Читать книгу Abschied einer Mörderin - Nick Stein - Страница 8
ОглавлениеKapitel 7
Der römischen Polizei war die Nachricht, dass sie sich hatte irreführen lassen, gar nicht gut runtergegangen. Entweder war geschlampt worden oder jemand hatte die Spurensicherung beeinflusst, beides war absolut nicht in Ordnung.
Untersuchungen und Befragungen folgten, doch da die meisten Belege nicht mehr vorhanden waren, weil der Fall als gelöst galt und die Polizei an großer Platznot im Asservatenbereich litt, führten die Bestrebungen zunächst zu nichts. Der Fall wurde als kalte Spur einem älteren Commissario übertragen, der sich mit viel Ruhe und Geduld langsam an die Arbeit begab.
Jemand anderen riss die Nachricht der Wiederaufnahme der Untersuchung des Verkehrsunfalls komplett aus seiner gewohnten Routine. Giovanni de Luca, der ’Ndrangheta-Mann, der Viola den Selbstmord befohlen hatte, besaß seine eigenen Kanäle bei der Polizei. Schon einen Tag nach der Anfrage Heims bei der Universität lagen dieselben Ergebnisse auch auf seinem Schreibtisch.
Zwei Dinge trieben ihn an. Einmal fühlte auch er sich hinters Licht geführt. Seine Organisation hatte damals beschlossen, Viola Kroll verschwinden zu lassen, weil sie die heilige Gesellschaft in Misskredit gebracht hatte, und dem war Folge zu leisten. Er, inzwischen Finanzchef des römischen Ablegers der ’Ndrangheta, hatte somit versagt. Er musste dieses Versagen unbedingt wiedergutmachen, wenn er nicht selbst unter Beschuss kommen wollte.
Zum anderen hatte de Luca Viola Kroll, seine Muse und Geliebte, immer sehr gemocht. Es hatte ihm das Herz gebrochen, sie in den Tod zu schicken, aber so waren die Regeln nun einmal. Gern hätte er sie jetzt, Jahre später, wo alles nicht mehr so heiß gekocht wurde, wiedergesehen und die alte Beziehung wiederhergestellt. Was nicht ging. Was er dennoch gern wollte. Zwei Seelen pochten in seiner Brust, er wusste nur nicht, welcher er folgen sollte.
In einem waren sich beide einig; er musste Viola so oder so finden und zur Rede stellen. Ob er sie dann liebte oder tötete oder beides, das würde sich ergeben.
De Luca stellte seine eigenen Ermittlungen an. Wenn Viola eine andere Frau an ihre Stelle gesetzt hatte, war das ein Meisterwerk gewesen, denn sie hatte weniger als drei Tage Zeit dazu gehabt. Sie war in Rom gewesen, sie hatte einen schnellen Sportwagen als Mietwagen benutzt, wozu er ihr geraten hatte.
Sie musste die andere Frau telefonisch oder per Mail dazu gebracht haben, sich für sie ans Steuer zu setzen und ihre Rolle zu spielen. De Luca wusste, wie gut sie im Manipulieren anderer Menschen war; das würde sie geschafft haben.
Hatte sie die Rolle mit dieser anderen Frau getauscht? Dann würde sie ihren Namen und Pass benutzt haben, um Rom zu verlassen. Er musste diese andere Frau finden, um an Viola heranzukommen.
Vielleicht war die DNA der Toten doch irgendwo bekannt. Das musste er herausfinden. Und er brauchte eine Liste ihrer Anrufe und ihrer sonstigen Aktivitäten in der fraglichen Zeit vor ihrem vorgetäuschten Tod. Hatte sie Besuch erhalten? War sie irgendwohin gefahren, um jemanden zu treffen? Mit wem hatte sie telefoniert oder auf anderem Wege kommuniziert? All das musste er herausfinden.
De Luca machte sich an die Arbeit. Viel Hoffnung machte er sich nicht; Telefonverbindungsnachweise wurden nach einem Monat gelöscht, an ihre Mail kam er ebenfalls nicht heran. Was noch länger aufgehoben wurde, waren Dinge, die steuerlich relevant sein konnten; dort galten sieben Jahre als Aufbewahrungsfrist. Also konnte er Hotelbuchungen, Flugbuchungen und Konto- und Kreditkartenbewegungen mit viel Glück noch einsehen und Schlüsse daraus ziehen.
Das würde eine ziemliche Puzzlearbeit werden. De Luca nahm sich eine Woche frei und recherchierte. Einige der Aufgaben spielte er über seine Gewährsleute an die Polizei weiter, andere, darunter alle finanziellen Informationen, übernahm er selbst.
Zwei Tage später wusste er, dass Viola damals einen Flug nach Zürich gebucht hatte und von dort fast sofort wieder zurückgeflogen war. Sie hatte dort etwas erledigt, das dringend war; was war das gewesen?
Er versetzte sich in ihre Lage. Wenn sie ihren Tod vortäuschen wollte, musste sie sich um eine neue Identität kümmern. Also brauchte sie neue Konten, Ausweise, Kreditkarten. Zürich sprach für Bankgeschäfte; vermutlich hatte sie neue Konten und Karten unter anderem Namen organisiert, das war möglich.
Neue Pässe und Identitäten dagegen waren in so kurzer Zeit nicht so einfach zu beschaffen. De Luca kannte jemanden, der alle Passfälscher aufzählen konnte; in Zürich gab es niemanden, der das Metier gut genug beherrschte und schnell genug war. Also hatte sie vorher vorgesorgt und in einem Schließfach Ersatzpässe bereitliegen gehabt, etwas, das er auch selbst so machte. Hatte er ihr davon nicht sogar mal in einer stillen Stunde erzählt? Sie auf diesen Gedanken gebracht?
So weit, so gut. Er ließ seine Beziehungen spielen und fragte die Zürcher Banker, die er kannte oder die er indirekt befragen konnte. Aber so gut waren seine Beziehungen dann doch nicht, dass jemand das Bankgeheimnis für ihn gelüftet hätte; er tappte weiter im Dunkeln.
Auch von der Universität kam nichts Neues. Die DNA der Toten blieb unbekannt. Es war eine vermutlich blonde Frau mit mutmaßlich blauen Augen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig gewesen, mehr war bei der Analyse nicht herausgekommen. Demnach hätte sie auch von Viola stammen können, das war jedoch ausgeschlossen worden. Ein weiteres Enigma; oder war die DNA-Datei, die die Polizei von der echten Viola besaß, falsch? Dann konnte es sich bei der Toten doch um sie gehandelt haben, und sie hatte die Bullen vorher an der Nase herumgeführt.
All das brachte ihn nicht weiter.
Eine einzige Spur hatte ein Ergebnis gezeitigt. Er selbst hatte Viola eine Suite in einem guten Hotel in Fiumicino gebucht, und die wurde von einer Raumpflegerin betreut, die sich vage daran erinnern konnte, dass die nette Frau, die den tödlichen Autounfall erlitten hatte, vorher Besuch von einer anderen Frau bekommen hatte, die ihr sehr ähnlich sah. Rotblond und blauäugig, hübsche Figur, etwas kleiner; vielleicht eine ältere Schwester, sagte sie aus.
Das musste die Frau gewesen sein, die an Violas Stelle gestorben war. Leider hatte sie nicht im Hotel eingecheckt, sondern sich im Zimmer von Viola nur aufgehalten oder sogar eine Nacht verbracht, das konnte die kalabrische Putzfrau nicht mehr sagen.
De Luca kam nicht weiter. Er hatte das dumme Gefühl, dass er irgendetwas Wichtiges übersehen hatte, das ihm weitergeholfen hätte.
Nur kam er nicht drauf.
Trotzdem fühlte er sich erleichtert. Die Polizei hatte damals den Bildband gefunden, den Viola für ihn angefertigt hatte, mit einer Widmung mit seinem Namen darin. Ein Umstand, den die Capos der heiligen Gesellschaft als Grund genug gesehen hatten, sie als Risiko zu beseitigen und Giovanni selbst den Job zu übertragen.
Die Polizei war indes nicht an ihn herangetreten, als ihren Sponsor und Kunsthändler. Anscheinend war sie nur an Viola selbst interessiert gewesen; also gab es eigentlich keinen Grund mehr, sie jetzt wirklich umzubringen; eine Gefahr für die Familie hatte sich nicht mehr ergeben.
Wenn sie jetzt unter anderem Namen lebte, gab es auch keinen Grund mehr, ihn selbst wegen eines schlecht erledigten Jobs zu belangen. So hochrangig, wie er jetzt war, machte man ihm auch nicht so schnell Vorwürfe für Dinge, die Jahre zurücklagen.
Sollte er Viola wiederfinden?
Es juckte de Luca in den Fingern. Klar, sie war eine äußerst attraktive Frau, kaltblütig und klug, genau das richtige Material für einen wie ihn. Andererseits hatte sie ihn betrogen und verarscht. So etwas ließ sich ein Kalabreser nicht gefallen. Vielleicht sollte er ein paar Tage mit ihr spielen, wenn er sie gefunden hatte, ein paar wunderbare Stunden mit ihr verbringen, sie noch einmal bis zur Neige auskosten, um sie in einem letzten Akt des Genusses dann doch zu töten. Das war eine Sache der Ehre.
Gut. Das hatte er geklärt. Jetzt musste er sie nur noch finden. Wenn er doch nur wüsste, was ihm bei seinen Überlegungen entgangen war!
Einer Spur konnte er noch folgen, auch wenn er wusste, wie wenig wahrscheinlich sie zu einem Ergebnis führen würde. Er ließ sich die Passagierdaten der Flüge geben, die am Tag des vorgeblichen Todes von Viola und am Tag davor in Fiumicino angekommen waren. Eine davon konnte die tatsächliche Tote sein, die auf der Autostrada gestorben war. Einige tausend Personen, davon vierzig Prozent weiblich, und darunter immer noch sechshundert im Altersbereich von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig.
De Luca übertrug die Fleißarbeit, das Aussehen dieser Personen zu ermitteln, an einen Assistenten. Der sollte herausfinden, über Facebook und andere Quellen wie Firmenwebseiten, ob sie weitergereist waren, in welchen Hotels sie abgestiegen waren, ob sie allein oder in Begleitung gereist waren. Dann würden nicht viele blonde und blauäugige Frauen übrigbleiben. Etwas kleiner als Viola, also kannte er in etwa auch die Körpergröße der Gesuchten. Er suchte nach einer, die nicht weitergereist, zurückgeflogen oder in Hotels übernachtet hatte.
Viel Hoffnungen auf einen Sucherfolg machte er sich trotzdem nicht, denn alle Passagierlisten alle Flüge hatte er gar nicht mehr bekommen können.