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II Ankartho, Kloster von Isilanthe, Groß-Gormoryn

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Der dumpfe, durchdringende Klang des großen schwarzen Gongs riss Ankartho aus seiner tiefen Meditation. Der junge Mann blinzelte und versuchte, das Geräusch zu ignorieren. Doch es erklang erneut. Er spürte, wie eine Mischung aus Ärger und Neugier in ihm aufstieg. Wieso, bei den Ahnen, rief Ogas Nim ausgerechnet jetzt die Klostergemeinschaft zusammen? Es war früher Nachmittag, die Zeit, in der sich jeder im Tempel zurückzog, um etwas Zeit mit sich selbst zu verbringen, seine Gedanken zu ordnen oder etwas zu schlafen. Ankarthos Muskeln brannten noch immer. Die langen Vormittage, die die Bewohner des Klosters mit Waffenübungen verbrachten, waren recht anstrengend, besonders für die Novizen des Ordens, die in endlosen Wiederholungen ihre Kampftechniken, ihre Ausdauer und ihre Balance und Beweglichkeit trainierten. Sechsundvierzig Brüder und Schwestern lebten in Isilanthe, von denen viele bereits graue oder sogar weiße Haare hatten. Mit seinen vierundzwanzig Sommern war Ankartho einer der Jüngeren hier.

Er blickte auf seine Hände herab. In einem davon lag ein junges, grünes Wabeeki-Blatt, das er von einem der Bäume im Klostergarten abgerissen hatte. Er seufzte, schloss die Hand darum und konzentrierte sich. Sofort durchströmte neue Kraft seinen Körper. Es war nicht viel, doch das Gefühl brachte ihn dennoch zum Lächeln. Als er sich erhob, rieb er seine Hände aneinander und etwas Trockenes, Bräunliches rieselte auf den Boden.

Ankartho trat vor den Spiegel und betrachtete sich. Den schüchternen, stillen Jungen, der vor sechs Jahren nach Isilanthe gekommen war, erkannte er darin nicht mehr. Stattdessen blickte ihm ein durchtrainierter, hochgewachsener junger Mann mit schulterlangem, schwarzem Haar entgegen. Sein linkes Auge war vollkommen schwarz, die Iris des rechten hatte die Farbe von Moos auf feuchtem Stein. Unwillkürlich musste Ankartho lächeln.

Er erinnerte sich noch allzu gut daran, wie ihn sein Vater hatte rufen lassen. Damals, in der Fackelhalle von Borshera, hatte er Ogas Nim zum ersten Mal gesehen. Einen breitschultrigen, untersetzten Ishiden, der sein Haupthaar bis auf einen einzelnen, geflochtenen Zopf ausrasiert hatte. In einem einfachen Wickelgewand hatte er vor seinem Vater gestanden, dem mächtigen Flusskönig des Mukhet und ihm von der Wichtigkeit der ehrenvollen Aufgabe erzählt, die zu erfüllen seine Söhne auserwählt worden waren.

Doch der König hatte Ogas Nim nur Ankartho mitgegeben.

Seinen vierten Sohn, den der Herrscher ohnehin hatte loswerden wollen, da er ihn dann nicht mehr durchfüttern musste. Ankartho war sicher, dass seinem Vater das Angebot des Ordens der Sheren Zay, der Tränenwächter, nur allzu gelegen gekommen war. Doch heute war ihm das egal. Er hatte seinen Platz in der Welt gefunden. Einen, den ihm niemand missgönnte, neidete oder wegnehmen wollte. Und er würde, solange Leben in ihm war, alles dafür tun, ihn zu behalten.

Der Orden der Sheren Zay war uralt. Jahrtausende, wie man den alten Schriften in den Archiven Isilanthes entnehmen konnte. Und es entsprach der Wahrheit, dass jedes Mitglied von den Obersten ausgesucht worden war. Jedoch folgte längst nicht jeder, der erwählt war, den Zielen des Ordens zu dienen, auch dessen Ruf.

In den letzten sechs Jahren hatte Ankartho in Isilanthe fünf Sprachen gelernt, sowie den Umgang mit Federschwert, Dolch und Kampfspeer. Die Lektionen begannen bei Sonnenaufgang und endeten erst bei Sonnenuntergang. Nur jeden siebten Tag wurde man davon befreit, um andere Arbeiten im Kloster verrichten zu können. Ein hartes, mühevolles Leben, doch es lohnte sich. Vor allem, wenn man die letzte Stufe der Ausbildung erreichte und durch den Trank, den man Hel Hanesh nannte, die Tür der Verwandlung, zu einem wahren Wächter der Tränen wurde. Erst danach konnte man das Idh, die Energie, die allem innewohnte, das lebte, an sich ziehen. Erst dann konnte man lernen, es in Bahnen zu lenken und es im Kampf einzusetzen, zur Selbstheilung, um schneller zu sein, besser zu sehen und zu hören und vieles mehr. Doch hatte dies natürlich eine Kehrseite. Denn wem oder was man auch immer das Idh entzog, verdorrte und starb. Darum, so lehrte Ogas Nim, kam mit der Fähigkeit, das Idh zu nutzen, auch eine große Verantwortung. Niemals, so der Lehrmeister, sollte dies leichtfertig geschehen.

Ein lautes Klopfen an der Tür holte Ankartho aus seinen Tagträumen.

»Schläfst du?!«, fragte jemand. Das war die Stimme von Zenastro, dessen Zelle einige Türen weiter auf demselben Korridor lag. »Es hat schon dreimal geläutet!«

»Geh ruhig voraus!«, gab Ankartho zurück. »Ich komme gleich!« Den sich entfernenden Schritten nach hatte dies als Antwort genügt. Zenastro wollte offenbar nicht als Letzter in die Halle der Versammlung kommen. Und Ankartho wollte dies ebenso wenig.

Eilig band sich der junge Mann sein Haar mit einem Lederriemen zu einem Pferdeschwanz zusammen und zog seine dunkle Leinenkleidung zurecht. Dann schlüpfte er in seine Stiefel und band sich seinen Stoffgürtel um die Hüfte, in den er sein Federschwert und seinen Dolch steckte, die Symbole seines Status als Wächter der Tränen.

So ausgestattet verließ Ankartho seine kleine Zelle im Wohnflügel des massigen Klosterbaus und machte sich auf den Weg zur Versammlungshalle des Klosters.

Dabei passierte er offene Türen, die zu leerstehenden Zellen führten. Hunderte mussten es sein, die schon seit langer Zeit nicht mehr bewohnt waren. Ganze Stockwerke in dem uralten Bauwerk standen leer und es mussten bereits große Mühen unternommen werden, um der fortschreitenden Baufälligkeit Einhalt zu gebieten. Niemand sprach es aus, aber jeder wusste es: Der Orden war früher einmal deutlich größer gewesen und heute eigentlich nur noch ein Schatten seiner selbst. Eine Tatsache, die Ankartho angesichts ihrer Aufgabe sehr beunruhigte.

Wenig später erreichte er die Halle der Versammlung, einen mehrere Stockwerke hohen Kuppelsaal, dessen Decke sich in der Mitte zu einem Längsgiebel verjüngte. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt, auf denen bereits die Mehrheit der Ordensmitglieder im Schneidersitz platzgenommen hatte. An der Stirnseite des Saals, vor dem alten, fleckigen Gobelin, der einen Wächter in Kampfstellung zeigte, standen Ogas Nim, sein Stellvertreter Falin und über ein Dutzend weitere der älteren Ordensleute. Neben ihnen erhob sich der drei Schritte hohe Gong, mit dem die Versammlung eingeläutet worden war.

Langsam begab sich Ankartho nach vorn und setzte sich zu den Ordensmitgliedern, die er seine Freunde nannte. Da war Sanholi, einer von siebzehn Söhnen eines Herrschers aus dem Schilfmeer weit im Südwesten. Ebbeba, der behauptete, ein Bastard König Kolgmars von der Insel Hakhe zu sein. Und Niftha, eine Shaozhin aus dem Hause Oshirugashai, das über einen Teil der Perleninseln des Türkismeeres herrschte.

Alle hier hatten königliches Blut in sich. Das war die Grundvoraussetzung, um in den Orden aufgenommen zu werden.

Seine drei Freunde nickten Ankartho zu, als er sich neben ihnen niederließ. Auch sie schienen neugierig, was der Grund ihrer Zusammenkunft war, denn sie sprachen kaum etwas, sondern blickten unruhig nach vorn. Die Stimmung war ernst, fast schon angespannt.

Ein paar Augenblicke später, als sich endlich der letzte Bewohner des Klosters zu ihnen gesellt hatte, trat Ogas Nim vor und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Schlagartig verstummten alle Gespräche und die Anwesenden wandten ihre Aufmerksamkeit dem Ishiden zu, dessen Gesicht viel ernster wirkte, als zu manch anderer Gelegenheit zuvor.

»Brüder und Schwestern!«, hob er mit seiner kräftigen Stimme zu sprechen an. »Wir haben euch zusammengerufen, weil in der Welt dort draußen beunruhigende Dinge vor sich gehen. Es scheint, als sei die Zeit gekommen, unserem Schicksal gegenüber zu treten!«

Er begann, ein paar Schritte hin und her zu gehen, während er fortfuhr.

»Aus Ychis erreicht uns die Nachricht, dass ein geheimnisvoller Mörder alle sieben Kinder des Raja niedergemetzelt hat, zusammen mit ihren Kinderfrauen und einer ganzen Reihe von Bewaffneten, die für ihre Sicherheit sorgen sollten. Laut den Gerüchten kam der Ättentäter von den Perleninseln, denen Ychis nun den Krieg erklärt hat!«

Leises Gemurmel brach aus. Einige der Anwesenden wechselten besorgte Blicke oder schauten zu Niftha, die sichtlich bestürzt über diese Neuigkeiten war. Doch der Ordensoberste achtete nicht darauf. Scheinbar gab es noch mehr schlechte Nachrichten.

»Vor einigen Tagen hat ein Unbekannter den artanischen Thronfolger getötet. Es heißt, er hinterließ eine Nachricht mit Grüßen aus dem westlich davon gelegenen Herdrinland. Der Kaiser der Artanen wird nun wohl sehr wahrscheinlich seine Truppen dorthin entsenden. Ein weiterer Krieg, der nicht mehr abzuwenden ist!«

»Es beginnt also wirklich!«, rief jemand irgendwo links von Ankartho.

Ogas Nim blickte in die Richtung des Rufers und nickte zustimmend.

»Ja, es beginnt. So, wie es die alten Schriften ankündigen! Ich habe keinen Zweifel daran, dass unser alter Feind zurückgekehrt ist. Und wie es aussieht, ist er uns bereits mehrere Schritte voraus. Chaos und Elend werden noch deutlich wachsen, wenn wir nicht umgehend handeln!«

Für einen Moment schloss der Ordensvorsteher die Augen, um sich zu sammeln. Zum ersten Mal, seit Ankartho den Ishiden kannte, wirkte Ogas Nim alt und müde auf ihn. Als wäre die Last, die er zu tragen hatte, allmählich zu groß. Vielleicht, kam ihm in den Sinn, war er wie dieses Gebäude - nicht mehr das, was er einst gewesen war. Doch ebenso schnell schob er den Gedanken wieder fort. Denn der Ordensoberste strahlte trotz allem noch immer die Kraft aus, für die er ihn seit je her bewundert hatte.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unsere Aufgabe ist es, das ausbrechende Chaos wieder einzudämmen. Wir müssen die Nachkommen der Herrscher dieser Welt schützen, auch in unserem eigenen Interesse! Wir müssen den Feind der Völker dieser Welt zurücktreiben in das Dunkel, dem er entstiegen ist. Darum wird jeder von euch in Kürze einen Auftrag erhalten, den zu erfüllen er umgehend aufbrechen muss!«

Nun wurde es deutlich unruhiger im Raum. »Werden wir einzeln ausgesandt?«, fragte jemand.

»Ja.«, antwortete Ogas Nim. »Unsere Zahl ist klein und es gibt zu viele Orte, an die sich ein Ordensmitglied begeben sollte.«

»Wie wird festgelegt, wer wohin geht?«, fragte ein anderer Ordensmann mit besorgtem Unterton. »Ich muss nach meiner Familie sehen.«

Ankartho horchte auf. Daran hatte er gar nicht gedacht! Seine drei Geschwister. Ging es ihnen gut?

»Gibt es Nachrichten aus dem Schilfmeer?«, fragte Sanholi neben ihm.

Der Ordensoberste hob beide Hände. »Ich habe euch alle Dinge mitgeteilt, die wir bis jetzt wissen! Es scheint, als wären zuerst die großen Reiche Ziel von Angriffen geworden.«, sagte er. »Wir werden entscheiden, wer wohin gesandt wird, aber es wäre unklug, wenn jeder einfach nach Hause ginge. Persönliche Gefühle werden euch nur ablenken, euch gedankenlos und leichtsinnig machen!«

Er wurde lauter, als der Lärm im Saal nicht abklang.

»Erinnert euch an euren Eid!«, donnerte er schließlich und die Ordensleute verstummten. »Wir werden unsere Aufgabe erfüllen, so wie wir es gelobt haben! So wie die Sheren Zay der alten Tage! Denn dafür, Wächter, wurdet ihr alle jahrelang ausgebildet! Manche von euch fast ihr ganzes Leben! Vertraut in das Gelernte. Vertraut in euer Schicksal. Dann werden wir unsere Mission erneut zu einem guten Ende bringen!«

Noch einmal blickte Ogas Nim jeden einzelnen eindringlich an, ehe er eine rasche Geste mit seiner Hand vollführte, die die Anwesenden entließ.

»Geht nun in eure Kammern. Meditiert. Kontrolliert eure Waffen und eure Rüstungen. Macht euch reisefertig und geht heute früh zu Bett. Ihr werdet eure Kräfte morgen brauchen! Es wird heute daher keine Übungen mehr geben.«

Die Wächter erhoben sich und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, während sie langsam den Saal verließen. Ankartho bezweifelte, dass heute irgendjemand früh schlafen würde. Wesentlich wahrscheinlicher war, dass die meisten gar nicht schliefen, aus Sorge um ihre Geschwister. Denn sollte es tatsächlich der alte Feind sein, der die Anschläge verübt hatte, dann dürften es wohl kaum die letzten gewesen sein. Vielmehr stellte das, was bisher geschehen war, in diesem Fall mit Sicherheit nur den Anfang dar.

»Ankartho, auf ein Wort!«, drang die Stimme des Ordensobersten an die Ohren des jungen Mannes. Überrascht wandte er sich um und straffte sich.

Ogas Nim stand ein paar Schritte entfernt und bedachte ihn, wie so oft, mit einem väterlichen Lächeln. Und dennoch konnte Ankartho die Sorgenfalten im Gesicht seines Mentors nicht übersehen.

»Wir gehen am besten in mein Arbeitszimmer.«, stellte der Ishide fest. »Denn du wirst im Gegensatz zu den anderen noch heute aufbrechen…«

Das Arbeitszimmer des Ordensobersten war ein quadratischer, zur einen Hälfte mit Bücherregalen, zur anderen mit Waffen und Rüstungen vollgestopfter Raum im ersten Stock des Hauptgebäudes des Klosters. Von hier aus hatte man einen guten Blick über den Großteil der Klosteranlage und das hügelige Land jenseits der Mauern. Doch heute hatte Ankartho keinen Sinn dafür. Es war auch das erste Mal, dass er die historischen Waffen, die an einer der Wände arrangiert waren, nicht beachtete. Und ebenso wenig die ychischen Rüstungen auf ihren hölzernen Ständern.

»Wie viele von uns werden nach morgen noch hier sein?«, fragte der junge Mann.

Ogas Nim runzelte die Stirn und kratzte sich mit der Linken am Hinterkopf, während er auf das Dokument hinab sah, das auf seinem wuchtigen Schreibtisch zuoberst lag.

»Nur eine Handvoll. Die, die noch nicht bereit für eine solche Mission sind.«, sagte er dann. »Aber kommen wir besser direkt zur Sache. Denn die Zeit drängt.«

Ankartho verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete, wie Ogas Nim eine große Weltkarte aus einem Haufen loser Pergamentstücke hervor kramte und ausbreitete.

»Ich will ehrlich sein, Ankartho. Du bist einer meiner talentiertesten Schüler. Darum muss ich dich dorthin schicken, wo es schon brennt und nicht an einen Ort, an dem noch nichts geschehen ist.«

Er deutete auf einen Punkt auf der Karte. Ankartho kniff die Augen zusammen und las die kleinen, mit schwarzer Tinte geschriebenen Buchstaben. Dort stand »Herdringard«.

»Du wirst dich so rasch es nur geht in die Hauptstadt Herdrinlands begeben. Sie liegt einige Tagesreisen von hier im Nordosten. Ich lasse dir eines der schnellsten Tiere im Stall satteln, damit du umgehend aufbrechen kannst. Am besten reitest du nach Perilat und kaufst dir dort eine Passage über die Weite See. Dann kannst du in ein paar Tagen in Sudhaven an Land gehen. Von dort aus sind es noch einmal etwa vier Tagesritte nach Herdringard, sofern du dich eilst. So dauert die Reise insgesamt etwa zwei bis drei Wochen, wenn die Winde günstig wehen.«

Der Zeigefinger des Ishiden war seinen Ausführungen während er sprach über das Pergament gefolgt. Ankartho strich sich mit der Rechten über das Kinn. Sein Blick war an einem anderen Punkt etwas abseits der vorgeschlagenen Route stehen geblieben.

»Wieso reite ich nicht nach Inarock und nehme mir dort ein anderes Transportmittel? Das wäre wesentlich schneller…«

Ogas Nim zog missbilligend die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf.

»Das ist viel zu gefährlich. Der Weg dorthin führt durch äußerst unsichere Lande voller räuberischer Nomaden. Niemandem ist geholfen, wenn du unterwegs umkommst. Außerdem solltest du vielleicht nicht schon bei deiner Ankunft mehr Aufsehen erregen als ein brennender Troll in der großen Markthalle von Kadelon.«

Ankartho schmunzelte. Es war gut zu sehen, dass der Ishide noch immer zu Scherzen aufgelegt war, auch wenn sein Gesicht nach wie vor ernst blieb.

»Sei bitte vernünftig.«, schob der Ordensoberste nach. »Diese Mission ist zu wichtig, um sie zu gefährden und wir haben nicht die Zeit, das auszudiskutieren. Das alles ist kein Abenteuer, es ist bitterer Ernst.«

Ankartho überlegte kurz, ob er mit seinem Mentor diskutieren sollte. Doch der würde nur zunehmend ungeduldiger werden und ihn schließlich maßregeln. Also entschied er, klein bei zu geben.

»Wie genau lautet mein Auftrag?«, fragte er.

Ogas Nim musterte ihn einen Augenblick lang. Wahrscheinlich machte ihn das schnelle Einlenken seines sonst so halsstarrigen Schülers misstrauisch.

»Der König von Herdrinland, Gerwin, hat zwei Töchter. Sie sind bereits volljährig, aber das wird unsere Feinde nicht abhalten. Ihre Namen sind Estrith und Rika. Wenn du rechtzeitig am Ziel bist solltest du sie noch in Herdringard vorfinden.«, erklärte der Ishide.

»Und wenn nicht?«, wollte Ankartho wissen.

Ogas Nim hob eine Braue.

»Dann werden sie bereits tot sein. Oder aber vielleicht schon im Krieg. Ich habe gehört, dass Gerwin erkrankt ist. Er selbst wird die Truppen Herdrinlands also sicher nicht führen. Sollte seinen Töchtern etwas zustoßen, wird das Königreich führerlos ins Chaos taumeln. Genau, was unsere Feinde wollen...«

Er bedachte Ankartho mit einem durchdringenden Blick.

»Schütze ihr Leben um jeden Preis. Du weißt, wenn das königliche Blut versiegt…«

»…versinkt die Welt in den Schatten.«, beendete Ankartho den Satz.

»Was ist, wenn sich nicht beide am selben Ort aufhalten?«, fragte er dann.

Ogas Nim schien einen Moment zu überlegen. Dann seufzte er leise. »Dann musst du dich entscheiden, wen du schützt. Wir haben einfach zu wenige Leute…«

Ankartho nickte. Mehr brauchte er nicht zu wissen.

»Begib dich in deine Zelle und packe deine Sachen. Du brichst umgehend auf…«, wies der Ordensoberste ihn an. »Ich wünsche dir Glück. Komm heil wieder nach Hause.«

Auf einmal fühlte sich das alles wie ein Abschied an.

Während sich Ankartho verneigte und den Raum verließ, überlegte er, ob er seinen Mentor jemals wiedersehen würde. Doch seine Neugier und Abenteuerlust waren stärker als solche Gedanken. Bisher hatte er sein Leben an zwei Orten verbracht. Im Haus seines Vaters und in diesem Kloster. Über die große Welt, die jenseits seiner Mauern lag, hatte er nur Bücher gelesen. Nun würde er sie mit eigenen Augen sehen. Und so musste er unwillkürlich lächeln, während er in Richtung seiner Zelle davon schritt.

Die Tränen der Schatten

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