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Einen schön durchlauchten Geburtstag für S. Durchlaucht!

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Der Fürst von Liechtenstein, Franz Josef II., ist siebzig Jahre alt g’word’n. Das kann jedem passieren. Manche sind in diesem Alter etwas tattrig, andre etwas flattrig. Der Fürst von Liechtenstein jedoch, in bemerkenswerter geistiger Frische und umgeben von seinen Kunstschätzen und auch seinem Volk, ist beneidenswert gut erhalten. Er geht beneidenswert-bemerkenswert rüstig in sein achtes Jahrzehnt, er ältelt und gräuelet nur wenig und wird seinem Volk noch lang erhalten bleiben, Gott erhalte Franz den Fürsten. Auf den Fotos, die zum feierlichen Anlass ausgegraben wurden, sieht man einen Franz Josef II. von anno 1938, der damals schon ganz genauso aussah wie heute, derselbige ehrwürdig-versonnene Landesvaterkopf unterm Zylinder, über die Brust ein Ordensband, der Fürst blieb im Zustand von 1938 erhalten wie tiefgefroren, Schnauz, Lächeln, Ehefrau: Alles ist noch da.

Was erhält den Fürsten so jung? Er hat es dem Historiker Golo Mann, der einen ebenso zeitlosen Kopf besitzt wie der Fürst, verraten (exklusiver «Weltwoche»-Report bzw. Interview vom 4. August): Es sind das Elixier der Macht und der Umgang mit den Grossmächtigen dieser Welt. Ein veritabler Jungbrunnen für Franz Josef II.! Nun kommt es nicht oft vor, dass ein Fürst von einem Geistes-Fürsten so schmuck befragt wird wie in diesem Interview und dass er so hübsch auspackt; und noch seltener dürfte es wohl sein, dass ein Historiker wie Golo Mann, immerhin auch nicht aus schlechtem Haus, so untertänig Fragen stellt (fast wie ein Landeskind bei der Audienz) und so deutlich seine politischen Ansichten enthüllt. Golo Mann gibt Antworten, indem er fragt. Man weiss jetzt, wenn man es noch nicht wusste, wie stark seine republikanischen Überzeugungen verwurzelt sind. Der Grossbürger spielt Pingpong mit dem Aristokraten, und siehe da: Es war eine prästabilierte Harmonie in der Luft.

«Durchlaucht, 70 Jahre sind ja nach modernen Begriffen kein hohes Lebensalter», fängt das Duett an. Immerhin so hoch, dass sich Franz Josef II. noch an Franz Joseph, Kaiser von Österreich-Ungarn, erinnern kann. Was für ein gütiger Herr! «Da ist mir die Erinnerung geblieben an seine Augen, erstaunlicherweise nicht an seinen Bart. Es ist interessant, dass mir als Kind nicht der Bart den grössten Eindruck gemacht hat.»

Den Völkern der weiland Donaumonarchie haben weder Bart noch Augen den grössten Eindruck gemacht, sondern die unbegrenzte Unterdrückungslust des versteinerten Monarchen, der weder das demokratische noch das Nationalitätenprinzip anerkennen wollte und die Herrschaft der adligen Grossgrundbesitzer, der Hochfinanz und der Pfaffen mit seinem Gottesgnadentum verbrämte. Die Fürsten von Liechtenstein, steinreich und mächtig, waren eine der führenden Familien in diesem sklerotischen Kasten- und Klassenstaat, der rückwirkend von Sissi-Filmen und Historikern wie G. Mann verklärt wird: Grossgrundbesitzer in Böhmen-Mähren (und auch in Schlesien), und «trotz der sogenannten Bodenreform (nach dem Ersten Weltkrieg) waren uns 65'000 Hektar Land geblieben, davon vielleicht 3000 Hektar Landwirtschaft, und der Rest war Wald. Der Wald hat mich immer interessiert.» Die junge tschechoslowakische Republik hat einiges von diesem adligen Boden verstaatlicht, das war die «sogenannte Bodenreform». Einfach den Adligen ein Stück von ihrem Land wegnehmen, pfui, und der Fam. Liechtenstein nur noch fünfundsechzigtausend Hektar lassen! «Bei uns in der Tschechoslowakei, da gab es doch eine ziemliche Hetze gegen den Adel, besonders von der Gruppe um Benesch, der ja immer noch so gefeiert wird im Westen …» Darauf Golo Mann: «… Nicht von mir!»

Allerdings. Der republikanische Staatsmann Benesch und die Republik überhaupt sind diesem G. Mann recht suspekt, er feiert sie keineswegs, sie sind ihm suspekter als die Donaumonarchie. Armer Fürst! Musste S. Durchlaucht doch mit den eigenen höchstselbigen durchlauchten Augen eine Arbeiterrevolte in Wien sehen: «Da habe ich von den Unruhen gehört, und weil meine Grossmutter und meine Tante in Wien waren, bin ich dann gleich zu Fuss zu ihnen geeilt. Auf der Strasse sind mir dann bald die Taxameter entgegengekommen, mit flüchtenden Leuten darin, mit eingerollten Fahnen dabei, aber das waren doch eher Leute, die kaum österreichisch ausgesehen haben. Da waren fremde Agitatoren dabei …»

Russen? Chinesen? Schweizer?

An die österreichische Republik hat S. Durchlaucht damals nie so richtig geglaubt, kein Wunder, er wusste genau, wie heftig sie von Adel (dem Grafen Starhemberg und anderen) und Bürgertum bekämpft wurde: lauter republikfremde Agitatoren. «Im Gegensatz zu vielen meiner Bekannten, gerade auch vom Adel, habe ich die Erste Republik stets als unstabil klassifiziert», und gehorsam ist sie dann auch untergegangen, jedoch Fam. Liechtenstein blieb stabil und erinnerte sich an ein vernachlässigtes Besitztum im «fernen Westen», nämlich eben das heutige Liechtenstein, und schlug dort, wo sonst früher nur die Sommerfrische verlebt wurde, Wurzeln. Und trat von dort aus den Mächtigen mit steifem Selbstbewusstsein entgegen. Da gab es diesen Hitler, den Emporkömmling, dem hat es Franz Josef II. besonders deutlich gezeigt, bei einem Staatsbesuch in Berlin: «Er war sehr verlegen. Ein ganz winziges Männchen, so wie der Dollfuss in der Grösse, er hat mir nur bis zur Brust gereicht.» Den Hitler hat vermutlich die Angst vor der liechtensteinischen Wehrmacht so klein gemacht, drum hat er nicht annektiert seinerzeit, und das lässige Auftreten der hochgewachsenen Durchlaucht hat ihn zusätzlich eingeschüchtert: Hitler hat bekanntlich nie Länder angegriffen, deren Lenker ihn körperbaumässig überragten: «Meinen Regierungschef Dr. Hoop habe ich (während des Staatsbesuchs) nicht mehr anschauen können, so habe ich mit dem Lachen kämpfen müssen, da ich bemerkte, dass auch Dr. Hoop Hitler nicht für voll nahm.» Ein Hitler zum Ausstopfen, den man «wie einen Affen im Käfig betrachtet», ein stadtbekannter Witzbold, den die Herrschaften sich leicht amüsiert vorführen lassen. Küss die Hand, gnä’ Fürst.

Der Besuch bei de Gaulle war schon standesgemässer, der Präsident hat sich sehr zusammengenommen und etwas auf die Zehenspitzen gestellt, die beiden waren dann etwa gleich gross: «Ich habe mich mit ihm sehr gut unterhalten, und es wurde mir mitgeteilt, dass damals selten ein Besuch im Elysée in so herzlicher, gelöster Atmosphäre verlaufen sei. De Gaulle war überhaupt nicht steif oder formell.» Hier müssen wir dem Fürsten unbedingt Glauben schenken, nach all den anstrengenden Besuchen von wirklichen Potentaten, wie Nixon usw., wird sich der alte Steinbeisser im Elysée enorm gefreut haben, mit dem Operettenprinzen ein Stündlein unverbindlich zu schäkern. Oder wollte de Gaulle vielleicht Steuerflucht betreiben, sein Geld nach Liechtenstein transferieren, sah er das Ende seiner Herrschaft voraus? «Übrigens war er über Liechtenstein ausgezeichnet informiert. Ich habe mich mit ihm sehr gut unterhalten.»

Auch Papst Pius XII. hat ihm einen «überragenden Eindruck gemacht», obwohl er ihn «nur fünf- oder sechsmal gesehen hatte». Nur! Ein paar Amulette gefällig für die Frau Gemahlin? Ein päpstlicher Segen für den fürstlichen Nachwuchs? Ein kleiner Bannstrahl gegen den gottlosen Kommunismus, der den Liechtensteins nun endgültig die letzten Hektare in der Tschechoslowakei weggenommen hat? «Unser ganzer Besitz wurde enteignet. Man glaubte, die Wahlen würden die Kommunisten wieder hinwegfegen, aber es ist ja dann anders gekommen.» Golo Mann trauert mit dem Fürsten: «1945 muss ja dann eine sehr schwere Zeit gewesen sein für das Haus Liechtenstein durch die Eroberung Ostmitteleuropas durch die Russen!» Gott sei Dank hat er jetzt noch diesen kleinen Besitz an der Schweizer Grenze, und dann «der stürmische Aufschwung auf dem Wirtschaftssektor», das heisst das Paradies für Steuerhinterzieher aus der ganzen Welt, und dann die fürstlich-liechtensteinische Bildersammlung. Nur zufällig ist der Fürst nicht selber Maler geworden, er war mit Staatsgeschäften überhäuft. «Haben Sie je gezeichnet?» fragt ihn G. Mann, und der Fürst darauf wehmütig: «Ja, aber ich komme leider nur wenig dazu. Ich habe sogar Zeichenunterricht genommen. Ich stamme, über die Braganza, Löwenstein und die Holländer, von Velasquez ab. Der ist auf meiner Ahnentafel.»

Das dreiseitige Gespräch, welches der letzte freilebende Hofhistoriker mit der letzten ambulanten Reliquie der Donaumonarchie führte und das nicht etwa auf der Witzseite des blauen Wochenblatts, sondern unter der Rubrik «Weltwoche-Report» publiziert wurde, klingt philosophisch aus. «Welche Eigenschaften des Menschen würden Sie als die schädlichsten ansehen?» fragt Chefreporter Golo Mann abschliessend den Fürsten auf dem Gampiross, und dieser schürft nochmals ganz tief: «Ich finde, das Schädlichste ist, nur an sich selbst zu denken. Daraus folgen dann leicht Neid, Egoismus, Missgunst, und daraus entsteht dann viel Unheil.»

Prägnanter kann man den europäischen Hochadel nicht charakterisieren.

PS I: Heftige Glückwünsche für das Manuskript gekriegt. Arthur Meyer, Inlandredaktor, nimmt’s entgegen, fällt dem Schreibenden sozusagen fast um den Hals: «Einen schönen Artikel hast Du geschrieben! Stimmt alles genau!» Auch Verena Thalmann, Toni Lienhard, Hans Tschäni lassen gratulieren, das sei fällig gewesen, nachdem sich die ganze schw. Presse in Untertänigkeit diesem Franz Joseph zu Füssen geworfen habe, zum Geburtstag.

Nach der Publikation weniger Glückwünsche. Tschäni entschuldigt sich brieflich bei den 35 Liechtensteinern, die den «Tages-Anzeiger» vorübergehend abbestellt haben. Die Zeitung hat 250'000 Auflage. Da die Schwester des Verlegers Coninx in Vaduz wohnt und periodisch zum Thee ins Schloss geladen wird, aber nicht mehr nach diesem Artikel, und sich ihr Bruder Otto, als Zeitungs-Fürst, betroffen fühlt (wie Max Frisch sagte: «Damit hast du gleich drei Dynastien getroffen, Mann-Liechtenstein-Coninx»), wird der Schreibende wie ein räudiger Hund zum Teufel gejagt bzw. im Blatt, dem er fünf Jahre gedient hatte, öffentlich hingerichtet mit einer Notiz der Geschäftsleitung. Der Artikel über den Fürsten v. L. im «Tages-Anzeiger« hatte den «Tages-Anzeiger» als Fürstentum entlarvt.

Den Redaktoren, die den Artikel unredigiert ins Blatt genommen haben, passiert nichts. Arthur Meyer ist heute Korrespondent des ta in Wien, Lienhard in Washington, Tschäni in Ehren pensioniert, Thalmann im Inland.

Vom Schreibenden erwartet heute der «Tages-Anzeiger», dass er sich dem «Tages-Anzeiger» gegenüber, wo er immer noch Schreibverbot hat, ruhig und besonnen verhalte.

PS II: Diesen Artikel widmet der Schreibende après coup (post festum): Maximilien Robespierre, c/o Comité du Salut Public, au fond de la cour à gauche, Paris 2e.

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