Читать книгу Abschied einer Mörderin - Nick Stein - Страница 4
ОглавлениеKapitel 3
Beim ersten Umdrehen hatte ich nicht gewusst, wer da hinter mir stand, um einiges größer als ich selbst. Ich kannte viele Menschen, aus meiner Berliner Zeit, aus New York und London. Ein flüchtiger Bekannter?
Als er mich über die Schulter ansprach, reagierte ich freundlich auf seine nett klingenden Worte. Im selben Moment klingelte es in meinen Ohren; ich kannte dieses wohltönende Organ, kräftig und doch etwas piepsig. Ein deutscher Bulle, einer der lästigen Verfolger, die mich damals am Lago Maggiore in Schwierigkeiten gebracht hatten.
Ihn auf die Schnelle loszuwerden, war mit den Waffen einer Frau einfach. Einer empörten schönen Frau glaubte das jeder, dass ihr ein Schnösel wie der hochgeschossene Jungbulle an den Po gegriffen hatte.
Als die Führung weiterging, ging ich im zweiten Stock unauffällig ans Fenster und spähte hinaus. Jansen schlenderte mit gesenktem Kopf zu einem Landrover auf dem Parkplatz, nachdem er wütend einige Steine hier- und dorthin gekickt hatte. Er stieg ein und parkte um, gerade noch in Sichtweite der anderen Autos auf dem Parkplatz.
Er wartete auf mich und wollte mir folgen.
Gut. Das würde ich nicht bemerken, nahm ich mir vor. Er sollte mir folgen, ich wusste schon, wie ich ihn abhängen konnte. Ich hatte gestern bei einer anderen Destillerie, Dalwhinnie, zu viel probiert und meinen eigenen Wagen stehen lassen. Ein netter Herr hatte mich mit zurück nach Perth genommen, wo ich mir vor Monaten eine Villa gekauft hatte.
Ich würde mit meinem Mietwagen dorthin fahren und die Führung noch einmal mitmachen oder zumindest anfangen. Mein eigener Wagen stand auf dem Mitarbeiterparkplatz, den Tesla würde ich stehen und später abholen lassen. Die Extrakosten waren es mir wert.
Polizisten sind so berechenbar. Jansen würde mich aus sicherer Entfernung beobachten und warten, dass ich weiterfuhr. Also würde ich ihm im Tesla ein schönes Ziel liefern, wo er mich suchen konnte und wo ich niemals hinfahren würde. Dufftown. Das konnte er mit einem kurzen Blick aufs Navi leicht feststellen.
Ich selbst verließ die Destille in Dalwhinnie durch den Hintereingang und fuhr zurück mit meinem eigenen Wagen nach Perth, einige Meter an ihm vorbei, mit einem Kopftuch. Er bemerkte mich nicht, sah nur erwartungsvoll auf meinen Mietwagen.
Sein Kennzeichen hatte ich mir aufgeschrieben und prüfte sie zu Haus nach. Sie fing mit SK an, was für Edinburgh stand, und war auf eine Mietwagenfirma eingetragen. Ich habe in meiner Karriere gelernt, mit welcher Software ich was hacken konnte, und klopfte mir geistig auf die Schulter.
Er hatte den Wagen am Flughafen gemietet, war also mit dem Flugzeug hergekommen. Hatte er nach mir gesucht? Unwahrscheinlich, denn dann hätte er in Perth vor meiner Tür gestanden und nicht bei einer Führung einer kleinen, aber feinen Whiskybrennerei. Das konnte nur Zufall gewesen sein.
Passagierlisten unterliegen dem Datenschutz, mich da einzuhacken war mir noch nie gelungen. Ich kannte aus meinen Londoner Tagen einen jungen Mann, der bei British Airways arbeitete, und rief ihn an. Ich würde zusammen mit einem Lukas Jansen fliegen, er wäre nicht erschienen.
»Sein Flug geht auch erst morgen«, erklärte er mir. »Nach London. Dann könnten wir uns doch mal wieder treffen, Victoria, was meinst du? Oder fliegst du auch auf die Kapverden? Ich bin in Heathrow, ihr habt drei Stunden Übergangszeit, auf einen Kaffee? Was meinst du? Und soll ich den Flug gleich für dich buchen? Du stehst noch nicht auf der Liste, Sweetheart.«
»Ich rufe dich an«, säuselte ich zurück. »Wenn ich es schaffe, ich wollte vorher noch einiges einkaufen. Vielleicht fliege ich erst später. See you, Norton.«
Ich rechnete nach. Wenn Jansen auf mich wartete und irgendwann weiter nach Dufftown fuhr, musste er abends zurück, um den Flug am nächsten Morgen zu erwischen, oder durch die Nacht fahren.
Ich musste darauf setzen, dass die Begegnung Zufall gewesen war, ansonsten stand er bald vor meiner Tür, mit einer Waffe in der Hand.
Er hatte mich schon einmal unrechtmäßig festgenommen, in der Schweiz. Aber anstatt mich den Schweizer Behörden vorzuführen, hatte er mich in eine deutsche Exklave gefahren, die nur über die Schweiz zu erreichen war, aber der deutschen Gerichtsbarkeit unterlag.
Der brachte es fertig, mich hier privat festzunehmen und auf einem Fischtrawler zurück nach Deutschland zu bringen, um mich vor ein Gericht zu stellen. Das Risiko durfte ich nicht eingehen; ich übernachtete in einem Dorfgasthaus in der Nähe, von dem aus ich mein Haus beobachten konnte.
Jansen war bei seiner Jagd nach mir nie allein unterwegs gewesen. Er war immer von einem ältlichen Polizisten begleitet worden, Werner Heim, der mehr Erfahrung und Befugnisse als der Jungbulle hatte, ein BKA-Agent.
Heim hatte ursprünglich meinem Opfer Gero von Witzleben nachgestellt, bis er und Jansen herausgefunden hatten, dass dessen letzte Spur zu mir geführt hatte. In Italien hatten sie einen Bildband gefunden, in dem praktisch alle meine Morde aufgelistet waren, ein Produkt meiner eigenen Eitelkeit, die ich noch heute verfluchte.
Ich hatte den Bildband für meinen Schönling von der Mafia angefertigt, der mein wichtigster Kunde war und den Verkauf meines Werks an einen New Yorker Capo organisiert hatte. Der Klub der toten Dichter; acht keramische 3D-Künstler um einen Tisch mit Büchern, in jeder Skulptur die Asche der echten Person, vermischt mit Ton und Titandioxid. Nur er, Giovanni de Luca, hatte die Wahrheit darüber wissen sollen.
Mit dem Ergebnis, dass mich auch die Mafia tot sehen wollte, als die beiden mir diesen Bildband gestohlen hatten und alles aufgeflogen war. Meine Eitelkeit hatte meinen Morden die Perfektion genommen. Das verfolgte mich bis heute.
Ich durfte annehmen, dass Jansen auch diesmal Heim wieder einschalten würde. Der war der Hartnäckigere von beiden und würde sich wie ein Terrier an mir festbeißen; Jansen war jemand, der das Glück des Naiven hatte, ihm fehlte der Scharfsinn Heims. Beide zusammen waren gefährlich.
Auch allein war jeder von ihnen eine Bedrohung. Dafür hatte ich mir kein neues Leben aufgebaut, um am Ende mein Ansehen und mein immenses Vermögen wieder zu verlieren und eines Tages am Pranger zu stehen.
Ich hatte der Welt mit der Beseitigung von Ronald Dumb einen großen Dienst erwiesen; das sollte karmamäßig den Tod einiger kleinerer Lichter mehr als aufwiegen. Und auch der vorzeitige Tod zweier unwichtiger Polizisten würde die Waagschale von Gut und Böse nicht zu meinen Ungunsten neigen.
Ich goss mir einen Schluck Blair Athol ein, den ich heute erstanden hatte, und seufzte. Also noch zwei weitere klitzekleine Morde, nicht nur einer.
Der Whisky sandte einen wohligen Schauer erst durch meine Kehle und dann durch den ganzen Körper, sein Rauchgeschmack erfüllte mich mit Lust.
Das war eine neue Art Beute; Polizisten hatte ich noch nicht gehabt. Sie ohne Aufsehen zu beseitigen, würde einige Mühe erfordern. Eine Herausforderung, die reizte.
Ich nahm noch einen Schluck.
Whisky. Ich stellte mir vor, dass Jansen Heim eine Flasche als Andenken aus Schottland versprochen hatte. Er durfte seit dem Brexit nur noch eine Flasche mitnehmen, die würde er selbst haben wollen, wie ich ihn einschätzte.
Also würde ich Heim eine Flasche schicken. Heim war alt; die Essenz aus der Wurzel des Blauen Eisenhutes, farb- und geruchlos und Stunden später so gut wie gar nicht nachzuweisen, würde im starken Torfgeschmack nicht zu bemerken sein. Richtig bemessen, würde sie erst nach dem Genuss mindestens einer halben Flasche zum Tode führen. So würde es nicht auffallen. Zu stark, und er würde nach dem ersten Schluck umfallen. Zu schwach, dann passierte gar nichts.
Bei einem alten Mann würde es wie ein natürlicher Herztod aussehen. Er würde ihn abends vor dem Schlafengehen trinken und morgens nicht wieder aufwachen; am Abend würde er noch nichts spüren, so schnell wirkte das Gift nicht.
Ältere, korpulente Männer neigten zum Schnarchen. Also würde er allein schlafen, wenn er überhaupt verheiratet war und mit seiner Frau zusammenlebte. Mit etwas Glück würde sein Tod erst viele Stunden später bemerkt werden.
Kein perfekter Mord, denn vieles konnte schiefgehen. Jemand anderes konnte mit ihm trinken oder die Reste in der Flasche zu sich nehmen. Zwei ähnliche Tode würden auffallen.
Andererseits durfte ich nicht so lange warten, bis die beiden sich organisiert hatten und systematisch nach mir suchten. Darüber hatte ich keine Kontrolle. Ich musste sofort handeln.
Niemand fuhr zu meinem Haus; es war tatsächlich Zufall gewesen, dass Jansen mich getroffen hatte. Ich stand früh auf, kaufte mir eine Burka, die ich sofort überzog, fuhr los und setzte mich in ein Café auf dem Edinburgher Flughafen.
Jansen blieb berechenbar. Er kam pünktlich zu seinem Flug, mit einer Duty-Free-Tasche in der Hand, aus der eine Whisky-Flasche schaute. Sein Flug ging planmäßig ab.
Ich selbst hatte eine Flasche Macallan Estate für dreihundert Pfund gekauft, als Absender Lukas Jansen darauf draufgeschrieben und schickte sie nun vom Flughafen per DHL an Werner Heim, dessen private Adresse ich noch am vorigen Abend herausgesucht hatte.
Die Flasche hatte ich vorher auf der Toilette durch den Korken hindurch mit einer feinen Spritze mit dem Extrakt des Blauen Eisenhutes geimpft. Der Eigendruck des Korkens verschloss den Kanal sofort wieder, und das winzige Loch auf der metallenen Schrumpfhülle fiel nicht auf. Ich packte alles wieder ein, zog meine Handschuhe wieder aus und erledigte den Versand.
Wenn Jansen von seinem Urlaub zurückkam, würde Heim womöglich schon nicht mehr da sein. In der Zwischenzeit würde ich auch für ihn selbst einen Plan geschmiedet haben. Ein Beamter wie er hatte mit Sicherheit für zwei Wochen gebucht. Ich hatte nachgesehen; in Niedersachsen, wo er wohnte, liefen die Schulferien noch sechzehn Tage, dann mussten seine beiden Kinder in die zweite Klasse. Wie berechenbar! Der Junge war so gut wie tot.