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Kapitel 3: der Aufbruch in eine neue Welt
ОглавлениеWulfhelm saß auf der kleinen Stufe vor der Eingangstür des Magierdomizils und starrte ausdruckslos in die Ferne. So sehr er auch seinen Kopf anstrengte, wusste er einfach nicht, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Zur Hölle auch, Martor hätte ihm ja wenigstens sagen können, wo das Zepter zu finden war. Er hatte es richtig gehasst, immer nur Befehle zu bekommen. Das Ständige: »Wulfhelm tue dies, Wulfhelm tue das.« Jetzt wo er selber sehen musste, wie er klarkam, wünschte er sich seinen Meister jedoch zurück, um ihm Anweisungen zu geben.
Vielleicht sollte er nach Norden gehen, in Richtung des verwunschenen Waldes, aber wenn er es sich recht überlegte, klang das nicht besonders einladend. Im Osten lag das Meer des verlorenen Tropfens, im Westen waren die Berge des Todes und im Süden die Steppe der Verdammten. Diese Namen trugen nicht unbedingt dazu bei, dass Wulfhelm sich besser fühlte.
Entgegen allen guten Ratschlägen seiner inneren Stimme setzte er sich erstmal in Bewegung. Es dauerte auch nicht lange, da hatte er seine Mission in den Keller seines Gehirns getragen und die Tür von außen zugesperrt, um nicht mehr an etwaige Gefahren zu denken. Es war ein lauwarmer, sonniger Tag und ein Meer von bunten Herbstblumen breitete sich auf den Wiesen neben der Straße aus. Wulfhelm genoss es sichtlich, einfach umherzuwandern und den Schmetterlingen bei ihrem Tanz zuzusehen. Unbewusst hatte er dabei die nördliche Richtung eingeschlagen und schon bald wurde das Gelände von vereinzelten Bäumen durchzogen.
Wulfhelm gewahrte ein Plätschern zu seiner Rechten und verließ den Weg, um sich an dem nahe gelegenen Bach zu erfrischen. Ein leises Wiehern jedoch veranlasste ihn auf halbem Wege dazu, sich flach auf den Boden zu werfen. Zu seiner Überraschung hatte noch jemand die Idee gehabt, sich an dieser Stelle des Baches zu einer Rast niederzulassen. Wulfhelm setzte all sein feldmännisches Wissen - welches sich ziemlich begrenzt hielt - ein, um die Lage zu sondieren.
Er sah ein Pferd, das am Ufer graste und gelangweilt mit dem Schwanz wedelte. Durch die Beine des Tieres nahm er eine, scheinbar schwer bewaffnete, Person wahr, die am Bach hockte und eine Feldflasche füllte. Die Person trug ein Kettenhemd und hatte dunkelbraunes Haar, das sich in welligen Kaskaden über die Schultern ergoss. Über der Rüstung trug der Krieger eine rote Gugel, deren rote spitze Kapuze unter den langen Haaren vorlugte. An einem breiten Gürtel hingen verschiedene kleine Beutel und Taschen sowie ein gefährlich aussehendes Schwert in einer dunklen Lederscheide.
Wulfhelm wurde für einen Moment an seinen Vater erinnert. Dieser trug das Haar auch offen und lang. Wenn er in die Schlacht zog, band er es sich jedoch zu einem Pferdeschwanz zusammen. Wulfhelm leitete aus dieser Angewohnheit ab, dass sich dieser Kämpfer dort wohl nicht auf dem Kriegspfad befand. Die Vorsicht mahnte ihn jedoch, erst einmal weiter zu observieren, bevor er seine Deckung aufgab.
Der Krieger erhob sich und Wulfhelm stellte erstaunt fest, dass er einen Rock trug. Und dabei handelte es sich nicht um so einen langen Kriegsrock, der bis zu den Knöcheln reichte und bei vielen Kriegern als chic galt, weil er ihre Wildheit unterstrich. Dieser Rock war sehr kurz und hätte vielleicht zu einer Tänzerin gepasst. Wulfhelms Blick fiel auf ein Paar makellose, lange Beine und blieb daran haften, wie eine Fliege an einem Honigtopf. Als der Krieger sich umdrehte, stieß er keuchend die Luft aus. So etwas hatte er noch nie gesehen. Das war ja eine Frau, oder besser gesagt ein Mädchen! Hierzu muss vielleicht erwähnt werden, dass es absolut untypisch war, dass eine Frau in einer schweren Rüstung umherstiefelte. Der Kriegerberuf war Männersache und Frauen wurden gar nicht erst an den Akademien aufgenommen. Die Hand des Mädchens legte sich auf den Schwertknauf und sie blickte sich alarmiert um.
»Ist da jemand?«, rief sie ziellos in die Botanik.
Sie hatte Wulfhelm also noch nicht entdeckt. Er spielte mit dem Gedanken, sich einfach zu verkrümeln, aber seine Neugier siegte schließlich. Er stand auf und bewegte sich vorsichtig auf das Mädchen zu.
»Wen haben wir denn da? Einen Zauberlehrling, mitten in der Wildnis?«, eröffnete sie das Gespräch.
»Woher wisst Ihr ...«, begann Wulfhelm, aber das Mädchen unterbrach ihn.
»Ich kann lesen«, sagte sie knapp und deutete auf seinen Spitzhut.
»Äh ... Ja ... Seid gegrüßt, mein Name ist Wulfhelm.« Er streckte ihr die Hand entgegen, die sie geflissentlich übersah.
»Mein Name ist Harika. Schleicht Ihr Euch immer so an Maiden heran?«
»Nun ja ... ich meine, nein! Ich wollte mich am Bach erfrischen und bemerkte Euch zu spät. Ich wusste ja nicht, ob Ihr freundlich gesinnt seid, oder nicht«, gestand Wulfhelm wahrheitsgemäß.
»Wenn ich anmerken darf, wisst Ihr das immer noch nicht«, entgegnete Harika spitzbübisch.
»Oh, ich verstehe. Na ja, ich geh dann besser mal«, sagte Wulfhelm und schluckte einen Kloß herunter.
»Nicht so hastig, ich tue Euch nichts. Ihr wolltet Euch doch erfrischen.« Sie deutete auf den Bach.
»Entspannt Euch, Wulfhelm. Wenn es Euch Recht ist, werde ich Euch Wulf nennen.«
»Sicher, Wulf reicht.« Er steckte seinen Kopf in den Bach, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er hatte noch nie ein so hübsches Mädchen gesehen und war ein wenig Durcheinander.
»Ihr solltet nicht unbewaffnet durch diese Gegend marschieren. Es wird bald dunkel, und wenn Ihr möchtet, könnt Ihr mit mir rasten.« Harika kramte ein paar Dinge aus den Satteltaschen ihres Pferdes. Wulfhelms Herz hüpfte vor Freude auf und ab. Der Gedanke, allein irgendwo da draußen übernachten zu müssen, behagte ihm nicht sehr. Nachdem sie ein Lagerfeuer entfacht hatten, bei dem Wulfhelm gleich ein wenig mit seinen Fähigkeiten prahlen musste und es auf magische Weise entzündete, setzten sie sich zusammen, um sich ein wenig näher kennenzulernen. Wulfhelm überlegte dabei fieberhaft, wie er Harika am besten imponieren konnte.
»Was verschlägt dich überhaupt hier in diese Wildnis?«, wollte Harika wissen. Sie waren schnell zu einem handlicheren du übergegangen.
Wulfhelm erzählte ihr wort- und gestenreich vom Schicksal seines Meisters und von seiner Mission. Während er sprach, lächelte Harika von Zeit zu Zeit mitfühlend oder warf ein tröstendes Wort ein, sodass Wulf nicht umhin konnte, von ihr eingenommen zu sein. Es war schon komplett düster, als sie immer noch am Lagerfeuer saßen und sich voneinander erzählten.
»Sag mal Harika, wie kommt es, dass du eine Kriegerin geworden bist?«, fragte Wulf fröhlich und stocherte mit einem Stock im Feuer. Er und Harika waren sich im Laufe des Abends ein gutes Stück näher gekommen. Wenn sie anfangs noch distanziert gewesen war, hatte sich das jetzt geändert. Das warme, herzliche Lächeln, das sie ihm schenkte, versetzte Wulf in Hochstimmung und er musste sich eingestehen, dass er sich offensichtlich in die hübsche Kriegerin verliebt hatte. Doch als er dann diese Frage stellte, fühlte er sich auf einmal wie inmitten eines Hagelsturmes. Harikas Lächeln verschwand hinter der finstersten Miene, die Wulfhelm je gesehen hatte, abgesehen vielleicht von Martors Wutausbrüchen.
»HA! DAS IST WIEDER TYPISCH MANN!«, legte sie los. »IHR GLAUBT WOHL IHR SEID DIE EINZIGEN, DIE EIN SCHWERT FÜHREN KÖNNEN! IHR BETRACHTET EUCH JA AUCH ALS DIE KRONE DER SCHÖPFUNG!« Langsam kehrte Harika wieder zu einer etwas gemäßigteren Lautstärke zurück.
»Frauen brauchen sich nicht hinter Männern zu verstecken. Es wird Zeit, dass die Frauen dieser Welt endlich erkennen, dass sie genau so viel können wie Männer, wenn nicht noch mehr.« Harika holte kurz Luft und deklamierte lautstark: »GLEICHBERECHTIGUNG FÜR ALLE!«
Wulfhelm war während dieser Emanzipations-Attacke vorsichtshalber im Kragen seiner Robe verschwunden und kam nun langsam wieder zum Vorschein.
»Äh, Entschuldigung, Harika. Ich meinte nicht, dass ich es nicht großartig finde, dass eine Frau den Beruf eines Kriegers ergreift. Es ist nur so, dass Frauen, soweit ich weiß, nicht an den Akademien aufgenommen werden.«
»Oh«, sagte Harika etwas betreten. Es tat ihr plötzlich leid, dass sie Wulf so angefahren hatte.
»Tut mir leid. Ich gerate immer etwas in Fahrt, wenn dieses Thema angeschnitten wird, die meisten Männer finden es nämlich überhaupt nicht gut, wenn eine Frau in ihre Domäne eindringt. Was deine Frage betrifft, ich habe nicht auf einer Akademie gelernt, sondern bei einem privaten Meister, genauso wie du.«
Wulf war froh, dass die Gewitterwolken wieder abzogen. Die Kriegerin lächelte wieder genauso herzlich wie zuvor. Er beschloss das Thema zu wechseln, um die Stimmung nicht noch einmal zu gefährden.
»Was hast du denn jetzt vor?«, fragte er unschuldig.
»Ich weiß noch nicht. Ich habe meine Ausbildung gerade abgeschlossen und suche jetzt eine Möglichkeit, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«
»Warum begleitest du mich nicht? Ich kann jede Hilfe brauchen, wenn ich das Zepter finden und diese böse Zauberin besiegen will.«
Harika atmete erleichtert auf: »Ich dachte schon, du würdest mich nie fragen. Klar begleite ich dich. Klingt so, als könnte man dabei zu einer guten Portion Ruhm kommen.«
Wulfhelm war sprachlos. Er konnte sein Glück kaum fassen. Eine Kriegerin im Gepäck, sei sie noch so unerfahren, mochte seine Lebenserwartung erheblich steigern. Was Wulfhelm nicht wusste, war, dass auch Harika etwas für unseren Helden übrig hatte. Sie hätte sich schlimme Vorwürfe gemacht, wenn dem tollpatschig wirkenden Jungen etwas zustoßen würde. Und auf einer Mission wie dieser, würde ihm wohl noch einiges passieren, daher war es erforderlich, dass ihm ein starker Arm und eine Schulter, an der er sich ausweinen konnte, zur Seite standen. Bald legten sie sich zur Ruhe und Wulfhelm fiel in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
Nachdem sie die Ausrüstung auf das Pferd geladen und eine Weile diskutiert hatten, welche Richtung sie einschlagen wollten, hatten sich Wulfhelm und Harika auf den Weg gemacht. Sie zogen weiter in die Richtung des verwunschenen Waldes. Harika hatte noch nie etwas von diesem Zepter gehört, das Wulf finden sollte, und konnte daher auch keine nützlichen Hinweise geben, wo sie mit der Suche beginnen sollten. Bald wurden sie von den knorrigen, düsteren Bäumen des Waldes verschluckt. Die vereinzelten Sonnenstrahlen, die einen Weg durch das Blätterdach fanden, gelangten kaum auf den Boden. Dafür breitete sich ein trügerischer Teppich zähen Bodennebels vor ihnen aus.
»Hast du eine Ahnung, was uns in diesem Forst erwarten könnte?«, fragte Harika gerade wie beiläufig und blickte wachsam in alle Richtungen.
»Nichts Genaues. Martor ermahnte mich nur, dass ich nie hier herumlungern sollte.«
Harika blickte ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Unbehagen an.
»Das hat aber nicht viel zu bedeuten«, fügte Wulfhelm rasch hinzu. »Er hat mir auch abgeraten, dienstagabends ins Dorf zu gehen. Angeblich, weil sich dann böse Geister in der Stadt herumtrieben. Einer dieser bösen Geister hatte lange Beine, ein samtenes Kleid und hieß Mariana. Martor traf sich immer mit ihr.«
Harika kicherte leise, wurde aber sofort wieder ernst.
»Glaubst du, dass dein Meister hier eine Geliebte am Kochen hat? Wir sollten besser vorsichtig sein.«
Sie verhielten sich eine Weile schweigsam und lauschten nur den Geräuschen, die im Wald zu hören waren. Aus Tierrufen konnte man oft auf Gefahren schließen und manche Ungeheuer gaben ganz typische Laute von sich. Nichts. Nicht mal ein lausiger Vogel war zu hören. Wahrscheinlich lag es an der schlechten Nachbarschaft ...
Sie ritten jetzt schon eine ganze Weile durch den verwunschenen Wald. Die Tageszeit ließ sich nur mühsam bestimmen, aber Wulfhelms Magen eröffnete ihm, dass es bereits Mittag war und nun doch wohl die Zeit für die Fütterung gekommen sei. Harika schien es ebenso zu ergehen, denn sie war die Erste, die vorschlug zu rasten.
Kurze Zeit später brutzelte etwas von ihrem Proviant über dem Feuer. Der Nebel wurde vom Lagerfeuer verdrängt und durch den Rauch des feuchten Holzes ersetzt. Müde lehnte sich Wulfhelm an einen Baum. Der Geruch von gebratenem Fleisch hing in der Luft und versetzte ihn in eine angenehme Vorfreude. Harika hatte es sich derweil auch bequem gemacht und gerade, als sich wohlige Gemütlichkeit ausbreiten wollte, wurden sie vom Geräusch einer knarrenden Tür aufgeschreckt. Harika legte einen Finger auf ihre Lippen und lauschte angestrengt in den Wald. Wulfhelm stellte für eine Weile das Atmen ein und ließ seinen Blick durch den Nebel schweifen. Sie hörten ein Schnüffeln, gefolgt von eiligen Schritten und es schien von allen Seiten zu kommen. Alarmiert sprang die Kriegerin auf und zog ihr Schwert. Was immer da auf sie zukam, es war verdammt schnell. Etwas überfordert mit dem plötzlichen Situationswechsel vergeudete Wulfhelm wertvolle Sekunden, bevor er sich auf das Magiebrimborium besann, das er bei seinem Meister eingesackt hatte. Eiligst durchkramte er seinen Rucksack nach einem passenden Artefakt und griff sich einen eindrucksvoll aussehenden Ring, aber es war bereits zu spät. Er hörte seine Gefährtin einen überraschten Ruf ausstoßen, sowie ein vielstimmiges »Haut rein, Jungs!!«, und blickte auf.
Harika stand immer noch an ihrem Platz, das Schwert zögernd in der Hand und blickte sich erstaunt um. Aufgewirbeltes Laub vom Waldboden und Asche regneten langsam wieder zu Boden. Sich entfernende Schritte waren noch zu hören und kurz darauf schloss sich das Geräusch einer zuschlagenden Tür an.
»Was zum Henker ...?«, begann Harika, brach dann aber ab um sich suchend umzusehen.
»Was ist passiert?« Wulfhelm lief an die Seite der Kriegerin.
»Wenn ich das wüsste. Ich hab ein paar kleine, schmutzige Kerle gesehen, die hier in einem Irrsinnstempo durchgefegt sind und bei der Gelegenheit unser Essen mitgehen ließen.«
»Wo könnten die hergekommen sein? Manieren hatten die jedenfalls keine, so die Türe zu knallen.« Wulfhelm spähte angestrengt in den Nebel, als hoffte er, irgendwo Hütten zu sehen. Die Kriegerin begann, die Ausrüstung zu verstauen.
»Die kauf ich mir«, murmelte sie. »MIR KLAUT KEINER MEIN ESSEN!!«, fügte sie laut rufend an die unbekannten Siesta-Terroristen gerichtet hinzu. Wulfhelm, der die ganze Zeit über am Lagerfeuer gestanden hatte, blickte nun in die verschiedensten Richtungen.
»Vielleicht sollten wir die Sache auf sich beruhen lassen. Die finden wir doch nie und wer weiß, vielleicht sind sie gefährlich«, meinte er resigniert und machte ein paar zögernde Schritte in den Wald.
»Kommt nicht infrage! Schau mal, ob du eine Spur von ihnen entdeckst.«
Die Kriegerin packte ihr Pferd am Zügel und stapfte schlecht gelaunt hinter Wulfhelm her.
»Wie soll man bei diesem Nebel eine Spur verfolgen? Ich kann überhaupt nichts ... Uaaah!!« Ein Geräusch von berstendem Holz war zu vernehmen, gefolgt von einem gedämpften Aufprall. Der Nebel schloss sich wieder um die Stelle, an der der Jungzauberer eben noch gestanden hatte.
Harika eilte in die Richtung, wo sie Wulfhelm zum letzten Mal gesehen hatte. Mitten im Waldboden waren die Reste einer Falltür auszumachen. Sie kniete sich vor das dunkle Loch und versuchte, ihren Gefährten irgendwo dort unten zu erspähen.
»Wulf? Ist dir was passiert? WULF, ICH REDE MIT DIR!« Als sie keine Antwort erhielt, stieg ihr Nervositätspegel dramatisch an.
Was für Kreaturen mochten dort unten lauern und hatten sie Wulfhelm schon gefressen? Harika hielt es für angemessen, ihr mächtiges Zweihandschwert vom Pferderücken zu binden. Vorsichtig näherte sie sich wieder dem Loch und spähte über den Rand. Wulfhelms Gesicht schoss aus den dunklen Tiefen in Harikas Sichtfeld.
»He, das musst du dir unbedingt ansehen.«
Sie werden verstehen, dass sich selbst eine hartgesottene Kriegerin in so einer angespannten Situation erschrecken konnte und pflichtbewusst, wie Harika nun einmal war, tat sie das auch ausgiebig.
»Himmel, Wulf! Mach so was nicht noch mal, wenn ich nicht an einem Herzinfarkt sterben soll.« Sie versuchte wieder, etwas zu Atem zu kommen.
»´Tschuldigung«, sagte Wulfhelm geknickt und überprüfte die Qualität seiner Schuhe.
»Was ist denn da unten los?«, fragte Harika und versuchte an Wulfhelm vorbei zu sehen. »Ist das etwa Musik?«
Wulfhelm wurde wie auf Kommando wieder aufgeregt.
»Ja, das kommt von irgendwo dahinten.« Er zeigte über seine Schulter. »Hier scheint es ein ganzes Labyrinth von Tunneln zu geben.«
Harika ging zum Pferd zurück und band die Zügel an einen Baum.
»Geh mal ein Stück zur Seite, ich komm runter.« Behände schwang sie sich durch das Loch und landete katzengleich in einem Tunnel, der sich, leicht nach unten führend, in der Dunkelheit verlor.
»Mann ist das düster. Wir könnten eine Lampe brauchen«, stellte sie skeptisch fest.
»Ich Schafskopf!« Wulfhelm schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Fluchs betete er eine Beschwörungsformel herunter und der niedrige Gang wurde durch ein gespenstisches Leuchten erhellt. Vereinzelt ragten knorrige Baumwurzeln aus den Wänden und erweckten den Eindruck, als ob sie nur auf ein Opfer warten würden, das sie packen konnten. Geduckt folgten sie dem Tunnel und stießen kurze Zeit später auf eine Kreuzung. Der Gang war hier wesentlich breiter, aber die niedrige Decke erwies sich als störend. Sie befanden sich nun ein ganzes Stück tiefer unter dem Waldboden und die Wände des Ganges waren mit Lehmziegeln ausgekleidet. Vereinzelt waren dort Zylinder aus Metall angebracht, die im Boden und in der Decke verschwanden. Ein dumpfes Rumoren war zu hören und ein Stampfen. Gelegentlich zischte heißer Dampf aus den Zylindern.
»Hier hat sich jemand häuslich niedergelassen«, stellte Wulfhelm unnötigerweise fest.
»Ich wette, hier finden wir diese kleinen Strauchdiebe«, entgegnete Harika und ihr, mittlerweile verrauchter, Zorn flammte wieder auf.
»Es war doch nur ein ganz kleines Stück Fleisch«, sagte Wulfhelm gönnerhaft in einem Versuch, Harikas Mütchen zu kühlen.
»Darum geht es doch gar nicht. Ich lass mich halt nicht gern beschubsen und beklauen. Außerdem könnten diese Kerle etwas über den Wald wissen, das uns nützen könnte. Oder findest du es normal, dass es keine Tiere in diesem verfluchten Forst gibt?«
Kontra. Wulfhelm sah ein, das Harika gar nicht so schief lag. Wenn es ihm auch Unbehagen bereitete, hier in diesen Tunneln herumzustolpern, schien es doch die einzige Möglichkeit zu sein, etwas über den ungastlichen Wald, oder sogar den Verbleib des Zepters von Ardavil zu erfahren.
»Hm. Die Musik scheint aus dieser Richtung zu kommen.« Wulfhelm lauschte den etwas lauter gewordenen Klängen.
»Scheint so, als läuft da ein wildes Gelage. Na die Suppe versalzen wir denen.« Harika ging vorsichtig den Gang hinunter und zog Wulfhelm hinter sich her.
Hinter einer Gangbiegung schimmerte verhaltener Lichtschein und deutete auf die Quelle der guten Laune hin. Am Ende des Tunnels befand sich etwas, das sich unter den gegebenen Maßstäben als Saal bezeichnen ließ. Hier konnten die beiden Menschen fast aufrecht stehen. Eine größere Anzahl kleiner Tische und Stühle füllte den größten Teil der Fläche und machte es schwierig, sich zu bewegen, ohne das Mobiliar anzurempeln. Eine Gruppe von Gestalten saß zusammen um eine Feuerstelle und ließ einen Weinkrug kreisen. Die Wesen waren menschenähnlich, nur ziemlich klein. Kleiner als Zwerge, die immerhin größer als vier Ellen waren. Wulfhelm nahm an, dass es sich um Gnome oder Kobolde handelte.
»HA! DAS GELAGE IST VORÜBER!«, grölte Harika und stützte sich so elegant, wie es auf dem engen Raum möglich war, auf ihren Zweihänder.
Quiekend rannten die kleinen, schmutzigen Gestalten durcheinander und verschmolzen in einer Ecke des Raumes zu einem zitternden Bündel.
»Die scheinen nicht besonders gefährlich zu sein«, stellte Wulfhelm nüchtern fest.
»Erst harmlose Wanderer beklauen und dann zittern und winseln, das sind mir ja schöne Früchtchen«, erwiderte die Kriegerin, an das Knäuel in der Ecke gewandt. Ein besonders mutiges Exemplar der Wesen löste sich von den anderen und baute sich etwas weiter vor den anderen auf.
»Es tut uns ja auch unermesslich leid, aber wir haben ja schon so lange kein Fleisch mehr gegessen und dieser leckere Geruch hat uns irgendwie die Sinne verwirrt, denn wir sind eigentlich nicht so, das müsst ihr uns glauben edle Leute. Es lag wirklich nicht in unserer Absicht jemanden zu schaden, oder etwas zu stehlen. Seht mal, im Grunde unserer Natur sind wir liebenswerte, friedfertige Wesen, die niemandem etwas Böses wollen und so anständigen Reisenden wie euch ...«, begann die Kreatur mit weinerlicher Stimme in nicht enden wollendem Redefluss, wurde aber von einer gebieterischen Handbewegung Harikas zum Schweigen gebracht.
»Ist ja eklig diese Kriecherei.« Sie machte ein Gesicht, als hätte sie in eine Zwiebel gebissen.
»Schon vergessen. Könnt ihr uns vielleicht etwas über den Wald und seine Gefahren erzählen. Wir haben noch keine Tiere gesehen, oder gehört. Das ist doch unheimlich hier. Oder habt ihr schon einmal von dem Zepter von Ardavil gehört?«, mischte sich Wulfhelm ein. Die Wesen horchten auf und das Bündel verteilte sich blitzschnell an den Tischen. Sie nahmen Platz und blickten ihren Sprecher gebannt an. Dieser drückte auf einen Knopf an der Wand und schlagartig verdunkelte sich der Raum, eine Tafel glitt aus der Decke und der Gnom nahm einen weißen Stock in die Hand. Ein Lichtschein beleuchtete nur das Wesen und die Tafel. Harika und Wulfhelm sahen sich verwirrt um, verhielten sich jedoch friedlich, auch wenn die Kriegerin ihr Schwert fester umklammerte. Der Beleuchtete schob sich einen kleinen Zwicker auf die Knubbelnase und räusperte sich.
»Sehr geehrte Damen und Herren«, eröffnete er mit Professorenstimme.
»Wir befinden uns im verwunschenen Wald, und zwar genau hier.« Der Gnom deutete auf eine Stelle der Tafel, die eine Karte des Waldes zeigte.
»Einst war dieser Wald erfüllt von Leben. Vielerlei Vögel und Wild gaben sich ein Stelldichein.« Die Karte auf der Tafel veränderte sich auf magische Weise und zeigte eine sonnendurchflutete Lichtung, auf der sich Rehe, Hasen und einige andere Tiere tummelten.
»Wie hat er das gemacht?«, fragte Wulfhelm in den Raum und bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu.
Das Wesen ließ sich nicht ablenken und fuhr ungerührt fort.
»Alle Lebewesen lebten in Frieden miteinander und machten sich ihren Lebensraum nicht streitig. Eines Tages kam eine Frau zu uns in den Wald und wurde herzlich von seinen Bewohnern aufgenommen. Wir halfen ihr beim Bau einer Hütte und sie heilte als Gegenleistung verletzte Tiere. Doch eines Tages änderte sich ihr Verhalten und sie säte Zwietracht und Neid unter den Bewohnern des Waldes. Jene, die nicht rechtzeitig flohen, brachten sich gegenseitig um. Grausame Ungeheuer zogen in den Wald ein, der von Tag zu Tag dunkler und bedrohlicher wurde, und töteten die wenigen übrig gebliebenen Tiere. Wir Gnome lebten schon immer unter der Erde, wo wir unsere Maschinen bauen und waren so vor dem Zugriff der Bestien beschützt. Hier im Zentrum des Waldes ...«, er tippte auf eine Stelle der Tafel, die nun wieder die Karte des Waldes zeigte, »... leben viele der Ungeheuer und auch die böse Hexe, die uns so viel Leid gebracht hat. Wenn ihr also den Wald durchqueren wollt, solltet ihr diese Stelle umgehen.« Der Gnom zog mit der Spitze des Stockes einen Kreis um die gemeinte Stelle.
»Um noch mal auf das Zepter zurückzukommen ...«, setzte Wulfhelm an, verstummte jedoch, als der Gnom einen Finger hob.
»Richtig. Das Zepter«, näselte er und zeigte auf die Tafel, welche nun das Abbild eines schmuckvoll verzierten Zepters zeigte.
»Einst gehörte es dem Kaiser Gero von Ardavil, der gut und gerecht über das Land regierte. Der Edelstein an der Spitze ist ein Teil des zerstörten Schutzkristalls. Aber lasst mich zuerst die Legende vom Anbeginn der Zeit erzählen, sie hat nämlich eine ganze Menge damit zu tun.« Der Gnom machte eine bedeutungsschwere Pause und sah sich im Saal um.
»Tornak, der Erdgigant, wollte einst seinen liebsten Whisky-Krug verschönern. Es sollte etwas Besonderes sein. Nicht einfach ein bemalter Krug, nein, er sollte mit Leben gefüllt sein. Und so schuf er die Gebirge und Wälder, die Ebenen und die Kreaturen, die den Krug bevölkern sollten. Und Tornak sah, das ihm sein Werk wohl gelungen war, denn das Land war gut und fruchtbar und alle Kreaturen lebten in Frieden miteinander.«
Und so berichtete der Gnom, von dem Unglück das über die Welt hereinbrach, als die göttlichen Zwillinge den Krug zerstörten.
»Splitter des Schutzkristalls regneten auf das Land hernieder, es blieben Wüsten und Ödland und Meere aus edelstem Whisky zurück. Die Bewohner der Scherben riefen nach Tornak, der sie jedoch nicht hören konnte, und machten sich gegenseitig für diese Katastrophe verantwortlich. So bekämpften sich die Rassen gegenseitig und die schrecklichsten Kriege wurden ausgefochten. Als Tornak sah, was geschehen war, zürnte er den bösen Göttern. Über seinem zerbrochenen Krug jedoch weinte er aus Wut und Verzweiflung eine ganze Woche lang bittere Tränen. Diese Tränen fielen auf das Land und enthielten all den bösen Groll, den Tornak gegenüber den Göttern hegte. Als Tornak jedoch sah, dass an den Stellen, wo die Splitter des Kristalls gelandet waren neues Leben erblühte, schöpfte er wieder Hoffnung. Die Whiskymeere jedoch vermischten sich mit dem Staub des Fußbodens und wurden ungenießbar. Wo seine hasserfüllten Tränen lagen, die zu Diamanten wurden, breitete sich das Böse aus und es wollte einfach nichts Rechtes in der Nähe der Tränen gedeihen.«
Der Gnom nahm einen Schluck Wein aus dem Krug und sah Harika und Wulfhelm abwechselnd durchdringend an.
»Dies ist also die Legende wie Gut und Böse, manifestiert in den Trümmern des Kristalls und den Tränen des Tornak, in unsere Welt gekommen sind«, sagte er bedeutungsvoll.
»Wenn ein Stück des Schutzkristalls in dieses Zepter eingefasst ist, dann müsste es doch ...«, begann Wulfhelm, stockte jedoch, als der Redeschwall des Gnoms wieder einsetzte:
»Richtig. Das Zepter trägt die gebündelte Kraft des Guten in sich und war ein Segen für das gesamte Kaiserreich. Es brachte Wohlstand und Frieden für alle Wesen, denn das Böse konnte nicht in der Nähe des Zepters existieren. Somit gab es keine Krankheiten und Plagen in seinem Wirkungsbereich. Wesen mit bösem Charakter wurden durch den Einfluss des Zepters gut, oder, wenn sie sich dagegen wehrten, vernichtet. Leider funktionierte dieser Sinneswandel nur, wenn die böse Kreatur das Zepter sah oder berührte. Auf diese Schwachstelle bauten einige düstere Individuen einen teuflischen Plan auf. Der Kaiser bewahrte das Zepter in einer Glasvitrine im höchsten Turm seines Palastes auf, wo es jeder sehen konnte, sodass es seine Wirkung frei entfalten konnte. Zur Sicherheit waren überall Wachen postiert um das Unmögliche zu verhindern, dass es nämlich gestohlen wurde. Denn jeder Dieb wäre von dem Zepter von seiner bösen Absicht abgebracht worden, sobald er es sah oder berührte. Nun stand das Zepter einigen Leuten bei der Durchführung ihrer Pläne im Wege. Sie schickten, nach einigen gescheiterten Versuchen, und nachdem sie einige Meisterdiebe von ihrer Lohnliste gestrichen hatten, weil diese jetzt ihr Brot als Friseure, Bäcker oder Klosterbrüder verdienten, eine Schar von dunkel gekleideten Damen und Herren, die sich selbst Kinder der Nacht nannten. Es handelte sich hierbei um Vertreter einer Assassinen-Gilde, also um Leute, die den waffenlosen Kampf meisterlich beherrschten und auch sonst sehr geschickt zu Werke gingen. Das Besondere an der Gilde der Kinder der Nacht war aber, dass ihre Mitglieder alle blind waren. Sie sahen das Zepter nicht, also war Punkt eins der Gefahrenliste umgangen. Die Assassinen drangen eines Nachts in das Schloss ein und schalteten die Wachen aus.
Wie sie das Zepter bekamen, ohne es zu berühren, ist bis dato nicht bekannt, allerdings auch denkbar einfach. Eine Theorie besagt, dass die Diebe es, nachdem sie die Vitrine zerbrochen hatten, mit einem Stock oder Schwert von seinem Sockel gestoßen haben und in einem Sack aufgefangen haben. Es ist auch unwichtig, denn das Zepter war weg und die bösen Drahtzieher hinter der ganzen Aktion konnten nun weiter ihren dunklen Machenschaften nachgehen, ohne mit dem Ding in Konflikt zu geraten. Wie ich anfangs schon erwähnte, erstreckt sich der Einfluss des Zepters über eine große Entfernung, nur die Geschichte mit dem Gesinnungswandel beschränkt sich auf Sicht- oder Körperkontakt. Demnach muss sich rund um den heutigen Aufenthaltsort des Zepters eine Aura des Guten ausbreiten.«
Wulfhelm wurde im Laufe dieses Vortrages immer aufgeregter. Endlich wusste er, wonach er suchen sollte und das es sich bei dem Prügel tatsächlich um ein machtvolles Instrument handelte. Der Gnom schien alles über das Zepter zu wissen, daher war seine nächste Frage naheliegend.
»Wo finden wir das Ding?«, sprudelte es hoffnungsvoll aus ihm heraus.
»Keine Ahnung«, erwiderte der Gnom knapp und zuckte mit den Schultern. Daraufhin erhellte sich der Raum wieder und die anderen Gnome klatschten stürmisch Applaus.
»Es ist besser, wenn ihr jetzt geht«, sagte der Chef-Gnom. »Ihr könntet dann noch vor Einbruch der Nacht die tausendjährige Buche erreichen. Dort kann man sicher rasten, denn nachts, wenn die Ungeheuer ihre Höhlen verlassen, ist hier ganz schön was los.«
Harika, die sich ganze Zeit über schweigend auf ihr Schwert gestützt hatte, erwachte wieder zum Leben.
»Ja, lass uns abhauen. Ich brauche dringend frische Luft.«