Читать книгу Bierbrauerblues - Natascha Keferböck - Страница 8

Freitag

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Ich erwache von einem Geräusch, das sich anhört, als würde man mein Gehirn durch einen Fleischwolf drehen. Unangenehm grelles Licht blendet mich, und ich kann meine Augen nur zu schmalen Schlitzen öffnen, mehr ist nicht drin. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er in eine Schraubzwinge eingespannt. Als ich mein Kinn senke, sehe ich wie durch eine Nebelwand ein Gewusel an blonden Haaren auf meiner Brust.

»Ja, spinn ich denn! Was ist denn jetzt das?«, dringt eine dumpfe Stimme in mein Bewusstsein. Die vom Eidenpichler? Was macht der denn in meinem Schlafzimmer?

»Aigner, du Fetzenschädel! Bist jetzt komplett narrisch worden?« Der Eidenpichler steht neben dem Bett, auf dem ich liege, und brüllt mich an.

Das kann nur ein böser Traum sein, denke ich mir, als sich die Haarpracht auf meiner Brust, die blond und garantiert nicht von mir ist, langsam bewegt. Verschwommen taucht das Gesicht von der Marie vor mir auf. Ruckartig fährt sie in die Höhe, und meine Augen können endlich wieder scharf sehen. Gerade noch rechtzeitig, dass ich ihren sensationellen Busen nicht verpasse.

Die Marie schaut verwirrt zum Eidenpichler, dann zu mir. Der Eidenpichler starrt mit weit offen stehendem Mund auf Maries Busen, weshalb sie sich blitzschnell bis zum Hals in das einzige Laken wickelt, das auf dem Bett liegt. Was wiederum mich ganz schön nackt aussehen lässt.

Zwar kann ich endlich wieder normal sehen, nur das, was ich jetzt erblicke, gefällt mir gar nicht. Weil der Eidenpichler offensichtlich schon die Rollläden hochgefahren hat, steht vor dem Schaufenster in Richtung Hauptplatz der Wimmerl-Roman und hält sein Handy quer vor sich in unsere Richtung. Der Saubub, der elendige, der fotografiert uns, denke ich mir und springe aus dem Bett, so wie Gott mich geschaffen hat.

»Aigner, du Depp«, fängt der Eidenpichler sofort an, wie eine Sirene loszukreischen, »zieh dir wenigstens was an! Die Hose! Die Hose!«

Ich drehe mich um und schaue, wo meine Hose ist. Dabei sehe ich, wie die Marie in die Decke beißt. Ich glaube beinahe, die lacht. Aber an der Hose ist normalerweise mein Gürtel mit der Dienstwaffe, und mit der werde ich dem Wimmerlgesicht jetzt ein Loch in sein verdammtes Handy schießen!

Statt meiner Hose entdecke ich allerdings nur drei leere Flaschen Sekt und eine genauso leere Flasche Gin, die auf dem Boden herumrollen. Und langsam dämmern mir ein paar Erinnerungsfetzen von wegen Sekt aus dem Bauchnabel der Marie schlürfen herauf, und ich bemerke, dass es im ganzen Schauraum penetrant nach Alkohol mieft. Wirklich erinnern kann ich mich allerdings nur an wenig. Eigentlich an fast gar nichts, wenn ich ehrlich bin.

Da hält mir die Marie meine Hose vor die Nase, an der natürlich kein Gürtel mit Dienstwaffe ist. Eh klar, Raphi. Komm endlich zu dir. Du bist Polizist und kein Cowboy!

Der Roman, die freche Kröte, hält sich währenddessen immer noch das Handy vors Gesicht, und trotzdem kann ich sehen, wie er unverschämt grinst. Das Einzige, was ich in einer meiner Hosentaschen finde, ist mein Dienstausweis. Interessant. In Ermangelung von etwas anderem presse ich ihn völlig hirnlos gegen das Schaufenster, während ich mit der Faust kräftig dagegenschlage. »Du Hundsfott, du elendiger! Gib das Handy her, sofort!«

»Aigner, bitte. Zieh dir endlich was an. Wenn da jetzt noch mehr Leute vorbeikommen«, jammert – nein, weint schon fast – der Eidenpichler. Dabei drückt er nervös am Schalter seiner Fernbedienung herum, aber nichts passiert.

»Zieh dir die Hose an, Raphi«, meint die Marie, und das mache ich jetzt auch, während endlich die Rollläden wieder nach unten surren.

Mit Hose laufe ich raus aus dem Möbelgeschäft und gebe dem verdutzten Saububen von Roman eine Watschen, die sich gewaschen hat. Sein Handy erwische ich leider nicht. In Panik saust er auf seinem Fahrrad davon, und ich nehm mir vor, ihn mir später noch mal vorzuknöpfen.

Wütend gehe ich zurück ins Geschäft. Der Eidenpichler steht immer noch fassungslos da, während die Marie, eingewickelt in die Decke, vom Boxspringbett hüpft.

»Kannst du mir bitte was zum Anziehen besorgen, Eidenpichler?«, fragt sie.

Wie der Angesprochene sie verständnislos anschaut – schon wieder mit offenem Mund –, zeigt sie mit dem Finger nach oben. »Das kann ich ja schwer anziehen, wenn ich halbwegs unauffällig von hier verschwinden will.«

Der Eidenpichler und ich heben synchron unsere Köpfe. An einem der vielen Lampenschirme über uns baumelt wie hindrapiert das weiße Brautkleid.

Dann beginnt der Eidenpichler, sein Handy zu bearbeiten. »Hedi!«, schreit er endlich völlig entnervt hinein. »Komm sofort runter ins Gschäft und nimm eine Hose und ein Leiberl von dir mit. – Frag net so deppert, mach einfach. Und zwar flott!«

Während ich erfolglos meine Socken suche, aber immerhin meine Schuhe finde und barfuß reinschlüpfe, hüpft die Marie noch immer in der Decke zur Kundentoilette und schließt schnell die Tür hinter sich. Als ich mich zum Eidenpichler umsehe, starrt der ihr ungläubig hinterher. Mein Schädel droht zu platzen, wie ich mich nach unten beuge, um meine Schuhe zu binden. Und als mir der Eidenpichler mein grauslich versifftes Hemd vor die Nase hält, dreht es mir gefährlich den Magen um.

»Ich bin wirklich aufs Schwerste enttäuscht von dir, Aigner. Da vertrau ich dir mein Gschäft an, meine Existenz, mein Leben, damit diese elendige Saubande nachts darin nicht mehr rudelbumsen kann, und was tust du? Machst dasselbe in Grün und schüttest mir quasi als Draufgabe noch literweise Sekt und meinen hochpreisigen Gin auf das teure Bett und sonst wo hin. Da herinnen stinkt es wie in einem Puff.« Er setzt sich aufs Boxspringbett mit Komfort und Flair und legt verzweifelt seinen dicken Kopf in seine Hände. »Ich verklag dich wegen Verdienstausfall … Aigner, du Trottel. Ich verklag dich wegen Existenzgefährdung, wegen … allem.« Jetzt weint er wirklich, glaube ich.

Bevor ich ihm auch nur irgendetwas antworten kann, kommt die Hedi zur Tür herein und schaut schockiert von mir zu ihrem Mann und dann zu mir zurück.

Wortlos deute ich auf das Brautkleid am Lampenschirm und dann zur Toilette. Die Hedi ist recht fix und versteht sofort. Kurz klopft sie an die Toilettentür, bevor sie dahinter verschwindet.

»Ich zahle dir den Schaden natürlich, Eidenpichler. Und jetzt hör auf, so rumzuplärren, das ist ja peinlich«, herrsche ich ihn an, obwohl mir gleichzeitig bewusst wird, dass meine Aktion hier alles andere als astrein war. Noch immer laufen dem Eidenpichler dicke Tränen die Wangen hinunter.

»Darum geht’s doch gar net, das Finanzielle regle ich sowieso mit der Versicherung. Aber was die Leut sagen werden! Die werden mein Gschäft doch meiden wie die Pest, wenn sich herumspricht, was hier passiert ist.«

»Das spricht sich schon nicht herum, Eidenpichler«, versuche ich, ihn zu beruhigen. »Dafür sorge ich, das schwör ich dir. Gleich nachher werde ich mir den depperten Leitner-Buben schnappen. Außerdem hol ich mir die verflixte Bande, die da jede Woche bei dir feiert«, ergänze ich.

Der Eidenpichler macht kraftlos eine abwehrende Handbewegung. »Aigner, Aigner. Du hast mich ruiniert. Mein Gschäft ist für immer ruiniert«, schluchzt der dicke Kerl weiter.

Langsam geht mir seine Reaktion echt auf den Senkel, aber einfach gehen kann ich leider auch nicht. Vor allem nicht, solange die Marie noch nicht wieder aufgetaucht ist.

Ich fische das Kleid vom Lampenschirm und lege es auf den Kassentisch, weil ich nicht so recht weiß, wohin damit.

Endlich kommt die Hedi mit der Marie aus der Toilette. Letztere schaut gar nicht mehr lädiert aus, sondern wirkt sogar überraschend frisch. Jeans und T-Shirt von der Hedi könnte sie sich zwar zweimal um den Körper wickeln, aber eigentlich gibt sie darin einen recht rührenden Anblick ab. Ich bin fast versucht, meinen Arm um sie zu legen, traue mich aber dann doch nicht. Ruhig bleiben ist die Devise, Raphael Aigner, ermahne ich mich. Verlier jetzt bloß nicht die Nerven.

Also mache ich nichts weiter, als einfach nur blöd vor mich hin zu schauen. Ich habe nicht die geringste Idee, was ich in diesem Moment sagen soll.

Während ich noch überlege, geht die Marie zum Kassentisch, rollt seelenruhig ihr Kleid zusammen und tätschelt dem Eidenpichler den Arm. »Es tut mir so leid. Für den Schaden komme ich dir selbstverständlich auf.«

»Aber geh, Marie, vergiss es«, winkt der jammernd ab. »Schau lieber, dass du das mit dem Max klärst. In deiner Haut möcht ich jetzt net stecken.«

»Ganz bestimmt kläre ich das, keine Sorge.« Die Marie streicht ihm noch einmal über die Schulter, dann drückt sie mir wie selbstverständlich einen sanften Kuss auf die Wange und flüstert mir zu: »Mach dir keinen Kopf, Raphi. Das wird keine Folgen für dich haben, weder durch Max noch durch mich.«

Ich schaffe es gerade so, einfach weiter blöd dreinzuschauen. Mehr ist im Moment in meinem Zustand nicht drin.

Die Marie hingegen reicht der Hedi noch mit einem artigen »Danke schön« die Hand und verschwindet dann leise aus dem Geschäft. Durch das kleine Fenster rechts neben der Tür kann ich sehen, wie sie in der viel zu großen Hose und den weißen Stöckelschuhen über den Hauptplatz zu ihrem Haus stakst. Rasch und energisch, das weiße Bündel fest unter ihren Arm gestopft.

Die Hedi ist die Erste von uns dreien, die die Fassung wiedererlangt. »Franz, du rufst jetzt gleich die Putzfrau an, und Aigner, du verschwindest auf der Stelle.«

Massiv erleichtert komme ich ihrer Aufforderung nach, springe in den Multipla und fahre zum Fleischhauer Heininger, wo der Roman seine Lehre macht.

Als ich den Laden betrete, treffe ich auf einen extrem verkatert dreinschauenden Heininger, der mich aber trotzdem auslacht.

»Na, Aigner? Wohl auch zu lang gefeiert gestern. Schaust ja sauber lädiert aus. Nachdem die Grazer eins zu zwei gegen unsere Salzburger Buam verloren haben, hat’s kein Halten mehr geben. Meine Alte wollt mich ja erst net schauen lassen, aber was ein echter Mann ist, der kann sich halt durchsetzen.« Er lacht polternd, hört aber gleich wieder auf und greift sich an den Schädel. Anscheinend hat auch er Kopfweh.

»Wo ist dein Lehrbub, Heininger?«, frage ich kurz angebunden. »Ich muss ihn dringend sprechen.«

Da kommt der Roman auch schon aus dem Kühlraum und kriegt einen hochroten Schädel, als er mich sieht.

»Raus mit dir, Roman«, fahre ich ihn an.

»Hast was ang’stellt, du Depp?« Der Heininger zieht ihm mit der flachen Hand eine über den Scheitel. »Verschwind hinten raus mit unserem Schandi, du Rotzlöffel, du. Und sei ja kooperativ, host mich?«

Ich geh mit dem verschreckten Roman nach draußen in den Innenhof. »Her mit deinem Handy!«, brülle ich ungeduldig, bereue es aber gleich wieder, weil mein Schädel dadurch nur noch mehr schmerzt.

»Ich hab alles g’löscht, Herr Aigner«, jammert das wandelnde Eiterwimmerl. »Es tut mir so leid. Ich woaß net, was ich mir dabei gedacht hab. Entschuldigen S’ bitte, Herr Aigner.«

»Du hast die Fotos also gelöscht?«, frage ich ihn streng, aber meinem Kopf zuliebe etwas leiser.

Er wird rot und nickt eifrig.

»Egal, her mit dem Handy.« Ich halte ihm fordernd meine geöffnete Hand entgegen.

Der Bursche fischt ein nagelneues iPhone aus seiner weißen Fleischerjacke und wischt zitternd darauf herum. »Tut mir so leid, Herr Aigner«, wiederholt er schon wieder. »Tut mir echt so leid.«

Voller Ungeduld entreiße ich ihm das Handy. In der Galerie finde ich wirklich kein Bild von mir und der Marie, zumindest nicht auf die Schnelle. Aber dafür haufenweise Fotos und Videos von ihm, dem Sieder Hannes, der Marlene und der dicken Tochter vom Eidenpichler. Auf dem mir seit heute Nacht bestens bekannten Modell E711 im Schaufenster des Möbelgeschäfts. Nichts davon lässt auch nur irgendeinen Zweifel. Die jungen Leute sind offensichtlich schwer am Experimentieren, wobei man beim Sieder eigentlich nicht mehr wirklich davon ausgehen kann. Der Kerl dürfte Mitte zwanzig sein.

»Dein Handy ist hiermit konfisziert, Roman. Ich nehme es mit auf die Inspektion. Das alles wird Konsequenzen haben, das ist dir hoffentlich klar. Morgen seid ihr alle vier pünktlich um elf Uhr bei mir im Büro, kapiert?«

Der dünne Roman zittert wie Espenlaub und nickt wie ein Besessener. »Die Petra hat einen Schlüssel, wir sind da nicht eingebrochen. Das war alles legal –«

»Halt die Pappen! Verrat mir nur mehr deine PIN zum Entsperren des Telefons, und den Rest könnt ihr mir morgen erklären. Punkt elf, sonst hole ich jeden von euch persönlich ab.«

Im Auto suche ich auf dem verdammten Telefon noch mal genauer nach Fotos oder Videos von mir und der Marie. Nichts. Trotzdem nehme ich mir vor, den Andi diesbezüglich zu konsultieren. Der ist um einiges gewiefter als ich, wenn es um Smartphones geht.

Schon etwas beruhigter fahre ich zurück zum Eidenpichler. An der Tür hängt ein Schild: »Wegen Inventur erst Samstag wieder geöffnet«, aber ich habe ja immer noch seinen Schlüssel. Drinnen arbeitet fröhlich summend die Putzfrau und duftet das Bett im Schaufenster mit einem Raumspray Marke Tannenduft ein, das noch penetranter stinkt als der abgestandene Sekt. Sämtliche Fenster sind gekippt, damit frische Luft hereinströmen kann.

»Wo ist der Eidenpichler?«

»Chef auf Klo!«, ruft mir der polnische Putzteufel zu.

Ich reiße die Tür zum Häusl auf und vernehme sofort ein geräuschvolles Furzen. »Komm sofort raus, Eidenpichler. Ich weiß, wer hinter den Einbrüchen steckt.« Ich höre, wie er ausgiebig die Klospülung betätigt, dann kommt er auch schon in den Waschraum.

»Warst jetzt aber schon schwer motiviert, gell, Aigner?« Der Eidenpichler weint nicht mehr, sondern grinst mich eher unverschämt an und boxt mich kameradschaftlich in die Seite. »Ich hab doch schon immer gewusst, dass die Marie eine scharfe Braut ist. Kompliment, Aigner. Dem depperten Brauwirt seine fesche Braut verzahnen und gleich vernaschen, das kann net jeder.«

Na ja, Ehre, wem Ehre gebührt, denke ich mir doch ein wenig geschmeichelt. Aber sicherheitshalber brumme ich ihn scharf an: »Kein Wort mehr davon. Zu niemandem, Eidenpichler, host mich?«

»Ehrensache«, grinst der immer noch, und ich glaube ihm kein Wort. »Und jetzt sag, wer ist die Bagage, die sich ständig in meinem Gschäft vergnügt?«

»Schau selbst.« Ich halte ihm das Handy vom Roman vors Gesicht und spiele eins der Videos ab. Je mehr Zeit vergeht, desto blasser wird der Eidenpichler um die Nase herum, bis er kalkweiß ist. Ich habe ein ganz nettes Filmchen ausgesucht, in dem seine dicke Tochter mit dem Roman und dem Hannes gleichzeitig rummacht.

»Was? Wie?« Der Eidenpichler lockert sich die Krawatte. »Aber das kann net sein, meine Petra ist doch so eine Brave. Geh bitte, Aigner, tu das weg, mir graust.« Er schiebt das Handy von sich, dreht den Wasserhahn auf, hält die Hände darunter und macht sich das Gesicht nass. »Das ist zu viel für einen Tag.« Theatralisch greift er sich ans Herz. »Die Petra kriegt eine Watschen, die das depperte Mensch sein Lebtag nimmer vergessen wird.«

Er kramt sein eigenes Handy aus der Hosentasche hervor und schreit gleich darauf hinein. »Hedi! Komm herunter! Aber flott!«

Keine fünf Minuten später betet die Hedi zum lieben Herrgott und weint aus roten, verquollenen Augen. Sanft nehme ich ihr das Handy aus der klammen Hand.

»Das ist Beweismaterial, das muss ich wieder mitnehmen. Jetzt liegt es an euch, ob ihr eine Anzeige machen wollt oder nicht. Ich werde den jungen Leuten erst mal nur ordentlich ins Gewissen reden. Für morgen um elf hab ich die vier auf die Inspektion bestellt, da müssen sie jetzt durch. Servus.«

Dann fahre ich nach Hause, schleiche mich auf leisen Sohlen in meine Wohnung und sperre sicherheitshalber ab, damit mich niemand beim Ausschlafen stören kann. Ich nehme zwar an, dass mein Bub, dessen Kinderzimmer sich einen Stock höher in Gabis Wohnung befindet, vom Vater oder der Gabi schon in den Kindergarten gebracht worden ist, aber man weiß ja nie. Nachdem ich die übel riechenden Kleider ausgezogen habe, werfe ich mich aufs Bett und bin froh, dass ich meinen nächsten Dienst vorausschauenderweise erst für morgen eingetragen habe. Ich bin komplett k.o.

Irgendwann, Stunden später, dringt dumpf ein Klingeln in mein Bewusstsein. Ich öffne die Augen auf Halbmast, kann mein Handy aber nicht sofort entdecken. Erst als es wieder verstummt ist, fische ich es unter dem Bett hervor. Na, servus – zweiundzwanzig Anrufe in Abwesenheit, dazu SMS- und WhatsApp-Nachrichten. Es waren die Gabi, die Gabi, die Gabi … auch mal der Schorsch, der Andi, die Gabi, die Gabi … und der Andi.

Ich öffne die erste Nachricht meiner Schwester. »Ruf mich sofort zurück!«

»Wo ist mein Auto?«, vom Schorsch.

»Ruf mich an, Alter«, vom Andi.

»Ruf endlich zurück!«, von der Gabi.

»Wo bist du Wahnsinniger?«, von der Gabi.

»Ruf an, Raphi. Es ist echt dringend«, vom Andi.

Irgendwie wird mir jetzt doch ein bisserl komisch zumute. Ist meinem Buben etwa etwas passiert? Weil ich feige bin, rufe ich den Andi und nicht meine Schwester zurück.

»Raphi, du Irrer, wo bist du? Wir versuchen seit Stunden, dich zu erreichen.«

»Ich bin zu Hause und hab bloß meinen Rausch ausgeschlafen, Andi. Was ist denn los? Ist was mit dem Felix?«

»Nein, der Bub spielt in seinem Zimmer, und da bleibt er jetzt auch besser mal. Ich bin übrigens auch oben bei der Gabi. Echt, Raphi, wir haben bei dir Sturm geläutet, aber du Irrer hattest abgesperrt!«, schreit er, als ob es ein Verbrechen wäre, seine Wohnung abzuschließen. Ich habe wohl geschlafen wie ein Stein.

»Bleib, wo du bist. Ich bin mit der Gabi in einer Minute unten.« Es piept, der Andi hat aufgelegt.

Gleich darauf rennt er mich beinahe um, als ich die Tür öffne. Die Gabi will mir auf Zehenspitzen mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlagen, aber ich weiche geschickt aus. Dieses Erziehungsmittel wendet sie trotz meines fortgeschrittenen Alters immer noch liebend gerne bei mir an.

»So liebevoll heut, Schwesterherz?«

»Red mich besser nicht an.«

Ich versuche, wie ein Unschuldslamm dreinzublicken. Tatsächlich habe ich keine Ahnung, worum es hier geht. Die Marie wird doch nicht schnurstracks zur Gabi gegangen sein, um zu beichten? Oder, schlimmer noch, zum Pepperl?

Der Andi nimmt sich mein Notebook vom Schreibtisch, stellt es auf den Esstisch vor der Kochnische, klappt es auf und öffnet mein Mail-Programm.

»Baumgartner, spinnst du? Das ist privat.«

»Keine Zeit für Sentimentalitäten«, meint der Andi trocken, um gleich darauf triumphierend aufzuschreien. »Ha! Hab ich’s mir doch gedacht. Halb Koppelried hat diese Mail bekommen. Und du natürlich auch.«

Die Gabi will mir noch eine Kopfnuss verpassen, und diesmal trifft sie. Meine schlechte Reaktionsfähigkeit ist wahrscheinlich dem Restalkohol geschuldet.

»Jetzt hör doch mal auf damit, Gabi.«

»Du Haderlump! Wie konntest du ihr das nur antun? Und dem Felix? Hast du kein Hirn im Kopf, du …« Die Gabi sucht krampfhaft nach einer wirklich wortgewaltigen Beleidigung. »Du … Mann!«

Weil mir jetzt wirklich Übles schwant, sehe ich mir die E-Mail genauer an. Unter dem Betreff »Brauwirt Hochzeit« ist folgender Text zu lesen: »Dorfpolizist auf Abwägen. Wie viel STANDhaftigkeit beweissen wir Schandis?«

»Sieh dir den Absender an.« Mein bis eben bester Freund jauchzt voller Freude, während er mit dem Finger mehrmals auf den Bildschirm tippt. Da steht: »PI-S-Koppelried@polizei.gv.at«. Die Mail-Adresse unserer Inspektion, mir wird schlecht.

Höchst selbstzufrieden klickt der Andi mit der Maus auf den mitgeschickten Link, woraufhin sich ein YouTube-Fenster öffnet. Was ich dann sehe, haut selbst mich um. Meine Beine geben nach, und ich lasse mich auf den Stuhl vor das Notebook fallen.

Die Marie sitzt aufrecht im Bett, Modell E711. Kurz sieht man ihren hellen Busen aufblitzen, dann wickelt sie sich rasch in das Laken, das sie mir wegzieht. Verunsichert blickt sie sich um, ihre langen Haare sind völlig zerzaust.

Die Kamera schwenkt auf das Brautkleid, das am Lampenschirm baumelt, dann komme ich ins Bild. Nackt springe ich hinter dem Schaufenster rum, schlage mehrfach mit der Faust gegen die Scheibe und schimpfe – das ist etwas gedämpft zu hören – den Roman alle möglichen Namen, während der Eidenpichler, der mit kalkweißem Gesicht hinter mir steht, »Deine Hose!« jammert.

Gott sei Dank zoomt die Kamera endlich auf mein Gesicht und danach auf das der Marie, die sich das Bettlaken vor die Brust hält, sich bückt und meine Hose hochhebt.

Dann zoomt die Kamera wieder heraus, und man sieht mich immer noch rumzappeln wie Rumpelstilzchen – diesmal zum Glück nur meinen auf und ab hüpfenden nackten Oberkörper –, während eine Hand von mir meinen Dienstausweis gegen das Fensterglas drückt. Es ist furchtbar peinlich. Die Kamera zoomt auf meinen Ausweis, den man zum Glück nur verschwommen erkennen kann, bevor sie auf meine Hose schwenkt, die die Marie mir hinhält.

Es folgt ein erneuter Schwenk auf das Brautkleid, das immer noch fröhlich am Lampenschirm baumelt, dann fährt endlich der Rollladen nach unten.

Der Ton ist ziemlich gut, muss ich zugeben. Scheiß dünne Fensterscheiben, die der Eidenpichler hat!

Mir ist schlechter als schlecht. Ich klappe das Notebook zu. Es reicht.

»Ich hab dir gestern gesagt, du sollst dich um sie kümmern. Aber doch nicht so, du Vollidiot.« Die Gabi will mir erneut mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlagen, aber wieder kann ich erfolgreich ausweichen, sodass sie den Andi trifft, der sie verdutzt anschaut. Fast muss ich grinsen.

»Ich hab schon nachgeschaut, ob ich den Wahnsinnigen ausfindig machen kann, der das Video online gestellt hat, aber nur einen Alias gefunden«, sagt der Andi jetzt. »Im Netz hat man da kaum eine Chance. Bei YouTube habe ich schon einen Löschantrag gestellt, aber bis die ein Video rausnehmen, dauert es in der Regel einen bis mehrere Tage. Vielleicht geht es diesmal ja schneller, weil man kurz deinen Schniedel sehen kann. Die E-Mail mit dem Link muss jedenfalls an halb Koppelried verschickt worden sein, die Gabi und ich wurden heute schon von zig Leuten deshalb kontaktiert«, grinst er nur wenig verhalten.

Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass die Geschichte den Andi etwas zu sehr amüsiert. Ich stehe auf und nehme die Flasche mit Gabis selbst angesetztem Nussschnaps aus dem Küchenregal. Den habe ich jetzt bitter nötig. Trotz des strafenden Blickes meiner Schwester genehmige ich mir einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche.

Plötzlich kommt mir die Marie in den Sinn. Ob die das Video auch schon gesehen hat?

»Was ist mit der Marie?«, frage ich. »Und weiß es der Max schon?« Ich glaube, jetzt hab auch ich den Ernst der Lage endlich kapiert.

Die Gabi windet mir die Flasche aus der Hand, nimmt selber einen kräftigen Schluck und wischt sich nicht eben damenhaft mit dem flachen Handrücken den Mund ab.

»Eigentlich verdienst du es gar nicht, dass ich dir überhaupt irgendwas dazu sage. Aber natürlich hat der Max das Filmchen schon gesehen, schließlich ist der trainiert und braucht nicht so lang wie du, um seinen Rausch auszuschlafen.«

Stimmt, die Uhr zeigt schon kurz nach fünf am Nachmittag, stelle ich überrascht fest.

»Der Max wurde von seinen FClern informiert«, erzählt die Gabi ungerührt weiter. »Bis dahin war ihm wahrscheinlich noch nicht mal aufgefallen, dass er seine frischgebackene Ehefrau seit gestern Abend nicht mehr gesehen hatte. Angesichts dessen ist es wohl gut, dass die Marie erst nächste Woche beim Max einziehen wollte.« Sie klingt bitter und macht eine Pause, wie um mich auf die Folter zu spannen.

»Ja, und? Kruzifix! Weiter!«

»Nun, die junge Kellnerin, die Franziska, hat mich angerufen und gewarnt, dass der Max fuchsteufelswild auf dem Weg zu Maries Haus ist. Aber mit mir hatte er nicht gerechnet. Weil ich schon vor ihm bei der Marie war, war er erst mal perplex.« Beifall heischend dreht sich die Gabi zum Andi um, der auch noch prompt applaudiert.

»Geschimpft hat er wie ein Rohrspatz. Er wird dich umbringen, hat er gebrüllt, die Marie wird ihm das noch büßen. Lauter blöde Drohungen halt. Aber dann hab ich den depperten Max ordentlich zur Sau gemacht, den Proleten. Auf der eigenen Hochzeit Fußball schauen, wo gibt’s denn so was? Und dabei hat er auch noch andauernd der Kathi an den Hintern und in den Ausschnitt gefasst, vor allen Leuten. Ich hab ihm ins Gesicht gesagt, dass es gut ist, dass die Marie mit dir weg ist.«

»Na bitte, dann hab ich doch nichts falsch gemacht«, werfe ich strafmildernd ein, fange mir aber gleich die nächste Watschen ein.

»Wo denkst du hin! Die Marie auf diese Art vor dem ganzen Ort bloßzustellen, das ist unverkennbar die Raphael-Aigner-Volltrottel-Art.« Empört stemmt meine Schwester ihre Hände in die Hüfte.

Dem Andi kann man sein Grinsen wahrscheinlich nur mehr operativ aus dem Gesicht entfernen. »Das musst du jetzt ertragen, Raphi. Wissen tun’s wahrscheinlich eh schon alle im Ort. Und die ganz Cleveren haben sich das oscarreife Filmchen sicher schon runtergeladen.«

Die Gabi hält mir ihr Handy vor die Nase. »Da, Raphael. Du rufst jetzt sofort die Marie an. Ich habe sie übrigens zu ihrem Onkel in die kleine Schrebergartensiedlung geschickt. Man weiß ja nie, was dem depperten Max noch so einfällt – und der Hansl, der lässt ihn garantiert nicht zur Tür herein, den hab ich schon instruiert.«

Völlig überrumpelt nehme ich ihr das Handy aus der Hand, das schon Maries Nummer wählt, und flüchte in mein Badezimmer, um wenigstens während des Telefonats allein zu sein.

Es läutet nicht lange.

»Gabi?«, höre ich Maries angenehme Stimme.

Ich räuspere mich. Mein Hals ist auf einmal ganz trocken.

»Hallo? Gabi?«

»Ähm …«, krächze ich mangels Kreativität.

»Bist du das, Raphi?« Die Marie klingt nicht wirklich erstaunt.

»Ja, also … ja. Ähm, Marie, es –«

Sie unterbricht mich einfach. »Die Gabi hat dich gezwungen, mich anzurufen, oder?«

»Na ja, nicht wirklich. Nur ein bisserl, wenn man es genau nimmt. Wobei, also mehr oder weniger.«

»Gut, dann hör mir kurz zu. Ich übersteh das schon alles alleine. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen oder dich für irgendwas verantwortlich zu fühlen. Ich bin erwachsen und weiß, was ich tu. Zumindest stehe ich zu dem, was ich gemacht habe.« Sie hört sich äußerst vernünftig an.

»Also, ich wollte nur, dass du weißt … Nun, der Felix und … du und ich … ich meine, generell eine Frau und ich, das passt einfach nicht zusammen.« Ich schlage mir auf die Stirn. Verdammt, was stammle ich Vollidiot denn da ins Telefon? Die Marie hat jetzt wahrlich andere Sorgen.

»Aha, darum geht es dir also.«

Kurzes betretenes Schweigen auf beiden Seiten.

»Keine Sorge, Aigner«, sagt sie dann und klingt nun doch etwas gereizter. »Du musst mich deswegen nicht heiraten. Außerdem bin ich schon verheiratet.« Sie lacht bitter auf.

Irgendwas sollte ich jetzt sagen, aber mein Gehirn fühlt sich an wie ein Vakuum. So ein Mist, irgendwas muss mir doch einfallen. »Nun, die Betty –«

»Deine minderjährige Friseurin braucht sich auch keine Sorgen zu machen«, blafft die Marie jetzt. »Ehrlich, ich will nichts von dir, absolut überhaupt gar nichts, verstanden? Gestern war gestern. Eine Rauschgeschichte, mehr nicht. Keine Wiederholung erwünscht. Deine Freundin kann beruhigt sein.«

Dann nichts mehr. Sie hat aufgelegt.

Warum um alles in der Welt habe ich gerade eigentlich die Betty erwähnt? Sag mal, Aigner, tickst du noch richtig?, schimpfe ich mit mir selbst.

Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, fasse ich mir ein Herz und drücke auf Wahlwiederholung. Sei endlich ein Mann, Aigner!

Aber die Marie hebt nicht mehr ab. Ich warte kurz und versuche es noch mal. Wieder geht sie nicht ran.

Dann läutet Gabis Handy, und der Name »Marie« erscheint auf dem Display.

»Marie!«, rufe ich erleichtert ins Telefon. »Bitte lass mich kurz erklären. Das vorhin, das war absoluter Schwachsinn. Kann ich dich sehen?«

Aber am anderen Ende der Leitung ist nicht die Marie, sondern der Hansl. »Ruf bitte nimmer an, Bub«, sagt er. »Das Dirndl hat’s so schon schwer genug. Sie woaß net, dass i mit dir sprech, aber bitte lass sie eine Weile in Ruh.«

»Ich will nur nicht, dass sie denkt, dass ich …«

»I woaß Bub, schon gut. Mir ist es mehr als recht, dass das mit dem fetten Riegler Max jetzt doch nix wird. Hoffentlich. Aber tu mir den Gefallen und ruf bitte nimmer an. Gib dem Dirndl Zeit.«

Und damit legt auch der Hansl einfach so auf.

Wie ich mich umdrehe, lehnt die Gabi in der Badezimmertür und klackert ihre langen roten Fingernägel gegen den Türstock. »Und? Hast du dich entschuldigt?«

Aus Feigheit nicke ich rasch und gebe ihr das Handy zurück.

Meine Schwester durchbohrt mich mit ihrem kritischen Blick. »Und? Was hat sie gesagt?«

»Ich soll sie nicht mehr anrufen«, antworte ich beinahe wahrheitsgemäß und zucke ergeben mit den Schultern. Dann gehe ich zum Andi in die Küche, wo ich noch mal einen kräftigen Schluck aus der Schnapsflasche nehme.

Wie mein eigenes Handy läutet, ist es der Schorsch. Er sagt zwar nur Hallo, aber ich weiß trotzdem, was er will. Schnell teile ich ihm mit, wo sein Auto steht und dass ich seinem Bruder den Schlüssel mitgebe. Zum Abschied bringt der Schorsch immerhin einen ganzen Satz zustande: »Geiles Video, Chef.« Na super, das kann ich mir jetzt wohl die nächsten hundert Jahre anhören.

Kaum aufgelegt, läutet mein Handy schon wieder. »Was ist denn, Schorsch? Hast du vielleicht noch so einen wahnsinnig witzigen Kommentar auf Lager?«, schreie ich entnervt, ohne auf das Display geschaut zu haben.

»Raphi, du hinterhältiger Schuft! Ich hab grad das Video auf YouTube gesehen, meine Kollegin aus Ipferdingen hat mir den Link geschickt. Das pack ich echt nicht, noch nie hat mich ein Mann so blamiert!« Die Betty kreischt mit so schriller Stimme ins Telefon, dass sich mein immer noch angeschlagener Kopf lauthals beschwert.

Die hat mir zu meinem Glück gerade noch gefehlt. Mir reicht es. »Betty, da du es ja nicht anders kapierst – es ist endgültig Schluss mit uns beiden«, mache ich kurzen Prozess mit ihr.

Sie heult kurz auf. »Sei nicht so herzlos«, schluchzt sie. »Du willst mir doch nicht sagen, dass du diese alte Schachtel mir vorziehst?«

»Doch, Betty, das will ich. Ich steh auf diese Frau und nicht auf dich.«

»Nein, warte«, heult sie. »Ich hab dich doch so lieb, Raphi-Schatz, bitte tu mir das nicht an.«

»Doch, Betty, das tu ich«, antworte ich ungerührt und lege auf.

Die Gabi schenkt dem Andi einen triumphierenden Blick, während ich mein Handy ausschalte. Auf weitere Anrufe kann ich im Moment gut und gerne verzichten. Dann lasse ich meine beiden Henkersgesellen einfach stehen und genehmige mir eine ausgiebige heiße Dusche. Bei meinen Ausdünstungen habe ich sie dringend nötig.

Als ich in frischen Jeans zurück in mein Wohnzimmer komme, sitzen die Gabi und der Andi einträchtig nebeneinander auf meiner Couch. Ich ignoriere die beiden, sperre eine Schublade von meinem Schreibtisch auf und hole den Gürtel mit dem Holster und meiner Dienstwaffe heraus. Eine Ausnahme, dass beides dort liegt. Eigentlich hängt meine Waffe vorschriftsmäßig im Panzerschrank der Inspektion, außer ich vergesse sie dort zu deponieren. Den Gürtel wie John Wayne um die Hüfte geschlungen gehe ich zur Tür.

»Spinnst du, Raphi?«, schreit die Gabi auf und wird ganz gelb im Gesicht. »Was hast du denn jetzt schon wieder Irrsinniges vor? Wirst du denn nie erwachsen?« Etwas hilflos wendet sie sich an meinen Freund. »Jetzt mach halt endlich was, Andi.«

»Keine Angst«, beruhigt er sie und rennt mir auch schon hinten nach.

Das Rieglerbräu befindet sich am südlichen Ortsende, zu Fuß braucht man knapp fünfzehn Minuten. Es nieselt, kleine Tropfen klatschen mir auf Nase und Stirn, aber das ist mir wurscht.

Der Andi geht schweigsam neben mir her und grinst dabei von einem Ohr zum anderen. Er versucht erst gar nicht, mich aufzuhalten – er kennt mich eben.

Als ich die schwere Tür zum Rieglerbräu aufreiße, ist es drinnen gerammelt voll, weil es Freitagabend ist und draußen mal wieder unser berühmter Schnürlregen vom Himmel plätschert. Alle sitzen sie in der Schankstube, sämtliche Koppelrieder Spanner. Der gesamte FC ist natürlich auch anwesend, schon zur moralischen Unterstützung vom Riegler Max, seinem Mitglied. Inklusive meiner beiden Polizisten, dem Heinz und dem Michel.

Der Max hockt an der Bar, blau wie ein Veilchen oder, wie wir hier sagen, blunzenfett.

Alle Köpfe drehen sich zu mir, nur der vom Max nicht, der weiterhin in seinen persönlichen Maßkrug mit seinem eingravierten Namen starrt.

»Riegler!« Breitbeinig stelle ich mich vor ihn hin. Man muss den Leuten ja auch eine Show bieten. »Bringen wir es hinter uns.«

Langsam dreht sich der Max zu mir und lacht mich einfach aus. »Eh klar, nur mit einer Puffn traut der sich da herein, der feige Schandi.« Dann wendet er sich publikumswirksam den Koppelriedern zu. »Koane Eier hat der, aber davon haben wir uns ja schon alle überzeugen können!« Die FCler lachen laut mit dem Max. Alle außer dem Heinz und dem Michel, die beide betreten den Fußboden studieren.

In Zeitlupe nehme ich meinen Polizeigürtel ab und gebe ihn dem Andi. Das Magazin habe ich ohnehin zu Hause schon herausgenommen.

Umständlich klettert der Max vom Barhocker herunter und wird wie auf Kommando sofort von seinen üblichen Rauf- und Saufkumpanen umringt.

»Okay, dann bin ich eben feig, aber du brauchst deine ganze Schlägertruppe als Unterstützung. Gratuliere, bist noch ganz genau so wie früher. Hast dich keinen Deut verändert. Und jetzt komm her, wenn du dich traust, Riegler!«, verspotte ich ihn lautstark.

Der Max schiebt mit der rechten und linken Hand die Männer von sich weg und schwankt etwas dabei.

Plötzlich sind der Heinz und der Michel neben mir.

»Mach keinen Scheiß, Chef«, flüstert der Heinz mir zu. »Der Riegler ist es echt net wert.«

Auf einmal fängt der Max schallend an zu lachen und dreht sich wieder seinem Publikum zu. »I kann das ja immer noch net glauben, dass der mit seiner kurzen Nudel bei der Marie hat landen können.« Seine Deppen lachen natürlich wie auf Kommando, während er sich wieder zu mir dreht. »Jetzt woaß i endlich, warum dir koane bleibt. Da helfen dir auch die ganzen Locken nix, Aigner, wenn untenrum net viel los ist.« Dann hört er abrupt auf zu lachen und verlangt lautstark einen Schnaps von der Kathi.

Aber die dralle Kellnerin zeigt ihm nur einen Vogel und zapft seelenruhig weiter Bier für die anderen Gäste.

»Du hast meine Marie zur Schlampn g’macht, du Hurenbock, du elendiger!«, brüllt der Max jetzt und stampft mit dem Fuß wie ein Kind auf. Er torkelt näher und will sich auf mich stürzen, stolpert aber über seine eigenen kurzen Beine und stürzt. Wie ein dicker Käfer liegt er vor mir auf dem Boden, obwohl ich ihn nicht mal angerührt habe.

Jetzt bin ich doch ein bisserl verunsichert, denn der stockbesoffene Max ist klar im Nachteil. Einen Besoffenen zu verdreschen, das liegt mir nicht. Also helfe ich ihm lieber auf. Aber noch bevor er wieder auf seinen Füßen steht, rammt mir der Arsch mit voller Wucht seine Faust in den Bauch.

Kurz bleibt mir die Luft weg. Selbst sturzbetrunken hat der Max eine Mordskraft. Scheiß drauf, ich verzichte auf jegliche Rücksichtnahme und verpasse ihm einen kräftigen Kinnhaken, der ihn zurück auf den Fußboden befördert.

»Jetzt sind wir quitt!«, brülle ich.

Der Max windet sich vor Schmerzen, aber diesmal helfe ich ihm nicht mehr auf.

»Nur, damit du es weißt, das war für die Marie.« Obwohl ich nicht mehr ganz so laut spreche, ist meine Stimme gut im totenstillen Raum zu hören. »Eine Frau wie sie ist nämlich viel zu schade für so einen beschissenen Proleten, wie du einer bist.«

Der Max starrt mich ungläubig an, während er sich sein Kinn reibt, dann helfen ihm zwei seiner Kumpels endlich vom Boden hoch.

Ich schaue finster in die Runde der Wirtshausgäste, die mich alle anstarren. »Sollte einer von euch auch nur ein einziges Wort über die Marie und das Video verlieren, dann kriegt er’s mit mir zu tun«, drohe ich. »Habts mich?«

Betretenes Gemurmel allerseits, sagen traut sich keiner etwas.

Wie ich dem Andi den Gürtel wieder abnehme und ihn mir filmreif umhängen will, nimmt ihn mir der Heinz kopfschüttelnd aus der Hand.

»Nein, Chef, net ohne Uniform. Ich bring den jetzt auf die Inspektion, okay? Das fehlende Magazin kannst ja morgen mitnehmen.«

Ich nicke ihm dankbar zu, und er macht sich vom Acker.

Dann klettere ich auf einen der Hocker an der Bar. »Je eine Halbe für mich, den Andi und den Michel«, bestelle ich bei der Kellnerin Kathi. In der Schankstube hört man niemanden mehr atmen.

Aber wie es scheint, hat sich der Max wieder gefasst. »Nur über meine Leich!«, brüllt er wie von Sinnen. »Du Hurenbock kriegst von mir nie wieder was zum Saufen! Schleich dich aus meinem Wirtshaus! Kathi«, er schaut die Bedienung böse an, »dem gibst du nix, verstanden?«

»Nein«, entgegnet die Kathi bestimmt und stellt mir drei Halbe und drei Schnaps hin. »Die Schnaps gehen aufs Haus«, sagt sie laut und demonstrativ in Richtung Max.

Ich grinse sie dankbar an. Braves Mädchen.

Der Max ist so perplex, dass er nichts mehr sagt, sondern sich nur mehr von seinen Kumpels auf den Barhocker neben mir hieven lässt.

»Also gut, Aigner«, macht er schließlich doch noch seinen Mund auf. »Dann sind wir zwoa jetzt quitt. Die Sache ist g’regelt, so wie es sich unter Männern g’hört.« Er hält mir die Hand hin, und ich schlage ein.

»Du hast einen ordentlichen Punch, Riegler«, sage ich und nicke anerkennend, weil es wahr ist.

Der Max macht eine abwehrende Handbewegung, ist aber unübersehbar geschmeichelt und prostet mir zu. Dann beugt er sich zu mir und flüstert: »Aber eines sag i dir, die Marie ist für mich g’storben, auf immer und ewig. I will die nimmer, kannst sie haben.« Geräuschvoll rülpst er mir ins Gesicht, sodass ich ein gutes Stück zurückweiche. »Unter koane Umständ will i die wieder zurück«, versichert er mir noch einmal und leert den halben Bierkrug in einem Zug.

Die Gäste im Schankraum haben wieder begonnen, sich leise zu unterhalten. Der eine oder andere beobachtet uns zwar noch verstohlen, aber wir haben nicht mehr deren ungeteilte Aufmerksamkeit.

Der Andi schwingt sich auf den Barhocker neben mir. »Ich weiß schon, warum ich mir dich als Freund ausgesucht hab«, sagt er und legt stolz seinen Arm um mich.

Ich lächle, bin aber insgeheim heilfroh, dass der Max noch besoffen war, als er mich geschlagen hat. Der Zwerg hat eine unglaubliche Kraft, denke ich mir und kann immer noch seine Faust in meiner Magengrube spüren.

Nach seinem vierten Schnaps und dem dritten Weißbier hängt der Max zwischen dem Andi und mir und hält sich an unseren Schultern fest. Der Michel ist wie die meisten anderen Wirtshausgäste schon nach Hause gegangen. Nachdem der Max einige große Reden geschwungen hat, weint er jetzt zur Abwechslung.

Die Kathi schnaubt vor Wut und knallt jedes einzelne Glas nach dem Trockenwischen so lautstark ins Regal, dass mir schon mal präventiv mein Kopf wehtut. Garantiert kann das Mädel das Gejammere über die Marie nicht mehr hören, vor allem, weil sie ja offensichtlich selbst am Brauwirt interessiert ist.

Große Krokodilstränen laufen dem Max über seine geröteten Wangen, seine ebenfalls rote Nase glänzt. »Immer hab i mir so eine Frau g’wünscht. So eine wie die Marie, so eine mit …« Er sucht nach dem passenden Wort. »So eine mit …«

»Solchen Dutteln?«, hilft der Andi überflüssigerweise aus.

»Aber geh, du Trottel. I mein, so eine mit Klasse, eine Klassefrau halt. Keine blöde Trutschn wie die Kathi und die andern Weiber.« Er zeigt auf die Bedienung, und ich hab die nicht unberechtigte Angst, dass sie uns allen dreien gleich mehrere Bierkrüge an den Kopf pfeffern wird.

»Nie hab i geglaubt, dass eine wie die Marie sich mit einem wie mir einlässt«, heult der Max weiter rum. »Nie und nimmer. Und dann ist es doch passiert …«

Schnaubend nimmt die Kathi die Schürze ab, schmeißt sie auf den Boden und verlässt wütend die Schankstube, indem sie die Tür mit dem Schild »Nur für Personal« lautstark hinter sich zuknallt.

Der Andi springt vom Hocker und rennt ihr nach. Schon wieder fischt er heute in Gewässern weit über seiner sonstigen Gewichtsgrenze. Der Kerl wird alt, denke ich mir.

»I kann ohne sie net existieren«, schluchzt der Max jetzt und fällt mir in die Arme. »Und du hast sie mir wegg’nommen, Aigner. Das überleb i net. I will diese Frau, nach der Hochzeit g’hört sie mir, nur mir und sonst keinem, i hab alles dafür getan, damit sie mir g’hört, alles …« Er krallt seine Hände in mein T-Shirt und schmiert seinen Rotz an die Ärmel.

Mir graust, und ich überlege krampfhaft, wie ich ihn rasch loswerden und von hier abhauen kann. Hilfesuchend blicke ich mich um. Max’ Trauzeuge, der Rauchfangkehrer, liegt hinten im Eck mit dem Kopf auf dem Tisch und schnarcht laut.

»Die Weiber stehen immer nur auf solche Typen wie dich. Du brauchst koa Geld, koa Wirtshaus, gar nix brauchst du, um an ihre Muschis zu kommen«, redet sich der Max jetzt alles von der Seele. »Der Aigner mit dem Wuschelkopf, das reicht denen. Schon in der Schule hast du reihenweise die feschsten Weiber flachgelegt, und jetzt hast du sogar noch eine Uniform an! Die würden dir ja am liebsten schon das Gwand vom Leib reißen, wenn du nur an denen vorbeigehst …« Er versucht, aus dem Bierkrug zu trinken, und bemerkt nicht, dass der bereits leer ist.

Traurig schlägt er sich mit der flachen Hand auf die Brust. »Mich dagegen schaun s’ nur an wegen meinem Wirtshaus und dem Geld. Aber nie wegen mir. Die Marie, die ist was ganz was Besonderes, eine Traumfrau, woaßt schon. Sauber, gscheit, elegant, was Besseres halt. Die Welt ist so beschissen ungerecht. Und du«, wieder hängt er sich an mich ran, »du Hallodri, der alle Weiber haben kann, du Oaschwarzn nimmst mir die einzige Frau, um die es mir jemals in meinem Leben gegangen ist. Das tut mir in der Seele weh, Aigner.« Er lässt mich los und schlägt nun mit der Faust mehrmals hart auf seinen Brustkorb.

Ich ergreife die Gelegenheit beim Schopf, springe immer noch leichtfüßig vom Barhocker, schleife den schweren Kerl zum Tisch von seinem Freund und setze ihn so dorthin, dass er an dem schnarchenden Rauchfangkehrer lehnt.

Zum Abschied klopfe ich ihm noch mal beschwichtigend auf die Schulter. »Schlaf erst mal deinen Rausch aus, Max. Wirst sehen, morgen schaut die Welt schon wieder anders aus. Es tut mir wirklich leid, was passiert ist, aber ändern kann ich’s jetzt auch nimmer, beim besten Willen nicht.«

Dann mache ich mich schleunigst aus dem Staub.

Bierbrauerblues

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