Читать книгу Inside Out - Nick Mason - Страница 6

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ALS SICH ROGER WATERS zum ersten Mal herabließ, das Wort an mich zu richten, studierten wir am College schon fast ein halbes Jahr lang Architektur zusammen. Eines Nachmittags, während ich versuchte, das Gemurmel von vierzig Kommilitonen auszublenden und mich auf die technische Zeichnung zu konzentrieren, die vor mir lag, fiel sein langer, unverwechselbarer Schatten auf meinen Zeichentisch. Bis dahin hatte mich Roger geflissentlich ignoriert, doch nun war der Augenblick gekommen, da er in mir eine musikalisch wesensverwandte Seele erkannte, gefangen im Körper eines angehenden Architekten. Die Sternbilder von Jungfrau und Wassermann hatten unser Schicksal bestimmt und Roger veranlasst, nach einem Weg zu suchen, um unsere Geister zu einem großen schöpferischen Abenteuer zu vereinen.

Nein, nein, nein. Ich werde mich bemühen, das Märchenerzählen auf ein Minimum zu beschränken. Der einzige Grund, warum Roger damals an mich herantrat, war der, dass ich ihm mein Auto leihen sollte.

Das betreffende Gefährt war ein Austin Seven, Baujahr 1930, ein »Chummy«, den ich für zwanzig Piepen erstanden hatte. Nicht gerade die erste Wahl für Teenager meiner Generation – ein Morris 1000 Traveller oder Ähnliches wären sicherlich weit praktischer gewesen. Aufgetrieben hat das Exemplar mein Vater, dem ich die Liebe zu alten Autos verdanke – und meine Grundausbildung zum Kfz-Mechaniker, um den »Chummy« am Laufen zu halten. Roger muss ziemlich in der Klemme gesteckt haben, dass er mich überhaupt danach fragte. Bei dem Schneckentempo, das der Austin vorlegte, war ich einmal aus purer Verlegenheit gezwungen gewesen, einen Tramper mitzunehmen, weil ich so langsam fuhr, dass er dachte, ich wolle anhalten und ihn an Bord nehmen. Ich sagte Roger, der Wagen sei aus dem Verkehr gezogen, was nicht so ganz stimmte. Einerseits lieh ich ihn einfach ungern aus, andererseits fand ich Roger wohl auch ziemlich nervig. Kurz darauf sichtete er mich am Steuer des Austin, was ihm einen ersten Vorgeschmack auf meinen Hang gab, in der Grauzone zwischen Doppeldeutigkeit und Diplomatie zu lavieren. Zuvor hatte er einmal Rick Wright, der auch zu unserem Jahrgang gehörte, um eine Zigarette angehauen und war glatt abgeschmettert worden – ein frühes Zeugnis von Ricks legendärer Großzügigkeit. Jene ersten belanglosen Kontaktaufnahmen im Frühjahr 1963 waren der Beginn der wunderbaren Freundschaft, die uns in den kommenden Jahren verbinden sollte.

Pink Floyd entstand aus zwei überlappenden Cliquen: der einen aus Cambridge, woher Roger, Syd Barrett, David Gilmour und viele weitere aus dem künftigen Umfeld der Gruppe stammten, und der anderen aus London, zu der Roger, Rick und ich im ersten Studienjahr an der Fakultät für Architektur im Polytechnikum zusammenfanden. Dort setzen meine Erinnerungen an unsere gemeinsame Geschichte ein.

Meine Laufbahn als Schlagzeuger schien eigentlich schon beendet, als ich mich im Poly einschrieb (das später hochtrabend zur »University of Westminster« umgetauft wurde). Das College lag damals an der Little Titchfield Street, im Herzen des West End nahe der Oxford Street. Im Rückblick scheint das Poly einer lange vergangenen Ära anzugehören, mit seinen altmodischen Holzvertäfelungen, die an eine riesige, zweckdienlich gestaltete Privatschule denken ließen. Soweit ich mich erinnere, verfügte es – abgesehen von einer Art Teeküche – über keinerlei zusätzliche Einrichtungen. Da es aber mitten in dem Viertel mit den angesagten Klamottenläden rund um Great Titchfield und Great Portland Street lag, gab es überall Cafés, wo man bis mittags Spiegeleier, Würstchen und Pommes Frites bekam und dann zum Tagesmenü aus Rindernierenpastete und Marmeladenstrudel übergehen konnte.

Die Fakultät für Architektur teilte sich den Bau mit einer Reihe weiterer verwandter Fachrichtungen und hatte einen guten Namen. Die Lehrmethoden waren allerdings noch reichlich konservativ: Eine typische Vorlesung in Baugeschichte sah so aus, dass der Dozent einen minutiösen Grundriss beispielsweise des Luxor-Tempels von Karnak an die Tafel zeichnete, den wir dann kopieren mussten – wie alle Erstsemester seit dreißig Jahren. Immerhin hatte die Fachhochschule vor nicht allzu langer Zeit auch Gastvorlesungen in den Lehrplan aufgenommen und dazu bereits etliche wirklich innovative Architekten wie Eldred Evans, Norman Foster und Richard Rodgers gewonnen. Für Form hatte man an der Fakultät ohne Zweifel einen guten Blick.

In das Studium war ich ohne große Ambitionen mehr oder weniger hineingeschlittert. Ich fand das Fach durchaus interessant, wollte aber nun nicht unbedingt damit Karriere machen. Ich dachte wohl, ich könnte mir ebenso gut mit Architektur meinen Lebensunterhalt verdienen wie mit irgendetwas anderem. Allerdings war es auch nicht so, dass ich während meiner Zeit am College ständig davon träumte, Musiker zu werden. Damit hatte ich mich schon als Teenager versucht, letztlich war es dann aber doch wichtiger gewesen, endlich den Führerschein zu machen.

Auch wenn es mir also an brennendem Ehrgeiz mangelte, bot der Studiengang doch eine Vielzahl von Kursen im künstlerischen, grafischen und technischen Bereich, also eine umfassende Ausbildung, die wohl auch Rogers, Ricks und mein Interesse daran weckte, was an visuellen und anderen Effekten technisch machbar war. Damit beschäftigten wir uns in den Folgejahren immer intensiver, von der Konstruktion turmhoher Lichtanlagen über die kunstvolle Gestaltung von Plattencovern bis hin zum Studio- und Bühnendesign. Dank unseres Architekturstudiums konnten wir relativ kompetente Kommentare abgeben, wann immer wir echte Experten zu Rate zogen.

Ursprünglich verdanke ich mein Interesse an der Vermischung von Technischem und Visuellem vermutlich meinem Vater Bill, einem Dokumentarfilmer. Als ich zwei Jahre alt war, nahm er einen Job bei der Filmproduktionsfirma Shell an, und wir zogen von meinem Geburtsort Edgbaston, einer Vorstadt von Birmingham, nach North London, wo ich meine prägenden Jahre verlebte.

Mein Vater war zwar nicht ausgesprochen musikalisch, doch sehr an Musik interessiert, vor allem, wenn sie unmittelbar mit einem seiner Filme zu tun hatte. Dann konnte er sich total dafür begeistern, egal ob es sich um jamaikanische Steelbands, Streicherformationen, Jazz oder die wilderen E-Sounds von Ron Geesin handelte. Außerdem war er von Aufnahmegeräten, Stereo-Testplatten, Klangeffekten und Rennwagen fasziniert, in den verschiedensten Kombinationen – alles Interessen, die ich von ihm geerbt habe.

Den einen oder anderen Hinweis auf musikalisches Talent gab es in unserer Familie allerdings doch: mein Großvater mütterlicherseits, Walter Kershaw, und seine vier Brüder waren Mitglieder einer Banjo-Band, die ein Stück namens ›The Grand State March‹ herausbrachte. Meine Mutter Sally, eine begabte Pianistin, hatte Stücke wie ›Golliwog’s Cakewalk‹ von Debussy im Repertoire. Unser heimisches Sortiment von Schellackplatten, ein wildes Sammelsurium, erstreckte sich von Klassik über kommunistische Arbeiterlieder, vorgetragen vom Chor der Roten Armee, bis hin zu ›The Teddy Bear’s Picnic‹ und ›The Laughing Policeman‹. Zweifellos kann man all das irgendwo aus unserer Musik heraushören – mögen es andere ausfindig machen, wenn sie die Energie dazu aufbringen. Eine Zeitlang hatte ich Klavier- und Geigenunterricht, doch der förderte kein musikalisches Wunderkind zutage und wurde darum wieder eingestellt.

Ich bekenne mich auch zu der rätselhaften Anziehungskraft, die Fess Parkers 1956 in England veröffentlichte Single ›The Ballad of Davy Crockett‹ auf mich ausübte. Schon damals gab es ganz eindeutig die unheilige Allianz zwischen Musik und Kommerz – war ich doch alsbald stolzer Besitzer einer todschicken Mütze aus künstlichem Waschbärfell, an der vor allem ein lang herunterhängender Schwanz ins Auge stach.

Mit ungefähr zwölf Jahren begann ich, Rockmusik bewusst wahrzunehmen. Ich erinnere mich noch, wie ich mich bemühte, so lange wach zu bleiben, bis Horace Batchelor mit seinen todsicheren Toto-Tipps auf Radio Luxemburg fertig war und Rocking To Dreamland kam. Ich erstand ›See You Later Alligator‹ von Bill Haley als 78er Platte im örtlichen Elektroladen und verhalf dem Song damit im März 1956 zum Aufstieg in die britischen Top Ten, und im selben Jahr noch musste mein Taschengeld für ›Don’t Be Cruel‹ von Elvis Presley dran glauben. Beides wurde auf dem neuen, hochmodernen Familiengrammofon abgespielt, das Stromanschluss hatte und insgesamt wie eine Kreuzung aus einer Vitrine von Ludwig XIV. und dem Armaturenbrett eines Rolls Royce aussah. Mit dreizehn hatte ich meine erste Langspielplatte – Rock ’n’ Roll von Elvis. Für mindestens zwei weitere Mitglieder von Pink Floyd und nahezu unsere gesamte Generation von Rockmusikern war dieses bahnbrechende Album ebenfalls die erste LP. Es bot nicht nur fantastische neue Musik, sondern für rebellierende Teenager den zusätzlichen Reiz, dass Eltern es mit ähnlicher Begeisterung aufnahmen wie sonst nur eine Spinne als Haustier.

Etwa um diese Zeit machte ich mich mit meinem Schulranzen, in kurzen Flanellhosen und Schulblazer nach East London auf, wo Tommy Steele in einer Varietéshow auftrat. Von meinen Freunden schien sich keiner dafür begeistern zu können, also fuhr ich allein. Tommy war die Attraktion des Abends, den Rest konnte man vergessen. Komiker, Jongleure und andere aus englischen Konzerthallen Vertriebene mühten sich um die Wette, den Saal zu leeren, bevor Tommy dran war. Aber ich hielt tapfer aus. Und muss sagen, er war eine Wucht. Er sang ›Singing The Blues‹ und ›Rock With The Caveman‹ und sah genauso aus wie in The Six-Five Special, der ersten Popmusikshow im britischen Fernsehen. Er war nicht Elvis, aber er kam auf jeden Fall gleich danach.

In den folgenden Jahren zog es mich mehr und mehr zu einer Gruppe von Freunden aus der Nachbarschaft hin, die ebenfalls den Rock ’n’ Roll für sich entdeckt hatten und gemeinsam mit mir auf die glänzende Idee verfielen, eine Band zu gründen. Dass keiner von uns spielen konnte, war nicht weiter schlimm, da wir ohnehin keine Instrumente besaßen. Infolgedessen war die Aufteilung, wer welchen Part übernehmen sollte, mehr eine Art Lotteriespiel. Mein einziger Anknüpfungspunkt ans Schlagzeug waren die Jazzbesen, die mir Wayne Minnow, ein mit meinen Eltern befreundeter Journalist, einmal geschenkt hatte. Nach meinen fruchtlosen Bemühungen in Sachen Klavier und Geige erschienen sie als absolut legitimer Grund, nunmehr Schlagzeuger zu werden. Mein erstes Set, gekauft bei Chas. E. Foote in der Denman Street in Soho, bestand aus einer Gigster-Bass-Drum, einer Snare-Drum unbestimmbaren Alters und Ursprungs, HiHat- und Rhythmusbecken und einem Lehrbuch über die Geheimnisse von Flam Paradiddles und Ratamacues (die ich bis heute noch nicht entschleiert habe). Ausgerüstet mit diesem vernichtenden Waffenarsenal schloss ich mich meinen Freunden an – und die Hotrods waren geboren.

Die Hotrods, das waren, Tim Mack als Leadgitarrist, William Gammell an der Rhythmusgitarre und Michael Kriesky am Bass. Außerdem konnten wir noch mit einem Saxophon protzen, gespielt von John Gregory. Allerdings gab es da ein winziges Problem: John Gregorys Sax stammte noch aus Vorkriegszeiten – 1939 war auf der Internationalen Stimmtonkonferenz der Kammerton A einheitlich auf 440 Hz festgelegt worden; Johns Instrument lag einen geschätzten Halbton höher und war zum Zusammenspiel folglich absolut ungeeignet. Michaels Bass sah auch nur mit viel gutem Willen nach einem Instrument aus. Mit Ach und Krach war es uns gelungen, einen Bass, Marke Eigenbau zusammenzuschrauben. Das Ding sah erbärmlich aus. Hätten die Sachsen im Mittelalter die Idee gehabt, eine Raumsonde zu bauen, sie hätten mehr Erfolg gehabt als wir mit Michaels Bass. Was dem Ganzen die Krone aufsetzte, waren unsere Verstärker. Sie waren damals derart peinlich, dass wir für einen Fototermin aus einem Pappkarton mit Hilfe eines Kulis einen getürkten Vox-Cabinet zusammenbastelten.

Dank der Filmtätigkeit meines Vaters hatten wir Zugang zu einem brandneuen Stereotonbandgerät von Grundig. Wir verschwendeten keine Zeit mit irgendwelchen Proben, sondern stürzten uns auf der Stelle in unsere erste Aufnahmesession, zu der wir als gewiefte Techniker zwei Mikrofone aufs Geratewohl irgendwo zwischen Schlagzeug und Verstärker platzierten. Leider Gottes gibt es diese Tonbänder immer noch.

Letztlich kamen die Hotrods nie über endlose Versionen der Peter Gunn-Melodie hinaus – und meine musikalische Karriere schien im Sand zu verlaufen. Allerdings war ich mittlerweile an die Frensham Heights, eine freie, koedukative Schule in Surrey, gewechselt. Hier gab es Mädchen (und ich lernte meine erste Frau Lindy kennen), es gab auch einen Jazzklub, und ab der siebten Klasse durfte man lange Hosen tragen. Ja, das war das schöngeistige Leben, auf das ich immer aus gewesen war.

Im Gegensatz zu den Jahren auf der Grundschule war die Zeit in Frensham ein Hochgenuss für mich – das Schulgebäude, ein umgebautes großes Landhaus, lag in der Nähe von Hindhead und verfügte über ein riesiges Freigelände. Was Schuluniformen und Prüfungen betraf, ging es ziemlich traditionell zu, aber die Erziehungsmethoden waren sehr viel liberaler, und besonders die Kunst- und Englischlehrer habe ich in guter Erinnerung. Außerdem lernte ich dort Deals auszuhandeln: Da die Schule nicht weit von der Frensham Ponds lag, hatte ich mir ein Kanu zugelegt, das ich gelegentlich dem Sportlehrer lieh; im Gegenzug wurde ich ein für alle Mal vom Kricketspielen befreit. Als schlagender Beweis dient der teure Kricketpullover, der zur Schulausstattung gehörte und bei mir nie aus seiner Zellophanverpackung herausgekommen ist ...

Der einstige Ballsaal des Landhauses wurde nach dem Umbau für Schulversammlungen und andere Zwecke genutzt, immer wieder aber auch seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt; dann tanzten wir dort Walzer und Foxtrott. Diese Veranstaltungen mutierten während meiner Zeit in Frensham zunehmend zu wilden Feten, für die wir allerdings, da bin ich mir sicher, die neuesten Singles immer erst genehmigen lassen mussten: ein Versuch der Schule, dem Vordringen der Popmusik einen Riegel vorzuschieben. Doch der Jazzklub war keine schulische Einrichtung, sondern ein zwangloser Treffpunkt für Mitschüler wie Peter Adler, den Sohn des großartigen Mundharmonikaspielers Larry. Ich weiß noch, dass er Klavier spielte, und vielleicht haben wir es irgendwann auch mal gemeinsam mit Jazz versucht. Damals war es schon schwierig, auch nur unsere eigenen Jazzplatten anzuhören, weil die Schule bloß über einen einzigen Plattenspieler verfügte und wir erst gegen Ende meiner Zeit dort eigene Abspielgeräte bekamen. Der Klub bot uns wohl eher eine Chance, anstrengenderen und unangenehmeren Tätigkeiten aus dem Weg zu gehen, aber er zeugte zumindest von einem aufkeimenden Interesse an Jazz. Später hörte ich mir im 100 und anderen Londoner Klubs Cy Laurie, Ken Colyer und weitere führende Vertreter der traditionellen englischen Jazzmusik an, fand aber das ganze Drumherum mit all den Melonen und gestärkten Westen immer blöd und wandte mich deshalb dem Bebop zu. Ich bin bis heute ein großer Fan von Modern Jazz, doch fortgeschrittene Spieltechniken, die dazu erforderlich waren, blieben für mich als Teenager eine unüberwindliche Barriere. Also besserte ich weiter am Schlagzeugpart von ›Peter Gunn‹ herum.

Nach meinem Abschluss in Frensham Heights bildete ich mich in London noch ein Jahr weiter und schrieb mich dann, im September 1962, am Polytechnikum ein. Dort studierte ich so vor mich hin, produzierte Werkstücke für meine Mappe und besuchte zahlreiche Vorlesungen. Wichtig war vor allem, jederzeit das passende Outfit zur Schau zu tragen, wozu ganz unbedingt Cordjacken und Dufflecoats gehörten. Und Pfeiferauchen – auch darin versuchte ich mich. Irgendwann im zweiten Semester fand ich Anschluss an das, was die ältere Generation gern »üble Gesellschaft« nannte, sprich, an Roger.

Aus unserer ersten, misslungenen Kontaktaufnahme wegen des Austin »Chummy« entwickelte sich, einigermaßen überraschend, allmählich doch eine Freundschaft. Sie basierte auf gemeinsamen Musikvorlieben – und einem Hang zu allem, was uns vom College fern hielt, ob wir uns nun in der Charing Cross Road Schlagzeugsets und Gitarren anschauten, Matineevorstellungen im West End besuchten oder uns nach Covent Garden zu Anello und Davide aufmachten, die damals nicht nur Ballettschuhe, sondern auf Bestellung auch Cowboystiefel mit halbhohen Absätzen fabrizierten. Die Aussicht auf ein entspanntes Wochenende bei Roger zu Hause in Cambridge bewog uns auch gelegentlich, den Härten des Collegelebens freitags schon vorzeitig den Rücken zu kehren.

Politisch kamen wir aus ziemlich ähnlichen Lagern. Rogers Mutter war Ex-Mitglied der Kommunistischen Partei und treue Labour-Anhängerin, wie meine Eltern auch: Mein Vater war der KP beigetreten, um gegen den Faschismus Stellung zu beziehen, und wechselte dann bei Kriegsausbruch als Gewerkschaftsvertreter zur ACT, der Vereinigung der Filmtechniker. Unsere damaligen Freundinnen und späteren Ehefrauen, Lindy und Judy, hatten den gleichen politischen Hintergrund. Roger war in Cambridge Vorsitzender der Jugendsektion der Anti-Atom-Bewegung (CND) gewesen und hatte zusammen mit Judy an einigen Protestmärschen von Aldermaston nach London teilgenommen. Lindy und ich schlossen uns auch einmal – wenigstens am letzten Tag – einem CND-Marsch an, als er schon die Vororte von London erreicht hatte. Und sie war später noch bei der Demonstration am Grosvenor Square dabei, die die Polizei dann mit ziemlich brachialer Gewalt auflöste. Das sagt wohl alles, was mein politisches Engagement angeht – halbherzig links angehaucht, raffte ich mich nur fallweise zu rechtschaffenen Aktionen auf.

Vermutlich verdankte Roger seine festen Überzeugungen nicht zuletzt seiner Mutter Mary, einer Lehrerin, die sich als starke Frau erwies, nachdem ihr Mann, Eric Waters (ebenfalls Lehrer), im 2. Weltkrieg in Italien gefallen war und sie Roger und seinen älteren Bruder John allein aufziehen musste. Zu Rogers Mitschülern an der Cambridgeshire High School for Boys zählten Syd Barrett und Storm Thorgerson, der später eine wichtige Rolle in der Geschichte der Band spielte und über drei Jahrzehnte unser Grafikdesigner war. Außerdem lieferte die Schule Roger das Rohmaterial für den Typ eines besonders fiesen Lehrers, der später stark überzeichnet in The Wall auftauchte.

Rogers musikalische Versuche unterschieden sich nicht sonderlich von denen aller anderen Teenager um diese Zeit: ein bisschen auf der Gitarre klampfen, sich ein paar Riffs und Ideen von alten Bluesplatten abhören. Wie ich auch, hörte er ständig Radio Luxemburg und AFN. Als er zum Studieren nach London ging, hatte er die Gitarre im Gepäck. Und wozu unsere Ausbildung gut sein konnte, bewies er schon bald, indem er »I believe to my soul« in Letrasetbuchstaben (damals nur Designern vorbehalten) auf eben jene Gitarre klebte. Wir fanden, es sah ziemlich gekonnt aus.

Neben seiner Gitarre brachte Roger auch eine sehr eigene Einstellung mit. Wie viele andere aus unserem Jahrgang hatte er vor Studienbeginn bereits einige Monate in einem Architekturbüro gejobbt. Dem Rest von uns, der in seinen Augen keine Ahnung hatte, worauf die ganze Ausbildung letztlich hinauslief, begegnete er mit offenkundiger Verachtung, die wohl selbst bei den Dozenten Anstoß erregte.

Ein Kommilitone, Jon Corpe, erinnert sich noch lebhaft an den Eindruck, den Roger im Poly auf ihn machte: »Groß, hager, schlechte Haut, er wirkte ein bisschen wie der einsame Rächer aus Ein Fremder ohne Namen. Überall hatte er die Gitarre dabei und spielte, im Arbeitsraum leise und im Büro des Theaterklubs [einem unserer Proberäume] sehr vernehmlich. Für mich wird er immer der distanzierte Typ mit den morbiden, melancholischen Songs bleiben.«

Gelegentlich sollten wir Arbeitsgruppen bilden, und so taten Roger und ich uns in unserem ersten Jahr irgendwann mit Jon Corpe zusammen, um ein kleines Haus zu entwerfen. Unser Bauentwurf wurde freundlich aufgenommen, obwohl er total praxisfern war. Aber das lag hauptsächlich daran, dass Jon ein exzellenter Student war, der sich offenbar mit Freuden ganz auf die Architektur konzentrierte, während Roger und ich sein Stipendium für Currys und Musikinstrumente auf den Kopf hauten.

Es war nicht einfach, mit Roger zusammenzuarbeiten. Ich wohnte immer noch zu Hause in Hampstead; wenn ich von dort aus quer durch die Stadt zu ihm fuhr, hing meist ein Zettel an seiner Tür: »Bin im Café des Artistes«. Seine Wohnverhältnisse waren durchweg chaotisch; eine Zeitlang lebte er in einem wirklich wüsten besetzten Haus in der Nähe der King’s Road in Chelsea. Es gab weder warmes Wasser – gebadet wurde ein paar Häuser weiter in der Badeanstalt – noch Telefon, dafür einige extrem unberechenbare Mitbewohner: eine Erfahrung, die Roger vermutlich früh für das Tourneeleben stählte. Aber damals im praktischen Leben mit ihm am Zeichentisch zusammenzufinden, war so gut wie unmöglich.

Die Bilder, die Geräusche und Gerüche von Rogers verschiedenen Unterkünften sind mir im Gedächtnis geblieben, doch an Rick habe ich aus dieser Zeit nur wenige klare Erinnerungen, und ihm geht es nicht viel anders. Ich glaube, ihm wurde gleich bei seinem Eintritt ins College klar, dass Architektur nicht das Richtige für ihn war – offenbar war er dem Vorschlag eines Beratungslehrers wahllos gefolgt –, der Lehrkörper des Poly brauchte dagegen ein volles Jahr, um zu der gleichen Erkenntnis zu gelangen. Sobald sich beide Seiten darüber einig waren, ging Rick auf die Suche nach Alternativen und landete im London College of Music.

Historisch verbürgt ist, dass Rick in Pinner geboren wurde, sein Vater Robert bei der Großmolkerei Unigate Dairies als Chefbiochemiker arbeitete und die Familie in Hatch End lebte, einem Vorort von London; von dort aus besuchte Rick nach der Grundschule die freie Haberdahers’ Aske’ Grammar School. In jener Zeit spielte er Trompete – und er behauptet, er habe schon Klavier gespielt, bevor er laufen konnte ... um dann anzufügen, den aufrechten Gang habe er erst mit zehn erlernt. Tatsächlich war es ein Beinbruch, der ihn als Zwölfjährigen zwei Monate ans Bett fesselte und dazu bewog, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen, mit seinem ganz persönlichen Fingersatz. Seine walisische Mutter Daisy ermutigte ihn später, die gleiche Methode auch beim Klavier anzuwenden. Durch diesen autodidaktischen Ansatz fand er zu seinem unverwechselbaren Klang und Stil, statt womöglich als Musikprofessor am Konservatorium zu enden.

Erst versuchte sich Rick kurz in Skiffle, dann – mit Posaune, Saxofon und Klavier – als traditioneller Jazzmusiker. Ich sage es nicht gern, aber er hat freiwillig zugegeben, damals als Dämpfer für die Posaune eine Melone verwendet zu haben. Im Eel Pie Island, einem Klub bei Kingston, und in der Railway Tavern in Harrow erlebte er Humphrey Lyttelton, Kenny Ball und Cyril Davies, einen der Gründerväter des britischen R&B. Außerdem fuhr er, bevor die Mods mit ihren Motorrollern daherkamen, an den Wochenenden per Anhalter oder Fahrrad nach Brighton, schick gemacht mit kragenlosem Hemd, Weste und – ganz selten – mit Melone. Vor dem Poly hatte er kurz als Aushilfe bei Kodak gearbeitet und am stärksten hatte ihn beeindruckt, dass sich die Ausfahrer regelmäßig gegen Mittag zum Golfspielen verdrückten, um acht Uhr abends zurückkamen und per Stechuhr Überstunden geltend machten.

Auf mich machte Rick im Poly den Eindruck eines ruhigen, introvertierten Typs mit einem Freundeskreis außerhalb des Colleges. Jon Corpe weiß noch, dass »Rick ein männliches, gut geschnittenes Gesicht hatte und seine langen dichten Wimpern die Mädchen neugierig auf ihn machten.«

In unserem ersten Jahr landeten Rick, Roger und ich in einer Band, die Clive Metcalf auf die Beine gestellt hatte; er studierte auch am Poly und spielte im Duo mit Keith Noble, einem unserer Mitschüler. Clive war mit Sicherheit die treibende Kraft für die Band: Er konnte tatsächlich ein bisschen Gitarre spielen und hatte offensichtlich viele Stunden darauf verwendet, sich die Songs anzueignen. Wir anderen kamen auf die lässige Tour dazu (»Ja, hab früher schon mal ’n bisschen gespielt«), ohne irgendwelche Ambitionen. Diese erste Band am Poly hieß Sigma 6 und bestand aus Clive, Keith Noble, Roger, Rick und mir; Keiths Schwester Sheila war gelegentlich mit Gesangseinlagen dabei. Ricks Stellung war nicht die beste, da er kein Keyboard besaß. Manchmal gab es in den Kneipen, in denen wir auftraten, ein Klavier, aber unverstärkt war davon wegen des Schlagzeugs und des Vox AC30 praktisch nichts zu hören. War kein Klavier vorhanden, drohte er damit, seine Posaune mitzubringen.

Juliette, Ricks Freundin und spätere Frau, war so etwas wie unsere Gastsängerin; ›Summertime‹ und ›Careless Love‹ waren ihre besten Bluesnummern. Sie studierte neue Sprachen am Poly und ging am Ende unseres ersten Jahres an die Universität nach Brighton, um die gleiche Zeit, als Rick an das London College of Music wechselte. Doch bis dahin hatten wir schon ausreichend musikalische Gemeinsamkeiten gefunden, um in freundschaftlichem Kontakt zu bleiben.

Irgendwie waren es eher die schlechten Spieler, die den harten Kern der Band bildeten. Kurzzeitig hatten wir einen echt fähigen Gitarristen (dass er gut sein musste, machte ich vor allem daran fest, dass er ein schönes Instrument und einen richtigen Vox-Verstärker besaß), aber nach ein paar Proben ging er wieder seiner Wege. Meiner Erinnerung nach versuchten wir nie auf eine feste Besetzung hinzuarbeiten: Wenn zwei Gitarristen aufkreuzten, vergrößerte sich damit schlicht unserer Repertoire, weil einer von ihnen mit Sicherheit einen Song kannte, den wir Übrigen noch nicht beherrschten. Um diese Zeit war Roger eigentlich unser Rhythmusgitarrist. An den Bass wurde er erst später verbannt, weil er sich erstens weigerte, Geld für eine E-Gitarre auszugeben und zweitens Syd Barrett auf den Plan trat. Über seine Degradierung bemerkte Roger später einmal: »Gott sei Dank bin ich nicht bis zum Schlagzeug abgesunken.« Diesem Stoßseufzer kann ich nur zustimmen. Wenn Roger den Drummer abgegeben hätte, wäre ich vermutlich als Roadie geendet ...

Wie die meisten Anfängerbands verbrachten wir weit mehr Zeit mit Reden, Planen und Neue-Namen-ins-Spiel-bringen als mit Proben. Gigs gab es nur alle Jubeljahre einmal. Bis 1965 war keiner davon im strengen Sinne kommerziell, sie wurden alle von uns oder von Kommilitonen organisiert und hatten eher privaten als öffentlichen Charakter. Geburtstagsfeiern, Semesterabschlussbälle und Studentenfeten. In einer Teestube im Keller des Poly übten wir für Studentenpartys geeignete Songs wie ›I’m A Crawling King Snake‹ und Stücke von den Searchers ein, versuchten uns aber auch an Titeln, die Ken Chapman, ein Freund und Kommilitone von Clive Metcalf geschrieben hatte. Ken wurde unser Manager und Songwriter. Er ließ Karten drucken, auf denen wir uns als Partyband anboten, und zog für unsere – gottlob kurze – Phase als »The Architectural Abdabs« einen riesen Werberummel auf, mit einem reichlich affektierten Foto von uns und einem Artikel in der Studentenzeitung, in dem wir uns zu treuen Jüngern von R&B erklärten. Leider tendierten Kens Texte, wie beispielsweise ›Mind The Gap‹ und ›Have You Seen A Morning Rose?‹ (zu der Melodie von ›Für Elise‹) für unseren Geschmack etwas zu sehr in Richtung aufgefrischte Ballade. Aber irgendwann bekam er die Chance, sie Gerry Bron zu präsentieren, einem bekannten Verleger, der vorbeikam, um sich die Band und ihre Songs anzuhören. Wir probten wacker dafür – jedoch ohne großen Erfolg. Gerry gefielen die Songs besser als die Band (behauptete Ken jedenfalls hinterher). Doch es reichte dann nicht mal für die Songs.

Zu Anfang unseres zweiten Studienjahrs im September 1963 beschlossen Clive und Keith, sich als Duo selbstständig zu machen. Und was von der Band noch übrig war, fand im Haus von Mike Leonard zusammen, einem Dozenten am Poly, damals Mitte dreißig und von Architektur ebenso fasziniert wie von Ethno-Percussion und den Wechselwirkungen von Rhythmus, Bewegung und Licht, einem seiner Lieblingsthemen bei Vorlesungen. Nachdem er ab September 1963 auch am Hornsey College of Art lehrte, entschloss sich Mike, ein Haus in North London zu kaufen und suchte dafür nun dringend ein paar Untermieter.

39 Stanhope Gardens in Highgate war ein typisch edwardianisches, komfortables Haus mit großzügigen Räumen und hohen Decken. Mike war schon dabei, das Erdgeschoss zu einer abgeschlossenen Wohnung umzubauen und sich oben seine eigene, etwas sonderbare Unterkunft und sein Zeichenbüro einzurichten. Er hatte die Decke zum Dachgeschoss durchgebrochen und damit einen Riesenraum geschaffen, der sich ideal für Proben eignete. Doch zu Mikes Glück waren wir meist zu faul, das ganze Equipment die steile Treppe hochzuschleppen.

Mike brauchte außerdem stundenweise Hilfe in seinem Büro; mit seinem Broterwerb – Einrichtung von Toiletten und Waschräumen in den Schulen des Verwaltungsbezirks London – finanzierte er sich die Lichtanlagen, die er zu Hause entwarf und baute. Alles schien perfekt zu passen, also zogen Roger und ich ein. Im Lauf der folgenden drei Jahre wohnten – zu unterschiedlichen Zeiten – auch Rick, Syd und noch einige andere Bekannte dort. Die Atmosphäre, die im Haus herrschte, ist in einer frühen Folge der BBC-Dokumentarserie Tomorrow’s World festgehalten; darin sah man eine von Mikes Lichtanlagen in Aktion, während wir unten probten.

Mike hatte zwei Katzen namens Tunji und McGhee, eine burmesische und eine siamesische, die er und auch Roger sehr mochten. Roger hatte noch jahrelang eine besondere Beziehung zu Katzen. Ich glaube, ihm gefiel ihre Mischung aus Arroganz und Aggression. Die Wände im Haus waren mit Sackleinen bespannt, und zur Futterzeit strich Mike mit einem Bückling über den Stoff und ließ eine alte Autohupe tröten. Das war das Signal für die Katzen, die Nachbarschaft nicht länger zu terrorisieren, sondern im Eiltempo durch die Postklappe zu hüpfen und dann wie die Verrückten die Wände hinauf und über die Fensterbänke zu jagen, bis sie den Bückling gefunden hatten; manchmal war er im Zeichenbüro an die Decke genagelt.

Mit Stanhope Gardens bekamen unsere musikalischen Aktivitäten einen völlig neuen Aufschwung. Dank unseres toleranten Vermieters, nach dem wir uns eine Zeitlang »Leonard’s Lodgers« nannten, hatten wir in dem Zimmer zur Straße nun einen eigenen, festen Proberaum. Allerdings sollten Roger und ich dort eigentlich auch noch lernen und schlafen; an beides war unter den gegebenen Umständen kaum zu denken. Und natürlich beschwerten sich die Nachbarn; doch es kam nie zu der angedrohten Klage wegen Lärmbelästigung. Um ihr aber für alle Fälle vorzubeugen, mieteten wir hin und wieder auch einen Proberaum in der nahe gelegenen Railway Tavern an der Archway Road.

Mike hingegen beschwerte sich nie. Im Gegenteil, mit der Zeit machte er selbst mit. Er spielte ganz ordentlich Klavier, und wir überredeten ihn, eine elektrische Orgel zu kaufen und eine Weile bei uns als Keyboarder mitzuwirken. Die Orgel, eine Farfisa Duo, besitzt er immer noch. Ein weiterer großer Pluspunkt war, dass wir durch Mike Zugang zu den Licht- und Tonexperimenten am Hornsey College bekamen. Vor allem Roger arbeitete dort viele Stunden an den diversen Lichtanlagen und wurde quasi Mikes Assistent.

Unser gesamtes zweites Collegejahr lebten wir also in Stanhope Gardens, probten, hatten gelegentlich einen Auftritt und gingen anfallsweise auch weiter unserem Studium nach. Die nächste schicksalhafte Wendung kam mit Bob Klose, ebenfalls einem Absolventen der Cambridgeshire High School for Boys, der im September 1964 mit Syd Barrett nach London ging und, zwei Jahre unter uns, mit dem Architekturstudium begann. Er konnte direkt in Stanhope Gardens einziehen, weil ich im Sommer wieder zurück nach Hampstead gezogen war. Denn wenn ich am Poly bleiben wollte – und das wollte ich damals eigentlich – musste ich eindeutig mehr dafür tun. In Stanhope Gardens kam man einfach nicht zum Lernen.

Bob galt zu Recht als guter Gitarrist. Mit ihm in einen Gitarrenladen zu gehen, war ein Vergnügen: Selbst die hochnäsigsten Verkäufer gerieten ins Staunen, wenn er mit flinken Fingern Jazzakkorde à la Mickey Baker hervorzauberte. Zu unserem Leidwesen gab er allerdings den konservativeren halbakustischen Gitarren den Vorzug vor der Fender Stratocaster. Bob stärkte unser musikalisches Selbstvertrauen, doch nachdem Keith Noble und Clive Metcalf sowohl das Poly als auch die Band verlassen hatten, brauchten wir vor allem dringend einen Sänger. Die Cambridge-Connection funktionierte auch in diesem Fall: Über Bob kamen wir an Chris Dennis. Er war etwas älter als der Rest von uns und hatte in Cambridge schon bei ein paar guten Bands mitgemacht. Chris arbeitete als Zahnarzthelfer auf einem Armeestützpunkt in Northolt. Ein Auto hatte er nicht (fahren durfte immer ich – weiterhin mit dem Austin »Chummy«), dafür aber besaß er ein Vox-PA-System mit zwei Türmen und einem separaten Verstärker mit individuellen Mikrofoneingängen. Falls nötig, konnten wir auch die Gitarren daran anschließen. Dieses Equipment brachte Chris natürlich automatisch die Stellung als Sänger ein.

Als Frontmann der Band, die sich mittlerweile »Tea Set« nannte, zeigte Chris leider eine unselige Neigung zu schwachsinnigen Ansagen und hielt sich mehr als einmal seine Mundharmonika als Hitlerschnurrbärtchen vors Gesicht, um dann zu erklären: »Tut mir Leid, Leute«. Wäre Chris dabeigeblieben, bis sich The Floyd (wie allgemein behauptet wird) zum Liebling der Londoner Underground-Intelligenzija mauserte, hätten uns solche Angewohnheiten vermutlich Scherereien eingebracht.

Doch Chris hielt sich nur kurz – bis Syd Barrett dauerhaft einstieg. Roger kannte ihn aus Cambridge, Rogers Mutter hatte ihn in der Grundschule unterrichtet, und er war eigentlich schon vor seinem Studium am London Camberwell College of Art fest bei uns eingeplant. Syd musste keine Band auftun, er stieß einfach dazu. Bob Klose erinnert sich noch genau an die Probe, die das Schicksal von Chris Dennis besiegelte: »Es war auf dem Dachboden von Stanhope Gardens. Chris, Roger, Nick und ich arbeiteten an ein paar damals gängigen R&B-Nummern. Syd kam spät, hörte still von der Treppe aus zu und sagte danach: »Ja, klang echt toll, aber ich wüsste nicht, was ich dabei sollte?«

Trotz seiner Zweifel hatten wir alle das Gefühl, er würde gut in die Band passen. Was bedeutete, dass die Tage von Chris Dennis und seinem PA-System gezählt waren. Nachdem Bob ihn rekrutiert hatte, sollte er, so entschied Roger, ihn auch von seiner Entlassung in Kenntnis setzen. Was er dann von einem Münztelefon an der U-Bahn-Station Tottenham Court Road aus auch tat. Dabei stellte sich heraus, dass Chris ohnehin bereits ins Ausland versetzt worden war. Und so wurde Syd, auch weil wir schlicht niemand anderen hatten, unser neuer Leadsänger.

Ich fand Syd auf Anhieb sehr gewinnend, nicht so pubertär und verkrampft »cool« wie viele andere zu jener Zeit, sondern offen und kontaktfreudig; ich werde nie vergessen, wie er bei unserem ersten Treffen einfach auf mich zukam und sich vorstellte.

Von der ganzen Cambridge-Clique hatte Syd vermutlich die lockerste und liberalste Erziehung genossen. Sein Vater Arthur, der im Krankenhaus und an der Uni als Pathologe tätig war, und seine Mutter Winifred hatten seine musikalischen Ambitionen stets unterstützt. Die Mitglieder von Syds ersten Bands waren in seinem Elternhaus zu Proben nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich willkommen. Das war für Eltern in den frühen Sechzigern ziemlich fortschrittlich. Neben der Musik zeigte Syd schon in der Cambridge County High School Interesse und Talent für Malerei und begann kurz nach dem Tod seines Vaters mit dem Kunststudium an der Cambridge Tech. Dort traf er einen alten Bekannten wieder, David Gilmour, der neue Sprachen studierte. Die beiden verstanden sich gut, fanden sich mittags mit Gitarre und Mundharmonika zu Jamsessions zusammen und trampten später einen Sommer lang als Straßenmusiker durch Südfrankreich.

Syd hieß nicht immer Syd – getauft war er auf Roger Keith, doch irgendwann lernte er beim »Riverside Jazz Club« in einer Kneipe in Cambridge einen der Stammgäste kennen, einen Drummer namens Sid Barrett. Die Jazzer gaben dem frisch eingetroffenen Barrett auf der Stelle den Spitznamen »Syd«, wohlgemerkt mit »y«, damit es nicht zu verwirrend wurde. Und das war der Name, unter dem wir ihn kannten.

In Storm Thorgersons Erinnerung war Syd ein interessantes – wenn auch nicht unbedingt das interessanteste – Mitglied einer Freundesclique begabter junger Leute aus Cambridge, die sich alle für die Eleganz und Kultur der Stadt und des Umlands begeisterten. Syd sah gut aus, war charmant, witzig, konnte ein wenig Gitarre spielen und rauchte hier und da einen Joint. Mit seinem Eintritt in unsere Londoner Band waren zunächst absolut keine musikalischen Umwälzungen verbunden. Syd war durchaus zufrieden mit den Coverversionen von R&B, Bo Diddley und den Stones, die den Großteil unseres Repertoires ausmachten. Und er verehrte die Beatles, erinnert sich Storm – zu einer Zeit, in der die meisten seiner Freunde eher auf die Stones standen.

Stanhope Gardens löste unsere Probleme, was das Proben betraf – und das Poly bot sich als Auftrittsort förmlich an. Meinem Eindruck nach mussten wir auf dem College richtig ackern. Der Studiengang Architektur verlangte eine Menge Extraarbeit, und so verbrachten wir die Abende, ob im Elternhaus oder später in eigenen Unterkünften, brav mit Lernen – oder bemühten uns wenigstens darum, trotz aller Ablenkungen. In der Woche gingen wir kaum je in Klubs oder Bars, bloß freitags war Kneipentour angesagt. Und am Wochenende gab es regelmäßig irgendwelche Veranstaltungen im Poly, in einem Saal mit Turnhallenatmosphäre, auf dessen Bühne immer mal wieder auch Theater gespielt wurde. Bei den Studentenpartys kamen die neuesten Hits (in ohrenbetäubender Lautstärke) vom Plattenspieler, gelegentlich wurde aber auch eine Liveband engagiert.

Als einzige hauseigene Band brachten wir es gelegentlich bis zur Vorgruppe – ein echter Fortschritt, für den wir uns bestimmt mächtig ins Zeug gelegt hatten. Falls wir etwas dafür bezahlt bekamen, dann sicherlich nicht viel; die Aussicht, tatsächlich zu spielen, war schon Kick genug. Der Auftritt selbst bereitete uns keine Bauchschmerzen, schließlich sollten wir da nur ein paar tanzbare Coverversionen abliefern, aber wie professionell die Main Acts auch auftraten, es haute uns vom Hocker – und machte uns noch deutlicher, welche Abgründe zwischen Leuten, die vom Musikmachen lebten, und Teilzeit-Studentenbands wie der unseren lagen.

Ich erinnere mich vor allem an einen Auftritt als Vorgruppe für die Tridents, bei denen damals Jeff Beck als Leadgitarrist spielte. Sie waren Jeffs erste kommerziell wirklich ernstzunehmende Band und hatten schon einen ziemlich guten Namen; immerhin wechselte Jeff von ihnen – als Nachfolger von Eric Clapton – zu den Yardbirds und festigte seinen Ruf als großer Bluesrockgitarrist, der aber auch so einen Partykracher wie ›Hi Ho Silver Lining‹ schreiben konnte.

Um Weihnachten 1964 vermittelte ein Freund von Rick, der in einem Tonstudio in West Hampstead arbeitete, unseren ersten kostenlosen Aufnahmetermin. Wir spielten ›I’m A King Bee‹, einen alten R&B-Klassiker, und drei Songs ein, die Syd geschrieben hatte: ›Double O Bo‹ (eine Mischung aus Bo Diddley und der Titelmusik zu James Bond), ›Butterfly‹ und ›Lucy Leave‹. Diese Aufnahmen, auf 1/4 Zoll-Tonband und in limitierter Plattenpressung, waren der Grundstock unserer Demos und für uns von unschätzbarem Wert, da viele Veranstalter erst nach so etwas fragten, bevor sie eine Band zum Vorspiel einluden.

Witzigerweise übernahm um diese Zeit eine Truppe namens Adam, Mike & Tim einen Song von Rick, ›You’re The Reason Why‹, als B-Seite ihrer Single ›Little Baby‹. Rick wurde mit einem Vorschuss von 75 Pfund abgespeist, Jahre bevor irgendwer von uns wusste, was »Abzocke« eigentlich bedeutete ...

Im Frühjahr 1965 traten wir öfter im Countdown Club auf, einem Kellerlokal in Palace Gate, nicht weit von der Kensington High Street. Über dem Club befand sich ein Hotel oder ein Wohnblock, was natürlich wieder zu Problemen wegen Lärmbelästigung führte. Der Countdown Club hatte kein spezielles Dekor und keine sonderlich stimmungsvolle Atmosphäre. Er war schlicht eine Musikkneipe, die Besucher waren relativ jung und die Drinks ziemlich billig. Die Besitzer machten keine Reklame und setzten wohl eher darauf, dass Gruppen wie wir einen Haufen Freunde zur Unterstützung mitbrachten, die dann an der Clubbar für Umsatz sorgten.

Wir spielten – mit diversen Pausen – ungefähr von neun Uhr abends bis zwei Uhr morgens. Drei Sets à 90 Minuten – das hieß, dass wir gegen Ende des Abends anfingen, Songs zu wiederholen, wenn uns die Nummern ausgingen und der Alkohol das Kurzzeitgedächtnis des Publikums ausreichend getrübt hatte. Außerdem kamen wir zu der Erkenntnis, dass sich die Stücke durch ausufernde Soli strecken ließen. Allmählich verfügten wir über eine größere Bandbreite an Songs und auch über eine kleine, aber treue Fangemeinde. Nach zwei oder drei erfolgreichen Abenden, an denen wir mit Verstärkern spielten, wurde der Club wegen Lärmbelästigung angezeigt. In unserer Verzweiflung (zu der Zeit waren das unsere einzigen bezahlten Auftritte) boten wir an, unplugged zu spielen. Roger trieb irgendwo einen Doublebass auf, Rick staubte das Klavier ab, Bob und Syd spielten Akustikgitarre, und ich hantierte mit Jazzbesen. Aus unserem Repertoire erinnere ich mich noch an ›How High The Moon‹, eins von Bobs Paradestücken, und an ›Long Tall Texan‹. Die anderen Nummern sind lange vergessen.

Zugleich versuchten wir noch auf zwei anderen Wegen Karriere zu machen. Ein Club namens Beat City suchte Bands als Vorgruppe, und zwar per Anzeige im Melody Maker, dem Wochenmagazin, das bis zu seiner Einstellung im Jahr 2000 Musiker und Auftritte vermittelte (»Ausgebildeter Akkordeonspieler...« war jahrelang der Auftakt). Wir sahen die Anzeige und machten uns auf den Weg zum Beat Club, spielten eine Reihe Eigenkompositionen vor – und fielen durch.

Dann probierten wir es bei Ready Steady Go!, der angesagtesten Musikshow jener Tage, in der coole junge Menschen zur Musik von coolen jungen Bands tanzten. Sie lief auf ITV, einem damals noch ziemlich neuen kommerziellen Sender, der ein bisschen radikaler sein durfte als die BBC. Leider fanden selbst die Produzenten von Ready Steady Go! uns einen Touch zu radikal für den durchschnittlichen Betrachter und schlugen uns vor, es ein ander Mal mit bekannteren Songs zu versuchen. Aber zumindest hatten sie ein gewisses Interesse gezeigt und waren so anständig, uns als Zuschauer für die nächste Sendung einzuladen: Grund genug für mich, in der Carnaby Street eine schwarzweiße Hüfthose mit Schlag in Hahnentrittmuster zu kaufen, wie man sie im Publikum häufig sah, das da vor den Kameras herumzappelte. Außerdem war es eine Gelegenheit, Bands wie die Rolling Stones und Lovin’ Spoonful live zu sehen.

Eine weitere Superidee, um unsere Karriere in Gang zu bringen, waren Rockwettbewerbe. An zweien nahmen wir teil. Der eine war eine Lokalveranstaltung im Country Club von North London. Wir hatten dort schon ein paar Mal gespielt, verfügten mittlerweile über ein Häuflein Fans und schafften es deshalb ohne größere Schwierigkeiten bis ins Finale. Dann jedoch standen wir vor einem Dilemma. Wir hatten uns nämlich auch für eine größere Veranstaltung des Melody Maker, den so genannten »Beat Contest«, beworben (Beat war in diesem Jahrzehnt ein reichlich überstrapazierter Begriff) und dazu unser Demoband eingeschickt, zusammen mit Fotos von der Band, aufgenommen im Garten hinter Mikes Haus, wo wir uns einheitlich in Hemden mit Stehkragen und blauen, italienischen Strickkrawatten präsentierten.

Demoband und Strickkrawatten taten offensichtlich ihre Wirkung. Wir wurden zum Wettbewerb zugelassen – und stellten fest, dass die erste Runde exakt an demselben Abend ausgetragen wurde wie das Finale im Country Club. Das Finale ließ sich nicht verschieben, die Vorrunde aber ebenso wenig, denn hinter dem Wettbewerb des Melody Maker steckte ein raffiniertes System, bei dem Promoter damit Geld machten, der Gefolgschaft jeder Band ein gewisses Quantum an Karten zu verkaufen und ihnen so Einfluss auf den Ausgang der Wahl zu verschaffen. Schließlich tauschten wir mit der Band, die eigentlich als Erste auf die Bühne gehen sollte: zweifellos der unglücklichste Termin (und dass auf unserem Transparent »Pink Flyod« stand, machte die Sache auch nicht besser). Die Band, die dann später statt uns spielte, hieß St Louis Union und gewann zu ihrem fassungslosen Staunen nicht nur diesen, sondern später auch noch den nationalen Wettbewerb. Nach unserem Auftritt rasten wir zum Country Club, wo wir wegen unseres späten Eintreffens disqualifiziert wurden. Also durfte sich eine Band namens Saracens als Sieger huldigen lassen und die Gelegenheit zum Karrieresprung beim Schopf packen.

Auf Drängen sowohl seines Vaters als auch seiner Collegedozenten verließ uns Bob Klose im Sommer 1965 und spielte nur noch heimlich ein paar Mal mit. Obwohl wir mit ihm unseren wohl fähigsten Musiker verloren hatten, erschien uns das nicht als schwerer Rückschlag. Diese bemerkenswerte Weitsicht – oder war es schlicht mangelnde Phantasie? – wurde uns dann irgendwie zur Gewohnheit.

Ich fing ein einjähriges Praktikum in Guildford an, wo Lindys Vater, Frank Rutter, sein Architekturbüro betrieb. Es ist Roger zu verdanken, dass ich im Studium überhaupt so weit gekommen war – er half mir durch die Untiefen der höheren Mathematik und Statik, als ich zum zweiten Mal durchzufallen drohte. Roger selbst hingegen musste, trotz positiver Bewertung durch einen externen Prüfer, noch ein Jahr anhängen und sollte in dieser Zeit praktische Erfahrungen sammeln. Das war wohl die verspätete Reaktion der Dozenten auf die Verachtung, die er sie seit langer Zeit schon spüren ließ, und auch auf sein nachlassendes Interesse am Besuch von Vorlesungen. Der Beschluss war entweder die pure Rache oder, was durchaus zutreffen mochte, sie brauchten einfach mal eine Pause von Roger.

Frank war ein rechtschaffener, praxisorientierter Architekt, der aber auch die neuen Strömungen bewunderte und ein gutes Gespür für Baukultur und -geschichte hatte. Eine Art Rollenvorbild, dem ich vielleicht nachgeeifert hätte, wäre ich bei der Architektur geblieben. Er hatte in Sierra Leone vor Kurzem eine Universität gebaut und fing nun mit der Arbeit an einer weiteren Uni an, diesmal in Britisch-Guayana. Dabei sollte ich ihm als jüngster aller Jungpraktikanten zur Hand gehen: eine ziemlich bescheidene Aufgabe, die mir jedoch alsbald vor Augen führte, dass ich nach drei Jahren Architekturstudium nicht die leiseste Ahnung hatte, wie die Entwürfe vom Zeichenbrett in die Realität umzusetzen waren. Das gab meinem Selbstvertrauen doch einen gewissen Knacks.

Wohnen konnte ich bei Frank in Thursley, südlich von Guildford; das Haus bot ausreichend Platz sowohl für Franks Riesenbüro als auch für die vielen Besucher aus dem Familien- und Freundeskreis. Das Gelände drumherum war so weitläufig, dass wir in der Mittagspause auf dem Rasen gepflegt Krocket spielen konnten. Frank hat das Haus später verkauft, und zwar zufällig an Roger Taylor, den Drummer von Queen.

Den ganzen Herbst hindurch traten wir weiter auf, meistens als »Tea Set«, aber es gab mittlerweile auch einen anderen Namen, der auf Syds Konto ging. Wir spielten, eben als »Tea Set«, auf einem Armeestützpunkt, wahrscheinlich in Northolt, nicht weit von London – und stellten fest, dass doch wahrhaftig noch eine andere Band auftreten sollte, die ebenfalls »Tea Set« hieß. Ich weiß nicht mehr, ob sie Vorrang hatte, weil sie zuerst oder später dran war, aber jedenfalls mussten wir uns sofort eine Alternative ausdenken. Syd überlegte nicht lange und schlug »Pink Floyd Sound« vor, nach den Vornamen von zwei Bluesveteranen, Pink Anderson und Floyd Council. Wir hatten die Namen wohl schon mal auf irgendwelchen Bluesimporten gesehen, aber sonderlich vertraut waren sie uns nicht; es war wirklich Syds Idee. Und sie hielt sich.

Es ist schon erstaunlich, wie sich so eine Spontanentscheidung zu einer festen Einrichtung – mit langfristigen und weit reichenden Auswirkungen – entwickeln kann. Die Rolling Stones kamen in einer ziemlich ähnlichen Situation zu ihrem Namen: die Jazz News wollten von Brian Jones wissen, wie die Band denn hieße, und sein Blick fiel auf den Titel ›Rollin’ Stone Blues‹, ein Stück auf einem Album von Muddy Waters. Ein Name, der dann über Jahrzehnte vermarktet und in Anklängen und Wortspielen zitiert wird. In unserem Fall war es, als wir zu einer der Hausbands des Underground wurden, ein Glück, dass die abstrakte Kombination aus Pink und Floyd vage ins Psychedelische wies, wie es ein Name à la Howlin’ Crawlin’ King Snakes wohl nicht vermocht hätte.

Ab und zu wurden wir tatsächlich auch zu bezahlten Auftritten außerhalb von London angeheuert. Einmal spielten wir bei einer Veranstaltung in High Pines, einem großen Landhaus in Esher, Surrey, und im Oktober 1965 in Cambridge auf einer Riesenparty zum 21. Geburtstag von Storm Thorgersons Freundin Libby January und ihrer Zwillingsschwester Rosie. An jenem Abend traten neben uns auch noch die Jokers Wild (mit einem gewissen David Gilmour als Frontmann) und ein junger Folksänger namens Paul Simon auf. In Storms Erinnerung zeigten sich auf dieser Party deutlich die Lager, in die die Generationen damals gespalten waren. Libbys Eltern hatten die Party organisiert und einen Haufen Freunde dazu eingeladen, die in dunklen Anzügen und Cocktailkleidern erschienen. Libbys und Rosies Freunde hingegen, hauptsächlich Studenten, trugen wallende Proto-Hippiegewänder und drehten ihre Musik gern voll auf. Kurz danach bot Libbys Vater, dem der junge Thorgerson schon lange ein Dorn im Auge war, Storm tatsächlich einen Blankoscheck an, damit er verschwand – und zwar auf Dauer.

Unser nächster bedeutender Durchbruch – im Nachhinein betrachtet – war der erste Auftritt im Marquee im März 1966. Bis dahin kannte man uns zum einen wegen Syd, unserem Frontmann, und weil wir bei den faszinierenden Licht- und Tonexperimenten am Hornsey College mitmischten. Auf unserem Demoband hatten wir höchstens vier oder fünf eigene Songs, und die meisten davon stammten noch von der Studioaufnahme in Broadhurst Gardens.

Das Einzige, was einen größeren Kreis auf uns aufmerksam gemacht haben könnte, war unser Auftritt beim Wohltätigkeitsball der Essex University. Angekündigt waren neben uns noch die Swinging Blue Jeans, die auch kamen, und Marianne Faithfull, die kommen sollte – sofern sie es schaffte, rechtzeitig aus Holland wieder da zu sein. Es sah nicht danach aus. Um diese Zeit nannten wir uns immer noch »Tea Set«, hatten aber offenbar bereits den Eindruck erweckt, dass wir uns eher in die psychedelische Richtung bewegten, denn trotz ›Long Tall Texan‹, das wir wie eh und je zu akustischer Gitarrenbegleitung sangen, hatte jemand für unseren Auftritt einen Filmprojektor und eine Lightshow mit Öldias organisiert. Vermutlich hat irgendeiner der Anwesenden dem Marquee hinterher den Tipp gegeben, es doch mal mit uns zu versuchen ...

Das Engagement im Marquee betrachteten wir als die große Gelegenheit, einen Fuß in die Tür der Klubszene zu bekommen, hörten dann allerdings, dass es sich um eine Privatveranstaltung handelte, die mit dem eigentlichen Club überhaupt nichts zu tun hatte. Sie fand an einem Sonntagnachmittag statt – eine Zeit, um die sich kein Stammgast des Marquee jemals dort eingefunden hätte.

Ich fand den ganzen Event ziemlich seltsam. Normalerweise spielten wir auf R&B-Partys, bei denen jeder ein Fässchen Bitterbier mitbrachte, und plötzlich waren wir Teil eines »Happenings« und sollten ausdrücklich diese ewig langen Soli spielen, die wir bei unseren Auftritten im Countdown Club doch nur eingebaut hatten, um Zeit zu schinden. Die Organisatoren fragten, ob wir nicht noch bei weiteren derartigen Sonntagnachmittagen im Marquee mitmachen wollten, die dann später als »Spontaneous Underground« bekannt wurden. Eine glückliche Fügung, denn sonst hätten wir Peter Jenner wohl niemals kennen gelernt.

Peter hatte eben sein Studium in Cambridge abgeschlossen, war während seiner ganzen Unizeit aber nie einem Mitglied der Pink-Floyd-Meute begegnet (die Talarträger hielten sich damals noch fern vom gemeinen Volk). Er unterrichtete Soziologie und Wirtschaft im Fachbereich Sozialarbeit an der London School of Economics und mischte außerdem bei einem Plattenlabel namens DNA mit. Als »absoluter Musikfreak«, so seine Worte, interessierte er sich vor allem für Jazz und Blues und hatte DNA zusammen mit John Hopkins, Felix Mendelssohn und Ron Atkins auf die Beine gestellt, als Plattform für ihre breit gestreuten musikalischen Vorlieben: »Wir wollten ein Avantgardeding machen, Avantgarde in jedem Bereich, ob Jazz, Folk, Klassik oder Pop.«

Eines Sonntags kurz vor Semesterende verspürte Peter, nachdem er einen Berg Seminararbeiten korrigiert hatte, das dringende Bedürfnis, ein bisschen frische Luft zu schnappen. Sein Weg führte ihn vom LSE in Holborn zum Marquee Club in der Wardour Street; dass dort ein privater Gig stattfand, wusste er von einem Bekannten namens Bernard Stollman, dessen Bruder Stephen ESP betrieb, ein amerikanisches Label mit künstlerischem Anspruch, das beispielsweise die Fugs unter Vertrag genommen und Anstöße zur Gründung von DNA gegeben hatte.

Peter erinnert sich: »DNA hatte mit der freien Improvisationsgruppe AMM in der Denmark Street innerhalb von einem Tag ein Album aufgenommen, zu lausigen Bedingungen: zwei Prozent Beteiligung, von denen die Studiomiete und vermutlich auch die Künstler bezahlt werden mussten. Als studierter Ökonom kam ich zu der Schlussfolgerung, dass zwei Prozent von einem Album zu 30 Shilling gerade mal sieben Pence waren und sehr, sehr viele sieben Pence nötig wären, um 1000 Pfund zu verdienen, was damals meine Vorstellung von einem ordentlichen Vermögen war. Wenn es mit DNA funktionieren sollte, dachte ich, dann brauchen wir eine Popband. Und da hörte ich eben an jenem Sonntag Pink Floyd Sound im Marquee Club. Das ›Sound‹ in ihrem Namen fand ich ziemlich schwach.

An die Show erinnere ich mich noch ganz genau. Die Band spielte hauptsächlich R&B, Sachen wie ›Louie Louie‹ und ›Dust My Broom‹, die damals alle drauf hatten. Die Texte verstand ich nicht, aber das war zu der Zeit ganz normal. Was mich jedoch faszinierte, war, dass sie in der Mitte ihrer Stücke keine jammernden Gitarrensoli brachten, sondern diese komischen Geräusche machten. Eine Zeitlang kam ich nicht drauf, was es war. Und dann stellte sich raus, dass sie von Syd und Rick kamen. Syd hatte seine Binson Echorec und machte verrückte Sachen per Rückkopplung. Und Rick produzierte ebenfalls ganz seltsame, lang gezogene, wabernde Akkorde. Nick verwendete Holzhämmer. Damit hatten sie mich. Das war echte Avantgarde! Gebongt!«

Peter nahm über Bernard Stollman Kontakt mit uns auf. Er kam extra nach Stanhope Gardens, um uns kennen zu lernen: »Roger öffnete mir die Tür. Alle anderen waren verreist, weil das Semester schon zu Ende war. Also einigten wir uns darauf, uns im September zu treffen. Das Plattenlabel war ja nur so eine Spielerei von mir, ein Hobby, deshalb konnte ich ohne Weiteres abwarten. Roger hatte nicht gesagt, ich solle mich verpissen, sondern einfach bloß: ›Also dann bis September‹ ...«

Ich war damals zum ersten Mal in Amerika, als Rucksacktourist – keine musikalische Wallfahrt, sondern eine architektonische Bildungsreise zu einigen der großartigen Bauwerken der Neuen Welt. Außerdem absolvierte Lindy um diese Zeit eine Ausbildung bei der Martha Graham Dance Company in New York und hatte im Sommer ein paar Wochen frei – ein weiterer guter Grund, über den großen Teich zu fliegen (Juliette, Ricks Freundin, war zufällig auch gerade in der Gegend).

Eine PanAm 707 brachte mich nach New York, wo ich ein paar Wochen in Kultur und Architektur schwelgte – Guggenheim-Museum, MOMA, Lever Building –, mich aber auch in der Musikszene tummelte. Ich sah die Fugs live, erlebte Jazzgrößen wie Mose Allison und Thelonious Monk im Village Vanguard und den anderen Jazzklubs in Greenwich Village und verbrachte so manche Stunde in Plattenläden. Damals war vieles noch nicht als Import erhältlich, und die festen amerikanischen Plattenhüllen waren bei uns sehr viel begehrter als ihre lappigen britischen Gegenstücke.

Danach kauften Lindy und ich ein 99-Dollar-Ticket, mit dem wir drei Monate lang unbeschränkt sämtliche Greyhound-Busse benutzen konnten, und begaben uns auf eine – für uns – gigantische Reise über 3000 Meilen von der Ost- zur Westküste, bis auf ein paar Stopps zum Auftanken von Mensch und Maschine ohne Unterbrechung. Im Bus lernten wir ein frisch verheiratetes amerikanisches Pärchen kennen – der junge Ehemann war nach Vietnam abkommandiert, was uns 1966 wenig sagte; die volle Bedeutung wurde mir erst später schlagartig klar, und ich frage mich von Zeit zu Zeit immer noch, ob er wohl überlebt hat.

Es war noch nicht der »Summer of Love«, San Francisco noch nicht die Hippiehochburg der Welt und Haight-Ashbury nichts weiter als eine schlichte Kreuzung. Die Stadt lud eher zu Besichtigungstouren (Ausflüge nach Alcatraz) und leckeren Meeresfrüchten ein. Von dort fuhren wir mit dem Greyhound nach Lexington, Kentucky, wo wir mit einem Freund aus dem Poly, Don McGarry, und seiner Freundin Deidre verabredet waren. Don hatte drüben einen Cadillac gekauft, geschätztes Baujahr 1958, dessen Bremsen nicht mehr ganz zuverlässig funktionierten, was die Fahrt über die Bergpässe ziemlich spannend gestaltete. Wir fuhren mehr oder weniger direkt – mit kleinen architektonischen Abstechern – nach Mexiko City, kämpften uns durch und weiter bis Acapulco, wo um diese Zeit, außerhalb der Saison, alles sensationell billig war: Ein Doppelzimmer kostete einen Dollar pro Nacht. Eine weitere epische Reise führte uns zurück nach Lexington, von wo ich via New York den Heimflug antrat.

»Pink Floyd Sound« war mir auf der Reise nur selten in den Sinn gekommen. Für mich würde es ab September mit der akademischen Tretmühle wie gewohnt weitergehen, so dachte ich. Doch dann fiel mir in New York zufällig eine Ausgabe des East Village Other in die Hände, mit einem Artikel über aufstrebende neue Bands in London, unter anderem auch – Pink Floyd Sound.

Uns so fern der Heimat ausdrücklich und namentlich erwähnt zu finden, ließ mich die Band aus einer neuen Perspektive betrachten. Ich war jung und rührend naiv, ich glaubte alles, was in der Zeitung stand und kam deshalb zu der Überzeugung, dass wir wohl doch noch mehr konnten, als nur zu unserem eigenen Vergnügen zu spielen.

Inside Out

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