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Einleitung

„Zusammen mit der um 830 datierten Historia Brittonum, die auf frühmittelalterliche Art die eigenen Traditionen in die biblische Weltgeschichte einordnete, bilden die cynfeirdd auf britischer Seite unsere wichtigste Quelle für die im 5. Jahrhundert einsetzende Kolonisierung der Insel durch die Angeln und Sachsen.“ (EDEL, 151. Die cynfeirdd sind die „frühen Dichter“ der Briten, die in Lobgedichten ihre Fürsten priesen. Diese Quellen sind in kymrischer Sprache verfasst.)

Der hier zitierten treffenden einschätzung der Geschichte der Brittonen durch DORIS EDEL für die geschichtliche Bedeutung der HB ließe sich noch ihre Bedeutung für die Mythen- und Sagenwelt des frühen Mittelalters auf den Britischen Inseln hinzufügen.

Wir sehen, wie man versuchte, die eigene Geschichte an die Bibel und die Ereignisse der Antike (Trojanischer Krieg, Gründung Roms) anzuknüpfen. Es begegnen uns aber auch bekannte Sagenpersönlichkeiten des Frühmittelalters: die Jüten Hengist und Horsa, die von König Vortigern nach Britannien eingeladen wurden. Vortigerns Burgenbau und die Weissagung mit den zwei Drachen. Vor allem aber wird hier zum ersten Mal in der lateinischen Literatur überhaupt der berühmte Sagenheld Arthur mit seinen Kämpfen gegen Germanen sowie andere keltische Stämme greifbar. Neben ihm erscheint auch noch Uriens, später ein Ritter der Tafelrunde, hier noch der Anführer einer keltischen Koalition im Norden Englands gegen die Eindringlinge.

Auf diese Weise gewährt uns die Historia Brittonum neben der zornigen Rede Gildas’, der Kirchengeschichte des englischen Volkes von Beda Venerabilis, den Angelsächsischen Chroniken und den Walisischen Annalen einen Blick in die „Dunklen Jahrhunderte“.

Letztlich zeigt sie uns auch eine Zeit, in der Bewohner der deutschen Nord- und Ostseeküste begannen, sich in Britannien niederzulassen, was nicht ohne Rückwirkungen auf die Heimatgebiete geschah. Damit spielt das Werk auch in die deutsche Vorgeschichte hinein!

Neben diesen Vorzügen steht allerdings das Manko einer recht ungenauen Datierung und Zuordnung! Das Werk ist in über vierzig Handschriften (MAIER, 168) vom 10. bis zum 16. Jahrhundert überliefert und zeigt starke Überarbeitungen, die dazu führten, dass die im Text genannten Datierungen ein heilloses Durcheinander aufweisen: in § 2 und dem Computus das Jahr 858 („im 24. Jahr König Mervins“), in § 5 je nach Handschrift die Jahre 796, 879, 946 „des Leidens Christi“, was dann auf die Jahre 826, 909 bzw. 976 („das 5. Jahr König Eadmunds“) hochgerechnet werden kann, in § 31 das Jahr 876. Ohne sich hier in den Details der einzelnen Handschriften zu verlieren, spannt sich der Bogen vom 8. bis zum ausgehenden 10. Jahrhundert. Heute gilt meist circa 830 als Zeit der Entstehung (MAIER, loc. cit; PRELOG, 1089 f).

Auch die Verfasserschaft ist nicht eindeutig. Zwar wird die HB einem nicht näher bekannten Nennius zugeschrieben, doch findet sich diese Namensnennung erst in den zwei Prologen, die in Handschriften des 13. Jahrhunderts erhalten sind. Frühere Handschriften nennen entweder keinen Autor oder schreiben den Text Gildas zu. Die Verwirrung wird komplett durch eine Handschrift des 10. Jahrhunderts, dessen Autor sich Marcus Anachoreta, Bischof der Briten, nennt. Sicher ist nur, dass verschiedene Hände das Werk nicht nur abgeschrieben, sondern auch bearbeitet haben und wohl für die Einschübe der Geschichten um Germanus und Patrick verantwortlich sind. Obwohl die Wunder als spätere Zutaten gelten und die sächsischen Genealogien in einer Geschichte der Briten wie Fremdkörper wirken – man würde eher einheimische Ahnenreihen erwarten –, lässt sich eine ursprüngliche Form nicht rekonstruieren.

STEVENSON hat es am treffendsten formuliert: „Die Nachrichten, welche wir über Nennius, den angeblichen Verfasser des Historia Brittonum betitelten Werkes haben, sind so dürftig, und die äußere und innere Literaturgeschichte dieses Erzeugnisses ist so dunkel und voll von Widersprüchen, dass wir an der Möglichkeit verzweifeln möchten, auch nur mit einiger Gewissheit sowohl über das Alter und die historische Glaubwürdigkeit dieser Schrift, als auch über ihren Verfasser ein Urteil zu fällen.“ (SAN-MARTE, 3)

Der Stil der HB ist manchmal vielleicht etwas holprig, was wohl auf die keltische Muttersprache der Autoren zurückzuführen ist, aber auch auf die häufige Überarbeitung. Einen Eindruck dieser Eigentümlichkeit der keltischen Ausdrucksweise vermittelt die deutsche Übersetzung von Culhwch und Olwen bei ZIMMER, c, 113 ff. Für uns gewöhnungsbedürftig, sollte trotzdem diese Atmosphäre in der Übersetzung gewahrt bleiben, denn der Leser soll an den Text, und nicht der Text an den Leser herangeführt werden. Bisweilen bringt die HB germanische Begriffe (z.B. ciula statt navis), bisweilen scheinen einige Stellen in der Überlieferung verdorben und dunkel. Die Anmerkungen geben darüber Auskunft und erklären meine Lesart. Ferner sollen sie auch einem Nichtfachmann die Annäherung an den Text erleichtern, da sich das Buch gleichermaßen an interessierte Laien und Studenten der Geschichtswissenschaften richtet. Zudem liegt hier die erste vollständige Übersetzung der HB ins Deutsche vor. So möge dieses kleine Werk einem weiteren Kreis im deutschsprachigen Raum bekannt werden.

Die in dieser Ausgabe genannte und verwendete Literatur kann nur als kleine Auswahl gelten und ist keineswegs erschöpfend. Sie soll dem interessierten Leser den Einstieg in die jeweiligen Themenkomplexe erleichtern, deren Problematiken oft nur kurz angeschnitten werden können. Daher besteht auch die Möglichkeit, dass einige von mir vorgetragene Schlussfolgerungen bereits andernorts formuliert wurden. Das soll jedoch kein Plagiat darstellen, und der Vorrang des jeweiligen Autors soll unbestritten sein. Für eine eingehendere Beschäftigung mit der Historia Brittonum verweise ich auf die in der Literaturliste genannten – vor allem textkritischen – Ausgaben sowie die Artikel zu den einzelnen Stichworten in der Realenzyklopädie der Altertumswissenschaften, auf DUMVILLES Aufsatz in der Zeitschrift Arthurian Literature und HEINRICH ZIMMERS Buch Nennius vindicatus. Nicht zuletzt habe ich bei einzelnen Themen auf Galfredus Monemutensis verwiesen, da sein Werk Historia regum Britanniae – obschon seit dem Mittelalter in seiner Historizität umstritten – doch eine Art Urknall für die Entstehung der hochmittelalterlichen europäischen Arthur-Literatur darstellt und zu seinen Quellen wohl auch die HB gehörte.

Der Übersetzung und dem Text liegen die ausgaben STEVENSONS, in der Übertragung SAN-MARTES, und MOMMSENS aus der Monumenta Germaniae Historica XIII, Chronica Minora Bd. 3 zugrunde. Letzteren ist auch eine von HEINRICH ZIMMER besorgte lateinische Übersetzung der irischen Version beigegeben. MOMMSEN hat den Text in sieben Abschnitte gegliedert:

I. Von den sechs Weltaltern,

II. Geschichte der Brittonen,

III. Das Leben des Patrick,

IV. Arthuriana,

V. Die Abstammung der Könige mit Berechnung,

VI. Städte Britanniens,

VII. Von den Wundern Britanniens.

Die Paragrafenzählung folgt bis § 6 der Ausgabe der STEVENSONS, ab § 7 der MOMMSENS, doch sind zusätzlich die ersten 6 Paragrafen MOMMSENS in Klammern beigegeben.

Diese Übersetzung soll keine textkritische Ausgabe sein. Es sei auf die Apparate der zitierten Publikationen, vor allem der MGH, verwiesen. Doch bietet sie den ganzen Text mit den wichtigsten Varianten der verschiedenen Handschriften. Eckige Klammern [] geben den Text aus der Handschrift des Marcus Anachoreta und spitze <> anderer Varianten, geschweifte {} der irischen Version wieder. Spitze Doppelklammern «» zeigen Zusätze der späten Handschriften, die sich bei MOMMSEN in den Fußnoten befinden. Einrückungen heben die Varianten zusätzlich hervor. Das Verständnis erleichternde Bemerkungen des Übersetzers erscheinen in runden Klammern (). So wurde versucht, einen möglichst flüssig lesbaren Text zu erstellen.

Mein Dank gilt dem Marixverlag, der die Publikation dieses Werkes ermöglichte, und der Betreuung durch Frau Zöller.

Merklingen im Mai 2012 Günter Klawes
Historia Brittonum

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