaus ins Koppelrieder Seniorenheim übergesiedelt, sitzt aber jetzt in seinem teuren Gössl-Trachtenanzug im alten Lehnstuhl in Gabis Küche und schaut vorwurfsvoll vom Kirchenblatt auf.

Die Gabi versucht inzwischen, immer noch schwer atmend, dem Felix das Zweimannzelt zu entreißen, das ihr Kleid ist. Doch der Bub hüpft behände von der Eckbank, läuft in Richtung Wohnzimmer und lacht ihr fröhlich ins Gesicht.

Weil die Gabi mit hochrotem Kopf so aussieht, als würde sie kaum mehr Luft kriegen, mische ich mich sicherheitshalber doch mal ein. »Es reicht jetzt, Felix. Gib der Gabi den Fetzen, sonst machst noch mehr Falten rein und sie muss ihn noch mal bügeln. Wir sind eh schon spät dran.«

Mein Sohn blickt mir kurz in die Augen und erkennt geübt den Ernst der Lage. Mit treuherzigem Blick übergibt er der Gabi feierlich den Riesenfetzen Stoff und drückt sich an deren weichen Bauch. »War ja nur Spaß, Tante Gabi.«

Die Gabi versetzt ihm einen sanften Klaps auf den Hinterkopf, macht sich von ihm los und dampft schnaufend wie ein Walross ab in ihr Wohnzimmer. Aber nicht, ohne sich zu rächen. »Dafür ziehst du deine Anzugjacke an, Bürscherl.« Eins zu null für die Gabi.

Der Felix blickt mich hilfesuchend an, aber ich schüttle nur grinsend den Kopf. Das hat er sich selbst zuzuschreiben.

Ich trage meinen hellgrauen Anzug und fühle mich eigentlich recht wohl darin. Die Gabi behauptet sogar, ich würde damit ausschauen wie einem Plakat entstiegen. Tja, Geschwisterliebe, kann ich da nur sagen. Mich jedenfalls erinnern Anzüge immer an meine LKA-Zeiten, als es keine Dienstuniform gab, und kurz werde ich wehmütig. Dann aber schiebe ich den Gedanken schnell wieder beiseite und knöpfe meinem Sohn sein Hemd über der schmächtigen Hendlbrust zu.

»Jetzt noch die Hose, Felix. Und das Sakko lässt du bis nach der Kirche an, danach kannst du es mir unauffällig geben, okay?« Ich zwinkere ihm verschwörerisch zu und ernte einen erleichterten Blick.

Endlich kommt eine sehr hübsch zurechtgemachte Gabi im grünen Seidenkleid aus dem Wohnzimmer. Ihr mächtiger Busen ruht gut festgeschnallt im offenherzigen Dekolleté. Eines muss man meiner Schwester lassen: Sie hat ein verdammt hübsches Gesicht. So herausgeputzt schaut sie mit ihren langen schwarzen Haaren richtig gut aus. »Fesch bist, Schwesterherz«, sage ich und drücke ihr einen anerkennenden Schmatz auf die Wange.

Sie freut sich sichtlich, schlägt aber gleich wieder ihren gewohnten Befehlston an. »Also, ich hab den Pepperl schon gewarnt. Jedes dumme Wort bei der Predigt kostet ihn ein Mittagessen, das nicht ich koche. Wirst sehen, der wird sich gewaltig zusammenreißen.« Sie lacht spitzbübisch und zwängt den Felix ins schon etwas zu enge Sakko. »Und jetzt schlüpfst du noch in die Hose und ziehst deine schwarzen Schuhe an.« Meine Schwester streicht ihm lächelnd übers Haar, und der Felix hüpft übermütig auf einem Bein zum Tisch, wo seine Hose liegt. Brav zieht er sie an, während die Gabi kurz ihren Zeigefinger ableckt, um mir gleich darauf damit die Haare aus der Stirn zu streichen. Als ich ihr gekonnt ausweiche, weil ich das nicht leiden kann, reckt sie streng den noch feuchten Finger in die Höhe. »Dann bind dir halt wenigstens eine Krawatte um, Raphi.«

»Nur über meine Leiche«, antworte ich und öffne demonstrativ noch einen weiteren Hemdknopf.

Überraschend leichtfüßig kniet sich die Gabi gerade nieder, um dem Felix seine Schuhbänder zuzubinden, als die Tür aufgeht und einer meiner Polizisten, der riesige Schorsch, im Trachtenanzug hereinkommt. Keiner drückt bei uns die Klingel, weil wir unser Haus so gut wie nie abschließen.

Hinter ihm steckt auch schon der Andi, Gymnasialprofessor und seit jeher mein bester Freund, den Kopf durch die Tür. Der Andi und der Schorsch sind Brüder, beide Junggesellen aus Überzeugung und wohnen immer noch bei ihrer Mutter. Zum Leidwesen vom Schorsch wurde er von seiner Mutter zum Besuch der Hochzeit beinahe genötigt und muss wie ich und die Mehrzahl der Kollegen nun einen Urlaubstag dafür opfern. Nur die Sandra und unser altgedienter Bezirksinspektor Herbert schieben heute Dienst. Weil die Sandra keine Koppelriederin, sondern Ipferdingerin ist, wurde sie sowieso nicht zur Hochzeit eingeladen, und dem Herbert ist, ähnlich dem Schorsch, jede Ansammlung von mehr als zehn Menschen zuwider.

»Hoch mit euren Hintern und ab die Post, es geht gleich los«, sagt der Andi und schaut dabei ungeniert meiner Schwester aufs Gesäß, etwas zu lüstern für meinen Geschmack.

»Gabi, wenn ich das sagen darf: Ein sauberes Weiberleut bist heut. Respekt.« Er leckt sich demonstrativ über die Lippen, und ich muss an die Mädels mit maximal fünfzig Kilogramm Lebendgewicht denken, die der überzeugte Junggeselle sonst so abschleppt.

Der Schorsch tippt sich an die Stirn. »Spinner seids ihr, alle miteinander.«

Endlich quetschen wir dreieinhalb uns auf die Rückbank des hässlichen Fiat Multipla vom Schorsch und fahren die paar Meter zur Kirche. Die Gabi darf natürlich wie immer vorne sitzen.

Ich drücke gegen die Kirchentür, um sie unter Quietschen zu öffnen. Wir sind wieder einmal die Letzten. Pünktlichkeit ist nicht gerade die Stärke der Aigner Gabi. Heute ist die Kirche zum Bersten voll. Es scheint, kaum jemand in Koppelried will sich dieses Schauspiel entgehen lassen.

Mit hoch erhobenem Haupt stolziert die Gabi den Mittelgang entlang, und wir traben ihr hinterher. Mangels Verwandtschaft vom Riegler und der Marie sind auch die vordersten Plätze nur von Einheimischen besetzt. Die zweite Reihe wurde wie immer für die Gabi frei gehalten, also können wir vorne Platz nehmen und überlassen der Gabi gerne die Poleposition am Gang.

Weil der Pepperl, der bereits vorne am Altar steht, meiner Schwester erfreut zuwinkt, drehen sich der Riegler Max und sein Trauzeuge, der versoffene Rauchfangkehrer Hödlinger, genervt zu uns um. Als der Max die Gabi erblickt, zuckt er etwas zusammen. Tja, vor meiner Schwester hat selbst ein Riegler Respekt.

Die Renate, unsere Organistin, beginnt wie wild in die Tasten zu hauen, und ich schiele eifersüchtig zum Schorsch. Beneidenswert, zwei Takte Orgelmusik und er schläft.

Da quietscht wieder die Kirchentür, und alle Köpfe drehen sich nach hinten zur Marie, die am Arm ihres Onkels den Gang entlangschreitet. Der klein gewachsene Steinhauser Hansl ist der jüngere Bruder von Maries verstorbenem Vater. Die Braut sieht im Gegensatz zum Bräutigam sehr gut aus. Wie eigentlich immer, denk ich. Sie trägt ein einfaches weißes Kleid, ganz ohne Schnickschnack, das ihr knapp bis zu den Knien reicht. Dafür mit einem genialen Ausschnitt, der ihren schönen Busen ins rechte Licht rückt. Nur ihre Frisur ist nicht wirklich gelungen, ihre schönen blonden Locken sehen aus, als wären sie am Kopf festgetackert.

Kurz wende ich mich von dem Anblick ab und nehme dem Felix mein Handy weg, das er mir aus der Sakkotasche stibitzt hat, um zu spielen.

Als ich wieder aufschaue, ist die Marie vorne beim Max angekommen, und der Hansl stellt sich neben den Rauchfangkehrer. Der Max grinst selbstzufrieden. Sein hellblau schimmernder Anzug lässt ihn noch breiter als sonst aussehen, ein rot glänzendes Gilet spannt sich um seinen massigen Bauch. Seine wenigen verbliebenen Haare sind an den Kopf gegelt, und sein Gesicht ist wie immer vom ständigen Alkoholgenuss puterrot.

Das Brautpaar setzt sich rasch auf die vor dem Pfarrer aufgestellten Stühle. Wahrscheinlich, weil sonst auch der Letzte in der Kirche merken würde, wie klein der Max neben der Marie ist.

Dann fängt der Pepperl im Hintergrund zu schwafeln an. Neben mir gähnt der Andi vorsichtshalber schon mal, zieht verstohlen sein Handy aus der Tasche und beginnt zu spielen. Als mein Sohn wütend die Arme in die Seite stemmt, lässt der Andi sofort schuldbewusst das Telefon wieder zurückgleiten. Weil dem Felix offenbar langweilig ist, klettert er auf meinen Schoß. Um den kleinen Kerl bei Laune zu halten, zähle ich mit ihm zusammen die kleinen Steinfliesen auf dem Kirchenboden. Aber der Felix kichert und wird beim Zählen immer lauter, zu flüstern liegt ihm nicht so.

Als der Pepperl den Kopf zu uns dreht und hüstelt, errötet mein Vater vor Scham, und die Gabi versetzt mir einen warnenden Stoß in die Rippen. Schuldbewusst bedeute ich dem Felix mit dem Zeigefinger am Mund, leise zu sein, woraufhin er von meinem auf Gabis Schoß klettert. Der ist sowieso weicher und bequemer, und in null Komma nix ist der kleine Kerl eingeschlummert.

Der Pepperl predigt immer noch, als hinge sein Leben davon ab. Wahrscheinlich, weil die Gabi aufmerksam zuhört, dass er nur ja nichts Falsches sagt. Aber er dürfte seine Sache gut gemacht haben, denn am Ende macht die Gabi ein zufrieden grunzendes Geräusch. Ich muss zugeben, ich habe wie üblich, wenn ich mal in der Kirche bin, kein einziges Wort mitbekommen.

Es ist etwas später am Abend, und mein Vater ist mit dem Felix schon nach Hause gegangen, damit die Gabi und ich länger auf der Hochzeit bleiben können. Eines muss ich ihm lassen: Seine Rolle als Opa beherrscht er um Klassen besser als seinerzeit die des Vaters.

Die Ipferdinger Beverly Brothers spielen zum gefühlt siebzigsten Mal die Hochzeitspolka in einer Lautstärke von über hundertzwanzig Dezibel. Die Koppelrieder machen das, was sie so tanzen nennen, und hüpfen zwischen den Tischreihen und auf der Tanzfläche im großen Saal auf und ab wie die Idioten.

Da ich wegen der lauten Musik ohnehin kein Wort verstehen kann, habe ich mich aufs Beobachten verlegt. Zum Beispiel sehe ich, dass die Gabi an Andis Schulter lehnt und der alte Schwerenöter seine Hand auf dem Knie meiner Schwester hat. Um dem ein Ende zu machen, nehme ich ein paar Kaffeebohnen von der Tischdekoration und schnippe ihm die Dinger mit warnendem Blick gekonnt gegen die Stirn. Der Andi erschrickt und zieht seine Hand sofort zurück. Allerdings bin ich dafür jetzt dem verärgerten Blick der Gabi ausgesetzt.

Um dem zu entkommen, brülle ich den Schorsch neben mir an, ob er nicht mit mir zur Bar gehen will. Der schaut kurz verständnislos von seinem Bier auf, zuckt mit den Schultern und greift sich an die Ohren. Ich kapiere – er versteht nichts. Dann starrt er wieder wie hypnotisiert auf den Schaum seiner mittlerweile siebten Halben, der langsam in sich zusammenfällt.

Geh ich eben allein, denke ich mir, nehme mein Bier und begebe mich durch die offene Schiebetür in die Schankstube. Im Saal und an der Schank ist es gesteckt voll und ziemlich heiß, obwohl alle Terrassentüren weit geöffnet sind. Trotz der schwülen Sommernacht ist der Garten heute für Gäste gesperrt, wohl zur Entlastung des Servierpersonals. Dass das was bringt, wage ich zu bezweifeln, denn augenscheinlich ist ganz Koppelried auf dieser Hochzeit. Kein Wunder, schließlich lässt der Riegler sich nicht lumpen und zahlt heute alles.

Geschickt schlängle ich mich an den Tanzwütigen vorbei in Richtung Renate, weit genug von den Lautsprecherboxen der Band entfernt. Ich mag unsere Organistin. Zwar redet sie gerne und viel, ist dabei aber immer gut gelaunt und weiß über alle im Ort bestens Bescheid. Als positiver Nebeneffekt ist Renates Tochter ein absolutes Aha-Erlebnis, denke ich mir, wie ich auf die beiden zusteuere. Im knallroten bauchfreien Top, hautenger schwarzer Hose und schwarzen High Heels sitzt sie gelangweilt neben ihrer Mutter. So wie das Mädel aussieht, fällt die Kleine garantiert in Andis Maximal-fünfzig-Kilo-Beuteschema. Altersmäßig steht sie zwar noch unter Naturschutz, aber schauen darf man doch. Wie heißt sie bloß noch mal?

Wie ich mich neben die Renate setze, klopft sie mir erfreut auf die Schulter. »Raphi. Wie nett, dass du uns Gesellschaft leistest. Nicht wahr, Marlene?«

Ach ja, Marlene war’s, denke ich mir und muss grinsen. Aber die Angesprochene nickt nur mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und nippt lustlos an einem Glas Prosecco.

»Danke übrigens, dass du gestern den Haubner nach Hause geschickt hast. Sein Sohn, der Walter, ist furchtbar unglücklich, weil sein Vater so störrisch ist. Der Junior ist wirklich eine Seele von Mensch, und das, obwohl er Bauer ist. Ich weiß, man darf den Menschen eigentlich nicht mit Vorurteilen begegnen, aber der Haubner senior, der ist der personifizierte bäuerliche Starrsinn.«

»Nicht der Rede wert, Renate. Ich bin ja froh, wenn wir keine sinnlosen Anzeigen aufnehmen müssen«, versuche ich, ihren Redeschwall zu unterbrechen.

»Aber natürlich ist das der Rede wert, Raphi. Du hast ja keine Ahnung, wie diese ständigen Anzeigen mir das Leben schwer machen.«

»Vergiss doch den alten Grantscherm und angle dir einfach seinen Sohn, den Walter. Damit wärst du all deine Sorgen los.« Ich lege kurz freundschaftlich den Arm um sie, und sie lacht so laut, dass ihre Metallbrille auf der Nase wackelt.

Plötzlich steht der schmierige Sieder Hannes vor uns. Im Schlepptau hat er den Wimmerl-Roman, den Sohn vom Tischler Leitner, und die Petra, die dicke Tochter vom Eidenpichler. Mit einer sichtlich erleichterten Marlene ziehen die drei jungen Leute in Richtung Bar ab.

»Schön hast du gespielt«, wende ich mich wieder der Renate zu. »In der Kirche, mein ich.« Eigentlich ist ja eher die Renate mein Baujahr als ihre Tochter, nur ist sie halt so gar nicht mein Typ. Zerzauster Kurzhaarschnitt, dünn und ungeschminkt und mit flatternden weiten Baumwollhosen, selbst auf der Hochzeit. Unser Pfarrer Pepperl hat großzügig über ihre enge Freundschaft zu einem original Salzburger Schamanen hinweggesehen, als er die etwas eigenwillige, aber sehr talentierte Klavierlehrerin zu seiner Organistin gemacht hat.

»Tja, eigentlich hätte ich heute lieber auf einer Hochzeit mit einem anderen Bräutigam gespielt. Die Marie ist ein lieber Mensch, die hätte wirklich einen Mann verdient, der besser zu ihr passt als der ungehobelte Brauwirt«, seufzt sie und deutet nach vorne zum Brauttisch, wo die Marie ohne den Bräutigam sitzt. Der Max ist nirgendwo zu entdecken.

Angespannt presst die Braut ihre Lippen fest aufeinander, und neben ihr macht die Erni, die alte Tante vom Max, ein ebenso saures Gesicht. Die Eltern vom Max sind beide schon verstorben, sodass die Erni seine einzige lebende Verwandte ist. Seit ich denken kann, hat sie im Wirtshaus gekocht und Leute bedient, bis sie vor ein paar Jahren aus Küche und Wirtshaus mehr oder minder verschwunden ist.

»Weißt, die Leute sagen ja, der Max hat sich die Marie nur geschnappt, weil sie so klug ist«, nimmt die Renate wieder Fahrt auf. »Dabei ist die Marie auch eine ausnehmend hübsche Person. Ich kann einfach nicht verstehen, warum sie ausgerechnet unseren derben Brauwirt heiratet. Sie kann doch nicht schon in ihrem Alter in Torschlusspanik geraten sein, oder?« Verständnislos schüttelt sie den Kopf. »Eigentlich hab ich ja gedacht, dass die Moser Kathi, die Kellnerin, irgendwann mal die Wirtin wird. Stell dir nur vor, angeblich hat sie immer noch ein Gspusi mit dem –«

Weiter kommt sie nicht, da auf einmal ein ohrenbetäubender Krach ertönt. Instinktiv halten wir uns die Ohren zu, dann marschiert auch schon der gesamte FC Koppelried mit nervigen Vuvuzelas in den Saal. Trotz seines massigen Körperbaus ist der Max seit seiner Schulzeit aktives Mitglied in dem Verein.

»Eh … oooh …«, grölen die Männer, schieben dabei unsanft die Tanzenden zur Seite und steuern auf den Brauttisch zu, den besoffenen Max im Schlepptau. Die Marie blickt erschrocken auf die illustre Runde vor sich, während die Erni den Max böse anstarrt.

Als die Ipferdinger Beverly Brothers endlich aufhören zu spielen, räuspert sich der Trainer des FC, der Huber Karl, laut und zieht ein zerknittertes Blatt Papier aus seiner Hosentasche. Die Fußballer tragen alle Red-Bull-T-Shirts und schwingen wie die Deppen kleine Fahnen ihres Lieblingsvereins. Meine zwei Polizisten, der Heinz und der Michel, beides aktive FC-Mitglieder, sind auch dabei, und ich beginne, mich fremdzuschämen.

Dieses Gefühl verstärkt sich, während der Heinz dem Max das glänzende Gilet samt Hemd über den mächtigen Quadratschädel zieht. Mit nacktem Oberkörper steht der jetzt vor der Marie, seine großen Dutteln hängen über dem voluminösen Schwabbelbauch. Die Marie schließt kurz die Augen und schluckt unübersehbar schwer.

Unbeholfen zwängt mein Revierinspektor Michel den Max in ein viel zu enges T-Shirt. Was die Sache auch nicht viel besser macht, denn seine Hängebrüste zeichnen sich auch durch den Stoff aufs Deutlichste ab. Rasch greift sich die Marie Ernis Schnaps und stürzt ihn hinunter. Die alte Erni schenkt ihr einen mitfühlenden Blick. Wenigstens sie scheint die mittlerweile leidgeprüfte Braut zu verstehen.

Der Huber Karl räuspert sich erneut, bevor er loslegt: »Der Max ist jetzt im Ehestand, die Marie geht ihm ab sofort zur Hand.« Pause. Erwartungsvoll blickt er in die Menge der Hochzeitsgäste.

Verhaltenes Gelächter und etwas Geklatsche belohnen ihn. Hinzu kommen zweideutige Gesten der Fußballer, freundlich unterstützt von unseren freiwilligen Feuerwehrlern. Langsam wird die Situation so peinlich, dass ich anfange, mich zu amüsieren.

»Der Max, der ist jetzt Ehren-mit-Glied«, wieder blödes Lachen und Gegröle, »vom Fußballverein Koppelried. Somit, liebe Braut, entführen wir hier … den Bräutigam vom Tische dir.«

Lauteres Gelächter und Gewieher kommen jetzt von der schon sehr angeheiterten Menge.

Die Marie zwingt sich zu einem dünnen Lächeln, weil alle Koppelrieder im Saal sie anstarren. Der Schweiß steht ihr in kleinen Tropfen auf der Stirn.

»Für dich, Max, den besten Brauwirt hier«, Kunststück, denke ich, er ist ja auch der einzige, »ein Aufruf von uns, also folge mir.« Der Huber Karl deutet mit seinem dicken Zeigefinger Richtung Nebenstüberl.

»Der Fernseher ist schon aufgebaut, das Spiel kann beginnen, trotz Hochzeit und Braut.«

Bestimmt hat der Depp das selbst gedichtet, denke ich mir, die Qualität lässt das vermuten.

Der Max greift nach der Schnapsflasche auf dem Brauttisch, nimmt einen kräftigen Schluck und schwankt in seinem hautengen T-Shirt etwas hin und her.

»In Strömen fließt ab jetzt dein Bier, garantiert verlieren die Grazer eins zu vier. Das Ende der Steirer wirst du gleich mit uns schauen, auslösen darf die Marie dich erst im Morgengrauen.«

Jubelnd reißt der Max seine Arme in die Höhe, und jeder kann sehen, dass sich angesichts der kurzen Zeit beeindruckend große Schweißflecke auf dem T-Shirt abzeichnen. Maries Gesicht ist hingegen rot gefleckt. Wahrscheinlich hat sie eben bemerkt, dass sie den mit Abstand größten Fehler ihres Lebens begangen hat.

Neben mir schlägt sich die Renate erschrocken die Hand vor den Mund. »Mein Gott, die arme Marie.«

Zu sechst heben die Fußballer den Max hoch und tragen ihn ins Nebenstüberl, gefolgt von all den Ehemännern, die emanzipiert und mutig genug sind mitzugehen. Wie ich zu ihr rübersehe, atmet die Marie aus und sinkt in sich zusammen. Schnell bedeutet die alte Erni den Ipferdinger Beverly Brothers weiterzuspielen.

Die Band jault erneut los, und die alte Frau stapft schimpfend ins Nebenstüberl, wird aber von den Männern sofort wieder rausbugsiert. Also setzt sie sich an den Tisch der Frau Heininger, unserer Fleischhauerin, und beide schimpfen im Duett, während der Heininger traurig und sehnsüchtig die Tür zum Nebenstüberl hypnotisiert.

Neugierig drehe ich meinen Kopf wieder zur Marie. Neben ihr entdecke ich meine Schwester, die ihr beruhigend den Arm um die Schultern gelegt hat und auf sie einredet.

»Mit dem Max hat sie sich schon was besonders Unappetitliches geangelt.« Die Renate verzieht angeekelt das Gesicht, dann kommt auch schon der Haubner Walter an den Tisch, fordert sie mit hochrotem Kopf zum Tanz auf, und strahlend schwingt sie sich mit dem Sohn ihres Erzfeindes auf die Tanzfläche. Die Renate tanzt gar nicht schlecht, denke ich mir, wie ich sie so beobachte. Taktgefühl halt.

Irgendwann habe ich genug von dem ganzen Theater und beschließe, nach einem letzten Bier endgültig die Kurve zu kratzen. Wie aufs Stichwort rauscht Kellnerin Kathi mit einem vollen Tablett und extrem finsterer Miene an mir vorbei. Schon vorher ist mir aufgefallen, dass sie heute entgegen ihrer sonstigen Art äußerst unfreundlich und ruppig ist. Kein Wunder. Garantiert und nicht ohne Grund hat sie gehofft, selbst eines Tages auf dem Platz der Marie zu sitzen. Im Vorbeischlängeln nehme ich der Kathi eine Halbe Bier vom Tablett und grinse sie so nett an, dass sie mir nun doch ein schiefes Lächeln schenkt.

»Aber, Raphi, das ist doch bestellt.« Das hübsche Mädel blickt mir tief in die Augen.

Doch die Kathi war mir noch nie eine Sünde wert, an der war mir schon viel zu oft der Riegler dran. Also grinse ich sie noch zwei Sekunden länger an und suche dann schnell das Weite. Mit Bier.

Erleichtert lasse ich mich neben dem Andi nieder, der jetzt offensichtlich seinerseits die Kathi im Visier hat und sie ausgiebig beim Servieren beobachtet. »Deinen Erfolg hast du bloß deinem Wuschelhaar zu verdanken, Raphi. Das macht die Weiber ganz narrisch. Obwohl, die Marlene hat wohl nicht angebissen, oder?« Er zwinkert mir zu.

»Spinnst du?«, rege ich mich auf. »Das Mädel steht doch noch unter Naturschutz.«

»Aber geh, mein Lieber, die ist schon fast so alt wie deine Betty.« Der Andi grinst von einem Ohr zum andern.

»Du bist so ein Depp!«, schreie ich, um gegen die Musik eine Chance zu haben.

Weiter komme ich allerdings nicht, weil die Gabi energisch auf sich aufmerksam zu machen versucht. Seufzend erhebe ich mich und wandere mit meinem Bierglas zu ihr und der Marie. Ich kann gar nicht so schnell schauen, wie mich meine Schwester schon unsanft auf den Stuhl neben die Braut drückt.

»Vertritt mich mal kurz, kleiner Bruder! Ich muss dringend aufs Klo, und inmitten all der Deppen hier kann man die Marie ja keine Minute alleine lassen!«, schreit sie und zieht von dannen.

Was mir eigentlich gar nicht recht ist. Die Marie und ich starren betreten in unsere Gläser.

»Tut mir leid«, sagt sie dann doch gedehnt.

»Was denn?«, frage ich erschrocken. Sie soll mich jetzt bloß nicht volljammern. Der Max ist ihr Problem, nicht meines.

»Dass die Gabi dich zu mir abkommandiert hat, meine ich. Ich nehme an, du wolltest nix wie weg von hier«, sagt sie und lächelt dabei sogar zaghaft. »Glaub mir, ich kann dich nach der unsagbar peinlichen Vorstellung gerade eben gut verstehen.«

Weil mein Bier auf wundersame Weise verdunstet ist, winke ich dem Gregor, dem Lehrbuben der Wirtschaft, und nehme ihm zwei kleine Biere vom Tablett. Ich will es ja nicht übertreiben.

Eins davon schiebe ich der Marie hin, proste ihr mit meinem grinsend zu und finde meine Stimme wieder. »Also, jetzt, wo der Max nicht mehr da ist, sehe ich eigentlich keinen Grund mehr, schon nach Hause zu gehen.«

Wir stoßen an und müssen beide lachen. Die Marie greift sich an die Stirn, und ich bemerke, dass sich aus der furchtbaren Frisur bereits mehrere ihrer umwerfenden blonden Locken befreit haben.

»Was habe ich mir bloß bei der ganzen Sache gedacht?« Jetzt klingt ihr Lachen beinahe hysterisch.

Ich nehme noch einen kräftigen Schluck, stehe auf und greife nach ihrer Hand. »Weißt du was? Ich entführe dich jetzt, ist doch so Brauch.«

Erstaunt verstummt sie.

»Eigentlich muss man auf einer Hochzeit ja die Braut entführen und nicht den Bräutigam, und was die vom FC können, das kann ich schon lange. Komm, Marie.« Ich ziehe sie vom Stuhl in Richtung Tanzfläche, und sie stolpert hinter mir her. In dem Tumult, der um uns herum herrscht, scheinen wir niemandem aufzufallen.

Endlich im Freien laufen wir durch den Gastgarten zum großen Parkplatz. Zum Glück habe ich dem Schorsch vorhin den Schlüssel von seinem Multipla abgeknöpft, weil er mir schon zu viel getrunken hatte, sodass ich der Marie jetzt galant die Tür öffnen kann. Ich nehme auf dem Fahrersitz Platz.

Die Marie kichert neben mir wie eine Zwölfjährige. »Und was machen wir jetzt?« Sie sieht mich fragend an.

»Na ja …« Ich überlege fieberhaft. Bei uns im Ort ist heute logischerweise alles geschlossen. »Nach Salzburg fahren natürlich.«

Wobei ich die Jakobi Stubm, mein Stammlokal und bestes Jagdgebiet, vergessen kann. Bei meinem Glück würde mir dort noch die Betty über den Weg laufen. Aber in dem Sportpub in der Nähe vom Volksgarten treffe ich garantiert niemanden. Dort war ich bisher nur ein einziges Mal, weil ich die Gesellschaft von grölenden Fußballfans nicht so sehr schätze. »Ins Chelsea!«, rufe ich also und starte den Motor.

»Was? Fußball schauen?« Entgeistert blickt mich die Marie an, ihr ist die Bar wohl durch den Max ein Begriff. Sekunden später kann sie sich vor Lachen nicht mehr halten. »Wenn ich dem Max davon erzähle, der packt das nicht. Während er Fußball schaut, fahr ich mit dir Fußball schauen.«

Fröhlich brettern wir Richtung Stadt. Wegen der paar Bier, die ich intus habe, mache ich mir keine Sorgen, ich kenne genug Salzburger Kollegen.

Das Pub ist randvoll, besonders unsere bajuwarischen Nachbarn tummeln sich im Chelsea. Allerdings schaut man hier nicht die Bundesliga, sondern irgendein Spiel aus der Champions League.

Als die Gäste die Marie im Brautkleid sehen, gibt es ein großes Hallo. Bereits im Auto hat sie ihre furchtbare Frisur zunichtegemacht, indem sie geschätzt tausend Haarnadeln herausgezogen hat, sodass ihre unglaublichen Locken ihr jetzt beinahe bis zum Hintern fallen. An einem der Tische schieben die Kerle sofort die leeren Gläser zur Seite und heben die Braut, die zwei aufregend hübsche Beine übereinanderschlägt, auf die Tischplatte. Nur kurz darauf fällt ein Tor, und alle fangen an zu jubeln. Auch die Marie, obwohl sie wahrscheinlich so wie ich keine Ahnung von dem Spiel hat. Sie hat leicht gerötete Wangen, bestimmt von der Hitze hier im Raum, vom Alkohol und vielleicht auch wegen mir.

Schon komisch, denke ich mir. Es gab mal eine Zeit, noch lange vor der Sabine, da hat mir die Marie ausnehmend gut gefallen, aber ich bin irgendwie nie an sie rangekommen.

Und heute? Heute sitzt sie im Brautkleid vor mir auf einem Bartisch, ist ausgelassen wie ein junges Mädel, lacht kokett, pfeift auf zwei Fingern, und ihr Kleid rutscht immer höher.

Nicht nur wegen der Hitze im Raum wird mir extrem heiß, und ich spüre, wie ich richtiggehend spitz werde. Wir sind schon eigenartig, wir Männer, denke ich mir und verschwinde rasch auf die Toilette, wo ich mir kaltes Wasser ins Gesicht klatsche.

Als ich zurückkomme, kollidiere ich mit Germany’s Next Topmodel. Ein großes brünettes Mädchen, das sich zu mir umdreht und mir zuprostet. Sie hat eine riesige Klappe und einen urbayrischen Dialekt. Schnell schaue ich in Richtung Marie, die gemeinsam mit einer halben Kompanie Männer noch immer das Fußballspiel verfolgt. Ein blonder Bajuware versucht immer wieder, seinen Arm um ihre Hüfte zu legen, was die Marie lachend, aber bestimmt abwehrt. Schaut ganz so aus, als käme die auch ohne mich zurecht.

Die Brünette nippt an einem Alcopop und flirtet mich an. Ich erfahre, dass sie aus München ist und hier bei irgendeinem TV-Sender jobbt. Glaube ich zumindest, denn der Arm vom Bajuwaren liegt jetzt schwer um Maries Hüfte, und der Kerl drückt sich immer näher an sie heran, was mich ablenkt.

»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?« Die Brünette rammt mir sanft ihren Ellenbogen in die Seite.

»Entschuldige mich bitte kurz«, antworte ich, stelle meine Bierflasche ab und drängle mich genervt an den anderen Gästen vorbei zu Marie. Die Speckfinger von diesem Typen werden immer länger in Richtung Maries Busen, es reicht wirklich. Wie ich energisch seinen Arm von ihrer Hüfte ziehe, dreht sich der Typ erbost um und taxiert mich kurz. Aber da ich einen guten Kopf größer bin, lässt er lieber bleiben, was er gedacht hat. Gut so, der soll sich ja nicht mit mir anlegen, diese bayrische Weißwurst. Da schießt schon wieder jemand ein Tor, und der Typ scheint den Tränen nahe zu sein. Als die Marie mit den anderen Männern jubelnd die Arme in die Höhe reißt, dreht sie den Kopf zur Seite und wirft mir unabsichtlich ihre volle Lockenpracht ins Gesicht.

»Entschuldige!«, schreit sie mir zu und schiebt ihre Haare mit einem Handgriff auf die andere Schulter, sodass meine Sicht nun frei ist auf den schmalen Träger, der ihren Arm hinuntergerutscht ist, und auf – auch auf die Gefahr hin, kitschig zu klingen – einen makellosen schlanken Hals. Mein Mund ist urplötzlich so trocken, dass ich der Marie ihre fast noch volle Bierflasche aus der Hand nehme und mir einen kräftigen Schluck genehmige. Irgendwie muss ich mich ja ablenken.

Aber vergeblich. Auf einmal pressen sich meine Lippen auf ihren Hals, und die Marie zuckt zusammen. Sie dreht den Kopf in meine Richtung, blickt mir erstaunt in die Augen, und dann küsse ich sie mitten auf den Mund.

Ich zögere keine Sekunde mehr, hebe sie vom Tisch und ziehe sie an der Hand hinaus aus dem stickigen Laden.

Auf dem Weg zum Auto bleiben wir immer wieder stehen und schmusen. Endlich im Wagen schiebe ich ihr das Kleid nach oben. Was ich sehe, gefällt mir ausgesprochen gut. Ich versuche, mich irgendwie vor sie zu quetschen, aber der verdammte Multipla ist einfach zu eng.

»Dafür bin ich eindeutig zu alt, das geht nicht.« Meine Stimme klingt rau, und ich lasse mich entmutigt zurück auf den Fahrersitz fallen.

Urplötzlich kommt die Marie wieder zu sich. »Vergiss es, Raphi, bitte. Bring mich einfach nur nach Haus«, murmelt sie, während sie krampfhaft ihr Kleid nach unten zieht.

»Nichts da, auf gar keinen Fall.« Ich schaue ihr tief in die Augen, ziehe ihren Kopf zu mir und küsse sie noch mal leidenschaftlich. Sie leistet keinen Widerstand.

Währenddessen überlege ich fieberhaft, wohin ich mit ihr fahren kann. Zu mir heim kommt nicht in Frage, weil mein Vater mit dem Felix da ist. Beide schlafen zwar oben in Gabis Wohnung, aber auch dort ist jedes Geräusch von unten zu hören. Wenn man denn hinhört. Außerdem nehme ich aus Prinzip keine Frauen mit zu mir nach Hause.

Dann fällt mir die Lösung ein. Ich mache mich von der Marie los und ziehe triumphierend den Schlüssel von Eidenpichlers Geschäft aus meiner Hosentasche. Ursprünglich hatte ich vor, auf dem Heimweg von der Hochzeit dort noch nach dem Rechten zu sehen. »Modell E711 wartet auf uns«, grinse ich die Marie an. Raphi, du bist ein Fuchs, denke ich mir stolz, starte den Wagen und schiebe meine rechte Hand unter Maries Kleid.

Nicht einmal dreißig Minuten später sind wir zurück in Koppelried und stehen vor dem Möbelgeschäft. Die Marie zittert neben mir wie Espenlaub, obwohl es eigentlich sehr warm ist. »Ich komme mir vor wie eine Fünfzehnjährige«, flüstert sie beinahe panisch.

»Keine Angst.« Ich ziehe sie eng an mich, hänge ihr mein Sakko um und schließe mit meiner freien Hand die Tür vom Möbelgeschäft auf. Weil die Straßenlaterne an der Ecke den Verkaufsraum hell genug erleuchtet, mache ich kein Licht. Etwas verloren bleibt die Marie neben der Tür stehen, während ich mich kurz umsehe, ob die Luft auch tatsächlich rein ist. Als ich sie anblicke, schaut sie mich skeptisch an.

»Raphi, meinst du nicht, wir sollten jetzt wieder gehen? Es ist nicht okay, dass wir beide hier sind. Gar nicht okay«, meint sie zaghaft und beißt sich auf die Lippen.

Ich kann ihr deutlich ansehen, wie unwohl sie sich fühlt. Zum Glück fällt mir in dem Moment der Sekt im Kühlschrank hinter der Verkaufstheke ein.

»Ach was. Ein Hoch auf den Eidenpichler, der immer ein paar Flaschen für seine Gäste im Kühlschrank hat«, zwinkere ich ihr aufmunternd zu und gehe zum Tresen. Ich stehe zwar nicht so auf Sprudel, aber für die Marie tue ich jetzt alles, und die muss sich unbedingt ein bisserl entspannen.

Im Kühlschrank entdecke ich nicht nur Sekt, sondern auch eine gut gekühlte Flasche Gin, der bestimmt eine noch entspannendere Wirkung hat. Spontan entscheide ich mich für beides und fülle den Gin großzügig in hohe Gläser und den Sekt in Sektflöten, die praktischerweise im Regal hinter dem Tresen stehen. Dann platziere ich die Gläser in Windeseile auf dem Nachttisch neben dem mir bereits bekannten Luxusbett. Zu meinem Glück lässt sich die Stehlampe neben dem Bett ganz einfach anknipsen und dimmen, was uns das stimmungstötende Neonlicht an der Decke erspart. Schließlich lasse ich mit der Fernbedienung am Tresen noch die Rollläden vor dem Schaufenster herunter, damit wir vor neugierigen Blicken geschützt sind. Gut, dass ich dem Eidenpichler letztens dabei über die Schulter gesehen habe.

Dann gehe ich grinsend auf die Marie zu, die immer noch verunsichert an der Tür lehnt und hilflos zurücklächelt. Ich nehme ihre Hand und ziehe sie sanft hinter mir her, bis wir vor dem großen Bett stehen.

»Darf ich vorstellen? Modell E711, der absolute Boxspring-Luxus, höchster Komfort mit edlem Flair«, lese ich vergnügt vom darüberhängenden Produktschild ab. Dann lasse ich mich aufs Bett fallen, ziehe die Marie auf meinen Schoß und drücke ihr ein Glas Sekt in die Hand. Diese Frau gefällt mir verdammt gut, schon lange.

Bierbrauerblues

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