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KAPITEL 4
ОглавлениеAls ich wieder wach war, wechselte ich mein Lager und legte mich unters Fenster, um die Spuren im Kopf auszuwerten und um nachzudenken. Wenn ich bei dem Geplapper der Menschen dazu kam. Denn sie redeten und redeten, ließen aber die Hauptspuren außer acht, weil sie sie gar nicht kannten.
Überhaupt, sie vertrauen wie immer mehr auf Maschinen, Geräte und anderes technisches Zeugs statt auf ihre Sinne, die sich entsprechend weiter zurückgebildet haben.
Laut Fido dem Struppigen konnten Menschen kurz nach ihrer beginnenden Domestizierung noch ganz gut riechen, hören und auch laufen, sehen konnten sie schon immer ganz gut.
Je mehr wir ihnen beibrachten, damit sie etwas effizienter wurden, desto mehr verließen sie sich auf technische Krücken und ließen ihre Sinne verkümmern.
Mir fiel eine andere Erzählung ein, die ebenfalls auf Fido den Struppigen zurückging. Es ging um eine Vereinfachung der Jagd, die ihm damals eingefallen war. Unsere Vorfahren hatten die Menschen dazu abgerichtet, das Wild, das wir auf sie zutrieben, mit ihren spitzen Stöcken und geschliffenen Steinen zu töten, zu zerlegen und dann zu rösten, der besseren Verdaulichkeit wegen.
Zu den Steinen, Stöcken und anderen Waffen, die wir den Halbaffen beigebracht hatten, weil sie weder Fangzähne noch Krallen noch nennenswerte Muskeln hatten, gibt es gleichfalls einiges zu sagen. Dass man mit spitzen Stöckchen Käfer aus Baumrinde pulen und mit etwas Glück Fische aus Flüssen stechen konnte, hatten sie den Krähen nachgeäfft, die ihnen das schon immer vorgemacht hatten.
Es hatte ewig gedauert, diese Wesen von ängstlichen Opfern zu Jagdgehilfen zu erziehen.
Sie waren schon damals von vielen Ängsten geprägt. Furcht vor Magie, Panik bei Löwen und Hyänen, Bammel angesichts von Ameisen, Käfern, Spinnen und vor anderen Menschen.
Sie wussten schon damals, wie man sich gegenseitig totmacht, deshalb schützten sie sich. Käfer, giftige Insekten und Schlangen hielten sie sich vom Leibe, weil sie Angst vor allem und jedem hatten, wie großteils auch heute noch. Vor bekannten Gefahren, bei denen sie früher schlechte Erfahrungen gemacht hatten, und vor allem Neuen schon aus Prinzip.
Sie hatten sich aus Baumteilen Palisaden gebaut, um sich zu schützen und um innerhalb des Zaunes für reichlich Nachwuchs zu sorgen. Genau wie Mäuse können sie praktisch immer, weil nur viele Nachkommen ihr Überleben sichern, woran sie auch heute noch glauben. Das Thema bewegt sie ständig, ein typisches Beuteopferverhalten.
Echte Jäger wie wir brauchen sich nur ein- oder zweimal im Jahr zu paaren. Dann macht es auch mehr Spaß, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Eine Herde Menschen hatte sich damals eine zweite Umzäunung für weitere Hütten und mehr Nachwuchs gebaut, und Fidos Eltern hatten die sich bietende Chance sofort erkannt. Sie trieben eine Herde Antilopen hinein, die nicht mehr entkommen konnte, nicht einmal den langsamen und hilflosen Menschen, die sich sonst nur von Früchten und Aas ernährten.
Sie schlachteten die Antilopen und alle hatten eine Zeitlang mehr zu essen, als sie verputzen konnten. Danach war wieder Ende Gelände; also trieben unsere Vorfahren andere Tiere in diese Umzäunung, diesmal Büffel und Wildpferde.
Es dauerte dann ein paar Sommer, bis Fido selbst ihnen zeigte, dass man Gras nicht nur fressen, sondern auch sammeln und zu den Büffeln und Antilopen bringen konnte. Das kapierten die Menschen damals nicht sofort. Also öffnete Fido den Zaun mit seinen getreuen Kämpen und ließ die Gruppe Antilopen in der Nähe weiden, um sie abends wieder in die Umzäunung zu treiben.
Er hinderte die Menschen daran, mehr Tiere zu schlachten als nötig. Einmal knurren und Zähne zeigen reichte vollkommen.
Dann dauerte es wieder etliche Sommer, bis ihnen aufging, dass man auf diese Weise immer Fleisch greifbar hatte und nicht hungrig jagen musste, dank unserer Hilfe und hündischen Einfallsreichtums.
Wer heute die daraus entstandenen Kühe, Ziegen und Schafe zu uns befragt, merkt schnell, vor wem sie mehr Respekt haben. Sie wissen Bescheid. Hunde nehmen sie ernst, Menschen nehmen sie hin.
Inzwischen haben die Menschen das kapiert. Aber anstatt Viehzucht naturnah weiter zu betreiben, wie wir es ihnen gezeigt hatten, machen sie alles wieder zu kompliziert. Sie wollen die Tiere in riesigen Anlagen halten, wo es dem Vieh nicht gutgeht. Das Fleisch ist oft nicht frisch, sondern mit allem Möglichen vermischt und dazu noch in Blechrohre verpackt, die oben und unten zu sind. Kein Hund bekommt die ohne ihre Hilfe auf. Was für ein Aufwand!
Sie brauchen dazu Leute, die das Eisen aus der Erde holen, es mit Feuer verflüssigen, es wieder kalt werden lassen und platthauen, rollen, schneiden und so weiter, bevor sie das Fleisch reintun und für uns aufbewahren, bis wir Hunger haben. Alles viel zu kompliziert, jeder Hund kann das bestätigen.
Manchmal denke ich, Fido ist damals zu weit gegangen. Inzwischen haben die Menschen die halbe Erde mit Sachen vollgestopft, die kein Hund braucht. Klar, als Nebeneffekt kann hund sich vor einem Feuerplatz auf einem Schaffell zusammenrollen und hat immer etwas zu essen und zu trinken vor sich hingestellt, wie es sich gehört. Aber dieser enorme, weltverschlingende Aufwand!
Ich musste mal für kleine Hunde und sagte Lukas das. Wieder so eine Sache. Hinter einem räumen sie alles gleich weg, ohne auch nur daran zu schnuppern und festzustellen, wie es uns geht, ob wir gesund sind und was wir womöglich haben. Die Kommunikation unter uns Hunden stören sie damit ohnehin. Wie soll ich wissen, was man genießen kann oder, wenn ich nicht erfahre, was meine Mithunde hinterlassen?
Diesmal war es nicht anders.
»Komm, Jackie, wir machen eine kleine Runde durch den Park«, sagte er zu mir, als er aufgestanden war.
»Bin gleich wieder da, dann planen wir unser weiteres Vorgehen«, sagte er zu den Menschen am Tisch. »Jackie muss mal für kleine Hunde.«
Schon wieder diese Babysprache.
Im Park erschnüffelte ich sofort einen neuen Hinweis. Ein frischer Post besagte, dass ein dicker, hoher Mensch vorbeigekommen wäre, der zusammengerollten Rauch bei sich hatte und zu viel Fleisch aß. Ich zog Lukas, der sich wie immer gegen die Leine sträubte, an die beschriebene Stelle.
Mein Informant hatte recht gehabt. Nur war dieser Dicke nicht der Täter, er roch anders und lahmte links, wie ich seinen Spuren entnehmen konnte. Fehlanzeige. Ich postete das gleich neben den Fußabdrücken.
Hundert Schritte weiter fand ich plötzlich eine heiße Spur. Sie stammte von einer Menschenfrau, die kürzlich von dem dicken Totmacher besprungen worden war, sie roch immer noch nach ihm. Er lebte demnach hier in der Nähe; ich war wie elektrisiert von der Erkenntnis und teilte Lukas alles mit.
»Gib endlich Ruhe und mach dein Häufchen, Jackie«, stöhnte er nur. »Ich muss zurück ins Büro.«
Ich senkte meine Nase an den Boden und zeigte ihm, was ich entdeckt hatte. Aber er machte einen weiteren Schritt in die falsche Richtung und stand jetzt völlig neben der Spur.
Ich hinterließ Nachrichten über diese neuen Hinweise an einem Baum und als Visitenkarte ein Häufchen, das Lukas gleich mitnahm. Keine Ahnung, wem er das zeigen wollte. Nach einer kurzen Weile vergaß er diese Aufgabe regelmäßig wieder, dann wurde ihm die Beweismitteltüte zu schwer und er hinterlegte sie in einem Korb. Vielleicht brachte jemand ja all diese Tüten zu einer Art Post-Sammelstelle, wo sie ausgewertet wurden, das hatte ich noch nicht herausgefunden. Meinen direkten Kontakten wurden sie so jedenfalls vorenthalten.
Ich sah mich um. Es wurde allmählich dunkler, die Sonne stand schon hinter den Baumspitzen. In einer Weile würde ich mich von Lukas nach Haus bringen lassen, ein wenig mit seinen Welpen spielen und sie erziehen, im Dorf nach dem Rechten sehen und mich dann vor der Feuerstelle zur Ruhe legen.
Ich dachte an Coco aus dem Dorf. Sie war heiß und hatte mich schon mehrmals eingeladen, ich war alles andere als abgeneigt. Nur hatte ihr Mensch das nicht verstanden. Er hatte die Tür aus Versehen so fest zugemacht, dass Coco nicht rauskam. Sie war nur draußen, wenn ich bei der Arbeit war. Zu blöd! Manchmal frage ich mich, ob die Menschen einfach nur zu doof waren oder ob sie so etwas mit Absicht machten. Ich meine, sie sind ja lieb und nett und freundlich, sie können kraulen und Spielchen mit uns machen, aber manchmal verstanden sie die einfachsten Dinge des Lebens nicht. Und der Liebe, um die ging es mit Coco ja.
Wir waren zurück im Büro. Ich legte mich zum Nachdenken auf meine Decke. Der Fall beschäftigte mich weiter, Coco musste warten.
Wie konnten die Menschen das zulassen, dass einer von ihnen jemanden ermordete und dann unbehelligt herumlief und sogar etwas mit einem Weibchen hatte? Warum merkten sie das nicht?
Ich hatte jetzt mehrere Stränge, die ich weiterverfolgen konnte. Meine Freunde würden jetzt nach dem Dicken und nach seiner Sprungpartnerin suchen und mich sofort informieren. Da dieses Weibchen bei uns im Park spazieren ging, ohne Hund, der sie führte, musste sie ziemlich einsam sein. Dann kam sie womöglich noch öfter in den Park, damit sich ein Hund ihrer erbarmte und sie aufnahm. Obwohl eigentlich alle, die ich kannte, schon einen oder mehrere Menschen hatten; weitere Zweibeiner brachten nur Unruhe.
Sobald ich sie dort antraf, musste ich mir etwas einfallen lassen, damit Lukas ihr folgte und sie ihn zum Dicken führen konnte. Und dann musste ich ihm klarmachen, dass der Schweinefleischfreund der Täter war. Nur wie? Er verstand mich ja nicht gut genug. Ich würde mich auf meine Intuition verlassen müssen.
Ich hatte Zeit. Für mich war der Fall so gut wie gelöst. Bis ich die Menschen auf meinen Stand gebracht hatte, würde einige Zeit vergehen. Leider bin ich als Terrier nicht groß genug, um einen Menschen, der das Zehnfache wiegt und so hoch wie eine Tür ist, selbst festzunehmen. Ich seufzte. Ein Nachteil unserer Spezialisierung. Als Spezialist für Schnüffelei und Kombinationsgabe haben meine Vorfahren und ich andere Fähigkeiten aufgeben müssen, wie sie andere Polizeihunde hatten.
Ich kannte beispielsweise Mortimer gut, von der Hundeschule, einen großgewachsenen Schäferhund, der als Kämpfer Menschen innerhalb von Sekunden festnahm und abführen lassen konnte. Er hatte noch jeden zur Strecke gebracht. Vielleicht sollte ich ihn mal kontaktieren.
Bully fiel mir ein, der ebenfalls ab und zu hier arbeitete. Bully »Triefauge« Bluthund, dem noch nie eine Spur abhandengekommen war, selbst Wochen später nicht.
Was hätten wir für ein Team abgegeben! Mortimer und Bully als Oberkommissare, ich als Hauptkommissar, wir würden jeden hündischen und menschlichen Fall binnen Stunden geklärt haben. Klar, wir würden Fahrer und Versorger brauchen, aber dafür hatten wir die menschlichen Assistenten ja.
Nur hatten die beiden ihre eigenen Humanteams. Mortimer arbeitete mit einer ganzen Staffel von Spezialisten zusammen, die täglich trainierten. Einige Menschen mussten die Opfer spielen und ihnen dafür die dünnen Arme hinhalten, über die sie etwas gezogen hatten, damit es ihnen nicht zu weh tat. Was ihnen nicht geholfen hätte; Mortimer hätte in einem Sekundenbruchteil ihre Kehle erreicht und sie zur Strecke gebracht, aber so etwas lässt unser Kaninismus nicht zu.
Triefauge Bully hatte ich bisher nur zweimal als Partner im Einsatz gehabt, ich hatte keine Ahnung, wo er zurzeit steckte.
Ich musste wohl oder übel mit meinen menschlichen Kollegen vorliebnehmen, Lukas, der ganz in Ordnung war, wie Menschen eben so waren, Svantje, die immer fröhlich war und im Ultravioletten sogar etwas schimmerte, und Hinnerk mit seiner qualmenden Kaustange. Auf der kaute er schon seit Monaten herum, es wurde Zeit, dass er mal wieder eine neue bekam. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen verkohlte er darin Pflanzenreste; vermutlich eine Art Ritual. War er Priester? Oder es war eine Art von Betäubungsmittel, das er da inhalierte. Ich selbst goutierte den Geruch nicht.
Ich legte mich hin und belauschte im Halbschlaf, was meine humanen Helfer von sich gaben.
Eine halbe Stunde später ließ ich mich von Lukas nach Haus kutschieren, nachdem er Svantje bei ihrer Wohnung abgesetzt hatte. Sie wohnte mit einem anderen Weibchen zusammen, die beiden hatten sich gern, wie ich bemerkt hatte.
Zu Haus angekommen spielte ich mit den beiden Welpen, Ella und Onno, fangen. Ich lief ein paar Schritte weg und dreht mich um, sie kamen juchzend hinterher und fielen dabei oft um. Nicht mehr so häufig wie am Anfang, als sie noch kleiner waren, aber sicher laufen konnten so kleine Zweibeiner nicht. Ich verstehe ohnehin kaum, wie sich so ein kleiner Mensch mit winzigen Füßen, an denen eine Hülle aus Rinderhaut saß, und mit so einem schweren Kopf aufrecht zu halten vermochte. Das Rudern mit den Armen half ein wenig, aber meist lagen die Welpen auf der Nase und freuten sich noch darüber.
Ein Hundekind in diesem Alter wäre längst fähig zu jagen und schon längst selbst Vater oder Mutter. Menschen brauchen so unendlich lange, um erwachsen zu werden.
Und diese großen Köpfe! Ich habe mich schon oft gefragt, wozu die Natur mit solch wagemutigen Ideen experimentiert hatte. Kleine Schnauze mit stumpfen Zähnen; Ohren, die kaum etwas hören, abgesehen von den merkwürdigen Lauten, die ihre Besitzer mit ihren vielen Metallsachen erzeugten, und die ihnen wichtig zu sein schienen. Sie nannten das wohl Musik.
Eine Nase, die wie bei uns das Oberteil der Schnauze hätte bilden sollen, aber auf einen kleinen Zacken oberhalb des Mauls zurückgegangen war.
Riechen funktionierte oft nur bei dem ausgeprägten Gestank nach Pflanzenölen, mit denen sie sich aus irgendwelchem Aberglauben einrieben und besprühten.
Sehen, ich sagte es schon, war das Einzige, was passabel funktionierte. Aber dafür so einen großen und größtenteils kahlen Kopf mit sich rumschleppen? Und im Infrarot- und Ultraviolettbereich sahen sie nichts, auch das Magnetfeld nahmen sie nicht wahr. Jeder Vogel und jede Kuh beherrschte das.
Na ja. Was sie damit gut konnten, war Plappern, das lief den ganzen Tag. Sie hielten nicht nur mit dem eigenen Rudel Kontakt, sondern hatten jede Menge Reserverudel, mit denen sie jeweils andere Sachen unternahmen. Und für diese vielen Kontakte und das Geplapper mit ihnen brauchten sie so ein schweres Gehirn.
Die Welpen fand ich niedlich. Sie waren so tapsig und drollig, es machte Spaß, mit ihnen rumzualbern.
Nach einer Weile bekam ich Hunger und klapperte an meinem Topf herum, damit das Weibchen mir etwas zu essen gab. Sie bewahrten das für mich in einem speziellen Schrein auf, der meiner Nahrung mehr Wert verlieh. Manchmal passten sie nicht auf und vergaßen, mir das Mahl zu kredenzen.
Diesmal klappte es. Lisa, das Weibchen, servierte, Lukas nahm ich anschließend für mein Abendgeschäft mit nach draußen. Ich ließ mir Feuer im Kamin anmachen und legte mich auf mein Schaffell.
Morgen würde ich auf U-Tube oder über andere Posts mehr erfahren und der Aufklärung des Falls ein gutes Stück näherkommen.