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Julian

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Sein Klavierspiel war das eines Gottes. Die Hingabe an die Musik unvergleichlich. Und seine Gestalt schien nicht von dieser Welt.

Er - Julian Ardena - war ein hoch gewachsener, schlanker Mann. Seine Gestiken und Bewegungen waren so fließend und vollendet, wie bei einem erfolgreich jagenden Panther. Sein lichtblondes Haar fiel ihm seidenweich um das asketisch-anmutende, etwas spitzfindige Gesicht mit den klaren, blau-grünen Augen.

In all seinem Tun - wenn er vor staunendem Publikum Klavier spielte; oder nur bei Partys als Gastgeber fungierte - war er perfekt, vollkommen und unübertrefflich.

Und lernte man ihn kennen, schüttelte seine begnadeten Hände oder erhaschte nur einen Blick in seine leuchtenden Augen, dann war es meist um einen geschehen und man war ihm verfallen – dies galt besonders für Frauen.


Als ich ihn zum ersten Mal persönlich sah, war dies bei einer kleinen Party gewesen, nach einem seiner gelungenen Konzerte. An der Seite eines Starfotografen, den ich nur sehr flüchtig kannte, verschaffte mir die Möglichkeit, an der Party teilnehmen zu können. Doch obgleich ich schon über eine Stunde anwesend war, hatte man mich ihm noch nicht vorgestellt und ich war ihm noch nicht näher begegnet.

Mit einem halbleeren Glas in der Hand spazierte ich durch die grell erleuchteten Räume und fand schließlich auch eine Tür, die nach draußen auf die Veranda führte. Die klare Nachtluft tat mir gut und der Eichenbaum in meiner Nähe erinnerte mich an mein Zuhause, das ich schmerzlich vermisste.

„Guten Abend, schöne Frau!” Unbemerkt war Julian Ardena an mich herangetreten.

Ich wandte mich zu ihm herum. „Guten Abend, Mister Ardena. Sie haben wunderbar gespielt.” Ich lächelte.

„Nennen Sie mich Julian.” Seine Stimme war so verzaubernd, wie sein perfektes Aussehen.

„Ich werde Nadine genannt.”

Wir unterhielten uns noch einige Zeit über Dies und Das. Einige Male traten andere Gäste an uns heran und es war mir sogar noch gegönnt, einen Walzer mit ihm zu tanzen. Es war mir möglich, mich mit ihm zu verabreden, was mir mehr als nur einen boshaften Blick seiner derzeitigen Freundin einbrachte.


An einem Mittag trafen wir uns zu einem Kaffee in einem seiner Lieblings-Straßencafés. Ein anderes Mal spazierten wir am Ufer des Flusses entlang, der durch die Großstadt floss, in der wir lebten. Und an einem weiteren Abend entdeckte man uns im Theater, wie wir uns ein neumodisches Stück ansahen. Danach hatten wir ein kleines Essen und Tanz eingeplant, aber mir war an diesem Abend übel geworden.

Bei unseren Treffen unterhielten wir uns viel, meist über die Menschen und die Welt. Wir hatten auch viel zu lachen; er scherzte gerne, doch nicht auf Kosten anderer oder sonst irgendwie boshaft.

Er war der Liebreiz in Person, ganz ein Mystiker - einfach ein Elfe.

Ich wurde vorsichtiger, nun da ich ihn näher kennenlernte, denn ich durfte meine Mission nicht vergessen. Doch dies begann mir schwer zu fallen, als ich seinem Liebreiz verfiel.


Man erzählte mir, dass Julian zum Verräter geworden war und sogar einen Bruder unserer Königin beinahe getötet hätte. Auf seiner Flucht hatte Julian etwas mit sich genommen, das ich nun zurückholen sollte. Der Elfe hatte gegen jede mögliche Regel unseres unterirdischen Reiches verstoßen. Man hatte ihn verbannt. Doch dies war bereits viele Jahre vor meiner Geburt geschehen.

Nun, da die Menschen nicht mehr an die Elfenmythen glaubten und unser Platz auf der Erde rar wurde, drohte uns die Vernichtung und wir brauchten den Gegenstand, den Julian damals mit sich genommen hatte. Darum schickte mich das Elfenvolk los. Julian kannte mich noch nicht. Und ich musste den gestohlenen Kelch, gleich dem heiligen Gral, zurückbringen. Ich musste nun Julians Vertrauen gewinnen, um ihm seinen wahren Elfenname ins Ohr zu flüstern. Dieser wahre Elfenname machte ihn dem gegenüber wehrlos, der ihn ausgesprochen hatte.

Man hatte mich für diese Aufgabe ausgesucht und mir seinen wahren Namen verraten, den nur noch sehr wenige wussten. Und es war nun die Zeit gekommen, meinen Auftrag zu erfüllen.


Endlich hatte mich Julian zu sich nach Hause eingeladen. Sein Heim zu beschreiben wäre sinnlos gewesen, denn als Elfe - wenn auch vermenschlicht und verbannt - hatte er einen phantastischen, verzaubernden Geschmack. Und es kam fast wirklich einem Himmelsschloss in Tierna’na Oge gleich, sah man einmal davon ab, dass er Erdenmaterial benutzen hat müssen.

Er empfing mich. Wir aßen zusammen bei Kerzenlicht in seinem großzügigen Wohnzimmer. Und setzten uns dann auf die weichen Felle vor dem Kamin, umhüllt von Kissen, jeder ein Glas in der Hand.

Wir trugen beide weiße und grüne Kleidung. Er war wunderschön. Fast zu schön, um ein Verräter zu sein. Doch ich besann mich meines Auftrags.

Zunächst saßen wir dicht beisammen, sprachen und scherzten miteinander. Bis er näher an mich rückte. Seine Hand legte sich um meine Schulter und seine wundervollen Lippen lagen dicht an meinem Ohr, um mir Gedicht von Percy Shelley zu rezitieren.

Der Champagner schien mir zu Kopf zu steigen, mir wurde glühend heiß.

Da durchfuhr mich ein eiskalter Blitz. Er durfte mich keinesfalls küssen, sonst war ich verraten und verloren!

Ich versuchte von ihm fortzurücken, doch er hielt mich. „Was ist auf einmal mit dir?” fragte er.

„Bitte Julian, nicht so schnell”. erwiderte ich voller zurückhaltender Leidenschaft. Sollte ich jetzt damit beginnen? Günstig wäre es. „Julian?”

„Ja, Nadine?” Er rückte wieder näher.

Ich konnte seinen sanften Atem auf meiner Haut spüren. „Ich... Du...” Wie sollte ich beginnen? Da sah ich ihm einfach tief in seine blauen Augen und sagte kurzerhand: „Ardoniel.”

Er fuhr zusammen, sichtlich erschrocken über dieses eine Wort, und dadurch verriet er sich. „Woher?”

„Ich bin aus deinem Volk. Meine Königin schickt mich. Sie will ES zurückhaben.” Meine Stimme war fest, fast grausam.

„Niemals gebe ich den Kelch zurück!” Er war aufgesprungen, starrte mich finster an. Bereits in diesem Augenblick begann er mich zu hassen.

Es tat mir weh, diese Veränderung zu sehen. Ich hasste nun fast die, die mir diesen Auftrag erteilt hatten. Und doch blieb ich stark. „Ich kenne deinen wahren Namen, ich kann dich dazu bringen!” drohte ich ihm.

„Ich bin nun mehr ein Mensch als ein Elf.” Unerwartet zog er mich zu sich heran, fest und fordernd. Und dann küsste er mich unerwartet. Widerwillig empfingen meine Lippen die seinen, doch als ich ihm erlag, durchbrach diese Berührung die Grenzen von Vorsicht und traf auf begierige Leidenschaft. Und schon trennten wir uns. Fragend sah er mich an. „Nun?”

Ich wusste es nicht.

„Es wird besser sein, wenn ich jetzt gehe.” Ich wollte mich abwenden, aber Julian ließ mich nicht aus seiner Umarmung gehen.

„Wenn du jetzt gehst, dann kommst du mit Verstärkung wieder und das möchte ich nicht. Die Entscheidung soll noch heute Nacht fallen! Ich lass dir eine letzte Möglichkeit, Nadine.”

Ich schaute ihn verwundert an. Irgendwie machte er einen hilflosen Eindruck, doch das konnte auch an seinem gesenkten Blick und seiner Traurigkeit liegen. Ich wusste nicht, wie weit ich ihm wieder trauen konnte. „Also gut, dann noch heute Nacht.”

„Darf ich mich dir erklären?” Seine Stimme hatte einen unwirklichen Klang bekommen.

„Ja, erzähle mir deinen Standpunkt.”

Julian setzte sich auf die weiße Ledercouch, die unweit im Raum stand und streckte mir eine Hand entgegen. „Willst du dich nicht zu mir setzten, damit ich nicht so laut sprechen muss?”

Nichts sprach dagegen, warum ich es nicht tun sollte. Ich nahm am anderen Ende Platz. „Nun erzähle, Ardoniel.”

„Nenne mich bitte Julian.”

„Das entscheide nur ich ganz allein - Ardoniel!” Ich gab meiner Stimme - entgegen meinem inneren Aufruhr - einen harten Klang.

„Du kennst die Schönheit unserer Königin?! Und es ist kaum verwunderlich, wenn sich ein Elf in dergleichen verliebt. Ich tat es. Und zwar so unwiderruflich, wie ich auch getötet habe! Und auf mich traf zu, dass ich blind vor Liebe wurde. Doch sie verschmähte mich, gewährte mir nicht einmal eine flüchtige Berührung. Da wollte ich nur noch eines, weit fort aus Tierna’na Oge. Doch um an meiner Sehnsucht nicht zu verzweifeln, stahl ich den Kelch, in den ihr Abbild geritzt war.”

„Dabei tötetest du den Hüter dieses heiligen Symbols!”

„Ich wusste nicht, was ich tat. Ich war von Sinnen. Verfolgt von Schattengeistern und ihrer unerreichbaren Schönheit. Verschmäht, gedemütigt und zu einem Verbannten geworden, wegen einer Verehrung und Leidenschaft, die einem zum Wahnsinn treiben kann, bleibt diese Liebe unbeantwortet. Ich litt und …leide noch immer.” Ein Schluchzen durchbrach sein Gerede und Tränen flossen aus seinen blaukristallenen Augenseen. Da barg er sein Gesicht vor Scham darüber in seinen Händen.

Ich fasste ihn tröstend um die gebeugten Schultern, mir bewusst, welch geistige Wunde ich erneut bei ihm geöffnet haben musste. „Wenn du sie so sehr liebst, dann solltest du den Kelch allein deshalb wieder zurückgeben.”

„Aber ein Verbannter bliebe ich?!” Fragend sah er mich dabei an und wischte sich die Tränen fort.

Ich nickte.

„Kannst du mich so zurücklassen? Ohne jede bildliche Erinnerung meiner Liebe. Ohne ihr Bild, das ich zumindest berühren kann. Verlassen und auf ewig dazu bestimmt mit trauerndem Herzen einer stetig verblassenden Liebe nachzuträumen? Ohne Hoffnung auf Vergebung?”

„Du hast getötet. Und ich bin sicher, du würdest es wieder tun.”

Julians Blick darauf wurde mehr als geheimnisvoll – unberechenbar und voll wildem Feuer. Was würde er tun, nachdem sein Gejammer nicht bei mir überzeugt hatte?

„Du lässt mir keine andere Wahl”, sagte ich und wollte als nächstes die magische Bannformel aussprechen. „Ardoniel, tha an brataich a’snamh…” Mitten im Satz wurde ich unterbrochen.

Julien hatte mich gepackt und schlanke, kräftige Hände legten sich um meinen Hals. Ich versuchte mich zu befreien, vergebens. Er war zu stark für mich. Ich begann zu röcheln, die Luft wurde mir knapp und mein Kehlkopf brannte wie Feuer.

Schließlich flimmerten meine Augen, doch bevor er mich in die Dunkelheit verbannte, hörte ich ihn noch sagen: „Du lässt mir keine andere Wahl, Elfin. Und du hattest recht.” Und seine Stimme überschritt die Grenze zum Wahnsinn.

Ich verlor das Bewusstsein. Meine Seele löste sich von dem menschlichen Körper, der bereits starb und ging zurück in ihren ursprünglichen Leib.


Ich durchwanderte die Wohnungen der Menschen, ohne sie mit meiner Gegenwart zu stören, bis ich in mein Heim kam, wo meine wirkliche Wesensgestalt lag. Er ähnelte ein wenig der rotblonden Frau, deren menschliche Gestalt ich mir ausgeliehen hatte. Meine Seele betrat den dort wartenden und schlafenden Elfenleib und kehrte dann, erwacht, nach Tierna’na Oge zurück.

Man würde mit Verstärkung auf die Erde zurückkehren, um den Kelch nun mit Gewalt an sich zu bringen. Das hatte er richtig geraten. Aber hätte er gewusst, dass ich mich nur eines menschlichen Hilfskörpers bedient hatte, hätte er größere Vorsicht walten lassen, um meinen Tod zu garantieren.

Und beinahe hätte ich seinen Lügen und seinem Gejammer Glauben geschenkt, weil er mir so verdammt gut gefallen hatte...


Ende

Erstellt 1986, überarbeitet 1998




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